von Gerrit Marsen, z.Z. Cotacachi/Ecuador
Cotacachi, ein Ort im Schatten des gleichnamigen, fast 5000 Meter hohen Vulkans im Norden Ecuadors. Der Alcalde Auki Tituan˜a, Mitglied der Indianerpartei PACHAKUTIK, soll für eine dritte Amtszeit gewählt werden. Vor 25 Jahren war ich das erste Mal hier. Damals wäre so etwas undenkbar gewesen, der Rassismus im Lande war noch so stark, daß er die Indianer (fast vierzig Prozent der Bevölkerung) völlig vom politischen Leben ausschloß. Die Wahl Tituan˜as durch die Stadtverordneten findet öffentlich statt, auf der Plaza Mayor vor den Treppen der Kirche.
Die Wahlprozedur wurde von einem Schamanen geleitet. Er segnete den Bürgermeister und die neuen Stadtverordneten: Mestizen, Schwarze, Indianer. Über der Plaza hing der schwere, süße Geruch von Palisanderholz. Der Schamane strich mit einer Condor-Feder über Herzen und Köpfe der Gewählten und ließ sie eine Handvoll Erde, pacha mama, aufnehmen. Er sprach über ihre Verantwortung und ermahnte sie, die Tradition der Vorfahren zu achten. Eine alte Indianerin und ein ebenso steinalter Indianer, die Gesichter klein und ausgetrocknet von Hitze und Wind, überreichten dem Alcalden einen Stab mit vielen Amuletten. Abgesandte von Gemeinden des Kantons überbrachten Geschenke. Früchte, Kartoffeln, ein lebendes Huhn. Zu jeder Gabe ein Gruß und ein Wunsch, einige in Spanisch vorgebracht, die meisten jedoch in Ketschua, der Indianersprache. Auch die Beschwörungen des Schamanen waren in Ketschua. Er entschuldigte seine schlechte Aussprache, denn er habe die Sprache seiner Väter erst auf der Universität gelernt.
Tituana, 45, in Kuba ausgebildeter Ökonom, versucht erfolgreich, die Moderne zu »beseelen«. Dahinter steht auch die Frage: Ihr Sozialisten habt den Menschen Gott genommen, was habt ihr ihnen dafür gegeben?
Auf materiellem Gebiet hat die Gemeinde Cotacachi in den vorigen acht Jahren eine Erfolgsgeschichte geschrieben, die für Ecuador einzigartig ist. Der Ort wurde rekonstruiert. Dabei wurde auch die alte Kolonialarchitektur wiederhergestellt, es wurden die Straßen gepflastert und gesäubert, überall sieht man nicht nur Papierkörbe, sondern Schautafeln mit den Porträts und Lebensgeschichten bedeutender Persönlichkeiten der Stadt, des Landes und des Kontinents. Bemerkenswert: Es wird auch über viele Frauen berichtet. Mit Hilfe des weltbekannten Malers Oswaldo Guayasamin (der vielleicht in Deutschland nicht nur unbekannt blieb, weil er Realist, sondern auch ein Freund Fidel Castros war) hat sich Cotacachi eine wunderschöne »casa de la cultura« gebaut. In diesem Kulturhaus wurde gerade ein Alphabetisierungsprogramm erfolgreich beendet: Sechshundert Indianer, in der Mehrzahl Frauen, haben mit Hilfe kubanischer Lehrer das Lesen und Schreiben gelernt. An der Finanzierung dieses Palastes beteiligte sich auch die UNESCO.
Die Unesco hat auch ökotouristische Projekte mitfinanziert. Der nahe Nationalpark am Cuicocha-See bekam ein architektonisch höchst gelungenes Informationszentrum; die dortigen Fremdenführer sind gut ausgebildet. Die deutsche Regierung, vertreten durch die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), ist hier ebenfalls aktiv. Sie half bei der Installation von unabhängigen Verwaltungsorganen. Vor Weihnachten verteilte ein solches Gremium nach einer öffentlichen Sitzung, die von Hunderten besucht wurde und ein gesamtes Wochenende dauerte, anderthalb Millionen US-Dollar für Trinkwasser- und Bildungsprojekte. Wenige Tage später verhinderte die gleiche Versammlung aus sozialen und ökologischen Gründen die Ansiedlung eines Bergwerks.
Traditionell bietet hier die Lederindustrie viele Arbeitsplätze, der Alcalde setzt aber auf den Ausbau des sanften Tourismus, der ökologischen Landwirtschaft, den Ausbau der Infrastruktur und auf Bildung und Ausbildung. Ein Zentrum des EcoTurismo gibt es schon in der ciudad de la paz, wie sich Cotacachi stolz nennt, Insel im Meer der latenten Gewalt, die sonst die Gesellschaft Ecuadors prägt.
Zur Feier der Bürgermeisterwahl kam auch die kubanische Botschafterin. Vor Jahren hatte die hiesige Gesundheitsbehörde festgestellt, daß die Ärzte ihren Verpflichtungen nur unzureichend nachkamen, gerade einmal eine Viertelstunde verbrachten die Mediziner durchschnittlich in der Woche hier, sie behandelten lieber ihre Privatpatienten in der nahegelegenen Provinzhauptstadt. Der Alcalde bat Kuba um medizinischen Beistand. Die einheimischen Ärzte streikten. Doch sie konnten das Engagement der kubanischen Ärzte und Schwestern nicht verhindern. Fast alle von ihnen waren von schwarzer Hautfarbe. Jetzt wurden sie verabschiedet, ihnen standen die Tränen in den Augen.
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