Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 14. Februar 2005, Heft 4

Polens Brotkorb

von Gerd Kaiser

Wie ging es und wie geht es »Pan Kowalski«? War 2004 doch das Jahr, in dem Polen in die EU eintrat, und ist das Jahr 2005 doch ein Wahljahr in Polen, wo im Juni gewählt werden wird – oder auch nicht. Bereits jetzt ist es so gut wie sicher, daß die von der SLD geführte Koalition abgewählt werden wird. Obwohl die nach dem viel zu spät erfolgten Rücktritt Leszek Millers von Marek Belka geführte neue Regierung an Ansehen gewonnen hat. Jüngst verlor die SLD-Fraktion im Sejm jedoch auch noch ihren Vorsitzenden Józef Oleksy, dem ein Gericht bestätigte, daß er die Unwahrheit über seine Vergangenheit gesagt hatte. Die aus der SLD hervorgegangene und von Marek Borowski geleitete Abspaltung (in Anlehnung an seinen Familiennamen die »Borówki«, »die Preiselbeeren«, genannt), hat gute Chancen, einen erklecklichen Teil des politischen Erbes der SLD antreten zu können.
Die mit Korruptions- und anderen Skandalen belastete SLD, sieht sich mit politischen Gegnern konfrontiert, die ihrerseits kaum weniger Skandale am Hals haben. Außerdem zeichnen sie sich – wie auch die SLD – durch programmatische Ideenarmut aus. Da geht es den Menschen (in Polen) wie den Leuten (in Deutschland) … Da für die Masse der Wähler keine Alternativen erkennbar sind, nehme ich an, daß sich ein großer Teil der Polen dem Wahl-Täterätä verweigern wird.
Wie hoch des Polen Brotkorb hängt, berechnet Jahr für Jahr seit langem die Polityka. Sie läßt ermitteln, wie viel im Jahresdurchschnitt für einen aus annähernd zweitausend Positionen bestehenden Waren- und Dienstleistungskorb ausgegeben werden muß, und wie dies im Vergleich zu anderen Ländern aussieht.
Das monatliche Bruttoeinkommen belief sich für Pan Kowalski im Vorjahr auf 2371 Zloty und war damit um 199 Zloty höher als 2003. Bevor berechnet werden kann, wie viel man von diesem Monatseinkommen für sich selbst und für die Familie ausgeben kann, ist vorab noch abzuziehen, was an Steuern etc. vom Einkommen abgeht. In Polen sind es 31,2 Prozent und damit deutlich weniger als in Deutschland, wo 41,9 Prozent weggesteuert werden, aber auch deutlich mehr als in Tschechien mit 24,1 und Großbritannien mit 24,3 Prozent. Somit betrug also das monatliche Nettoeinkommen von Pan Kowalski 1631 Zloty, das sind 141 Zloty mehr als im Jahr 2003.
Konnten in Polen 2003 noch zwölf Waren beziehungsweise Dienstleistungen erworben oder genutzt werden, die im Vergleich zu allen anderen Ländern am wenigsten kosteten, waren es 2004 lediglich noch acht Positionen dieser Art. Am preiswertesten im europäischen Vergleich kaufte man in Polen 2004 folgende Waren: Eier (6 Stück 0,58 Euro); Käse vom Typ Gouda (3,86 Euro/kg, in Deutschland 4,90 Euro); Kartoffeln (0,17 Euro/kg); Äpfel (0,36 Euro/kg, in Deutschland 1,99 Euro). Dagegen stieg der Preis für Rostbeef in den Sommermonaten in Polen auf dreißig Zloty/kg und bei Filet auf sechzig Zloty. Wie seit langem ist Telefonieren in Polen ein teures Vergnügen. Unterm Strich erwies sich nach acht Monaten EU, daß zwar die Lebenshaltungskosten gestiegen sind, allerdings nicht in dem Maße, wie befürchtet worden war.
Polnische Wissenschaftler und Politiker aller Coleur errechneten jedoch, daß Polen annähernd eine Milliarde mehr aus dem EU-Topf geholt habe als es selbst einzahlt. Und: Was ebenfalls vorher niemand vorhergesehen hatte: Besonders bei den Bauern schlugen 2004 erstmals seit fünfzehn Jahren höhere Einkünfte zu Buche. Doch ob sich das alles in der Wahlbeteiligung kommenden Sommer niederschlagen wird, ist offen.