Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 8. November 2004, Heft 23

NPD als Ordnungsfaktor

von chaze

Nicht zu Unrecht stellte Paul Oswald in seinem Kommentar zum Wahlerfolg der DVU in Brandenburg und der NPD in Sachsen im Blättchen 22/2004 fest, daß nicht die Rechtsextremen in den Landesparlamenten das Hauptproblem darstellen würden, sondern deren Wählerinnen und Wähler. Doch auf die neue Qualität dieser Wahl geht der Text nicht ein.
Gerade das Ergebnis der NPD ist nämlich Erfolg einer längerfristigen Planung. Diese wird von der Partei als Drei-Säulen-Strategie bezeichnet: der Kampf um die Köpfe, der Kampf um die Straße und der Kampf um die Parlamente. Während rechtsextreme Parteien seit Gründung der BRD vor allem versuchten, in Parlamente zu gelangen und dabei zwar keine stetigen, aber doch relativ regelmäßige Erfolge verzeichnen konnten, versucht die NPD nun zu mehr gesellschaftlichen Einfluß zu gelangen.
Der Kampf um die Straße bedeutet dabei zum einen eine ständige Präsenz durch Demonstrationen, Kundgebungen, Informationsstände und Werbemittel. Zum anderen heißt es, die NPD in bestimmten Gebieten so stark zu machen, daß sie im Alltag zur vorherrschenden Kraft wird – also durch die Aktivisten stetig zu intervenieren, die eigene Position darzustellen und andere Positionen zu diskreditieren. In einzelnen Wohngegenden, ganzen Dörfern und Kleinstädten geht es darum, die Partei als Ordnungsfaktor zu installieren, als ansprechbare, der Bevölkerung nahestehenden sozialen Akteur, der letztlich als unentbehrlich erscheinen soll.
Unter Kampf um die Köpfe wird vor allem planmäßige und kontinuierliche Ausbildung der Parteikader sowie die Intellektualisierung der szene-internen Diskurse verstanden. Die rechtsextremen Ideologeme sollen in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen als eine diskutable Position eingebracht und die Kader sollen in die Lage versetzt werden, auf Probleme und Debatten selbstständig und angemessen zu reagieren.
Auf dieser Grundlage soll der Kampf um die Parlamente gewagt werden, die NPD will, getragen von einer breiten gesellschaftlichen Basis, in die Vertretungen gewählt werden. Es geht ihr nicht mehr nur um die sogenannten Proteststimmen.
Der Erfolg dieser Strategie ist erschreckend. Jörg Fischer hat schon 1998 in seinem Buch Ganz rechts berichtet, wie er – vor seinem Ausstieg aus der rechtsextremen Szene – im bayerischen Herzogen-Aurach für die NPD den »Kampf um die Straße« führte und innerhalb kürzester Zeit eine Hochburg für diese Partei aufbaute. Nun, 2004, hat die Antifagruppe afa13 aus dem sächsischen Pirna in zahlreichen Veranstaltungen ihre Einschätzung der politischen Lage in der Sächsischen Schweiz präsentiert: In einigen Städten und Gemeinden seien NPD-Aktivisten unterdessen vollkommen akzeptierte Kommunalvertreter, die Partei sei von großen Teilen der gesellschaftlichen Gruppen anerkannt und würde zur Mitarbeit bei verschiedensten Themen eingeladen. Gegenbewegungen gäbe es kaum. Das schlägt sich für die NPD in Wahlergebnissen bis über zwanzig Prozent in einigen Wahlkreisen nieder.
Aus ihrer Bundeszentrale in Berlin heraus versucht die NPD, den Kampf um die Köpfe zu unterstützen. Ursprünglich schon für den Sommer geplant, wird nun offenbar in den nächsten Monaten die Eröffnung des Nationaldemokratischen Bildungszentrum gefeiert. Hier soll in eigenen Räumen und mit einem eigenen nationaldemokratischem Archiv die Fortbildung der Kader in einem noch besseren Maße ermöglicht werden.
Die NPD hat es geschafft, sich in einigen Regionen Deutschlands – vor allem in Nordsachsen, der bayerischen Oberpfalz, in Teilen Baden-Württembergs, in Mittelhessen, in Teilen Brandenburgs und Vorpommerns – als lokale Macht zu etablieren. Dabei geht es nicht nur um Hochburgen, wie sie viele kleine Parteien vorweisen können – in Gelsenkirchen sitzt die maoistische MLPD seit Jahren im Stadtparlament, im württembergischen Dormagen stellt das christlich-fundamentalistische Zentrum eine eigene Fraktion –, sondern es geht um Strukturen, die im Alltag prägend wirken. Daß die NPD dabei in den vergangenen Monaten verstärkt mit sogenannten freien Kameradschaften, also autonomen Nazigruppen, aber auch mit der intellektuellen Neuen Rechten zusammenarbeitet, macht das Problem noch größer. Es könnte sich eine Situation ergeben, in der sich die NPD als rechtsextreme Partei mit den Kameradschaften als rechtsextremen Schlägertruppen zu einer handlungsfähigen Struktur verbindet.
Der Nachbar Nazi, von dem Paul Oswald sprach, ist insoweit nicht nur irgendein Nachbar, sondern einer mit einem Plan, wie eine rechtsextreme Gesellschaft errichtet werden kann. Er ist gefährlicher, als angenommen.