Des Blättchens 4. Jahrgang (IV), Berlin, 28. Mai 2001, Heft 11

Renten und Renditen

von Arndt Hopfmann

Wenn da nicht der vom mecklenburg-vorpommerschen Landesvater Ringstorff provozierte Eklat gewesen wäre, die Zustimmung des Bundesrates zur rot-grünen Rentenreform wäre völlig unspektakulär über die Bühne gegangen. Der Ausstieg aus dem paritätisch finanzierten Rentenmodell, bei dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils die Hälfte in die Versicherung einzahlten, und der Einstieg in die »kapitalgedeckte Privatvorsorge« wurden nicht zuletzt durch die Stimmen jener Bundesländer möglich, in denen die CDU – die sich ansonsten in der Rentenfrage als die Anti-Riester-Partei der kleinen Leute zu profilieren versucht – mitregiert: Brandenburg und Berlin. Damit dürfte auch klar sein, daß es sich bei dem von Meyer und Merz bis Merkel lauthals verkündeten Zusicherungen, alles wieder rückgängig zu machen, wenn …, ja wenn man dazu bei der nächsten Bundestagswahl erwählt würde, um ein Placebo-Wahlversprechen handelt, das von vornherein dazu bestimmt ist, nach der Wahl vergessen zu werden. Aber diese Partei kann man in bezug auf die nächste Wahl im allgemeinen und in bezug auf die Rente im besonderen wahrscheinlich so und so vergessen.
Die letztendliche Zustimmung, zu der sich die Landesfürsten Diepgen und Stolpe möglichst medienwirksam langanhaltend durchgequält haben, wurde – wie in der Politik üblich – erkauft, in diesem Fall durch die Aussicht auf tausend neue Stellen in der Rentenverwaltungsbürokratie, die sich im Schatten der »Kanzler-Waschmaschine« demnächst niederlassen soll. Bundesweit dürfte der Rentencoup von Riester & Co. Aber noch weit mehr Finanzamtsarbeitsplätze schaffen. Da nämlich der Bundeszuschuß zur Privatrente über eine Art Steuerrückerstattungs- beziehungsweise -gutschriftverfahren ausgereicht werden soll, ist ab 2002 faktisch auch jeder Durchschnitts- oder Geringverdiener gezwungen, eine Steuererklärung abzugeben; und die will bearbeitet sein. Apropos Wenigerverdiener: Bekanntlich liegen die Löhne im Osten der Republik noch immer zirka zwanzig Prozent unter dem Westniveau. Daher wird das Rentenansparmodell, das auf Beitragssätzen beruht, die auf ein bis vier (ab 2008) Prozent des Bruttoeinkommens bezogen sind, auch dazu führen, daß der Ost-West-Unterschied zumindest in diesem Jahrhundert stabil reproduziert wird.
Den größten Boom aus der Einführung einer »neuen Säule im Rentensystem« erwartet, wie könnte es anders sein, jedoch das Banken- und Versicherungsunwesen. Denn hier geht es insbesondere langfristig nicht um Peanuts, sondern um richtig viel Geld, um Tausende von Milliarden Euro, die einkassiert, angelegt und verwaltet werden sollen. Das Dumme aus Sicht der Banken und Rentenfonds ist nur, daß die Versicherungen im Moment dabei sind, ihnen den Rang abzulaufen. In einem Zertifizierungskatalog hat nämlich die Regierung nicht nur allen, die am Rentengeschäft mitverdienen wollen, einen beispiellos hohen Grad an Transparenz in der Vertragsgestaltung und -abwicklung verordnet, sie beharrt auch darauf, daß die eingezahlten Beträge von den Geldinstituten garantiert werden müssen. Das heißt, wer, sagen wir, 30 000 Euro im Laufe seines 40jährigen Arbeitslebens eingezahlt hat, muß am Ende sicher sein können, daß er auch mindestens diese 30000 Euro – häppchenweise – wieder ausgezahlt bekommt. Und derartiges könnten hierzulande bisher bestenfalls Assekuranzen bieten. Aber eines ist gewiß, die »Produktentwickler« in der Geldverwertungswirtschaft brüten mit heißen Köpfen längst Tag und Nacht über allen nur möglichen Varianten, wie den regierungsoffiziellen Forderungen gerade noch so entsprochen werden kann und trotzdem ein »angemessener« Gewinn im Billionenspiel sichergestellt wird. Ob dies gelingt, erweist sich dann vor der Zertifizierungsstelle, die bundesamtlich dazu berufen ist festzustellen, ob das jeweils angebotene »Rentenanlageprodukt« die Kriterien für eine steuerliche Förderung erfüllt.
Soweit, so (un)sicher ist das mit der Privatrente nach Marktlage, denn eine »kapitalgedeckte Altersvorsorge« setzt zu allererst eines voraus – Kapitalverwertung nämlich. Das haben die privaten Banken und der ihnen nahestehende Bundesverband Deutscher Investmentgesellschaften schon mal klargestellt. Die heute beziehungsweise morgen einzuzahlenden Rentengroschen müssen also auf dem Kapitalmarkt nach Möglichkeit gewinnbringend angelegt werden, damit das mit der wundersamen Geldvermehrung für das Wohlbefinden im Ruhestand auch funktioniert. Das heißt aber nichts anderes, als daß vor allem für die kleinen Leute ein wichtiger Teil der Sicherung ihres Lebensniveaus im Alter vom Wohl und Wehe der – internationalen – Finanzmärkte abhängig werden wird. Wer also in die Funktionsweise dieser Märkte – zum Beispiel durch die Einführung der sogenannten Tobin-Steuer auf Spekulationsgeschäfte – einzugreifen beabsichtigt, der muß damit rechnen, daß ihm vorgehalten wird, er gefährde die Rendite des Rentenkapitals und sei deshalb Schuld an grassierender Altersarmut. Da beim Geld nicht nur die Gemütlichkeit aufhört, sondern demnächst auch Reformgelüste zum Erliegen gebracht werden, kann also die Devise in Zukunft nur lauten: Wer das Kapital bei seinen Geschäften stört und ihm an die Rendite will, der bedroht unsere Rente! – und da hört der Spaß nun wirklich auf!