Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 6. Dezember 2004, Heft 25

»Forschungs-Kontroverse«

von Ove Lieh

Deutschland hatte keinen Faschismus.« So lautete ein Zwischenruf des CDU-Abgeordneten Siegfried Wetzel im Thüringer Landtag. Anlaß war die Benutzung des Faschismus-Begriffs durch Redner der PDS gewesen. Er wollte darauf drängen, die korrekte Bezeichnung Nationalsozialismus zu benutzen, »vor dem die sich sozialistisch nennende Partei wohl scheut«, behauptete er.
Die CDU-Fraktionschefin Christine Lieberknecht sagte dazu, Wetzel habe vor dem Hintergrund einer Forschungs-Kontroverse über das Verhältnis von Faschismus und Nationalsozialismus bloß eine begriffliche Präzisierung einfordern wollen.
Neulich sprach sie übrigens in der Auseinandersetzung um die Streichung des Feiertages am 3. Oktober von einem »unglaublichen Ausmaß nationaler Daseinsvergessenheit« bei der SPD. Was immer nun dieser Ausdruck bedeuten mag, wer den Zwischenruf »Deutschland hatte keinen Faschismus« mit dem oben erwähnten nachträglichen Ergänzung allen Ernstes als Versuch einer begrifflichen Präzisierung wertet, leidet wohl selbst ein wenig an Daseinsvergessenheit, und zwar an nationaler!
Soll das werte Publikum allen Ernstes glauben, es ginge diesem Herrn um die »wissenschaftlich korrekte« Bezeichnung jener Zeit, in der übrigens tatsächlich ein »unglaubliches Maß nationaler Daseinsvergessenheit« geherrscht haben dürfte? Es scheint doch wohl eher so, daß Wetzel provozieren, wenn nicht gar denunzieren und beleidigen wollte, indem er den Begriff Nationalsozialismus verwendet sehen wollte, weil Sozialismus eben auch im Namen der PDS vorkommt. Da hört man förmlich die »rotlackierten Faschisten (!)« des Kurt Schumacher marschieren, die nach Wetzels Lesart, Faschismus habe es in Italien gegeben, aber nicht in Deutschland, gefärbte Italiener gewesen sein müßten.
Landtagspräsidentin Schipanski bezeichnete die Bemerkung Wetzels übrigens als »unglücklich«. Da würde ich mir nun wieder eine begriffliche Präzisierung wünschen. Mehr könne sie nicht sagen, weil der Zwischenruf nicht im Protokoll stehe. So ein Pech aber auch, daß gerade wenn ein Abgeordneter, der bislang nicht durch »historisches Fachwissen auffiel« (Thüringer Allgemeine), eine Eingebung hat, mit der er das Ergebnis einer wissenschaftlichen Diskussion vorwegnimmt, die es zwar tatsächlich zu geben scheint, aber die nach Meinung des Jenaer Zeitgeschichtlers Lutz Niethammer »sehr deutsch« sei, wie vielleicht Herr Wetzel auch, das Protokoll pennt.
Immerhin aber regt Herr Wetzel richtigerweise dazu an, darüber nachzudenken, wieviel die Namen der Parteien über ihren wahren Charakter verraten. Genausowenig nämlich wie jene, die sich sozialistisch nannte oder nennt, das automatisch auch sein muß(te), ist eine Partei christlich und demokratisch oder auch nur eine Union, nur weil ihr Name das sagt.
Im übrigen aber sollte der Herr Abgeordnete zukünftig lieber lebendige Demokratie mitgestalten, statt sich mit begrifflichen Präzisierungen hervorzutun. Das Kaspertheater in den Parlamenten ist nämlich weder wirklich lustig noch harmlos.
Und unsere Demokratie soll doch nicht nur so heißen, oder!?
Es wäre schön, wenn man in Zukunft zwischenrufen könnte: »Deutschland hatte nie wieder Faschismus«!