Des Blättchens 3. Jahrgang (III), Berlin, 24. Juli 2000, Heft 15

Kader-Tröge

von Frank Räther, Johannesburg

Bei den letzten Parlamentswahlen im vorigen Jahr hatte der Afrikanische Nationalkongreß (ANC) fast zwei Drittel aller Stimmen holen können. Nelson Mandela und sein Nachfolger, Präsident Thabo Mbeki, gelten in der Welt als sehr fähige Staatsmänner. Doch der so gesund scheinende Apfel wird innen immer mehr von Würmern zerfressen. »Der ANC fällt auseinander«, macht Popo Molefe die Warnlampen an. Das Führungsmitglied der Organisation, zugleich Provinzpremier von Nordwest, sieht Schlimmes auf den ANC zukommen: »Was die Apartheid nicht geschafft hatte, tun wir uns jetzt selber an.«
Ironischerweise ist es gerade die Stärke, die die Organisation schwach macht. Alle fähigen Funktionäre sind in den letzten sechs Jahren entweder in den Staatsapparat gegangen oder in die Wirtschaft. Endlich war die Macht erkämpft, die man nun ausüben will. Doch in vier der neun Provinzen sind heftige Führungskämpfe entbrannt, bei denen zum Teil die Zentrale intervenieren mußte, weil die Arbeit der Provinzregierungen fast völlig zum Erliegen kam. »Jeder von uns rangelt um irgendeine Führungsposition«, ärgert sich Molefe. Dabei aber werde diese Führung dann meist nicht zugunsten der Basis ausgeübt, sondern zur persönlichen Bereicherung. Es vergeht kaum eine Woche, da nicht irgendwo in Südafrika ein neuer Korruptionsfall aufgedeckt wird, in den hochrangige ANC-Kader verwickelt sind. Diese Tendenz zeigt sich auch in vielen Parteiprovinzführungen, klagt Molefe: »Wir erleben die Veruntreuung von Mitgliedsbeiträgen, den Mißbrauch von Mitteln und umfangreichen Diebstahl.«
Und während sich viele Funktionäre nur noch um sich selber kümmern, zerfällt die Basis. Im Freistaat halbierte sich die Mitgliederzahl innerhalb von zwei Jahren von 35000 auf 17000. Im Westkap ging sie um dreißig Prozent auf 50000 zurück. Dabei war dort ein Anstieg auf 100000 anvisiert worden, um die Kraft des ANC zu stärken, der sich im Provinzparlament des Westkap seit 1994 in der Opposition befindet. Es ist eine von nur zwei Provinzen, wo der ANC nicht die absolute Mehrheit bei den Wahlen erreichen konnte. »Unsere Organisation ist auf allen Ebenen schwach«,gesteht der regionale ANC-Sprecher Gert Witbooi ein. »Am schlimmsten aber ist es bei den Grundorganisationen.«
Voraussichtlich im November sollen in Südafrika Kommunalwahlen stattfinden – für die Mbeki-Getreuen zur Zeit ein Alptraum. Daher wurde auf einer Nationalkonferenz in der zweiten Juli-Woche die Schwäche des ANC in den Basisvertretungen in den Mittelpunkt der Krisendebatte gestellt. Aber dabei blieb es weitgehend bei Reden und plakativen Bekenntnissen zur Basis.
Doch die Organisation hat noch an einer zweiten Front zu kämpfen: die Gewerkschaften und die Kommunistische Partei, die mit dem ANC seit Jahrzehnten eng verbunden sind, knurren zunehmend lauter über den Wirtschaftskurs der Mbeki-Regierung. Seit 1994 sind nicht nur über 500000 Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft abgebaut worden, sondern auch der Staatsapparat wird von Mbeki abgespeckt. Zugleich achtet er darauf, daß die Lohnerhöhungen nicht sehr viel höher als die Inflationsrate liegen. Ergebnis: Immer weniger Südafrikaner finden einen Job und infolge weiterhin geringer Löhne kommt es nicht zu einer Verbesserung der Lebenslage. Die hat sich nur für die kleine Gruppe von vielleicht viertausend ANC-Kadern verbessert, die hohe und mittlere Positionen in der Verwaltung und der staatlichen Wirtschaft erlangten. Und so putzen nun auf der Straße arbeitslose ANC-Mitglieder die Mercedes- und BMW-Limousinen von aufgestiegenen ANC-Mitgliedern. »Das war es nicht, was wir mit dem Ende der Apartheid im Sinn hatten«, knurrt Gewerkschaftsgeneralsekretär Zwelinzima Vavi. Unsere Allianz, so warnt er, »geht auf eine Krise zu«.
Wie die ANC-Basis seien auch die Gewerkschaften unzufrieden, daß sie in politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen nicht von der Regierung konsultiert werden. Statt dessen machten sich Patronage und Karrierismus breit. Eine »neue bürokratische Bourgeoisie« sei entstanden, die sich vom Volk löse. Auch bei der Berufung von Ministern, Provinzpremiers oder Oberbürgermeistern der großen Metropole konsultiere sich der Präsident nicht mit den Gewerkschaften. »Die Beziehungen zwischen der Regierung und der Allianz sind auf gefährliche Weise undefiniert«, beklagt Vavi die Machtlosigkeit seines Gewerkschaftsbundes. Doch der ANC braucht die Organisationsmaschinerie der Gewerkschaft vor allem für die Mobilisierung der Wähler bei den Kommunalwahlen. Denn die eigenen Leute lösen sich zunehmend und wollen als unabhängige Gegenkandidaten zu den ANC-Leuten auftreten. Nordwest-Premier Popo Molefe sieht nur einen Weg für seine Organisation: »Der ANC muß an seine Wurzeln zurückkehren.«