von Jürgen Meier
Ein Zettel, den ihr der verschwiegene Großvater kurz vor seinem Tod reicht, verändert das Leben der jungen Frau, die allein mit ihrem Großvater in Miami lebt, wohin beide, sie war damals ein Säugling, aus Kuba geflohen waren. Nie sprach der Großvater von ihrer Mutter. Auch wer ihr Vater war, wußte sie nicht. »Lebwohl, doch du wirst bei mir sein, wirst mitgehen/drinnen in einem Tropfen Blut, der kreist in meinen Adern,« hatte die Mutter auf diesen Zettel geschrieben. Als sie ein gut verschnürtes Paket mit vielen solcher Zettel ihrer Mutter Teresa erhält, erfährt sie von der großen Liebe dieser Frau zu dem Revolutionär Che Guevara. Teresa lebte zwischen der sanften Liebe ihres Ehemannes und der leidenschaftlichen Liebe zu Che. Sie drohte zu verzweifeln und suchte bis zu ihrem Tod ihren eigentlichen Lebensmittelpunkt in der Malerei.
Es ist ein unglaublich leidenschaftliches Buch, in dessen erotischer Fülle philosophische Erkenntnis leichtfüßig daherkommen. »Ein Kuss. Das erste Aufklaffen von Fleisch. Alles, was danach kommt, ist köstliche Ausführung.« Auf den vielen Zetteln der Mutter finden sich viele derartig verblüffender Feststellungen, die den Leser fesseln und ihn zum eigenen Standpunkt drängen. »Es ist nichts Endgültiges im Abschied der Liebe. Aber der Tod. A Dios. Schweigen. Das ist ein anderes Für-Immer.« Oder: »Tochter meines Herzens: Du musst daran denken, dass jeder Schritt, den wir gehen, immer ein Eintreten in den anderen ist.« Kann man besser beschreiben, daß wir Menschen gesellschaftliche Wesen sind, die stets nur am Du zum Ich werden können?
Ana Menéndez ist es gelungen einen philosophischen Roman zu schreiben, der bis zum Schluß nicht an Spannung verliert. Wird die Erzählerin ihre Mutter Teresa finden, die sie natürlich in Havanna zu suchen beginnt. War der Revolutionär Che wirklich ihr Vater? Unter diesem Spannungsbogen wirft sie Fragen auf, wie diese, die Millionen von Menschen auf der Welt bewegten und noch immer bewegen: Werden Menschen, die im Zentrum der Macht stehen, wie Fidel Castro, der nach der Revolution wie ein »Erlöser« vom Volk gefeiert wurde, nicht zwangsläufig selbstgefällig und überheblich, wenn sie vom Volk wie Götter verherrlicht werden?
Mit ihrer Sprache gelingt es der Autorin mühelos, dem Leser den Geruch der engen Gassen von Havanna, den Duft des Meeres – aber auch des sanften, verschwitzten Che, der verzweifelt erzählt, wie er einen Verräter habe erschießen müssen –, in die Nase zu zaubern. Liebevoll und manchmal traurig legt Menéndez die Wunden Kubas offen, das sie die »grüne Lippe« nennt, dessen »Experiment Sozialismus« sie im Angesicht von Prostitution, Dollarsucht und Not als gescheitert erklärt. Dennoch ist für sie Miami nicht die Alternative zum tropischen Kuba. Im viel »dunkleren« Miami sei es ihr häufiger passiert, daß sie »von einer durchaus freundschaftlichen Unterhaltung mit einem anhaltenden Gefühl von Kälte fortging, als lauerte unter der glatten Oberfläche irgendeine Bösartigkeit.«
Ein Buch, das verzaubert und zum Nachdenken zwingt.
Ana Menéndez: Geliebter Che, Karl Blessing Verlag München, 19,00 Euro.
Schlagwörter: Jürgen Meier