Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 16. August 2004, Heft 17

Nichtdeutsches im Bundestag

von Lisa Müller

Ein Glück, daß es das Internet gibt! So kann sich auch der einfache Sterbliche problemlos darüber informieren, was unsere Volksvertreter im Bundestag so treiben. Denn einen Tag nach den Debatten stehen die Protokolle im Netz. Noch unmittelbarer verfolgen kann man zwar die Kontroversen zwischen Koalition und Opposition beziehungsweise auch ihr Zusammenspiel im Fernsehen. Doch überträgt Phoenix nicht alles, und auch als Ruheständlerin hat man tagsüber nicht immer die Muße, sich vor die Glotze zu setzen.
Die Aussprache über den Bericht der Bundesregierung zur »Förderung von Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland«, der am Abend des 17. Juni auf der Tagesordnung stand, kam jedenfalls fürs Fernsehen nicht in Frage. Gedacht war sie offenkundig als eine Art Folkloreabend. Das Protokoll dürfte Mühe bereitet haben. Denn außer Hochdeutsch waren auch die betroffenen Sprachen zugelassen.
Schon der erste Redner, der SPD-Abgeordnete Jochen Welt, Beauftragter der Bundesregierung für nationale Minderheiten, machte davon sparsamen, aber vielseitigen Gebrauch. Er begann vertraulich mit »Moin Moin, Herr Präsident!«, um fortzufahren »dobre dzien, god dag, latscho diwes«. Moin Moin könnte für Niederdeutsch stehen. Die Begrüßung dobre dzien sollte wohl Sorbisch sein. Ihr slawischer Charakter läßt sich anhand des im DDR-Russischunterricht Gelernten erkennen. Dänisch oder vielleicht auch Friesisch wäre god dag. Die letztgenannte nichtdeutsche Grußformel muß der Sprache der Sinti und Roma entstammen, denn diese Minderheit wird immer an letzter Stelle genannt. Mit einer Wunschformel aus dieser Sprache beschloß Welt auch seine Rede. Die letzten Sätze lauteten: »Bei den Sinti und Roma wünscht man sich zum Abschied einen glücklichen Weg. In diesem Sinne: Latscho drom!«
Ansonsten enthielt seine Rede viel Richtiges hinsichtlich einer vernünftigen Minderheitenpolitik. Herr Welt begrüßte zum Beispiel ausdrücklich die im Entwurf eines Friesisch-Gesetzes vorgesehene Einführung zweisprachiger Behördenbezeichnungen im nordfriesischen Sprachgebiet.
Die folgenden, meist in Niederdeutsch gehaltenen und deshalb vielen nur teilweise verständlichen Reden wurden mit viel Beifall bedacht und riefen auch immer wieder Heiterkeit hervor. Kontroversen über die Minderheitenpolitik der Bundesregierung gab es offenbar nicht.
Der ehemalige schleswig-holsteinische Umweltminister Steenblock, der die Grünen jetzt im Bundestag vertritt, erinnerte allerdings an die offenen Fragen, die im Umgang mit den nach dem Zweiten Weltkrieg eingewanderten Minderheiten noch zu klären sind. Und das nicht nur in Deutschland, wo sie nach Millionen zählen.
Dieses Problem griff auch die PDS-Abgeordnete Gesine Lötzsch auf. Doch bevor sie dazu kam, gab es einen Eklat. Als sie daran erinnerte, daß die Nazis 1937 massive Repressalien gegen die sorbische Bevölkerung einleiteten, die Sprachverbot und Verhaftungen einschlossen, gab es, wie das Protokoll vermerkt, »Widerspruch bei der SPD und der CDU«. Widerspruch wogegen? Gegen die Erwähnung von Nazi-Verbrechen?
Frau Sonntag-Wolgast, früher unter Schily Parlamentarische Staatssekretärin und jetzt Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, die bei verschiedenen Veranstaltungen schon als »Expertin« für Minderheitenfragen in Erscheinung trat, schien nicht zu begreifen, worum es eigentlich geht. Hilflos wandte sie sich an die einzige Vertreterin einer nationalen Minderheit im Bundestag, an die sorbische CDU-Abgeordnete Maria Michalk: »Was sagen Sie denn dazu, Frau Michalk?« Die entgegnete lediglich: »Zur PDS sage ich gar nichts!«
Die Bemerkung von Frau Lötzsch, die Anerkennung nationaler Minderheiten sei eigentlich verfassungswidrig, wenn nach Artikel 116 des Grundgesetzes jeder Inhaber der bundesdeutschen Staatsbürgerschaft als »Deutscher« gilt und alle Angehörigen der anerkannten Minderheiten Bundesbürger sind, hatte wieder »sachkundige« Zwischenrufe zur Folge. Laut Protokoll: »(Rudolf Bindig [SPD]: Was ist denn das für ein wirres Zeug? – Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Absolut neben der Sache! – Peter H. Carstensen [CDU/CSU]: Da sind die Minderheiten viel, viel weiter!)«. Die Feststellung, Schily verlange von den eingewanderten Minderheiten die Germanisierung, quittierte Carstensen, noch bevor sie mit dem Originalzitat aus einem Interview belegt werden konnte, mit dem Zwischenruf »Frechheit!«. Wirklich bemerkenswert, wie vehement der SPD-Minister von einem CDU-Abgeordneten verteidigt wird! Für die Frage, wo denn die Toleranz des »Toleranzpreisträgers Schily« bleibe, mußte sich Frau Lötzsch vom SPD-Abgeordneten Bindig belehren lassen: »Das deutsche Volk setzt sich aus mehreren Sprachgruppen zusammen!«. Also genau die Sicht, zur der die Nazis 1937 die Sorben zwingen wollten, was von diesen abgelehnt wurde, worauf die schon genannten Repressalien einsetzten. Den Vogel in puncto »Zwischenrufkultur« schoß Frau Sonntag-Wolgast ab, als sie auf die Frage der Rednerin, ob der beklagte Rückgang der Einbürgerungsanträge vielleicht auch mit dem Germanisierungsverlangen des Innenministers zusammenhängen könnte, laut Protokoll schlicht mit »Pfui!« reagierte.
Vollends zur Schmiere geriet die geplante abendliche Idylle, als Frau Michalk das Wort erhielt. Sie sprach Sorbisch, was außer ihr kein Mitglied des Bundestags beherrscht. Gedolmetscht wurde nicht. Das Protokoll erlaubt somit keinerlei Zugang zum Inhalt der Rede, vermerkt aber viermal »Beifall bei allen Fraktionen«. Woher wußten die Beifallswilligen eigentlich, wann sie zu klatschen hatten? Daß vorher irgendwie geübt worden sein muß, wurde bei einer Zwischenfrage deutlich. Sie wurde auf Sorbisch gestellt von dem sächsischen CDU-Abgeordneten Henry Nitzsche, der weder Sorbe ist, noch Sorbisch spricht. Die Frage wurde von Frau Michalk übersetzt und die Antwort auch in Deutsch wiedergegeben. Es ging um einen Minderheitenartikel in der EU-Verfassung. Die Aussprache endete trotz aller Turbulenzen mit »Heiterkeit«, da sich Bundestagsvizepräsident Solms die abschließende Bemerkung nicht verkneifen konnte: »Da ich Frau Kollegin Michalk nicht auf sorbisch auf die Überschreitung ihrer Redezeit hinweisen konnte, konnte sie in aller Ruhe zu Ende reden.«