Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 27. September 2004, Heft 20

Wilm Hosenfeld

von Wolfgang David

Der Mann, der dem jüdischen Musiker Szpilman 1944 im besetzten Warschau das Leben rettete, war NSDAP-Mitglied, SA-Scharführer und Wehrmachtsoffizier. Roman Polanski verarbeitete diese märchenhaft anmutende Begebenheit 2002 in seinem Film Der Pianist. Nun liegt ein dicker Band mit Briefen und Notizen jenes Wilm Hosenfeld vor.
1895 geboren, nimmt er als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Im Herbst 1939 wird der Volksschullehrer eingezogen und nach Polen versetzt, wo er es zum Sportoffizier der Warschauer Kommandantur bringt. Der »Kameradschaft beim Bierglas« abhold, greift er fast täglich zur Feder. Preise, Witze, Kost, Lektüre und Kino, Gewohnheiten (Herr Hauptmann stopfen seine Socken selbst), kaum etwas ist ihm nicht der Erwähnung wert. Nebenher entsteht das Psychogramm eines Menschen, wie man ihn sich zerrissener schwer vorstellen kann. »Die Partei arbeitet mit Lüge, Verdrehung und Verleumdung, und wo das nicht genügt, mit Terror«, weiß SA-Mann Hosenfeld 1937, befindet aber nur Monate später, er »gehöre in diese Reihen«. Fürchtet er 1938, Hitler könne »das deutsche Volk in einen Krieg stürzen«, ist dieser kurz darauf »der uneigennützigste Staatsmann der Welt«, der nur ein Ziel habe: »Frieden, Wohlstand, Glück und Kultur«. Würde er sich wegen der Morde an Polen 1939 die Uniform am liebsten »in Fetzen reißen«, entfährt es ihm angesichts »dieser Waffentaten im Westen« 1940: »Junge, Junge! Wer wäre nicht gern dabei!«
Patriotische Aufwallungen suchen ihn bis zum Schluß gelegentlich heim. Stehen Anstand und Menschlichkeit auf dem Spiel, kennt er jedoch keine Kompromisse. So riskiert der Katholik immer wieder Kopf und Kragen, um gefährdete Polen und Juden vor dem Äußersten zu bewahren. Aufschlußreich ist dabei, wie frühzeitig Hosenfeld über das, was im »Generalgouvernement« vor sich geht, Bescheid weiß. Schon 1939 argwöhnt er, daß »man die Intelligenz ausrotten will«; daß in Auschwitz mit Gas getötet wird, ist ihm spätesten seit April 1942 bekannt. »Mit diesem entsetzlichen Judenmassenmord haben wir den Krieg verloren«, notiert er 1943. »Wir verdienen keine Gnade, wir sind alle mitschuldig«. Um Geheimnisse scheint es sich bei alldem nicht gehandelt zu haben. Und er berichtet darüber den Seinen, in Briefen, die er der Post anvertraut. Sollte er der einzige gewesen sein? Die These, der Durchschnittsdeutsche habe vom Holocaust nichts wissen können, stützt Hosenfelds Nachlaß nicht.
Aus der Quelle, die Thomas Vogel vom Militärischen Forschungsamt hier freilegte, werden Historiker noch in Jahrzehnten schöpfen. Leider tat der Herausgeber des Guten ein wenig zuviel. 146 Seiten hat allein das Vorwort, die fast 200 Seiten Anmerkungen ersetzen zuweilen ein Lexikon. Manche Mitteilung privater Natur hätte ohne Schaden für die Substanz des Buches gekürzt werden können.
Während des Aufstandes im Herbst 1944 war Hosenfeld zeitweilig für die Vernehmung gefangener Kombattanten zuständig. Auch hier versucht er, »jeden zu retten, der zu retten ist«. Wegen seiner Zugehörigkeit zur Abwehrabteilung der Kommandantur verurteilte ihn ein sowjetisches Militärtribunal zu 25 Jahren Haft. Trotz Fürsprache derer, die ihm verpflichtet waren, kam er nicht mehr frei. Bevor er 1952 im Lager verstarb, schrieb er an seine Frau: »Gott hat seine Hand auf uns gelegt. Es braucht Menschen, die nach diesen Freveln die Schalen seiner ausgleichenden Gerechtigkeit mit Opfern füllen.«

Wilm Hosenfeld: Ich versuche jeden zu retten. Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern, DVA München, 32,00 Euro.