Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 28. Februar 2005, Heft 5

Schillers Heimkehr vom letzten Theaterbesuch

von Wolfgang Beutin

Das Schauspiel dauerte sehr lange. – Aus nun.
Die Lichter sind gelöscht,
der Saal geleert,
und rasch
zerstreuen sich die Menschen in der Nacht. Der kurze Weg
beschwert dich nicht, und fröstelts dich … Dein Mantel ist
arg dünn … April, der neunundzwanzigste – und wärs
unmöglich gar, die Winterkälte kehrt zurück?
Wirst deinen Puls, Arzt, selbst dir fühlen können
und deine Stirn! Das Fieber steigt? Jetzt hilf
dir selber, Arzt! Die fünfzig schaffen wolltest du
um Schaffens willen. Der Demetrius
verlangt dir ab ihn zu vollenden, tu‘s!
Wenn der Kadaver nur, marode wie bekannt,
mitspielen wollte … Wohl, er spielt dir übel mit.
Der Thronende hoch über dir wird seine Hand
nicht rühren dir zu helfen. Als den Gott der Grüfte,
so jugendkühn verhöhntest du ihn einst, du sähest
mit Graun ihn, und beschworst zum Trotz ihm sie,
die Liebliche, die ihm im tiefsten Herzen ist
sehr unbequem: … der blauen Flut entquillt
Die Himmelstochter sanft und mild. Ja, sanft und mild!
Deshalb gesteh, in Sparta wärst du nie gediehen,
da eheliche Liebe, Mutter-, Kindesliebe
und Freundesliebe niemals blühten:
Lange Zeit hat man jene spartanische Mutter bewundert, die
ihren aus dem Treffen entkommenen Sohn mit Unwillen von
sich stößt und nach dem Tempel eilt, den Göttern für
den Gefallenen zu danken. Zu einer solchen unnatürlichen Stärke des
Geistes hätte man der Menschheit nicht Glück wünschen sollen.
Eine zärtliche Mutter ist eine weit schönere Erscheinung in der
moralischen Welt, als ein heroisches Zwittergeschöpf,
das die natürliche Empfindung verleugnet, um
eine künstliche Pflicht zu befriedigen.
So klänge, wenn zum Abschiednehmen, Freunde,
die Fackel sich mir senkte, mein Vermächtnis zum Beschluß.
Doch weh, erschrick mir, Liebste nicht, verwirf
die Grabgedanken. Denn um mich, Charlotte, mußt du dich
in dieser Frühlingszeit nicht ängstigen. Zwar denke
an frühe Tode von geliebten Menschen ich, und wie
ichs zugeschworen Henriette, ihr
in Bauerbach die Schulden, den Betrag korrekt
in jenem Jahre zu erstatten, doch vermocht
ichs wieder nicht, und zahlte nie zurück.
Henriette starb, es schmerzt mich stetig noch,
zu frühen Tod. Wenn ich … auch ich …
In Dresden wird Rat Körner,
im Leben mir der treuste Freund, aus Schillers Leben
die Welt – ist anders sie darauf erpicht – versorgen mit
Nachrichten. Treue Freunde, so wie im September
am zweinundzwanzigsten, vor wie viel Jahren –
vor dreiundzwanzig …, stimmt es, Lieber –? Andreas,
mit mir die Flucht du wagtest, mein Andreas Streicher.
Und wagst du‘s jetzt, beschreibend, wie das Land des Herzogs,
des württembergischen Tyrannen, hübsch verwegen wir quittiert?
Ein dritter Freund kommt mir sehr gern ins Haus geflattert.
Ich sitze über dem Papier, die Mühe, qualvoll,
des Tags ist längst beendigt nicht. Zu laut
durchtoben sie die Zimmer mir, treppauf treppab
flink, meine Kinder vorn, der Goethe hintennach.
Nicht eingedenkend seiner Würde, wenn er spielt,
den Mann vergessend, der am Schreibtisch sitzt gebeugt …
Ist alles schon so recht.
Der Weg war kurz, ich wußts,
zu scheuen nicht, wär nicht mein Kopf, ich fühls,
sehr fieberheiß …