Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 3. Januar 2005, Heft 1

Wie ich Gras schmuggelte

von Christian Kujat

Heute möchte ich eine abenteuerliche Episode aus meiner Zeit als Drogenschmuggler zum besten geben. Zum Glück sind diese Ereignisse längst verjährt, sonst würde man mich sicherlich an eine Bushaltestelle ketten und mir rosa Zuckerwatte in die Nasenlöcher stopfen, worauf man dann ganz schön blöd aussieht, und das, wo ich nichts mehr hasse als Zuckerwatte und Bushaltestellen; nein, liebe staatliche Repressionsorgane, ich bin aus dem Schneider und kann mir endlich das Herz freireden! Und außerdem … bereue ich. Jawohl, hiermit lege ich Buße ab und möchte gleichzeitig eine Warnung aussprechen: Werdet nicht so wie ich, liebe Aufwachsende, macht etwas Vernünftiges! »Ich habe leichtfertig mein Leben verspielt!« rufe ich Euch wut- und gramgebeugt aus meiner zwischen Kokospalmen aufgespannten Hängematte vor dem in strahlenden Türkis- und Weißtönen gehaltenen Karibikstrand zu, während nackte Strandschönheiten Cocktails servieren; die Hängematte ist allerdings echt unbequem.
Es war also in einer trüben, kalten Nacht im sächsischen Grenzgebiet. Ich hatte mich in eine feuchte Erdmulde gekauert und fror empfindlich. Um nicht bemerkt zu werden, hatte ich mich wohlweislich als Ameisenbär verkleidet, das ständige Ameisenfressen und das damit verbundene Schmerzen und Anschwellen der Zunge waren für meine Unauffälligkeit jedoch ein hoher Preis. Schon seit mehreren Stunden hatten sich zwei Frösche in mein Bein verbissen und saugten mich langsam aus, die blutrünstigen Biester, sie waren schon ganz dick und rot, und ich konnte sie nicht abschütteln; Ameisenbären lieben es nämlich, von Fröschen zur Ader gelassen zu werden. Auch wenn ich gerade keinen Grenzer ausmachen konnte, hieß das noch lange nicht, daß keine da waren, schließlich konnten sie sich ja auch verkleiden; dieses ungewöhnlich große Schnabeltier dort drüben beispielsweise bewegte sich irgendwie unnatürlich. Das umkroch ich mal lieber.
Die Droge hatte ich geschluckt; leider schien eines der Plastiktütchen undicht zu sein, denn ich fühlte mich zunehmend wohler und zufriedener und wurde unvorsichtiger. Außerdem mußte ich jedesmal, wenn ich einen Brombeerstrauch erblickte, laut lachen. Ein Brombeerstrauch! Einfach zu komisch, diese Dinger! »Mensch, jetzt reiß dich mal zusammen!« sagte ich mir, nach Atem ringend, »ich schwöre bei Gott, wenn ich aus der Nummer heil herauskomme, höre ich mit dieser überaus gefährlichen Sache auf.«
Endlich hatte ich mich bis zu der unsichtbaren Demarkationslinie vorgearbeitet, und genau in dem Moment, als ich, links und rechts nach Waldameisen züngelnd, Zentimeter um Zentimeter vorwärtstappend, diese überschreiten wollte … schlief ich ein.
Am nächsten Mittag erwachte ich, zog das alberne Kostüm aus und ging meiner Wege zum vereinbarten Treffpunkt.
So überquerte ich die Grenze von Sachsen nach Sachsen-Anhalt, mit eineinhalb Gramm Gras irgendwo im Magen-Darm-Trakt.
Dies soll aber, wie gesagt, keine Anleitung zum Nachmachen sein, zudem sich die Situation seither erheblich verändert hat: Die Grenze ist, wie mir zu Ohren gekommen ist, inzwischen fast völlig abgeriegelt, die Zahl der Grenzposten um ein Vielfaches verstärkt, und obendrein setzen sie Spürsittiche ein. Da war es früher doch um einiges einfacher.
Meinen Stoff vertickte ich irgendwo im Mansfelder Land an die dort ansässige Rapcrew Vier dicke Ziegelsteine. Damit würden sie wieder ein paar Monate durchkommen.
Danach stieg ich aus, so wie ich es mir in dieser furchtbaren Nacht geschworen hatte, und setzte mich über Neustrelitz und Schweden in die Karibik ab. Auch wenn die fetten Jahre jetzt endgültig vorbei sind, habe ich es bisher nicht bereut.
Nur diese verdammte Hängematte bringt mich um …