Des Blättchens 5. Jahrgang (V), Berlin, 22. Juli 2002, Heft 15

Die Organisation verstößt ihre Gegner

von Wolfgang Sabath

Das muß doch auffallen: So wenig PDS war lange nicht. Und es scheint, daß ihr sogar die verläßlichen Gegner peu à peu abhanden kommen. Nein, natürlich soll hier nicht die Weise von »Viel Feind, viel Ehr …« intoniert werden, Bedeutsamkeit und Wichtigkeit einer politischen Organisation lassen sich nun wahrlich nicht an der Zahl ihrer Gegner (von den Feinden gar nicht zu reden …) ablesen. Aber als Indiz für Unbedeutsamkeit und für Unwichtigkeit könnte eine derartige Situation – wenn sie nur lange genug anhält – durchaus gelten. Und egal, wie taktisch und strategisch – also partei(en)mäßig – Berufs-PDSler in Vorständen und Fraktionen diese Erscheinung nach außen auch bewerten würden: Zufrieden könnten sie eigentlich nicht sein. Denn was gab es in den letzten Wochen schon zu vermelden? Ein bißchen PDS-Beschimpfe aus Bayern – man gewöhnt sich; dann noch ein bißchen Vera Lengsfeld im Bundestag – bei der Schloß-Debatte; und dann die nun schon seit Jahren immer pünktlich vor Wahlen routinemäßigen Auskünfte über den IM Gysi – das war’s auch schon.
Ach, ja, dann war noch ein wenig Angela Marquardt, wegen Stohsi, versteht sich. Doch auch die Entlarver sind inzwischen scheinbar einfallslos und nicht mehr das, was sie noch zu Zeiten des Joachim Gauck waren. Was in der Angelegenheit Marquardt dazu führte, daß die schnoddrigen Antworten, die sie in einem Interview mit der Berliner Zeitung gab, in ihrer Lächerlichkeit der Lächerlichkeit der Vorwürfe gegen sie in nichts nachstanden; das einzige, was uns der sogenannte »Fall Angela Marquardt« wieder »lernen« könnte, war, daß insbesondere bei Leuten, die sich immer besonders laut und moralisch und sehr prononciert in Stasi-Angelegenheiten aus PDS-eigenen Fenstern lehnen, Vorsicht geboten scheint – große Klappen haben manchmal Gründe …
Auch die Abgeordnete Pau war in der Presse, aber schon mehr im Neuen Deutschland als in parteifernen Publikationen. Die Abgeordnete Pau hatte – so war es in einer Eigenmeldung des Neuen Deutschland über ein Treffen mit der Berliner Jüdischen Gemeinde ausgewiesen und wir hatten es auch im vorigen Blättchen angemerkt – schlicht und ergreifend »Antisemitismus« und »Antizionismus« durcheinander gebracht. Leserbriefe ließen nicht lange auf sich warten, die Reaktion Petra Paus schon. Ihre späte Entgegnung – wer wird den Chefredakteur überzeugt haben, sie abzudrucken? – war eine von der unglaubwürdigen Sorte: Es sei die Redaktion gewesen, die die Begriffe verwechselt habe. Ach, Gottchen.
Wie auch immer: eigentlich alles nur PDS-internes Pillepalle. Mit Pillepalle verliert man keine Wahlen, mit Pillepalle gewinnt man keine – mit Pillepalle kommt man einfach kaum noch vor. Und das ist natürlich so gut wie nichtgewinnen (wobei ein Nichtgewinn nicht unbedingt ein Verlust bedeuten muß – aber das sind nun schon wieder dialektische Niederungen, die hier nicht durchwandert werden müssen …).
Hermann Rudolph merkte letztens im Tagesspiegel an, daß es um »die Wahlaussichten der PDS nicht gut« stehe. Sie liege bei den Umfragen immer dermaßen nahe »an der Fünf-Prozent-Grenze, dass sie nicht sicher sein kann, sie zu überwinden«. Und auch die neue Wahlkreiseinteilung in Berlin mache es zweifelhaft, »ob sie die drei Direkt-Mandate schafft«.
Kann alles sein. Doch wenn es die PDS nicht schaffen sollte, hätte das – der Allgemeinplatz sei mir verziehen – natürlich viele Gründe, die herauszufinden vieler Leute Profession ist. Zum Beispiel könnte ein Mißerfolg bedeuten, daß die Sozialisten nicht einmal mehr von ihren potentiellen Stammwählern angekreuzt wurden. Das wiederum könnte bedeuten, daß sich Führung und Mitgliedschaft voneinander emanzipiert haben. Die Mitglieder – die meisten einst politisch »SED-sozialisiert« – nehmen auch »der Sache wegen« nicht mehr alles kritiklos hin, was die Führung veranstaltet.
Es sind auch andere Ursachen denkbar. Aber für geradezu unschicklich halte ich es zum Beispiel, wenn Hermann Rudolph in die Klischeekiste greift und aus ihr die schon leicht abgegriffenen Versatzstücke »spröde Parteivorsitzende Zimmer« und »der glatte Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch« holt. Jetzt einmal davon abgesehen, daß Gregor Gysi seit Jahren von seinen Widerparts ständig – und das ist natürlich negativ gemeint – »Eloquenz« vorgeworfen wird: Wenn das in Deutschland wirklich wahlentscheidend sein sollte, ob jemand »spröde« oder »glatt ist, dann sollten wir den Laden eigentlich dichtmachen und uns begraben lassen. Wahrscheinlich stehen wir kurz davor. Wenn selbst seriöse Journalisten, solche, die ihre Arbeit gemeinhin ernstnehmen, dieses Spiel mitspielen und der Laufsteg-Demokratie ihren Tribut zollen, liegt ein derartiger Schluß doch nahe. Rudolph, setzen – fünf!
Alle Parteien beteiligen sich inzwischen an dem Öffentlichkeitsgetue, auch die PDS. Manchmal, wie schön, geniert sie sich allerdings noch (ein bißchen). Ich könnte mir denken, daß ein Grundstein für jene Schwierigkeiten, mit denen die PDS heute zu tun hat, schon gelegt wurde, als die erste Abgeordnete einen Termin beim Typberater machte und der erste Leitgenosse den Friseur wechselte – man wollte so werden, wie die anderen. Und nun haben sie nicht mal richtige Gegner mehr. Das kommt von sowas.