Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 20. Dezember 2004, Heft 26

Frohes neues Jahr!

von Martin Schirdewan

Nein, das Auge trügt nicht. Michael Sommer schwebt nebst Gattin auf dem Bundespresseball über den Parcours des neoliberalen Kartells aus Presse, Industrie und Politik. Die außergewöhnliche Begabung der deutschen Gewerkschaftsführer, den innerhalb der Gesellschaft tobenden sozialen Krieg zu ignorieren, beeindruckt zutiefst. Selten hat sich jemand deutlicher für entbehrlich erklärt.
Schon klar: Der Sozialabbau in Deutschland ist im Kontext der globalen Offensive des Kapitals zu verstehen. Aber weshalb kommunizieren das die Arbeiterführer nicht? Auch klar: Schampus fürs gehobene Volk vernebelt die Wahrnehmung, und aus dem guten Vorsatz des Michael Sommer, nicht mehr mit dieser SPD und der von ihr geführten Regierung zusammenzuarbeiten, erwächst beim nächsten Gläschen schnell die Akzeptanz für den Krieg gegen die Hütten, während der Friede der Paläste zum hohen Gut eines Gewerkschafters wird.
Vielleicht gibt es auf der mittleren Funktionärsebene der Interessenvertretung der Arbeitnehmer noch wackere Genossen; für sie jetzt einige Stichworte zur Verteidigung der Arbeitnehmerinteressen: Der soziale Konsens der bundesrepublikanischen Wohlstandsgesellschaft ist keiner mehr. Eigentlich hat er nie existiert. Als verschleierndes taktisches Moment der Strategie des Kapitals angesichts der Herausforderung des Realsozialismus erdacht, entfiel es mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems (dessen Ursachen in seiner stalinistischen Deformation und der zwingend drängenden, jedoch gescheiterten Transformation liegen). Man darf endlich wieder sein wahres Gesicht zeigen, und das drückt Habgier aus. Oder wie es Upton Sinclair schon vor Jahrzehnten formulierte: Ein Cent ist ihnen mehr wert als hundert Menschenleben.
Erleichtert wird des Kapitals Frontalangriff auf die Arbeitnehmerrechte und die sozialen Sicherungssysteme durch das sozialdemokratische Konvertitentum. Ist doch bekannt, daß der Konvertit seine frühere Position weitaus unerbittlicher bekämpft als jener, der sie immer schon ablehnte. Schließlich muß er seine frühere »Verirrung« kompensieren. Im Falle der führenden Sozialdemokratie durch massenweise Not und Elend produzierende, euphemistisch als Reformen des Staates bezeichnete Handlangerdienste für die Arbeitgeberverbände bei deren Raubrittertätigkeit.
Noch einmal im Klartext, liebe Referenten: Es besteht kein sozialer Konsens in der Bundesrepublik Deutschland. Die Gesellschaft befindet sich in einem Zustand der brutalen Auseinandersetzung zwischen den staatsförmig organisierten Interessen des Kapitals und denen der ohne Führung dastehenden Arbeitnehmer. Es fällt also leicht, zu Position zu beziehen und Prozesse und Gegner beim Namen zu nennen. Und dies nicht immer nur in akademischen Termini.
Allen von Hartz IV Betroffenen sei zum Jahreswechsel ein Klassiker aus des Teufels Schatzkästlein mit auf den Weg gegeben. Expropriiert die Expropriateure!