Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII), Berlin, 3. Januar 2005, Heft 1

Dienstberatungen

von Dries Loppe

Es hatte in der Zeitung gestanden: Heute wird der CDU-Parteitag eröffnet, der morgen fortgesetzt wird. Heute war Montag, morgen war Dienstag. Montag, Dienstag? Die Delegierten des CDU-Parteitages haben offenbar an einem Wochentag Zeit dafür. Das produziert Fragen: Geben die Betriebe und Behörden ihren Mitarbeitern für einen Parteitag einer Staatspartei einfach so bei voller Lohnzahlung frei, wie weiland in der DDR für SED-Parteitage?
Man hat ja schon immer gewußt, daß die Unternehmer vor allem in der CDU ihre Partei sehen; aber können sie sich denn das bezahlte Freistellen angesichts des mörderischen Wettbewerbs auf den globalisierten Märkten überhaupt noch leisten, wenn andererseits längere Arbeitszeiten bei weniger Lohn für immer weniger Beschäftigte zwingend notwendig sind? Oder sind es die Unternehmer selbst, die sich die kleine Pause vom Unternehmen für das Wohl unseres Staates nehmen, ganz uneigennützig natürlich? Möglicherweise sind die Parteitagsdelegierten der CDU auch nur allesamt selbstlose Enthusiasten, die für einen Parteitag ihrer Partei Urlaub oder unbezahlte Freistellung in Anspruch nehmen? Gott schütze uns vor solchen Gotteskriegern!_
Zum Glück ist etwas ganz anderes viel wahrscheinlicher. Der überwiegende Teil der Parteitagsdelegierten ist nicht nur politisch, sondern mehr oder weniger auch pekuniär mit der eigenen Partei verbandelt. Es sind Mitglieder und Mitarbeiter von Bundestags- und Landtagsfraktionen, Angestellte und Funktionäre der Partei, Mandatsträger aller Ebenen. Für die ist so ein Parteitag ihr Job, eine Art öffentlich inszenierte große Dienstberatung. Klar, daß sie die lieber in der Woche als am Wochenende erledigen wollen. Das geht dem sprichwörtlichen kleinen Mann ja nicht anders.
Der Mechanismus, der die wochentägliche Tagung ermöglicht, ist so naheliegend wie verheerend. Natürlich wird jede Parteigliederung bestrebt sein, ihre besten und durchsetzungsstärksten Frauen und Männer zu einem Parteitag zu delegieren. Und welche könnten das besser sein als diejenigen, die man schon aus anderen Anlässen in Amt und Würden gewählt hat? Außerdem haben die, die von der Politik leben, natürlich einen erheblichen Vorsprung an Training und Wissen – wie jeder gute Spezialist auf seinem Gebiet.
Zugleich ist es für die Berufspolitiker überlebenswichtig, auf einem Parteitag präsent zu sein, Einfluß zu demonstrieren und zu nehmen. So treffen sich die Interessen. Am Ende aber führt das alles dazu, daß sich die Apparate selbst kontrollieren. Die Funktionäre bestimmen auf dem Parteitag ganz basisdemokratisch die Richtlinien ihrer Arbeit und legen vor sich Rechenschaft über ihre Ergebnisse ab.
Vielleicht kann man einen Parteitag deshalb auch mit einer Aktionärsversammlung vergleichen. Hier wie dort führen die Vorstände und die Aktionäre (Funktionäre) mit dem meisten (politischen) Gewicht das Wort, während der Kleinaktionär (das einfache Mitglied), wenn er überhaupt hinfährt, allenfalls zuhören oder sich folgenlos artikulieren darf. Auf den (Aktien-)Kurs der Partei hat ein einfaches Mitglied etwa soviel Einfluß wie der Kleinaktionär auf den der Telekom. Er kann Großaktionär werden, das Beste hoffen oder verkaufen.
Auf jeden Fall verrät der Umstand, daß ein Parteitag an einem Montag und Dienstag stattfinden konnte, viel über den Zustand unserer Demokratie. Sie ist nicht auf dem Weg in eine Parteiendemokratie, wie manchmal geargwöhnt, und was schlimm genug wäre, sondern sie wird zunehmend zu einer Funktionärsdemokratie. Im Namen der Demokratie. Mit den Mitteln der Demokratie.
Aber nicht nur die CDU tagt während der Woche, selbst die ehemalige Arbeiterpartei SPD tut es. Die PDS trifft sich zwar noch an Wochenenden, aber natürlich unterliegt sie demselben Mechanismus. Auch die Sozialisten delegieren ihre Besten. So nimmt der Anteil derjenigen, deren finanzielles Wohl direkt oder indirekt von der eigenen Partei abhängt, auch auf PDS-Parteitagen zu. Je größer die Wahlerfolge und damit je größer die Zahl der potentiellen Anwärter, desto stärker wird diese Tendenz werden.
Ein Ansinnen, als Landtagsabgeordneter auf ein Parteitagsmandat zu verzichten, trifft schon heute auch bei ihnen mindestens auf Unverständnis, wenn es nicht gar als Bedrohung verstanden wird.
Auf ihrer Website zum Parteitag verkündet die CDU übrigens den Slogan: »Viel bewegen. Mitglied werden.« Wäre nicht »Viel bewegen. Funktionär werden« ehrlicher?