Des Blättchens 6. Jahrgang (VI), Berlin, 4. August 2003, Heft 16

Kabale in Dresden

von Jochen Mattern

Das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT) in Dresden existiert das zehnte Jahr. Ein Grund zum Feiern, sollte man meinen. Aus diesem Anlaß wurde eine »Jubiläumstagung« veranstaltet, die aus einer Festveranstaltung bestand, der sich an den zwei darauffolgenden Tagen eine wissenschaftliche Konferenz anschloß. Prominenter Gast der Festveranstaltung, für die der Sächsische Landtag eigens den Plenarsaal zur Verfügung stellte, war Altbundeskanzler Helmut Kohl. Als Festredner trat der frisch gekürte Direktor des Instituts, der Kirchenhistoriker Gerhard Besier, in Erscheinung. Kritische Töne waren von ihm nicht zu vernehmen.
Dabei war doch das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in der Vergangenheit in die Schlagzeilen geraten, und zwar nicht wegen herausragender Forschungsergebnisse, sondern wegen interner Querelen, in die sich schließlich auch die Politik einschaltete. In der Fachöffentlichkeit war deshalb der Eindruck entstanden, daß es um die politische Unabhängigkeit des Instituts nicht gut bestellt sei.
Der Festredner hielt es dagegen mit Joachim C. Fest, indem er dessen Mahnung aus der Gründerzeit des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Erinnerung rief, wonach Wissenschaft und Parteilichkeit einander ausschließen. Ein Diktum, das ostdeutsche Wissenschaftler nach der Wende häufig zu hören bekamen. Am Morgen des Festtages konnte das interessierte Publikum verfolgen, wie wenig sich diejenigen, die diese Mahnung bei jeder Gelegenheit im Munde führen, darum scheren, wenn es um ihren Einfluß und ihre Macht in der Wissenschaftlerzunft geht.
Vor dem zuständigen Ausschuß des Sächsischen Landtages fand eine öffentliche Anhörung statt, die aufgrund der erheblichen Zweifel an der parteipolitischen Unabhängigkeit des HAIT zustande gekommen war. Die Vertreter des Instituts, die auf die eine oder andere Weise selbst in die Querelen verwickelt waren, konnten den Eindruck »parteiischer« beziehungsweise »parteilicher« Einflußnahme durch Teile der Staatsregierung und der CDU-Landtagsfraktion nicht widerlegen. Sie versuchten statt dessen, den Konflikt zu personalisieren, indem sie den geschaßten Direktor des Instituts zum Sündenbock stempelten.
Der habe, so der Vorwurf, eine regelrechte »Zerstörungswut« an den Tag gelegt und die eigenen Interessen über die des Instituts gestellt. Wahrscheinlich aber hatte Klaus-Dietmar Henke nur das falsche Parteibuch. Im schwarzen Sachsen fördert das nicht eben die Karriere, noch dazu, wenn man an einem Institut für Totalitarismusforschung reüssieren will. Vollends in die Mühlen der herrschenden Partei gerät, wer die gewünschte Politikberatung verweigert und statt dessen seriöse empirische Forschung betreibt. »Unter handstreichartigen Umständen«, berichtet ein Zeuge, sei Henke auf einer Kuratoriumssitzung im September 2000 abgewählt worden. Die Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirates wurde gar nicht erst eingeholt. Ein klarer Verstoß gegen die Satzung des Instituts. Vorsitzender des Kuratoriums war damals Matthias Rößler, der inzwischen vom Kultusminister zum Staatsminister für Wissenschaft und Kunst avanciert ist. Seinen Platz hat der CDU-Abgeordnete und langjährige wissenschafts- und hochschulpolitische Sprecher seiner Fraktion, der Lyriker Uwe Grüning eingenommen.
Kritische Beobachter der parteipolitischen Kabale am Institut zeigten sich von der »Schamlosigkeit« überrascht, mit der hier von politisch interessierter Seite vorgegangen worden sei. Der Regierungspartei sei es einzig darum gegangen, ihren Einfluß auf das Institut zu sichern. Zu dem Zweck wurde flugs die Satzung geändert. Damit sollte verhindert werden, daß ein anerkannter Historiker aus der PDS-Landtagsfraktion ins Kuratorium einzog. Der kulturellen Demokratisierung Ostdeutschlands, befand eine Historikerin, sei mit dem, was am HAIT geschehen sei, großer Schaden zugefügt worden. Es handele sich um einen »Fall offenkundiger Infragestellung der wissenschaftlichen Autonomie des Instituts durch die Politik«, resümierte ein zweiter Historiker.
Und das ausgerechnet an einem Institut, das den Namen Hannah Arendts trägt. Sie hatte, als in den fünfziger Jahren die sogenannten think tanks entstanden, stets eine große Skepsis gegenüber den professionellen Denkern an den Tag gelegt. Denn diese würden dazu neigen, die Fakten im Sinne der jeweils opportunen politischen Strategie zu manipulieren.