von Kurt Merkel
Nun soll die neue Regierung, die weitgehend die alte ist, da weitermachen, wo die alte, die vor vier Jahren ja mal die neue war, steckengeblieben ist. Der Kanzler, der damals als Kanzler eines Parteivorsitzenden und Superministers, der längst verschollen ist, begonnen hatte und Supermacher wurde, holt sich einen neuen Macher und Superminister ins Kabinett. Doch der alte neue Kanzler spielt die alten Spielchen und pflegt die alten Illusionen.
Obwohl die Tatsache längst zum Allgemeinwissen gehört, daß wirtschaftlicher Aufschwung kaum neue Arbeitsplätze bringt und ohnehin von Aufschwung in diesem Jahr keine Rede sein kann, und er auch im nächsten nicht erwartet wird, redet die erneuerte Koalition weiter vom Abbau der Arbeitslosigkeit. Programme dazu sehen aber nur Umgruppierungen von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern vor sowie den Ausbau der Möglichkeit, Arbeitskräfte vor allem im Niedriglohnsektor zeitweilig oder leicht kündbar einzustellen – ungeschützt von Tarifverträgen und vom Staat, also den Steuer zahlenden Arbeitnehmern, teilfinanziert sowie vom Zahlen von Steuern und Beiträgen teilweise befreit.
Als würde damit das Jahrhundertproblem der Industrieländer gelöst, das eben darin besteht, daß es eine Vollbeschäftigung der Arbeitsfähigen unter den gegenwärtigen kapitalistischen Bedingungen nicht wieder geben wird. Die gerade vorsichgehende Welle von Entlassungen in allen Bereichen mag zeitweilig sein. Die Unfähigkeit der Gesellschaft, alle ihre dazu fähigen Mitglieder in den Wertschöpfungsprozeß einzubeziehen, ist anhaltend.
Alle Faktoren, die an diesem Problem beteiligt sind, werden aber weiterhin nur isoliert voneinander, wenn überhaupt, zur Kenntnis genommen. Da ist die Arbeitslosigkeit, dort die Bevölkerungsstruktur, hier die Zuwanderungspolitik, da die weltwirtschaftliche Vernetzung, da die Sparpolitik zur Verringerung des Schuldenwachstums im öffentlichen Haushalt, dort die schwindende Befähigung des Staates, seinen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen, sei es in Bildung und Kultur, sei es im Gesundheits- und Sozialwesen. Es gibt kein Anzeichen für ein Regierungsprogramm, das ohne Wiederbelebung der alten Illusion auskäme, die Arbeitslosigkeit entschieden verringern zu können. Denn es gibt kein Anzeichen dafür, daß diese Regierung den Mut und die Kraft fände, das gesellschaftliche Grundproblem unserer Zeit komplex anzugehen.
Die andere große und gefährliche Illusion ist der Irrglaube, die Ablehnung oder Entwertung von Völkerrecht und internationalen Institutionen durch die US-Regierung unter Bush sei vorübergehend und der Konflikt über die Beteiligung an einem von den USA gewollten Krieg gegen den Irak ohne Veränderung von Grundpositionen beizulegen. Schon Frau Albright hatte sich öffentlich gefragt, wozu die USA das weltweit größte militärische Potential besäßen, wenn sie es nicht einsetzen wollten. Und als sie das dann im Kosovo taten, fanden Fischer und der damalige Herr Scharping rechtzeitig den Hufeisenplan, der die deutsche Beteiligung ermöglichte. Offenbar suchen Fischer und »that person« nun nach einem Al-Qaida-Saddam-Hussein-Papier, um Verteidigungsminister Rumsfeld recht zu geben mit seiner Vorhersage, daß nämlich im Moment ihres Losschlagens die USA genügend Verbündete haben würden.
Nun hat Bush das Ermächtigungsgesetz seines Kongresses, das es ihm erlaubt, auch ohne UNO oder Verbündete den Krieg gegen den Irak zu beginnen. Rumsfeld zumindest braucht diesen Krieg wirklich, um nämlich das Material zurückzuholen, das er als Nahostbeauftragter der damaligen US-Regierung an den Irak zur Nutzung gegen den Iran vermittelt hatte. Das hatte Saddam bekanntlich aber gar nichts genützt; seine militärische Kraft reichte, obwohl ihm die USA materielle und logistische und die Golfmonarchien finanzielle Unterstützung gewährten, nicht aus, den Iran zu besiegen: Der Waffenstillstand stellte die Lage wieder her, die vor Beginn des ersten Golfkriegs geherrscht hatte.
Trotz der dann folgenden weiteren Schwächung des Iraks durch das Scheitern des Kuwait-Abenteuers, den anschließenden »Wüstensturm«, die von UN-Kontrolleuren überwachte Vernichtung von Waffen und Waffenproduktionsstätten, die aufgezwungenen Im- und Exportbeschränkungen und die illegale Errichtung von Flugverbotszonen, in denen amerikanische und britische Flugzeuge nicht nur kontrollieren, sondern alle auch zivilen Flugeinrichtungen ständig bombardieren, und schließlich durch die faktische Abtrennung des kurdischen Nordens vom Irak wird uns Saddam nun als die Weltbedrohung Nummer eins dargestellt. Das aber war er noch nie.
Die USA sind gewiß seit langem nicht zurückhaltend bei der Formulierung ihrer nationalen Interessen und bei deren gewaltsamer Verwirklichung. Lehren, die sie aus dem Vietnam-Debakel ziehen mußten, zwangen sie allerdings, das des öfteren über Verbündete und mit Hilfe ihrer Geheimdienste zu tun, wie etwa 1973 in Chile.
Diese Zeit ist vorbei. Das Land, dessen militärische Befähigung nunmehr die aller Rangnächsten zusammengenommen übertrifft, gibt sich das Recht, Schurken zu benennen und ihnen, bevor sie Zeit hatten, so recht schurkisch zu werden, aufs Haupt zu schlagen. Und seine Regierung gibt sich das Recht, Gefolgschaftstreue einzufordern, und der sonst so gern zitierten »internationalen Gemeinschaft« gibt sie den Rat, ihr doch den Buckel hinunterzurutschen. Wenn nichts Übleres.
In diesem Denksystem ist das Ausscheren eines Verbündeten so schurkisch, wie es die anderen »Bösen« sind. Die neue alte deutsche Regierung wird nicht viel Zeit haben zu entscheiden, sich entweder den Kriegstreibern anzuschließen sowie sich scham- und würdelos zu unterwerfen oder eine nicht taktisch, sondern strategisch geführte Politik zur Stärkung internationaler und europäischer Strukturen zu initiieren und dafür Verbündete zu gewinnen. Wissend, daß der Gegner, dem man da gegenübersteht, die USA sind. Wissend aber auch, den Entscheidungen, die den Irak betreffen, werden andere folgen.
Das ölreiche Gebiet, um das es geht, reicht immerhin vom Süden der arabischen Halbinsel bis in die Kaukasusregion. Da steht noch manche »Neuordnung« an. Und andere Terroristenjäger wie Israels Sharon schaffen inzwischen im Windschatten der Irak-Hysterie ihre neue Realität, die Bantustanisierung Palästinas, die nach der Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt durch die USA ja auch noch des Kopfnickens der neuen deutschen Regierung bedarf.
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