Des Blättchens 7. Jahrgang (VII), Berlin, 2. Februar 2004, Heft 3

Politikfähigkeit

von Paul Oswald

Politiker und Politikdarsteller hierzulande – und vermutlich auch in anderen Landen mitteleuropäischen Zuschnitts – haben zwei Lieblingsvokabeln, mit denen sie in der Regel Geister und Ungeister sowie Kritiker und Kritikaster trefflich ruhigstellen können; sie lauten: Verantwortung und Politikfähigkeit. Während die Verantwortung, die zu übernehmen sie ständig sich verpflichtet fühlen (»der Auftrag des Wählers«), ein alter Hut ist, hat es den Anschein, daß die Politikfähigkeit erst in den vergangenen Jahren auffällig an Bedeutung gewonnen hat.
Wer sich auf Suchmaschinenspielchen einläßt, die natürlich bar jeglicher Beweiskraft sind, aber immerhin einen Trend andeuten, dem wird angezeigt, daß der Begriff Politikfähigkeit über anderthalbtausend Mal gespeichert ist; nicht gerade viel für Internetverhältnisse. (Verantwortung könnten wir über 1,2 Millionen Mal abrufen, darunter mögen hunderttausende Einträge sein, die mit Politik gar nichts zu tun haben …)
Bei der Politikfähigkeit fällt sofort auf, daß gut zwei Drittel der Vermerke mit der PDS zu tun haben. Und noch etwas weiteres fällt auf – und zwar bereits nach dem Lesen von nur einer Handvoll der angezeigten Artikel, Reden, Resolutionen und so weiter: Der Begriff ist Ausdruck eines erstaunlichen Mißverständnisses, das nicht besser illustriert werden kann als durch die Überschrift eines Artikels, den die PDSler Birke Bull, Wulf Gallert und Rosemarie Hein ins Netz stellten: Politikfähigkeit der PDS oder Ist die PDS zur Opposition verdammt?
Selten findet man Sinn, Zweck und Möglichkeiten von Politik und von Parteien so prägnant vereinseitigt. Denn nichts anderes bedeutet doch die Frage in dieser Überschrift: Opposition ist nur die halbe Miete.
Die Vorstellung, daß man aus einer starken Opposition heraus eine Regierung das Fürchten lehren könnte, ist der PDS abhanden gekommen. Der ehemalige Wahlslogan Veränderung beginnt mit Opposition hört sich heute wie eine Losung aus grauester Vorzeit an. Doch ich will nicht ungerecht sein: Die Interneteinträge der anderen Parteien dokumentieren, daß auch sie reihum unter Politikfähigkeit fast ausschließlich das Regieren und nicht das Opponieren verstehen. Undialektischer geht es nun wahrlich nicht mehr …
Da steht nun also der Wähler und wundert sich. Wer sich inzwischen nicht mehr wundert, ist der Nichtwähler. Der wundert sich nur noch darüber, daß ihm abverlangt wird, Unterschiede auszumachen, die ihm das Wahlzettelkreuzeln erleichtern sollen. Wenn er noch zu denen gehört, die beim Frühstück eine halbwegs ernstzunehmende Zeitung lesen, dann stößt er auf folgenden Artikel, aus dem hier zitiert werden soll (Es ging in ihm um die Abstimmung auf einem Parteitag, wo die Delegierten – miese Regie! – zur Verblüffung der Parteioberen nicht deren Vorgaben gefolgt waren.):
»Hektische Betriebsamkeit hinter den Kulissen. Auszeit des Präsidiums – schließlich beantragte ein Delegierter eine Wiederholung der Abstimmung, weil vielen Delegierten wohl nicht so richtig klar gewesen sei, über was sie abgestimmt hätten. So wurde aus 37 zu 38 nunmehr 48 zu 41.«
Liebe Wählerdummchen, nun wollen wir gemeinsam raten, welche Partei das Stück aufgeführt hat: War es Roland Kochs Hessen-CDU? Saß Franz Müntefering nebst Olaf Scholz auf dem Regiestuhl? Handelte es sich um eine Münchner Klamotte aus dem CSU-Stadl? Produzierte sich hier die Rest-FDP (wo ein jeder der Spielleiter sein könnte)? Veranstalteten die Grünen diese Kungelrunde? Oder trat das Hamburger Ohnsorg-Theater mit den Komödianten Schill und von Beust auf?
Nichts von alledem, alles vollkommen falsch – wir zitierten aus einem Bericht der Zeitung Neues Deutschland über einen PDS-Landesparteitag! Ruhm und Ehre dem Delegierten, der seinem Vorstand aus der Patsche half? Das mögen sie in dieser Partei unter sich ausmachen, aber immerhin bewies sie in diesem Bundesland wieder einmal – wenn auch mit Müh und Not – ihre Politikfähigkeit. So, wie sie sie inzwischen versteht!
Und da sich auch ihr Politikstil mittlerweile immer mehr nur noch graduell von dem der anderen Parteien unterscheidet (siehe oben), bewies die PDS auch diesmal wieder ihre Koalitionsfähigkeit. Das Endergebnis der beschriebenen Abstimmung wird allerdings aufmerksame Beobachter der Szene PDS insofern nicht sehr überrascht haben, als auch die Zentralfiguren dieser einstigen Bundestagspartei schon einmal bewiesen hatten, wie schlecht sie mit Abstimmungsniederlagen umzugehen verstehen und daß sie alles daransetzen, sie, wann immer möglich, rückgängig zu machen, Stichwort: Geraer Parteitag 2002.
Einige Tage nach dem Aufmucken der PDS-Landesparteitagsdelegierten kam aus jenem Bundesland, in dem die PDS so schön ihre Politikfähigkeit gerettet hatte, noch ein aparter Nachschlag in puncto Politikfähigkeit: Die Sozialministerin Linke (PDS) ist aus Dubai zurückgekehrt, wo sie unter Scheichs Patienten-Akquise betrieb. Diese Aktivität ist doch nun die rechte Begleitmusik für die Gesundheitsreform. Die Frau hat Zukunft, denn sie ist politikfähig. Da können wir noch was lernen.