Des Blättchens 3. Jahrgang (III), Berlin, 11. Dezember 2000, Heft 25

Passen Sie gut auf sich auf

von Eve Sorent

Wer sich etwas mehr als nur flüchtig mit diesem Problem beschäftigt, wird feststellen, daß es zu den wenigen Dingen zählt, aus denen er sich etwas macht. Zwar scheinen die spezifischen Probleme der Präimplantationsdiagnostik auf den ersten Blick nur sehr wenige von uns zu betreffen. Oder wollen Sie sich in den nächsten Monaten ein Retortenbaby einpflanzen lassen? Aber ob im Labor gezeugte Embryonen künftig besser vor erblich bedingten Krankheiten geschützt sein sollen als andere, »normale« Kinder, ist ja nur der Einstieg in das Thema. Seit einigen Monaten ist ein neuer, ziemlich nervöser Ton in die Diskussion um die Genforschung gekommen. Die Emotionen kochen hoch, obwohl die einschlägigen Kommentare krampfhaft rationalisiert werden. Wer bisher geglaubt hat, daß die Fähigkeit, Wissen zu erwerben und es gleichzeitig moralisch zu bewerten, Teil unserer natürlichen Ausstattung ist, kommt in Zweifel. Was ist geschehen?
Spätestens Craig Venter, der neue Star am Technologie-Himmel, hat neben dem Wettbewerb um schnellere Forschungsergebnisse auch einen anderen Aspekt in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt: deren Patentierung und Vermarktung. Der Forschungsunternehmer ist mit Berechnung und höchstem technischen Einsatz bei der Entzifferung des menschlichen Genoms an der staatlichen Konkurrenz vorbeigezogen. »Zeit ist Geld« lautet sein Motto, und offenbar hatte er – privat finanziert – die besseren Bedingungen. Doch was wird nun aus seinen Ergebnissen? Wer darf damit weiterarbeiten? Noch sind es nur Bausteine, die bei der Erklärung von Zusammenhängen – etwa der Entstehung von Krankheiten – dringend benötigt werden.
Wissenschaftstheoretikern war schon in den sechziger Jahren klar, daß sich die magische Kraft und die Faszination der Technik auf den Menschen wohl kaum erklären ließe ohne eine tiefe emotional-psychische Bindungskomponente. Anders ausgedrückt: Vertrauen wir nicht all zu gern auf die Illusion von einer stabilen, beherrschbaren Natur?
Das war schon mit der Atomkraft so, mit der Entwicklung von Chemiefasern und Penicillin. Mit der Gentechnologie verhält es sich scheinbar ähnlich, nur viel schlimmer. Weil wir mit ihr unmittelbar in unsere Zellstruktur und in das Allerheiligste, unser Erbgut, eingreifen lassen. Nicht ohne Bedenken freilich, zumal in Deutschland. Das nationalsozialistische Streben nach dem genetisch optimierten Herrenmenschen hat die Deutschen so traumatisiert, daß sie von Spielereien mit dem Erbgut lange nichts mehr wissen wollten. Nicht einmal zur Arzneimittelproduktion sollte gentechnisches Wissen genutzt werden. Deshalb verlor die Bundesrepublik in den achtziger Jahren viele Nachwuchswissenschaftler an die USA.
Nun hat sich der Trend umgekehrt. Forscher kommen zurück aus Amerika und gründen rund um das Max-Planck-Institut in München kleine Unternehmen der Genbranche. Bayer will gar die Bio-Technologie-Forschung aus Kalifornien zurück nach Hause holen – nach Wuppertal. Wissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn ließ eine Milliarde Mark aus der Versteigerung der Mobilfunk-Frequenzen für die Genforschung reservieren. Gentechnik in der Landwirtschaft avanciert zu des Kanzlers Chefsache. Aber Geld vom Staat und euphorisierte Anleger von Risikokapital sind nicht die Lösung, sondern zugleich das Problem. Nicht ohne Grund gilt es als größter Alptraum eines Unternehmens der Branche, mit Greenpeace im Nacken an der Wall Street einzuziehen. Angst vor Allergien, Verarmung der Natur oder vor ökologischen Schäden durch genmodifizierte Saaten sind nicht neu. Und wie sieht es mit der Bilanz aus Hoffnungen und Bedenken in der Medizin aus? Die Entschlüsselung der Erbinformationen soll die Ursachen vieler Krankheiten aufdecken, die heute noch die Menschheit geißeln.
Doch je größer die Zeitspanne zwischen dem Nachweis des Erregers einer schweren Krankheit und der Entwicklung einer wirksamen Arznei zur Bekämpfung dieser Krankheit ist, desto wichtiger sind verbindliche ethische Vereinbarungen, wie mit dem Wissen umgegangen werden soll. Wer will sein ganz persönliches Krebsrisiko schon in Zahlen vorgelegt bekommen, wenn die Chancen für die Heilung nur vage sind? Dürfen Versicherer in Zukunft Tests verlangen? Welche? Was ist mit Arbeitgebern? Diese Fragen mit Anstand zu beantworten, ist eine der drängendsten und zugleich wohl auch schwierigsten Aufgaben für die Politik. Das moralisch-ethische Grundproblem steht schon lange auf der Agenda. Hans Freyer hat es bereits 1955 in seiner Theorie des gegenwärtigen Zeitalters formuliert: »Der Mensch fragt nicht mehr das Mittel, ob es tauglich sei, sondern das Mittel fragt den Menschen, ob er es nicht einschalten wolle, da er es doch könne. Knöpfe, auf die man drücken kann, verführen. (…) Die Frage, ob der Mensch nicht eines Tages wollen wird, bloß weil er kann, ist nun erst gestellt; aber sie ist nun auch allen Ernstes gestellt.«
Wer achtet also darauf, was die Menschheit künftig wollen wird? Passen sie gut auf sich auf.