Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 24. Mai 2004, Heft 11

Gottlose Schwaben

von Peter Bräunlein

Ulm, das ist für viele Nichtschwaben das Münster mit dem höchsten Kirchturm der Welt. Zwar sind die 115000 Ulmer überwiegend Kirchenmitglieder (39 Prozent katholisch, 28,3 Prozent evangelisch), die Begeisterung über den Katholikentag vom 16. bis 20. Juni hält sich aber trotzdem in Grenzen. Im ersten Anlauf legte sogar eine knappe Stadtratsmehrheit aus Grünen, Teilen der SPD und der Freien Wähler im Oktober 2002 den intern ausgehandelten städtischen Zuschuß von einer Million Euro auf Eis. Kritisiert wurde die unbefriedigende Rechnungslegung des Trägervereins des Katholikentages, aber auch die Höhe des Zuschusses in Zeiten knapper Kassen.
Der SPD-Oberbürgermeister Gönner empörte sich: »Ich betrachte das als katastrophales Bild, das der Gemeinderat hier abgibt.« und »Die Stadt Ulm wird den Katholikentag 2004 unterstützen, da stehe ich persönlich im Wort.« Auch Dr. Kirchner, Vorsitzender des Trägervereins und ehemaliger CDU-Stadtrat, war entsetzt: »Das hat es noch in keiner anderen Stadt gegeben. Es zeigt sich, daß die Denke in Ulm kleinstädtisch ist.«
Um die knauserigen Schwaben zu überzeugen, legte er zwei Wochen später einen Finanzierungsplan vor. Neben der Ulmer Million kommen rund zwei Millionen der veranschlagten sieben Millionen Euro Gesamtkosten vom Bundesinnenministerium und dem Land Baden-Württemberg, etwa gleich viel gibt die katholische Kirche, der Rest stammt aus Teilnehmergebühren, Kollekten und so weiter.
Besonders hofierte Dr. Kirchner die Ulmer Geschäftsleute, denen er versprach, daß die erwarteten 15000 Dauerbesucher und 10000 Tagesgäste »pro Kopf und Tag bis zu 70 Euro für Unterkunft, Verpflegung und Einkäufe« aufwenden werden. Außerdem werden »ca. 800 Journalisten aus Presse, Hörfunk und Fernsehen eine Woche täglich aus Ulm berichten. […] Eine bessere PR kann man sich kaum vorstellen.«
Waren es die vollmundigen Versprechungen, war es innerparteilicher Druck, auf alle Fälle stimmte zwei Wochen später der Stadtrat – mit Ausnahme der Grünen – dem Zuschuß von eine Million Euro zu. Aber selbst die Grünen wollten nicht als Geizhälse dastehen und votierten für immerhin 500000 Euro, allerdings aus dem Etat für Stadtmarketing.
Zur Ruhe kam die Debatte um den Ulmer Zuschuß damit aber nicht. Denn während die Stadt unter anderem bei der Nachmittagsbetreuung von Grundschülern, im Schwimmbad und im Theater die Preise anhob, protestierten Leserbriefschreiber: »Mit dem 1-Millionen-Euro-Zuschuß für den Kirchentag wäre diese Gebührenerhöhung bis ins Jahr 2012 aufgefangen worden.« Bei den erwarteten täglichen Besucherausgaben hingegen ruderte der Kirchentagsvorsitzende mittlerweile auf »etwa 40 bis 60 Euro« zurück.
Das nächste größere öffentliche Murren über den Katholikentag brachte im Herbst 2003 die Nachricht, daß 11000 Dauerbesucher in etwa neunzig Schulen untergebracht werden (für höchstens zehn Euro pro Kopf und Tag). An mindestens zwei Tagen wird dadurch der reguläre Unterricht ausfallen. Veranlaßt hatten dies die bayerische Kultusministerin Hohlmeier und ihre baden-württembergische Kollegin Schavan. Frau Dr. Schavan ist nicht nur Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sondern auch in der Katholikentagsleitung.
An den Schulen war die Begeisterung zum Teil gering. Zwar kommentierten nur wenige so knapp wie der Lehrer Dr. Riggenmann, Verfasser des Buches Kruzifix und Holocaust: »Pädagogisch nicht vertretbar, mit staatlicher Neutralitätspflicht nicht vereinbar.« Aber auch der Leiter einer Grundschule erinnerte an den schulischen Bildungsauftrag: »Wir können nicht einfach ein paar Tage zusperren.« Die Elternvertretung einer Schule für Geistigbehinderte protestierte: »Die Beaufsichtigung unserer Kinder ist weit aufwändiger als die gesunder gleichaltriger Kinder. […] Uns erscheint es sehr unchristlich und unsozial, dass man uns den ohnehin schon schweren Alltag durch solche undurchdachten Terminplanungen noch zusätzlich erschwert.«
Der Ulmer Landtagsabgeordnete Oelmayer (Grüne) erkundigte sich bei Frau Dr. Schavan nach den rechtlichen Grundlagen für diesen Unterrichtsausfall. Die Kultusministerin dazu: »Ein derartiges Verfahren ist bundesweit Standard bei vergleichbaren Veranstaltungen wie etwa dem Evangelischen Kirchentag.« Außerdem ersetze der gemeinsame Besuch des Katholikentages den regulären Unterricht: »Eine Großveranstaltung wie der Katholikentag bietet im Sinne des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule vielfältige Angebote und Mitwirkungsmöglichkeiten und damit Chancen für außerschulische Lernerfahrungen und Lernorte. Viele Schulen werden den betreffenden Zeitraum […] für Besuche ausgewählter Veranstaltungen des Kirchentags […] nutzen. […] Unterricht muß vor diesem Hintergrund nicht nachgeholt werden.«
Während die Grünen Stadträte trotz ihrer Kritik an der Höhe des städtischen Zuschusses den Katholikentag prinzipiell begrüßten, benützen die Freidenker Ulm/Neu-Ulm den Anlaß zu einer weitergehenden Kritik: »Der städtische Millionenzuschuß an den Katholikentag ist unverantwortlich und eine Verschwendung von ohnehin knappen Mitteln. Hier wird eine weitläufig verschachtelte Religionsgemeinschaft subventioniert, die mit einem geschätzten Gesamtvermögen von etwa 365 Milliarden Euro im Rücken ohnehin reichste Organisation der Bundesrepublik Deutschland ist.«
Beflügelt durch die öffentliche Debatte steigerten die Ulmer Freidenker sich auf knapp hundert Mitglieder. Doch nicht nur der katholischen Kirche stehen sie kritisch gegenüber, auch dogmatische Strömungen im eigenen Umfeld werden kritisiert. So trat der Verein 1992 aus dem Deutschen Freidenker Verband aus, dessen baden-württembergischer Landesverband ihm zu DKP-nahe war.
Heiner Jestrabek, Herausgeber zweier Bücher zu den schwäbischen Freidenkern Dulk und Stern, erstrebt langfristig »einen wirklich pluralistischen Konfessionsfreien-Verband in Deutschland, dessen zentrales Anliegen die konsequente Trennung von Staat und Kirche ist«. Einstweilen verbindet er in seiner Person die zerstrittene Bewegung durch Mitgliedschaften in vier Verbänden. Der Stärkung der Kirchenkritik dient ein Treffen süddeutscher Freidenker in Ulm am Wochenende nach dem Katholikentag unter dem Motto »Was Katholiken können, können wir schon lange.«