Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 19. Juli 2004, Heft 15

Tarzan aus dem Banat

von Peter Bräunlein

In diesem Sommer 2004 wäre Johnny Weissmüller (1904-1984), fünfmaliger Olympiasieger im Schwimmen und berühmtester Film-Tarzan, hundert Jahre alt geworden. Das Ulmer Donauschwäbische Zentralmuseum zeigt bis 24. Oktober eine große Gedenkausstellung.
Wie kommt ein Museum, das sich mit der deutschen Auswanderung in den ungarischen Teil der Donaumonarchie beschäftigt, zu Weissmüller? Er wurde dort geboren! Damals war Freidorf ein Dorf mit 1400 Einwohnern, von denen neunzig Prozent Deutsch sprachen, heute ist es ein Stadtteil von Timișoara in Rumänien.
Zu seiner Herkunft bekannte sich Johnny Weissmüller, der mit seinen Eltern wenige Monate nach der Geburt in die USA auswanderte, aber nie. Zu ärmlich war seine Kindheit im donauschwäbischen Ghetto Chicagos, zu unglücklich waren die Erinnerungen an den gewalttätigen Vater. Statt dessen machte Weissmüller aus seinem Vater einen ungarischen Soldaten, in Interviews einen österreichischen Offizier. Das Todesjahr des Alkoholikers veränderte Johnny auf 1918, während er tatsächlich weitere zwanzig Jahre lebte. Seinen eigenen Geburtsort verlegte Johnny in die USA, denn 1924 wurde er für die Olympiamannschaft nominiert; dafür benötigte er eine US-Staatsbürgerschaft. Die »lieh« er sich von seinem 1905 in den USA geborenen Bruder Peter, der automatisch US-Bürger geworden war. In Peters Geburtsregister wurde John ergänzt.
Sein Leben lang hatte Johnny Angst, daß der Schwindel auffliege und er seine Medaillen verlöre. So paßte sich der erschummelte Staatsbürger, dessen Mutter bis an ihr Lebensende kaum Englisch beherrschte, so perfekt an, daß er zeitweise zum US-Nationalhelden wurde. Mit der Freidorfer Verwandtschaft dagegen hatte er keinerlei Kontakt. Erst sein Sohn lernte anläßlich der Ulmer Ausstellung die im Gefolge des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland ausgewanderten Verwandten kennen.
Auch gegenüber der Filmgesellschaft muckte Johnny nie auf. Er akzeptierte Rollen, in denen er kaum etwas sagte. Johnny stimmte zu, daß die Filmgesellschaft für zehntausend Dollar seiner ersten Frau, einer Nachtklubsängerin, die Scheidung schmackhaft machte. Schließlich brauchte Tarzan ein makelloses Image, war die Serie doch als Familienfilm konzipiert. Deshalb wurde auch bis in die achtziger Jahre Nacktheit radikal aus Tarzan-Filmen herausgeschnitten. Doch war Johnny im Tarzan-Lendenschurz beim weiblichen Publikum die Hauptattraktion der Filme.
Mit seiner Rolle identifizierte sich Weissmüller so sehr, daß er glaubte, er sei tatsächlich Tarzan. Kurz vor seinem Tod soll er in einem Krankenhaus Patienten mit dem Tarzan-Schrei erschreckt haben. Entwickelt hatte er diesen bei Jodelwettbewerben im deutschen Viertel Chicagos. Für Johnny wurde der edle Herrscher des Urwalds, der Jane vor wilden Tieren rettet und Bösewichter bestraft, sein ganz persönlicher Tagtraum von einem besseren Ich.
In der schnöden Realität wurde Tarzan Weissmüller viermal geschieden, trank exzessiv und setzte sein Leben bei Motorbootrennen aufs Spiel. Als er zu alt und füllig wurde, bootete ihn Hollywood aus. Am Schluß begrüßte er die Gäste in einem Hotel in Las Vegas. Nach mehreren Schlaganfällen starb er verarmt in Acapulco (Mexiko). Seine letzte Frau, eine angebliche Wittelsbacher Prinzessin, hatte sein Vermögen aufgebraucht.
In die deutschen Kinos kam Weissmüller erst mit einer zwanzigjährigen Verspätung. Die Nationalsozialisten verboten Tarzan, der Herrscher des Urwalds (1932) aus Gründen des Tierschutzes und der Rassenpolitik: »Die Nationale Regierung ist bemüht, im deutschen Volke ein gesundes Rasseempfinden wachzuhalten und das Verantwortungsbewußtsein auf diesem Gebiet nach Möglichkeit zu stärken. Diesen Bestrebungen würde es zuwiderlaufen, wenn im Film gezeigt würde, wie ein Urwaldtier, ein affenähnliches Wesen, von einer Frau umworben, gehegt und geliebt wird.« Dieses Verbot galt auch für die folgenden Tarzanfilme, ganz besonders für Tarzan und die Nazis (1943), in dem Tarzan im Dschungel deutsche Fallschirmspringer besiegt. Während Weissmüller in den USA langsam in Vergessenheit geriet, interessierte sich das deutsche Publikum weiterhin für seine Filme, und Weissmüller war mehrmals als Gast im Fernsehen.
So überrascht es nicht, daß weltweit die einzige Weissmüller-Ausstellung in Ulm stattfindet. Passend zum Jubiläum veröffentlichte der Berliner Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf den reich illustrierten Band Tarzan und Hollywood von Rainer Boller und Julian Lesser. Während die Ausstellung den Tarzanmythos kritisch beleuchtet, erzählt das Buch im wesentlichen die Filme nach und kolportiert Hollywood-Klatsch. Jedweder kritische Gedanke liegt ihm fern, selbst der Rassismus der Filme scheint den Autoren entgangen zu sein. Zwar ist der Schauplatz der Filme meist Afrika; aber Schwarze spielen nur Nebenrollen. Sie werden in den Weissmüller-Filmen häufig grundlos ausgepeitscht und tragen vor allem zur exotischen Kulisse bei. Mit dem realen Afrika hatten die meist in kalifornischen Studios gedrehten Filme nichts gemein.