Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 5. Juli 2004, Heft 14

Kwaśniewski im Irak

von Miles

Der polnische General Bolesław Balcerowicz hat bisher wenig von sich reden gemacht. Dabei gehört der Divisionsgeneral, in Polen der höchste Generalsdienstgrad, zu den klügsten Köpfen der Polnischen Armee. 1965 bis 1991 diente er seinem Land als Befehlshaber von Verbänden, 1991 bis 2000 war er Chef der Abteilung Strategische Verteidigung der Akademie für Nationalverteidigung und von 2000 bis 2003, dem Jahr, indem er seinen Abschied aus dem aktiven Dienst nahm, Kommandeur der Akademie. Seitdem in Reserve, wirkt er als Professor sowohl an seiner vorherigen Wirkungsstätte als auch an der Warschauer Universität.
Gefragt, wozu Polen den Einmarsch in den Irak gebraucht habe, verwies er darauf, daß die Entscheidung darüber nicht bei den Militärs, sondern bei den Politikern gelegen habe. Diese hätten nicht vermutet, daß sich die Dinge so entwickeln würden, wie sie sich entwickelt haben. Auch ein durch und durch Nicht-Militär wie der Science-fiction-Schriftsteller Stanisław Lem (Jahrgang 1921) äußerte jüngst in einem Interview, die Amerikaner wären der irrigen Ansicht gewesen, ihre Soldaten würden im Irak von den Landeskindern so empfangen werden »wie die sowjetischen Soldaten von den Amerikanern bei der Begegnung an der Elbe im Frühjahr 1945«. Man werde gemeinsam »eine Camel rauchen«, und alles sei zum besten bestellt …
In Wirklichkeit habe sich jedoch – so Balcerowicz – die amerikanische Hoffnung in Rauch aufgelöst. Man habe geglaubt, die schiitische Bevölkerungsmehrheit würde den Amerikanern um den Hals fallen, und man werde mit ihr zurechtkommen. Weiterhin hatte man die Absicht, die Sunniten auszumanövrieren, während von den Kurden – allein schon deshalb, weil sie mit einem eigenen Staat rechnen – großes Entgegenkommen erwartet wurde.
Keine der drei Optionen habe sich erfüllt. Inzwischen wisse man, so Balcerowicz, »daß es weder eine gründlich erarbeitete Strategie noch weitreichende Pläne gegeben habe«. Für andere Lösungen haben man in den USA jedoch keine Alternativen entwickelt. Desungeachtet hoffe der polnische General Stanisław Koziej, Chef der polnischen Okkupationstruppen im Irak, nach wie vor auf eine – illusorische – Lösung durch eine Konföderation der Schiiten, Sunniten und Kurden in einem irakischen Staatsgebilde.
Balcerowicz dazu: »Bis heute weiß ich nicht, wozu wir uns in das irakische Abenteuer eingelassen haben und welche Interessen wir dort verfechten.« Das Argument, wir seien dort aus Gründen der Solidarität mit unseren Verbündeten, ist durchsichtig, denn wir sind allein mit den Amerikanern solidarisch, nicht, mit unseren anderen Verbündeten. »Wenn ich schon höre, wir seien im Irak, um die Zivilisation zu verteidigen, kann ich mich nur an den Kopf fassen. Wollten wir die Zivilisation verteidigen, hätten wir bei uns in Polen alle Hände voll zu tun und bräuchten nicht in der Welt herumzuballern.«
Gefragt, ob der Irak geeignet sei, für einen Partisanenkrieg gegen Okkupationstruppen, verwies General Balcerowicz auf Carl von Clausewitz, den preußischen Theoretiker der Kriegskunst. Das Terrain sei der Trumpf der Partisanen. Sie bräuchten weder Wälder noch Wüsten, jedwedes Terrain sei ihnen hold. In Lateinamerika hätten Partisanen (ähnlich wie in Italien im Zweiten Weltkrieg) die Städte als Kriegsschauplatz gewählt, und die Ergebnisse gäben ihnen recht beziehungsweise hätten ihnen recht gegeben.
Anstatt der Hoffnung, der Irak werde sich als ein Land verstehen, dem man die Freiheit gebracht habe, habe man ein Land okkupiert. Die 250000 GIs seien viel zu wenige, um den Irak zu befrieden. Wolle man den Irak besetzen, würden mindesten 500000 gebraucht. Denn Iraks Streitkräfte seien ja nicht vernichtet, sondern lediglich verstreut worden. Die amerikanischen Truppen seien auf eine derartige Situation ebensowenig vorbereitet gewesen wie die amerikanische Staatspolitik. Supergenaue Waffen, eine uneingeschränkte technische Überlegenheit der Bodentruppen, der Luft- und Seestreitkräfte hülfen nichts gegen einen nicht greifbaren Gegner. Dieser diktiere das Gesetz des Handelns.
So stolpern die GIs aus einem Haus ins andere, treten hier wie dort eine Tür ein, verhaften nach Gutdünken, mißhandeln, weil sie nichts Greifbares haben … Ihre Präzisionswaffen erwiesen sich als teuer, aber wirkungslos. Die Amerikaner hätten vorzügliche Handbücher über einen derart »asymmetrischen Krieg«, ihre Truppen seien jedoch darauf nicht vorbereitet. Den Aufstand in Nadshaf waren sie nicht in der Lage zu unterdrücken; die Überfälle tag und nacht zwängen sie, zu reagieren anstatt zu agieren, wodurch sich das Potential des Hasses gegen das Okkupationsregime nur noch vergrößere.
Welche Konsequenzen sieht General Balcerowicz für die Okkupationstruppen seines Lands im Irak? Die Amerikaner müßten »sich Asche aufs Haupt streuen«, die UNO um Hilfe anrufen (das ist inzwischen geschehen) und ihre Beziehungen zum Iran, dem Land, das sie als Todfeind verstehen, in Ordnung bringen. Wenn das nicht gelinge, würden die Spannungen zunehmen, Al Quaida sich einmischen und weitere Hilfstruppen – so wie die spanischen – das Land verlassen.
Was werde sein, wenn die USA allein auf dem Schlachtfeld bleiben würden? Dann werde sich ein neues Vietnam auftun. Seien die USA doch nicht einmarschiert, um sich mit leeren Händen zurückzuziehen. Sie würden das Land nicht verlassen, bevor ihre ureigenen Interessen gesichert seien. Keineswegs vorher.
Und wie solle sich Polen verhalten? Wie könne es aus dem Irak seine Truppen abziehen, ohne sein Gesicht zu verlieren? Die USA, so Balcerowicz, sollten uns dankbar sein, daß wir bis jetzt die Last einer Okkupation auf unsere Schultern genommen und dafür einen unverhältnismäßig hohen Preis gezahlt haben: Die SLD-Regierung, die die Entscheidung für den Einmarsch getroffen hat, ist politisch bankrott und wird bei der nächstbesten Wahl im Nirwana verschwinden. Ein angemessener »Lohn der Angst« müsse durch Polen gefordert und von den USA gezahlt werden. Mit einem »Vergelt’ s Gott« werde es nicht abgehen.