Des Blättchens 5. Jahrgang (V), Berlin, 10. Juni 2002, Heft 12

Chance für bunte Vögel?

von Wolfgang Sabath

Nachdem das engere Führungspersonal der PDS das Wahlergebnis von Sachsen-Anhalt zunächst durch eine gutlaunige Vorwärtsverteidigung schönzureden getrachtet hatte, kamen wenig später soziologische Erhebungen auf den Tisch, die alle diesbezüglichen PR-Bemühungen zunichte machten. Der Selbstbetrug, man habe bei den Sachsen-Anhaltischen Landtagswahlen sogar mit 0,9 Prozent zugelegt – und gehöre also nicht mit zu den Verlierern –, ließ sich nicht länger praktizieren. Die PDS hatte zirka 58000 Stimmen weniger erhalten, nicht zugelegt.
Bislang hatte sich die PDS fast immer auf die Traditionalisten unter ihren Wählern verlassen können, auf jene Leute, die in jahrzehntelanger Disziplin (»für die Sache«) geübt waren und die bisher wohl auch einen Besenstiel gewählt hätten, wenn auf ihm nur das Etikett »PDS« gestanden hätte. Doch auch damit ist es – wie die neue Studie ausweist – vorbei, selbst auf diese Klientel ist kein Verlaß mehr. Entweder weil sie immer kleiner wird, oder weil sie nicht mehr will. Da hilft auch keine fixe Bundesgeschäftsführung – oder wer auch immer veranlaßt haben mag, daß zum Beispiel den PDS-Landesverbänden einem Artikel zufolge nur eine gekürzte Fassung der soziologischen Studie zugestellt wurde. Und zwar – was für ein Zufall – um jene Passage gekürzt, in der es um Kompetenz und um den Bekanntheitsgrad der Kandidaten für die im Herbst drohende Bundestagswahl ging.
In meinem Berliner Wahlkreis zum Beispiel kandidiert eine junge Frau, deren Namen ich zuvor noch nie gehört hatte, die mir noch nie politisch in irgendeiner Weise aufgefallen war, weder durch Reden noch Artikel oder Aktionen. Und das mir, der ich mich für einen halbwegs informierten Menschen halte, weil ich – im Gegensatz zu den anderen fünf Mietparteien – immerhin eine Zeitung halte. Meinen Nachbarn ist das vermutlich alles ohnehin egal, da sie sowieso nicht wählen gehen werden.
Immerhin: Zwei Kandidaten von relativem Bekanntheitsgrad hat die PDS wieder aufgetrieben: Luc Jochimsen und Florian Havemann. Die beiden sind der letzte matte Abglanz jener nicht uninteressanten Idee aus den Anfangsjahren dieser Partei: Leute von »draußen« sollten eine Chance erhalten (»Offene Liste«). Und, wenn ich mich recht erinnere, das sollte nicht Kosmetik sein, und das sollte nicht nur Wählerstimmen bringen. Sondern die PDS wollte sich bewußt mit dieser Methode auch neuen, ihr bis dato einigermaßen fremden, Einflüssen aussetzen, die sie vielleicht nicht nur Mores lehren sollten, sondern durch die sie auch demokratische Verhaltensweisen (ein)üben könnte.
Doch davon ist schon lange nicht mehr die Rede, landesweit kroch alsbald wieder der alte »Wir sind doch hier unter uns Genossen«-Mief durch die Ritzen der neuen Tapeten. Da half auch nicht, daß die einstigen Kreisleitungen jetzt Kreisgeschäftsstellen hießen. Das half ebensowenig wie die Umwidmung von »Diplom-Gesellschafts-« zu »Politikwissenschaftlern«; nicht einmal die neuen Haarschnitte der Funktionäre und ihre laxer gewordenen Umgangsformen kamen gegen den Stallgeruch an. Man ist wieder unter sich. Selbstverständlich mit Ausnahmen.
In einem Interview, das kürzlich die Sächsische Zeitung mit Florian Havemann führte, wurde er gefragt, ob er seine Vorstellungen von Politik überhaupt in einer Partei umsetzen könne. Havemann: »Ich weiß es nicht. Es kann sich herausstellen, daß es nicht funktioniert. Entweder bin ich dann auch so ein Sch…politiker geworden, oder ich habe persönlich versagt.«
Es könnte aber nach Erfahrungen, die die PDS bisher mit Seiteneinsteigern gemacht hat, durchaus weniger an Florian Havemann liegen als an der Bereitschaft der alten Hasen, den Neuen mit all seinen Verrücktheiten – »er is ehm Künstler« – für die PDS-Politik produktiv zu machen. Das würde bedeuten, auch neue Akzente im Politikstil zu akzeptieren – womit nicht Trillerpfeifen, Luftballons und Kondome gemeint sind, auf denen PDS steht …
Als ich las, daß sich Havemann von der PDS hat ausgucken lassen, mußte ich an einen anderen, ähnlichen bunten Vogel denken, an einen Pfarrer, der in einer mittelgroßen DDR-Bezirksstadt 1989/90 der sozusagen »oberste Stasi-Auflöser« – und bei den Betroffenen entsprechend »beliebt« – gewesen war, dann erste real-parteipolitische Erfahrungen als Stadtverordneter des Neuen Forums erlitt, austrat und später glaubte, sich als parteiloser PDS-Abgeordneter einbringen zu können.
Doch der anfänglichen Begeisterung der Fraktions-Genossen über ihren Zugewinn folgte bald eine Art subtiler Ratlosigkeit. Der Pfarrer nämlich erwies sich zu oft als »politikunfähig«. Er hatte seine Kollegen zum Beispiel mit solchen absurden Vorschlägen erstaunt, erschreckt, verblüfft und belustigt (letzteres selbstredend hinter vorgehaltener Hand …), sich vor den Fraktionssitzungen ein Gedicht, ein Stück Prosa oder ein Musikstück anzuhören oder über ein Bild zu reden.
Ach, was mögen da die einstigen SED-Kader gedacht haben, als ihnen ihr neuer Kollege Pfarrer mit so einem Schnulli kam … Der Pfarrer ist inzwischen wieder dort, wo er hergekommen war: in der Diakonie.