Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 29. März 2004, Heft 7

Komikaze

von Christian Funke

Einige Jahre nach der Zeit, als der erste Herzschrittmacher und die künstliche Niere erfunden waren, kam auch ein Apparat in Umlauf, der ebenfalls der Belebung des menschlichen Organismus dienen sollte. Eine leichte Prothese für Menschen mit Humorschwäche: der Lachsack. Ein elektrisches Zwerchfell mit eingebautem Lautsprecher. Lachen zwingt sich knarrend aus ihm heraus: Ha, ha, ha. Ho, ho, ho. Hi, hi, hi. Ein minderwertiger Scherz der Audio-Technik. Wer aber absolut sichergehen wollte, daß er auf Anhieb lautes Gelächter verbreitet, ohne sich selbst zu vergessen, der mußte sich unbedingt so ein Gerät beschaffen. Humor ist kostbar, und Ende der siebziger Jahre waren Lachsäcke bei witzlosen Leuten äußerst beliebt.
Es waren die Zeiten, in denen man in unseren Breiten Mädchen noch mit Zauberwürfeln, Zimt-Zigaretten, Tanga-Unterhosen oder Sakkos zu Turnschuhen erobern konnte. Die Welt reichte real bis ans Schwarze Meer, Lenin war noch nicht offiziell als komische Figur zugelassen, Abba sang Waterloo, und das Leben war ansonsten halbstark und vorsichtig vergnügt. Viele Dinge kehren nun zurück in die Gegenwart. Mit einem Karacho, als hätte es sie nie zuvor gegeben. In einem Berliner Geschäft werden ZEHA-Turnschuhe als der totale Renner gehandelt, Tabakläden bieten Feuerzeuge mit den garstigen Emblem-Varianten SED, FDJ oder STASI an. Geschichte verziert und verklumpt zu bezahlbarem Tand. Kürzlich knirschten Proteste durch die Presse, weil ein Möbelhaus Tassen mit DDR-verschnörkelndem Dekor verjubelte. Eine Zeitung posaunte »Tassenkampf«. Die Welt ist alles, was Verfall ist.
Nur der arme Lachsack scheint für immer ausgestorben zu sein. Eine liegengebliebene Ruine der Unterhaltungselektrik. Er muß von immer mehr Menschen imitiert werden, die nicht so recht wissen wollen, was komisch sein könnte. Karneval ist vorbei, da droht schon der 1. April mit seinem dämlichen Dekret der allumfassenden Schmunzeligkeit. An solchen Tagen darf es in der Nähe hiesigen Humbugs keine Leichen geben oder zu sehr Versehrte. Erste Aprils und Rosen-Montage sowie 11. Elfte sollen möglichst erdbebensicher und gemetzelresistent bleiben. Das letzte Lachen eines Lachsacks, kurz bevor die Batterien am Ende waren, erinnerte schon sehr an den kalten Hauch des Untergangs.
Lachsäcke lebten etwa anderthalb Stunden in voller Wucht, dann verendete ihr heiseres Ächzen unausweichlich im gurgelnden Sumpf tiefer Töne. Tot gelacht. Selbstmord.
Lachsäcke gingen an ihrem eigenen heiteren Daseinszweck zugrunde. Eine warnende Parabel für alle, die Lachen bisher leichterdings als pures Lebenselixier verkannt haben. Traurig. Lautes Lachen ist nämlich, als eine spezifische Form des Ausatmens, die reine Energievernichtung. Eine Art Durchfall in den Atemwegen oder ein – immerhin gutartiger – Husten. Verbraucht Unmengen an Sauerstoff. Da wir nur über einen sehr begrenzten Energiehaushalt verfügen, sollten wir nur dann aus uns heraus lachen, wenn es wirklich gar nicht mehr anders geht.
Möglicherweise machen Menschen, die in südlichen Gefilden leben, auch deswegen einen auffallend fröhlicheren Eindruck, weil sie nicht, wie wir, einen Großteil der Kraft für ihre Körperwärme aufbrauchen müssen. Sie können es sich daher eher leisten, heiter zu sein. Einfach so. Sonne brennt gute Laune dauerhaft ins Gesicht ein, bleicht die Zähne vorteilhaft und erwärmt das Blut. Was zusammen genommen auch erheblich gesünder aussieht. Lachen ist kälteempfindlich und soll nicht zu trocken sein.
Hippokrates, der Ur-Chefarzt der neuzeitlichen Medizin, war der Ansicht, daß die unterschiedlichen Temperamente der Menschen auf einer unterschiedlichen Mischung ihrer Körpersäfte (lat.: humores) beruhen. Humor bedeutet Flüssigkeit – im streng wissenschaftlichen Sinne. Wem es an Humor mangelt, kann ihn sich also hilfsweise aus der Flasche einverleiben. Zusätzlich wärmt das. Der hier weithin geläufige Satz »Heute sauf ich mir einen an« verliert aus akademischer Sicht einiges von seiner primitiven Gesinnung. »Besoffen« ist somit nur als eine herabmindernde Bezeichnung von »humorvoll« zu verstehen. Bei vierzig Prozent Humor fängt der Spaß richtig an, da krümmt sich schon mal die Leber.
Wenn man weiter in den fröhlichen Wissenschaften wühlt, dann stößt man noch auf nächste furchteinflößende Deutungen des Lachens. Eine besonders elende besagt, daß Lachen in erster Linie eine Reaktion auf den drohenden Verlust sozialer Orientierung darstellt. Demnach leben wir gerade in äußerst humorigen Verhältnissen. Eine Nation lacht sich kaputt.
Leuten, die immer einen Witz auf den Lippen haben, sollten wir also sehr einfühlsam begegnen. Sie haben womöglich einfach nur die nackte Angst am Leib.
Konrad Lorenz, Verhaltensforscher, der vor allem wegen seiner forschenden Nähe zu Graugänsen populär wurde, stufte das Lachen als urtümliches Drohverhalten ein: Wer die Zähne zeigt, wolle nicht komisch wirken, sondern viel lieber beißen. Man muß sich in acht nehmen.
Was immer uns noch über das Lachen und den Humor bekannt gegeben wird, von höchster Warte des Expertentums, es trägt immer irgendwie eine Drohung in sich. Die ganze traurige Wahrheit ist lange noch nicht durchschaut. Wenn eines Tages definitiv bewiesen sein sollte, daß Lachen völlig ungesund ist, blöd, kalt, einsam, impotent und aggressiv macht, dann werden die Leute dankbar sein, wenn ihnen ein längst vergessener, uralter Lachsack mit zitternder Stimme von früher erzählt. Das waren noch Zeiten.