Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 6. Dezember 2004, Heft 25

Wowa heiß’ ich …

von Wladimir Wolynski, Moskau

Nicht nur böse Buben singen derzeit hier bei uns in Moskau den populären Vierzeiler, der mit den oben erwähnten Worten beginnt. Wowa ist dabei die Diminutivform des Vornamens Wladimir, wie auch der Vorname des derzeitiges Präsidenten lautet. Auf erwachsene Respektspersonen bezogen, wirkt diese Form höchst despektierlich. Der drastische Text des Vierzeilers teilt mit, daß die präsidialen Kenntnisse sich ureigentlich auf den obszönen Mutterfluch beschränken und seine Exzellenz die Herren Kasjanow (den vormaligen) und Fradkow (den derzeitigen Premier) gerne mit etwas belegen würden, was sich auf »heiß ich« reimt, Wowa sich jedoch verbeißt …
Vielleicht soviel zur hiesigen Folklore, die unverblümt und ohne sich sprachlich zurückzuhalten kundtut, was drei führende Forschungsinstitute unseres Landes systematisch untersuchen: die öffentliche Meinung. Geforscht wird beispielsweise von der Stiftung Öffentliche Meinung (FOM); dem Institut komplexer sozialer Forschungen der Akademie der Wissenschaften Rußlands (IKSI RAN) und dem Lewada-Zentrum.
Zum Beispiel untersuchen sie systematisch, was die Bevölkerung davon hält, daß Ihro Gnaden dem ominösen Terrorzentrum »Al Quaida« »weltweit« den Kampf angesagt haben. Und siehe da: Die Mehrheit der Bevölkerung läßt diese amerikanischem Vorbild folgende Kriegserklärung selbst nach den Erfahrungen mit Dubrowka, Nord-Ost und Beslan zumeist kalt. Ja, vierzig Prozent aller Befragten glauben nicht einmal an die Existenz von »Al Quaida«, sondern halten den Begriff für eine Erfindung der Regierung, die damit ihre Macht auszubauen gedenke. Unter anderem dadurch, daß die Gouverneure inzwischen nicht mehr gewählt oder Regierungschefs praktischerweise von »Wowa« abgesetzt (wie Kasjanow) oder (wie Fradkow) eingesetzt werden können.
Auch nach Beslan rangiert im Lebensgefühl der meisten Russen die Bedrohungsfurcht erst auf Platz 5 in einer Rangfolge jener Probleme, die den Nerv der Bürger berühren. Auf den ersten Plätzen stehen – seit Jahren unverändert – die Schwierigkeiten des Alltagslebens. Sind doch mehr als die Hälfte aller Einwohner Rußlands auf Grund ihrer tagtäglichen Erfahrungen zu der Auffassung gelangt, daß sie am Rande der Armut vegetieren. Das ist es, was sie bewegt und bedrückt. Zudem sind – nach Untersuchungen von SMI – drei Viertel der Befragten der Meinung, daß die Behörden Rußlands sowieso unfähig und generell nicht in der Lage seien, die Landeskinder tatsächlich zu schützen. Insofern ist ihnen die latente Bedrohung ziemlich »egal«; »Poshiwjom – uwidem« (»Wir werden sehen, was und wie’s wird …«) – das ist das beherrschende Gefühl der russischen Bevölkerung.
Von FOM befragt: »Wird Al Quaida vernichtet werden und wenn ja, wann?«, sind vierzig Prozent der Ansicht, daß die Terrororganisation »nicht vernichtet werden wird«, weitere 31 Prozent meinen, daß dies – wenn überhaupt – auf jeden Fall erst in vier oder mehr Jahren der Fall sein könnte, weitere 24 Prozent haben sich nicht dazu geäußert.
Lewada-Zentrum fragte in diesem Spannungsfeld sowohl 2003 als auch heuer danach, ob es »endlich gelingen wird«, der Lage in Tschetschenien Herr zu werden. Das Ergebnis: 2003 hatten noch neunzehn Prozent der Befragten diese Hoffnung, 2004 hatte sich dieser Prozentsatz auf zwölf verringert. Dementsprechend stieg auch die Zahl derer an, die meinten, mit einer Verbesserung könne erst »nach vielen Jahren« gerechnet werden: auf mehr als die Hälfte der Einwohnerschaft Rußlands. Im Oktober 2004 war ein Viertel zu der Auffassung gelangt, daß »dies überhaupt nicht der Fall sein und Tschetschenien noch für Jahrzehnte eine Quelle der Spannungen sein wird«. Wie Leonid Sedow vom Lewada-Zentrum mitteilt, seien etwas mehr als ein Drittel aller Einwohner Rußlands (35 Prozent) der Ansicht, die »falsche Politik der Behörden« sei der Hauptgrund für das Anwachsen des Terrorismus im Land.