Des Blättchens 3. Jahrgang (III), Berlin, 2. Mai 2000, Heft 9

Fünf Prozent plus

von Wolfgang Sabath

Von einer ihrer Wunschvorstellungen werden sich die PDS-Starter des Jahres 1989 wohl inzwischen verabschiedet haben: Daß es möglich sei, im derzeitigen deutschen Parteiensystem eine Partei zu etablieren, die »ganz anders« funktioniere, als man es bisher kannte. Und das liegt nicht nur daran, daß die aus der SED gekommenen Gründer überfordert waren, quasi nicht aus ihrer Haut konnten. Selbst wenn sich auf dem Sonderparteitag 1989 jene durchgesetzt hätten, die eine Neugründung befürworteten, die Lage wäre heute vermutlich nicht anders. Jedenfalls nicht im Prinzip.
Allerdings – wenn wir dieses eigentlich unproduktive Was-wäre-wenn noch einen Moment strapazieren wollen – wäre vorstellbar, daß es eine neue Partei nicht so schnell in die Parlamente geschafft hätte, und sie wäre somit auch nicht so schnell zu einem veritablen Arbeitgeber geworden. Die PDS-Beschäftigten und die von der und durch die PDS Existierenden sind natürlich die letzten, die einen existenzgefährdenden Streit mögen. Und so einen Satz, wie er vor etlichen Jahren von PDS-Vorständler André Brie kam – ich zitiere aus dem Gedächtnis–, es gebe Wichtigeres als die PDS, mögen sie schon gar nicht.
Nun also streiten sie sich, rechthaben ist auf einmal wieder unerhört wichtig. Und wieder einmal sollen uralte Rituale greifen. Doch die haben nichts mit PDS oder ihrer Vorgeschichte SED zu tun, auch wenn so manche PDS-Geschäftsstelle im Lande schon wieder diesen speziellen Mief aus Durchstellen, Mißtrauen gegenüber Außenstehenden und latenter Bescheidwisserei ausströmt, der einst in SED-Kreisleitungen waberte. Nein, die PDS ist nicht anders als andere Parteien geworden. Der Streit zeigt es. Da werden Interviews gegeben, da werden Interviews verweigert, da wird mit Halbsätzen hantiert, da wird ausgesprochen, da wird unausgesprochen, da wird wieder durchgestellt oder nicht, da wird in Zirkeln »vorgeklärt«.
Doch die Streitenden sitzen – ob sie es zugeben oder nicht – alle in einem Boot. Die Besatzung ist zwar nicht unbedingt eine Schicksals- oder gar Not-, aber immerhin doch eine Zweckgemeinschaft. Das wird schon an dem Namen deutlich, den das Boot trägt: »Fünf Prozent plus«. Gewiß, ein denkbar unpoetischer Name für so ein Wassergefährt, aber treffend wie selten einer in der sozialistischen Seefahrt.
Wie auch immer sich in den nächsten Wochen oder Monaten die Innenquerelen der PDS gestalten werden und unabhängig davon, ob noch medienträchtige Überraschungen ins Haus stehen oder nicht: Die PDSler werden sich mit Sicherheit zusammenraufen. Denn solange der Parteivorstand noch ein Büro mit Telefon und Faxgerät zur Verfügung stellt und die Zeitung Neues Deutschland ihre Leserbrief-Spalten, werden die Anhänger der Kommunistischen Plattform einen Teufel tun und die PDS verlassen. Die Spaltung der PDS und Neugründung einer Partei ist – da sind sich »beide Seiten« sehr einig – unzweckmäßig. Vornehmer ausgedrückt: Es wäre unpolitisch. So gesehen bleibt es also ziemlich gleich, wer in dem Streit recht bekommt. Zumal zur Zeit weder die einen noch die anderen und auch beide zusammen nicht schon bundespolitisch irgend etwas auszurichten vermögen. Alle tun nur so, als wären sie wichtig. Kurzum: viel Schmiere.
Die an der Inszenierung Beteiligten benehmen sich so, als handele es sich bei der PDS um ein unverzichtbares Konstrukt. Reden so, als sei Parteiendemokratie gottgewollt. Der einzige weit und breit, der sie letztens unbekümmert wieder einmal in Frage stellte, war der Theologe Wolfgang Ullmann, der in einem Interview mit dem Neuen Deutschland (15./16. April 2000) die Rolle der Parteien eine Anmaßung nannte. Weder die Meinung Wolfgang Ullmanns noch andere ähnliche Äußerungen werden die deutschen Parteien sonderlich irritieren. Auch die PDS wird sich weiterhin wie »eine normale Partei« benehmen wollen.
Und der Abgang Gregor Gysis bedeutet zweifelsohne einen Verlust. Auch für Leute, die mit der PDS nichts oder wenig am Hut haben. Pascale Hugues, Korrespondentin von Le Point, schrieb im Tagesspiegel: »Brillante Politiker wie Gysi werden automatisch verdächtigt als ›Clown‹, ›Schönredner‹, ›Narziß‹. Jetzt geht Gysi. Man wird zukünftig im Reichstag noch weniger zu lachen haben.«
Gysi hat sich nach dem Spektakelparteitag zu Münster in dutzenden Interviews erklärt. Immer wieder forderte er darin seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin vehement auf, endlich klar Schiff zu machen. Und er war in seiner Argumentation immer dermaßen überzeugend, daß die Interviewer glatt vergaßen, ihn zu fragen, warum er denn nicht, als er noch nicht Fraktions-Chef und heimlicher Parteivorsitzender auf Abruf war, öffentlich dergleichen praktiziert hat. Na, warum wohl – »Fünf Prozent plus«, was denn sonst.
Doch sollte sich die Mitgliedschaft der PDS auf das Szenario einlassen, demzufolge jetzt zwischen zwei Positionen zu entscheiden sei, würde sie die Chance vertun, dieser Republik eine wirklich neue Partei vorzuführen. Denn wenn jemand der Ansicht ist, Uwe Jens Heuer und Genossen hätten unrecht, muß das doch nicht bedeuten, Bisky-Gysi-Brie seien im Recht. Oder umgekehrt. Wer sich erst auf solcherart Zwickmühle einläßt, ist schon verloren. Nur wer sie ignoriert, gelangt zu neuen Ufern. Aber sicher ist auch das nicht. Und wer wird Deutscher Fußballmeister?