Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 17. Januar 2005, Heft 2

Patriotismus

von Günter Krone

Die CDU in Gestalt von Frau Merkel (die Formulierung »Gestalt« ist ein in solchen Zusammenhängen üblicher Ausdruck und soll nichts Bestimmtes besagen) hat eine »Patriotismusdebatte angestoßen«, wie Presseorgane es ausdrücken. Ein solcher Anstoß muß nichts Anstößiges sein. Patriotismus ist schließlich Vaterlandsliebe, die man von jedem verlangen kann, nötigenfalls zwangsweise unter Strafandrohung.
Dennoch ist das mit der Liebe so eine Sache. Was ist Liebe? Der eine liebt sein Bier, der andere seine Ruhe, mancher seine Briefmarkensammlung. Ein Mann kann eine Frau lieben oder einen Mann oder beides. Eine Frau kann einen Mann lieben oder eine Frau oder beides. Die Mutter liebt ihr Kind, der Vater liebt es auch und seinen Kegelabend. Der Geile geht in den Puff, wo ihm gegen Bezahlung Liebe gewährt wird, die man auch Prostitution nennen kann.
Vaterlandsliebe ist schließlich auch nur Liebe und unterliegt folglich mannigfaltiger Deutung.
Ein Kardinal hält das gegenwärtige Gerede von Frau Merkel für die Erscheinung einer »oberflächlichen modischen Welle« und somit für Gift beim Nachdenken über Grundwerte. Der Bundestagspräsident sieht im Patriotismus grundsätzlich »einen schwierigen Begriff, der leicht falsch verstanden werden« könne, weil seine Deutungen vom positiven Gemeinsinn bis zum negativen Chauvinismus reichen. Eine Ministerpräsidentin unterstreicht, daß Patriotismus ein »richtig schwieriges Thema« sei. Ein Ministerpräsident, der nach eigenem Bekunden gern die Nationalhymne singt, hält nichts davon, »den Patriotismus wie ein Banner vor sich her zu tragen« – was ihm um so leichter fällt, als solche Größen die Flagge ohnehin von weniger gut bezahlten Bediensteten schleppen lassen.
Fast alle Sorten von Liebe enden gemeinhin, wenn es unangenehm wird. Einzig bei Vaterlandsliebe und Patriotismus ist das umgekehrt; deren Fahne wird gehißt, wenn Unerfreuliches zu erwarten ist. Wobei die, die sie hochziehen, gemeinhin identisch mit jenen sind, die das Unerfreuliche tätigen.
Zudem verwechseln sie sich oftmals weitgehend selbst mit dem Vaterland, wollen sogar geliebt werden wie dieses und predigen entsprechende Liebe. Unter ihnen waren in jüngster Zeit allerdings einige, die anrüchige Gelder kassiert haben. Die haben sozusagen gegen Bezahlung die Vaterlandsliebe gewährt – was man auch anders bezeichnen kann.