Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 21. Juni 2004, Heft 13

Noch ein Nachruf

von Horst Grunert

Seine Allgemeinbildung war recht dürftig. Seine politischen Gegner behaupteten, er kenne außer der Bibel nur ein paar Textbücher von Filmen. Während eines Wahlkampfes um das Präsidentenamt meinte ein Konkurrent, er habe mehr Bücher geschrieben als Reagan je in der Hand gehalten. Die Behauptung mag sogar stimmen. Aber gewählt wurde Reagan. Denn der Wähler, und schon gar der us-amerikanische, ist durch beschriebenen Seiten nicht zu beeindrucken.
Dennoch haben sich jene gründlich geirrt, die glaubten, Reagan als Dummkopf abqualifizieren zu können. Reagan war schlau. Und er besaß die Fähigkeit, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das brachte ihm den Vorwurf ein, er sei faul. Tatsächlich begann er seinen Arbeitstag im Weißen Haus recht spät und trachtete danach, das Oval Office möglichst schnell wieder in Richtung Camp David zu verlassen. Die Routinefragen überließ er seinen Ministern. Doch wenn es notwendig war, zu entscheiden, dann entschied er auch. Seine größte Stärke bestand darin, ein Gespür für das Denken der Amerikaner zu haben. Er sah voller Verachtung auf die Gedankenspiele der liberalen oder gar linken intellektuellen Zirkel an der Ostküste herab, die er als Gefasel unbefriedigter Narren abqualifizierte, und wußte sich eins mit den vielleicht primitiven und naiven, aber übersichtlichen Denkschablonen der Mehrheit seiner Landsleute. Wenn Carter, den Reagan im Wahlkampf besiegte, die Fragen von Reportern mit beeindruckender Sachkenntnis, untermauert mit langen Zahlenreihen und Statistiken, beantwortete und die Auffassungsgabe der Zuschauer am Fernsehschirm über Gebühr strapazierte, hatte Reagan stets ein hübsches Witzchen parat, das er mit einem charmanten, leicht verlegenen Lächeln garnierte, und er konnte sich der Sympathie seiner Wähler sicher sein.
Auf diese Weise hat Reagan die Wahlen gewonnen, doch das hätte nicht gereicht, ihm einen herausragenden Platz in der Geschichte der Vereinigten Staaten zu sichern, den ihm alle Staatsmänner anläßlich seines Todes bescheinigen. Wenn er jetzt so gefeiert wird, dann deshalb, weil er als einer der ersten unter den Mächtigen im westlichen Lager begriffen hatte, daß sich die Sowjetunion in einem Zustand der Agonie befand, daß sie handlungsunfähig war. Aus dieser Einschätzung zog er die Schlußfolgerung, daß die Zeit herangereift war, die Politik der friedlichen Koexistenz, die vor seiner Zeit als die einzig mögliche Politik angesichts des atomaren Patts betrachtet wurde, zu beenden und die Entspannung, ebenfalls die einzig denkbare Alternative zur Konfrontation, abzuwürgen. Er zwang der anderen Seite eine neue Runde im Rüstungswettlauf auf, in der Überzeugung, daß das Reich des Bösen, wie er die Sowjetunion nannte, unter dieser Last zusammenbrechen werde.
Reagans Einschätzung der Lage erwies sich als richtig. Die Sowjetunion fiel in sich zusammen, wenn auch erst zu einer Zeit, da Reagans Nachfolger, der von ihm ungeliebte und wenig geschätzte George Bush, im Weißen Haus regierte. Mit dem Zusammenbruch der Führungsmacht zerfiel das Bündnis der Staaten, das sich die sozialistische Gemeinschaft nannte. Die USA entwickelten sich zur unbestrittenen Führungsmacht, mit verheerenden Folgen für die Menschheit.
Die Linken dieser Welt, alle diejenigen, die eine gerechtere Welt erhofften, eine Welt, die nicht vom Profitstreben bestimmt wird, mögen diese Entwicklung beklagen. Doch es bleibt die bittere Erkenntnis, daß das in der Sowjetunion herrschende System nicht in der Lage war, seinen Bewohnern ein Leben in Wohlstand und Würde zu sichern. Die Sowjetunion war Anfang der Achtziger in einem maroden Zustand, und das nicht wegen der hinterhältigen Politik Reagans, sondern wegen der system-immanenten Konstruktionsfehler. Reagan muß man allerdings bescheinigen, daß er das erkannt hat und erfolgreich darauf hinwirkte, den Kollaps herbeizuführen.