Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 16. August 2004, Heft 17

Wo leben wir denn?

von Lotar Cibis

Was soll das für ein Rechtsstaat sein?
Den Ladendieb – den sperrt man ein.
Das Management bei Mannesmann
bedient sich selbst, so gut es kann.
Die Staatsanwaltschaft mischt sich ein –
auch beim Berliner Bankverein.
Doch bei Gericht steht Gott sei Dank
seit langer Zeit die lange Bank,
auf die man, was es öfter gibt,
die nicht genehmen Fälle schiebt.
Bei solcher Praxis, einer laxen,
ist bald darüber Gras gewachsen,
wenn nicht die Presse dazu neigte,
daß sie vielleicht mit Fingern zeigte
auf jene, welche ungeniert
auf eigne Rechnung abkassiert.
Dann sitzt man lange zu Gericht,
wälzt Aktenberge – quasi Pflicht.
Und weil manch Zeuge gar nichts sagt,
wird die Verhandlung oft vertagt.
So zieht sich – welch ein Widersinn –
der wichtige Prozeß dahin
bis man am Ende von dem Ding,
schon nicht mehr weiß, worum es ging.
Letztendlich folgt dann ein Beschluß,
weil man ja was beschließen muß.
Der Richter meint, es sei normal
und keineswegs ganz illegal,
wenn mancher Boß sich schadlos hält
auch unverdient an fremdem Geld.
Daß man’s nicht tut, ergeht als Mahnung –
und uns beschleicht die leise Ahnung:
Wir sind im Rechtsstaat alles Gleiche,
doch leider gilt dies nicht für Reiche!