Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 5. Juli 2004, Heft 14

Lula in Haiti

von Klaus Hart, Rio de Janeiro

Staatschef Lula rühmt die Truppenentsendung nach Haiti als international anerkannten Beitrag für den Frieden auf der Welt. Doch von zahlreichen prominenten Brasilianern, vielen Kongreßabgeordneten seiner eigenen Arbeiterpartei (PT) sowie Würdenträgern der katholischen Kirche wird seine Entscheidung als schwerer politischer Fehler verurteilt.
»Wir können nicht akzeptieren, daß brasilianische Einheiten an einer Okkupation teilnehmen«, warnten sie Lula in einem Manifest bereits lange vor der Einschiffung der 1200 Soldaten des Tropenlandes. Die bereits auf Haiti stationierten Soldaten aus den USA, Kanada, Frankreich und Chile seien Interventionstruppen, die eine Marionettenregierung installiert hätten. Die Bush-Regierung wolle in der Region grenzenlose Hegemonie – was durch die Haiti-Intervention nur noch unterstützt werde. Deutliche Worte an den »Excelentissimo Senhor Presidente da Republica, Luis Inacio Lula da Silva«, der, wie viele meinten, ein solches Manifest noch vor mehreren Jahren, als Führer der wichtigsten Oppositionspartei Brasiliens, sicherlich mit unterschrieben hätte.
Besondere Aufmerksamkeit findet, daß unter den Erstunterzeichnern auch Bischof Demetrio Valentino ist, Sozialexperte der Bischofskonferenz CNBB, aber auch Bischof Tomas Balduino, Präsident der die Landlosen unterstützenden Bodenpastoral CPT, sowie Pfarrer Luiz Bassegio, der die katholische Aktion Aufschrei der Ausgeschlossenen des Kontinents koordiniert. Sie und andere Geistliche engagierten sich in der nationalen Protestkampagne gegen eine Entsendung brasilianischer Truppen – indessen vergeblich. Wie die Manifestunterzeichner meinen, übernahm Brasilien mit General Augusto Pereira Anfang Juni auf Druck von Großmächten wie den USA und Frankreich das Kommando der bislang von den USA geführten Haiti-Truppen. Das Gros der brasilianischen Einheiten wird voraussichtlich erst Anfang Juli in Port au Prince eintreffen.
Die Bischöfe Valentino und Balduino verhehlen gegenüber dem Blättchen-Korrespondenten nicht ihre Enttäuschung – für sie weckt das alles schlimme Erinnerungen. Denn 1965 war das damalige brasilianische Militärregime in der Dominikanischen Republik den US-Truppen zu Hilfe geeilt, nachdem der rechtmäßig gewählte Präsident Juan Bosch gestürzt und eine diktatorische Regierung eingesetzt worden war. »Wir verurteilen diesen Putsch von 1965 – doch jetzt hilft Brasilien mit beim Putsch in Haiti, gegen Präsident Aristide!«, kritisiert Balduino. »Der Sturz von Aristide, ein illegaler Akt, wird damit nachträglich auch durch Brasilien legitimiert. Die USA haben ihr Vorgehen in Lateinamerika seit den sechziger Jahren nicht geändert, sie intervenierten hundertfach, befürworten immer wieder solche Staatsstreiche. Auch hinter den Vorgängen in Venezuela stecken die USA, um die gewählte Regierung von Präsident Hugo Chavez zu beseitigen.«
Hinter Lulas unerwarteter Entscheidung – auch da sind sich alle Manifestunterzeichner sicher – steckt politisches Kalkül. Brasilia bemüht sich seit Jahren um einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat – der sei, so Bischof Balduino, von den USA jetzt als Gegenleistung für die brasilianische Truppenentsendung in Aussicht gestellt worden. »Doch die selben USA kamen der legalen Regierung von Aristide – welcher viele Fehler machte, doch bereits dabei war, sie zu korrigieren – keineswegs zu Hilfe. Die Truppenentsendung nach Haiti kann man nicht eine Friedensmission nennen.«
Wenn die brasilianische Regierung hinter einem Sicherheitsratssitz her ist, so Bischof Valentino ironisch, müsse sie in solchen Situationen wie jetzt in Haiti natürlich aktiv werden. »Doch es ist eine Intervention, gegen alle Prinzipien, die Brasilien stets verteidigte – und damals in der Dominikanischen Republik hat sie den Brasilianern nur die Antipathie der dortigen Bevölkerung eingebracht – bis heute mag man uns dort nicht.« In Haiti drohe dasselbe.
Daß die Leute dort von der Friedenstruppe sehr enttäuscht sein könnten, benennen selbst brasilianische Generalstäbler gegenüber den Landesmedien als ein großes Risiko. Bischof Valentino sieht Parallelen zum US-Truppeneinsatz im Irak und in Afghanistan. »Die USA spielen sich als Richter in Weltangelegenheiten auf, mit dem Auftrag, für Ordnung in der Welt zu sorgen – in Wahrheit aber gemäß den eigenen Interessen. Einem Land, das sich in internationalen Angelegenheiten über die UNO hinwegsetzt, sollte man jedoch niemals vertrauen.«
Bischof Balduino lobt ausdrücklich die humanitäre Hilfe Kubas in Haiti: »Kuba entsandte über dreihundert Ärzte, betreut bereits drei Viertel der Bevölkerung, schickte tonnenweise Medikamente, kümmert sich um Schulbildung. Das ist beispielhafte humanitäre Hilfe – die führt zum Frieden.«
Der auflagenstarke O Globo schreibt: »Brasilianische Truppen müssen unser Territorium befrieden, nicht das anderer Länder.« Und der Kongreßabgeordnete Fernando Gabeira, einst Mitbegründer von Brasiliens Grüner Partei und erst unlängst wegen Lulas neoliberalem Kurs aus der Arbeiterpartei ausgetreten, schlug Justizminister Thomaz Bastos sogar vor, die für die Haiti-Einsatz vorgesehenen Gelder besser in den Kampf gegen die Gewalt in Rio zu investieren: »Die Bush-Regierung arbeitete ernsthaft darauf hin, Aristide zu stürzen. Doch Haiti ist hier – die Gewalt in Rio hat mehr Tote gefordert als die politischen Unruhen in dem Karibikstaat.«
Bischof Balduino argumentiert ähnlich: »Wir haben weit schärfere soziale Auseinandersetzungen in Brasilien als unser Brudervolk in Haiti. Die Misere in Brasilien nimmt zu. Unsere Fundamentalkritik an der Lula-Regierung rührt von deren Option für den Markt, für das Kapital – das genießt für sie Priorität. Um die Schulden zurückzuzahlen, wird vom Sozialen weggenommen. Und das auf Exporte in die Erste Welt orientierte Agrobusiness sabotiert die Agrarreform, fördert die Gewalt im Hinterland, zerstört, vergiftet die Natur.«