Friedenspreis
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ging in diesem Jahr an den Osteuropahistoriker Karl Schlögel.
Alexander Cammann, Die Zeit, merkte an: „Mit der Entscheidung für Schlögel waren im Vorfeld nicht alle glücklich, immerhin erhielt damit nach Serhij Zhadan 2022 und Anne Applebaum 2024 erneut ein Intellektueller den Preis, der seit 2022 laut und engagiert für die militärische Unterstützung der Ukraine plädiert hatte. Kann man damit Frieden stiften?“
Die Frage stellen heißt sie beantworten.
Und zwar umso mehr, als der Preisträger seine Dankesrede in der Frankfurter Paulskirche im Hinblick auf den Ukraine-Krieg mit den Worten ausklingen ließ – „vielleicht auch siegen lernen“.
Sehnt sich da einer nach einer Zukunft, deren Vergangenheit schon wiederholt in Untergängen endete? Eine Zukunft, zu deren Perspektive Christa Wolfs Kassandra einschränkte: „Wenn ihr aufhören könnt zu siegen, wird diese eure Stadt bestehen.“
Die Seherin bekannte allerdings zugleich: „Ich weiß von keinem Sieger, der es konnte.“
Noch ist die Frage des Wagenlenkers, mit dem Kassandra spricht, so offen wie aktuell: „So ist, wenn Sieg auf Sieg am Ende Untergang bedeutet, der Untergang in unsere Natur gelegt?“
Am falschen Ort zur falschen Zeit …
In einem Leserbrief, den Die Weltbühne in ihrer Ausgabe 38/1989 publizierte, hieß es, „daß viele Schriftsteller und Künstler der zwanziger und dreißiger Jahre von der Paneuropa-Idee des Grafen Richard N. Coudenhove-Kalergi fasziniert und angezogen waren. George B. Shaw, Albert Einstein, Richard Strauß, Gerhart Hauptmann, Heinrich und Thomas Mann u. a. m. gehörten zeitweilig zu den Anhängern jener utopischen Idee. Die SPD nahm 1925 – auf Initiative Rudolf Hilferdings – das Plädoyer für die ‚Bildung der Vereinigten Staaten von Europa‘ in ihr Heidelberger Parteiprogramm auf.
Klaus Mann äußerte sich distanziert. Er schrieb 1942: ‚Eine Zeitlang war ich stark beeindruckt und beeinflußt von dem zugleich logisch klaren und innig gläubigen Appell des Grafen Coudenhove-Kalergi. … Der kosmopolitische Edelmann – halb japanischer, halb gemischt europäischer Abstammung machte mit seinem schönen Gesicht und seinen exquisiten Manieren für die Idee der Rassenmischung Reklame. … Die paneuropäische Bewegung fand zunächst viel Anklang bei der intellektuellen Jugend. Erst später, als die Bankiers, Kardinäle und Industriellen den Grafen zu ihrem Schutzpatron machten, fingen seine liberalen Freunde an, mißtrauisch zu werden und sich allmählich von ihm zurückzuziehen.‘ (Klaus Mann, Der Wendepunkt, München 1976).
Der reaktionäre Inhalt der Ideenwelt Coudenhove-Kalergis und dessen Agieren in ständig exklusiver Umgebung veranlaßten Carl von Ossietzky in der Weltbühne vom 27. Mai 1930 unter der Überschrift ‚Coudenhove und Briand‘ zu der Bemerkung: ‚Coudenhove-Kalergi hat eine entwicklungsfähige Idee gehabt, und er hat sie ruiniert, indem er sie zu einer Angelegenheit der Salons werden ließ. Seine Anhängerschaft wirkt abschreckend und kompromittiert die Sache. Niemand kann leugnen, daß Coudenhove in seinen Anfängen ein echter und begeisterter Utopist gewesen ist, aber – o du mein Österreich! – in Wien werden Propheten nicht verbrannt, sondern eingeladen. Wären Herodes und Pilatus Österreicher gewesen, sie hätten den schicksalvollsten aller Utopisten einfach zur Jause gebeten und mit den weiblichen Familienmitgliedern bekannt gemacht und der Menschheit damit zweitausend Jahre Metaphysik erspart.‘“
Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten.
Der Leserbriefschreiber war Siegfried Schwarz, weiland Autor der Weltbühne und hauptberuflich Abteilungsleiter Westeuropa am Institut für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR (IPW).
Leider ist es der Redaktion nicht gelungen, Inhaber der Rechte an den Publikationen von Siegfried Schwarz ausfindig zu machen; wir bitten daher darum, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.
Der Beitrag Carl von Ossietzkys, aus dem im Leserbrief zitiert wird, erscheint uns auch heute noch höchst lesenswert – zum Volltext hier klicken [1].
Film ab
Das US-Frühwarnsystem zeigt eine einzelne Interkontinentalrakete an, die aus dem Pazifikraum auf die USA zufliegt. Ob sie atomar bewaffnet ist oder nicht, kann das System nicht ermitteln. Da der genaue Startpunkt nicht geortet werden kann, ist unklar, wer das Projektil abgeschossen hat. Nordkorea? Russland? Oder China? Der viel geschmähte Iran zumindest verfügt (noch) nicht über Raketen entsprechender Reichweite.
Aus Flugbahn und Geschwindigkeit lässt sich immerhin ermitteln, dass die Rakete in circa 20 Minuten in Chicago einschlagen könnte. Sollte sie atomar bewaffnet sein, hätte das bis zu 10 Millionen sofortige Todesopfer zur Folge und unzählige spätere.
Was tun? Wie reagieren? (Eine Evakuierung der Stadt ist wegen der Kürze der Zeit ausgeschlossen.) Gegen wen und in welchem Umfang atomar zurückschlagen?
Der Film bewegt sich mit atemloser Spannung ausschließlich auf der Ebene des mit dem Vorfall befassten militärischen Personals und der politischen Staatsführung, die sich vor eine Situation gestellt sieht, in der es keine richtige Entscheidung ohne katastrophale Konsequenzen mehr gibt …
Ein klassischer Hollywoodstreifen brächte trotzdem ein Happyend zustande. Doch Regisseurin Kathryn Bigelow dreht keine solchen Filme – siehe auch Blättchen 3/2013 [2].
„A House of Dynamite“, Regie: Kathryn Bigelow; derzeit in den Kinos und auf Netflix.
Die Dinosaurier
Wer sich heute noch an „Jubelperser“ erinnert, dürfte wohl über 70 sein. So wurden 1967 iranische Geheimdienstler genannt, die beim Besuch von Schah Reza Pahlavi und seiner Frau, der heute 87-jährigen Farah Diba, in Westberlin im öffentlichen Straßenland in demonstrativen Jubel ausbrachen, um den Protest junger Iraner gegen Pahlavis diktatorische Herrschaft und die Folterung politischer Gegner zu überdecken. Jener 2. Juni 1967 ging in die Geschichte ein, weil an diesem Tage der Demonstrant Benno Ohnesorg durch eine Polizeikugel ums Leben kam. Die „Jubelperser“ hatten zuvor demonstrierende Studenten mit Holzlatten und Steinen attackiert, ohne dass die Polizei eingriff. An den Westberliner Universitäten kam es in der Folge zu politischen Auseinandersetzungen, die in die Studentenbewegung der 68er mündeten.
Die 1982 in Köln als Kind iranischer Aktivisten geborene Literaturwissenschaftlerin, Übersetzerin und Autorin Maryam Aras sah ihren Vater eines Tages in einem Filmschnipsel während einer Protestveranstaltung an der FU Berlin. Der Vater drehte sich schnell weg, um nicht von der Kamera erfasst zu werden. Von dieser Vergangenheit wurde Maryam Aras erstmals eingeholt. Ihr Vater war ein „Dinosaurier“ der damaligen Befreiungsbewegung gegen das Schah-Regime und für die Entrechteten und Unterdrückten. Darum gab die Feuilletonistin ihrem ersten, essayartigen Buch, für das ihr kürzlich im Berliner Theater im Palais der mit 5000 Euro dotierte Kurt-Tucholsky-Preis verliehen wurde, den Titel „Dinosaurierkind“.
Auch ihr Vater Kamal Aras, dem dieses Buch wesentlich mitzuverdanken ist, nahm an der Veranstaltung teil. Maryam Aras zitiert ihn in kleinen Einsprengseln und sagt über ihren Vater, seine politische Lebensphilosophie sei die „einer radikalen Freiheit des Individuums“ und der „politischen und sozialen Egalität“.
In der Begründung der Jury, die die Publizistin Jeannette Oholi vortrug, heißt es unter anderem: „Aras dröselt Klischeebilder der 68er als weiß-deutscher Studierendenbewegung auf, indem sie die Arbeit der Conföderation Iranischer Studenten, aber etwa auch die der Generalunion Palästinensischer Studenten, ins deutsche Gedächtnis einschreibt. So verweist Dinosaurierkind – mal ausdrücklich, mal implizit – auch immer wieder auf unser Heute in Deutschland.“ Es entstehe „auch auf formaler Ebene ein vielschichtiger Text, der nicht nur über die vorangegangene Generation schreibt, sondern Austausch sucht“.
Maryam Aras: Dinosaurierkind, Classen Verlag, Berlin 2025, 192 Seiten, 22,00 Euro.
Demokratie & Mehrheit
Sind Sie eigentlich auch der Propaganda-Ente aufgesessen, in der Demokratie entscheide die Mehrheit? Dann müssen Sie nicht mit sich hadern, denn dieselbe wird uns ja durch Politik, Journaille und andere medialen Verstärker gebetsmühlenartig immer wieder oktroyiert. Erst kürzlich erneut aus Hamburg und München.
In Hamburg gab es einen Volksentscheid, ob die Stadt bis 2040 – quasi im gestreckten Galopp – klimaneutral werden soll. Die Fridays-for-Future-Frontfrau Luisa Neubauer frohlockte: „Wir haben Geschichte geschrieben, eine Mehrheit der Hamburger:innen hat beim Volksentscheid für ein neues Klimagesetz gestimmt.“
Eine „Mehrheit der Hamburger:innen“?
Von 1,3 Millionen Wahlberechtigten waren 56,4 Prozent ganz zu Hause geblieben, und von denen, die an die Urne traten, stimmten 46,8 Prozent mit Nein. Nach Adam Ries waren somit lediglich 390.000 Wahlberechtigte für das Gesetz, also 30 Prozent aller Wahlberechtigten. Das zu einer historischen Mehrheit hochzujazzen offenbart ein zumindest fragwürdiges Demokratieverständnis.
In München waren gar 58 Prozent der 1,1 Millionen Wahlberechtigten der Abstimmung fern geblieben, als es darum ging, ob die Stadt sich erneut um die Olympischen Spiele bewerben sollte. Knapp 307.000 Ja-Stimmen wurden ausgezählt, was lediglich 27,9 Prozent aller Wahlberechtigten entspricht. Trotzdem verkündete Bayerns Ministerpräsident: „Ja zu Olympia! München [offenbar gleich die Stadt – am] stimmt für Olympia – und das ist […] ein eindeutiges Votum.“
Ist Demokratie also nicht vielmehr eine Veranstaltung, an der die Mehrheit im Falle des Falles erst gar nicht teilnimmt und daher Minderheiten bestimmen, wo’s lang geht?
Was die desinteressierte, uninformierte, träge Mehrheit sich damit allerdings unter Umständen einhandelt, macht wiederum Hamburg exemplarisch deutlich: Allein durch die nun zu vollziehende Abkehr von fossilen Energieträgern wird zum Beispiel für die städtische Saga – mit 140.000 Wohnungen das größte Immobilienunternehmen der Stadt – mit notwendigen Investitionen von 1,5 Milliarden Euro gerechnet. Experten prognostizieren, dass die Miete für eine durchschnittliche Wohnung um 350 Euro im Monat steigen könnte. Sozialverträglich buchstabiert sich anders.
„Entarteter“ Corinth
Zum 100. Todestag ehrt die Alte Nationalgalerie den deutschen Impressionisten Lovis Corinth. Neben dem umfangreichen Bestand seiner Bilder wird auch die kleinere Sammlung an Werken seiner Ehefrau Charlotte Berend-Corinth präsentiert.
Lovis Corinth starb 1925 und sollte den Faschismus und dessen Umgang mit seinem Werk nicht mehr erleben.
Die jetzige Ausstellung dokumentiert die Wege der Bilder in die Nationalgalerie und aus ihr heraus. Der zentrale Bezugspunkt ist die faschistische Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ 1937. Der Begriff „entartet“ wurde willkürlich auf Werke angewendet, die nicht der NS-Ideologie entsprachen. Am Frühwerk Corinths hatte das NS-Regime nichts auszusetzen. Doch spätere, stark expressive Werke wurden als „entartet“ diffamiert. 1937 wurden insgesamt 359 Bilder des Künstlers in deutschen Museen beschlagnahmt – mit zwölf Gemälden auch ein großer Teil der Sammlung der Nationalgalerie. Darunter Familie Rumpf; dieses Bild wurde jedoch 1939 zurückgegeben. Werke von Charlotte Berend-Corinth verblieben im Museum, ihr Gemälde Toledo jedoch wurde ebenfalls als „Verfalls- und Judenkunst“ eingestuft und durfte nicht gezeigt werden.
Neun Gemälde von Corinth aus der Nationalgalerie kehrten nach 1945 nicht zurück. Zwei dieser Werke gelten als Kriegsverluste und sind seither verschollen. Sieben Werke wurden während der Zeit des Faschismus verkauft und befinden sich wie Ecce Homo heute in internationalen Museen oder wie Kind im Bett in Privatbesitz.
Nach der Gründung von BRD und DDR 1949 blieb die Lage im „Kalten Krieg“ schwierig. Die Nationalgalerie befand sich im von der Sowjetunion kontrollierten Ostsektor Berlins. Zwar kehrten die drei ausgelagerten Gemälde von Charlotte Berend-Corinth dorthin zurück, doch sieben Werke von Lovis Corinth befanden sich im Westteil Berlins. Um die Verluste auszugleichen, wurde im Osten unter anderen 1952 Frau mit Rosenhut, eine Darstellung der Gattin des Künstlers, erworben, im Westen kam 1955 Die Schloßfreiheit in Berlin hinzu. Erst 1982 gelangte ein Gemälde von Charlotte Berend-Corinth als Schenkung ihres Sohnes nach West-Berlin.
Nur in Einzelfällen war es in den Nachkriegsjahrzehnten gelungen, die während des Faschismus verlorenen Bilder zurückzukaufen. So konnte Corinths Walchensee mit Lärche 1960 für die West-Berliner Nationalgalerie zurückerworben werden. Nach der deutschen Vereinigung fanden zwei weitere seiner Werke den Weg in die Sammlung der Nationalgalerie, darunter 2013 als jüngster Zugang die Schenkung Der Friseur.
Die Gemälde von Lovis Corinth sind heute auf Alte und Neue Nationalgalerie verteilt, diejenigen von Charlotte Berend-Corinth befinden sich in der Neuen Nationalgalerie.
„IM VISIER! Lovis Corinth, die Nationalgalerie und die Aktion ‚Entartete Kunst‘“, Alte Nationalgalerie, Museumsinsel Berlin, Dienstag bis Sonntag, 10:00 – 18:00 Uhr, montags geschlossen; verlängert bis 25.01.2026.
Wieviel Urlaub(er) verträgt ein „Paradies“?
Vordergründig hat Sandra Aslund einen Krimi geschrieben. Aber anhand des Ortes – eine abgelegene Insel in Schweden, die nur per Boot erreichbar ist – werden sowohl das Verhältnis von Insulanern und Urlaubern als auch landläufige Vorstellungen von Urlaub thematisiert. Denn auf der Insel gibt es weder Läden, noch Lokale und schon gar kein Fernsehen. Nach Meinung der Insulaner soll dies auch so bleiben. Einer will allerdings ein Ferienparadies aufbauen. Das sorgt nicht nur für Zoff zwischen den Insulanern, schließlich sind die Urlauber die entscheidende Einnahmequelle, sondern eben auch zwischen jenen Urlaubern, die dieses „Paradies“, so wie es ist, behalten und denen, die Neuerungen wollen. Sandra Aslund versteht es hervorragend, den Spagat der Insulaner zwischen dem Wunsch nach Einnahmen durch Gäste und dem gleichzeitigen Wunsch nach Ruhe und Erhalt der Natur darzustellen.
Angesichts der Protestaktionen von Einheimischen auf Mallorca, in Venedig und einer Reihe weiterer Urlaubsdestinationen wird also ein höchst aktuelles Thema behandelt.
Ansonsten geht es um den zweiten Fall für die Kriminalinspektorin Maya Topelius. Der erste spielte im kalten Winter Nordschwedens. Diesmal ist Sommer und eigentlich möchte Maya sich Erholung auf einer Schäreninsel gönnen. Dazu will sie an einem Yoga-Retreat ihrer Freundin Emely teilnehmen. Schon am ersten Abend kommt es jedoch beim traditionellen schwedischen Mittsommerfest zu einem Streit, und am nächsten Morgen wird der erste Mord entdeckt. Da die Polizei die Insel abriegelt und zugleich ein Unwetter heraufzieht, kippt die Stimmung nicht nur unter den Teilnehmenden des Retreats. Diverse Liebesverstrickungen und Eifersüchteleien fehlen ebenso wenig wie authentische Beschreibungen des Lebens auf einer abgeschiedenen Insel ohne das übliche Urlaubsschickimicki.
Sandra Aslund: Still ist die Nacht (ein Fall für Maya Topelius 2), Sprecherin: Heike Warmuth, Verlag: Hörbuch, Hamburg 2024, 618 Minuten, 20,95 Euro.
Bis in die tiefsten Sümpfe des Mississippi
Die Bluesrock-Ikone Muddy Waters hat nicht nur musikalisch stilbildenden Einfluss auf die Nachwelt genommen. Spuren finden sich auch in textlicher Hinsicht. Die Rolling Stones sollen sich beispielsweise nach einer Textzeile aus seinem Lied „Mannish Boy“ benannt haben. Und 2006 formierte sich in Bayern ein musikalisches Trio, das seitdem unter dem ironisch-frechen Namen „Muddy What?“ firmiert.
Sie sind sehr häufig auf Konzert-Tourneen unterwegs, nicht nur in deutschen Landen. So wurde im schwedischen Malmö an zwei Abenden das Album „Live at Victoria Teatern“ eingespielt.
Auf knapp achtzig Minuten findet sich eine beeindruckende Sammlung an Eigenkompositionen wie auch an Interpretationen anderer Musiker. Doch sind diese Neueinspielungen beileibe kein billiger Abklatsch, sondern durchaus kreativ vorgetragene Versionen. Dies trifft beispielsweise auf die beiden Rolling Stones- Klassiker „Honky Tonk Women“ und „Shine a Light“ zu.
Doch auch die eigenen Songs brauchen sich nicht zu verstecken. Bestechend ist die Dramaturgie des Openers „Gone from Mississippi“, ein neunminütiger Song, der fast elegisch beginnt, bevor er musikalisch Fahrt aufnimmt und in die tiefsten Mississippi-Sümpfe führt. Ein weiteres Highlight ist sicherlich „Bassman“, bei dem natürlich der E-Bass von Michi Lang im Vordergrund steht.
Namentlich sollen an dieser Stelle auch die beiden anderen Musiker genannt werden, die Geschwister Ina (Gitarre, Mandoline) und Fabian Spang (Gesang, Gitarre).
„Muddy What?“ ist ohne Frage ein spielfreudiges und virtuoses Trio, das den Bluesrock klassischer Prägung mit neuen Akzenten veredelt.
Muddy What?: „Live at Victoria Teatern“, DoCD, Label: Howlin’ Who Records, 2025, 20,90 Euro.
Rönschens Retour- und andere Kutschen
Schuldzuweisungen
Wenn zwei Hunde nicht zueinander passen,
dann liegt das an den Rassen.
Wenn Regentropfen durch Dachpappe pissen,
dann liegt das an den Rissen.
Sind Pferdewetter ohnmächtig verdrossen,
dann liegt das an den Rossen.
Gibt es Verspätung bei Bahnen und Bussen,
dann liegt das an den Russen.
Virtuelles Regieren mit Dualpersonen
Seit einiger Zeit ist in Berlin hinter vorgehaltener Hand davon die Rede, die kleine „große“ Koalition habe sich auf „virtuelles Regieren“ verlegt. Das heißt vereinfacht, man regiert in Wirklichkeit nicht, tut aber so. Wichtigstes Instrument dafür ist die virtuelle Dualperson (VDP). Jeweils zwei Politiker aus den beiden regierenden Parteien bilden gemeinsam eine solche VDP und schließen damit persönliche Zerwürfnisse und Animositäten quasi via virtueller Synthese aus.
Den noch im Aufbau befindlichen Dualpersonenschutz überlistend, haben wir Kontakt mit der nunmehr als „Bundeskanzfinanzler“ agierenden VDP Merzbeil (in intimen Führungszirkeln auch Klingfried genannt) aufgenommen und gegen unser – mittels hinter dem Rücken gekreuzter Finger unmittelbar ins Unjustiziable expedierte – Versprechen, keine Details preiszugeben, ein Interview erhalten.
Frage: Herr Merzbeil, die Opposition und große Teile der Bevölkerung werfen der Regierung vor, mit ihrer Schuldenmacherei enteigne sie die Bürger und auch die Unternehmen auf dem Wege der Inflation.
Antwort: Das ist richtig. Hier zeigt sich wieder einmal, wie scharfsinnig unsere BürgerInnen sind. Ebendieser Scharfsinn wird zu klugen Lösungen führen.
Frage: Beispielsweise zu Neuwahlen? Fänden Sie die richtig?
Antwort: Da bin ich mit mir uneins. Unsere beiden Regierungsparteien würden doch wohl ihre Mehrheit verlieren. Mein älteres Ich stünde dann vor einem real schönen Lebensabend im Sauerland. Doch was sollte aus meinem jüngeren Ich werden? Dem fehlen noch etliche Jahre bis zur Rente, und was das Politikstudium wert war, sieht man ja.
Doch das Verfahren zum Generieren von VDPs scheint insgesamt noch nicht völlig ausgereift zu sein, denn unversehens zerfiel Klingfried in zwei wiederum überraschende Teile: Lars Merz und Friedrich Klingbeil. Die erklärten übereinstimmend, sich noch nie für Politik interessiert zu haben, sondern immer nur für Privatflugzeuge und Gitarren …
Neue Limericks (XIII)
Zugeflogen bei einer Reise durch Sachsen sowie im Brandenburgischen.
Ein Pfauenauge in Struppen,
das mochte sich gar nicht entpuppen.
Dem gefiel‘s im Kokon:
kein Asphalt, kein Beton!
Und ansonsten – keinen Bock, was zu wuppen.
Dem Dorforganisten von Maxen
war seine Orgel mitnichten gewachsen.
Ihren vier Manualen
bescherte er Qualen,
und die Pfeifen, die beschallten ganz Sachsen.
Ein Bauer aus Panschwitz-Kuckau,
der war von Montag bis Sonntag komplett blau.
Der Hof, der verdreckte,
das Vieh, das verreckte,
doch der Bauer, der fand Blausein ganz schau.
Für Peter F.
Ein Einhandsegler aus Schlegel,
der war ein ziemlicher Flegel.
Fuhr der wem vor den Bug,
war das längst nicht genug,
nein, der reffte dann auch noch die Segel.
Der Kantor im Örtchen Posada
spielte einst eine Bachsche Toccata.
Das gelang ihm famos,
er vergaß dabei bloß
sein Toupet, so saß er malad da.
Die Einwohnerschaft von Leuba
hatte Pech, denn dort gab es Reuba.
Jeden Hof, jedes Haus
raubten die aus,
diese elenden Reuba von Leuba.
Eine Putzfrau aus Hohenwutzen
hasste nichts so sehr wie das Putzen.
Auf ihrem Feudeln und Fegen
lag ein Fluch und kein Segen.
Statt Putzen war das mehr ein Beschmutzen.
Ein paar Freizeit-Kicker aus Golzen
liebten nicht nur das tägliche Bolzen,
den Schuss auf das Tor
und das Dribbling davor,
nein, die taten auch fürchterlich holzen.
Eine begnadete Dirne aus Köthen,
die pflegte sich oft zu verspöten,
denn sie hastete nicht,
sondern tat ihre Pflicht,
hatte sie einen erstmal bei den … äh … in ihrem Zimmer.
Aus anderen Quellen
Russlands Botschafter Sergej Netschajew nahm auf Einladung von Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) Anfang Oktober an der Eröffnung einer Ausstellung im Potsdamer Landtag teil. Empfangen wurde mit herzlichem Applaus, worauf er sich, so seine Worte, „unter Freunden“ fühlte. Maritta Tkalec analysiert mögliche Gründe dafür. Unter anderem: „[…] der Westen hat mit der NATO-Osterweiterung ohne Rücksicht auf russische Sicherheitsinteressen und gegen alle Warnungen seine Einflusszone immer näher an die russische Grenze verschoben. Eine Ukraine als Mitglied der NATO […] ist für Moskau eine inakzeptable Zumutung; das ist in Russland mehrheitsfähig.“ Tkalec weiter: „Doch rechtfertigt das Vorrücken des Westens in keiner Weise den russischen Überfall auf die ukrainischen Nachbarn.“ Daher: Den russischen „Repräsentanten in Deutschland […] als Freund umhalsen […] Das geht zu weit.“
Maritta Tkalec: Nicht mein Freund, Berliner Zeitung, 21.10.2025. Zum Volltext hier klicken. [3]
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„Die EU-Kommission“, so Wolfgang Richter, „scheint hinter einer Reihe von Luftzwischenfällen, die weitgehend ungeklärt sind, einen Zusammenhang und einen russischen Masterplan zu vermuten. Dafür gibt es keine hinreichenden Belege. […] Angesichts der Bindung der russischen Truppen in der Ukraine und der konventionellen Überlegenheit der NATO widerspräche ein solches Vorhaben dem russischen Sicherheitsinteresse. In dieser Lage den Westen zu „testen“ und gegebenenfalls einen für Russland existenzgefährdenden zusätzlichen Konflikt heraufbeschwören, wäre ein unsinniges Unterfangen. Auch die Annahme, dass Luftzwischenfälle ‚Europa spalten‘ könnten, entbehrt jeder Logik. Vielmehr hat die Luftverteidigung der NATO – die EU hat hier weder Zuständigkeit noch Fähigkeit – ihre Zuverlässigkeit und Reaktionsbereitschaft demonstriert und angemessen reagiert.“
Wird Russland uns angreifen oder sind wir schon „im Krieg“, MAKROSKOP. Magazin für Wirtschaftspolitik, 15.10.2025. Zum Volltext hier klicken. [4]
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„Wenn Donald Trump – der in der Vergangenheit bereits mehrere 180-Grad-Wenden bezüglich seiner Unterstützung für die Ukraine vollzogen hat – nun tatsächlich weitreichende Waffensysteme wie Tomahawk-Raketen liefern lassen sollte, stellen sich strategische Fragen“, erklärt Johannes Varwick: „Wird es Russland wirklich zum Einlenken bewegen? Oder verschafft es der Ukraine nur kurzfristige taktische Vorteile – mit dem Risiko, dass der Krieg eine neue Eskalationsstufe erreicht und russische Reaktionen provoziert, die sowohl der Ukraine schaden als auch einen direkten Konflikt zwischen Russland und der NATO wahrscheinlicher machen?“
Johannes Varwick: Staatskunst statt Raketen, ipg-journal.de, 20.10.2025. Zum Volltext hier klicken. [5]
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„Der US-Physiker Theodore Postol warnte bei einer Veranstaltung in Berlin nachdrücklich vor den Plänen zur Stationierung mobiler US-Raketen in Deutschland im Jahr 2026“, berichtet Éva Péli. Das beträfe insbesondere „Dark Eagle“-Hyperschallwaffen. Postol sähe „darin eine existenzielle Gefahr, da diese Maßnahme die Bedingungen wiederherstelle, die 1983 während des NATO-Kriegsspiels ‚Able Archer 83‘ beinahe zu einem globalen Atomkrieg geführt hätten.“
Éva Péli: Brisante Stationierungspläne – US-Physiker Theodore Postol warnt vor Deutschlands Rolle als „Zündpunkt“ für den Atomkrieg, nachdenkseiten.de, 19.10.2025. Zum Volltext hier klicken. [6]
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Leo Ensel publiziert bei Globalbridge ein „Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit“; bis zum 21.10.2025 waren bereits 14 Folgen erschienen. In der 13. heißt es unter „lehrreiches Testgebiet“: „‚Die Ukraine ist für die Vertreter deutscher Rüstungsunternehmen – Hersteller von Luftabwehrsystemen, Artillerie, Drohnen – zu einem lukrativen Geschäfts- und lehrreichen Testgebiet geworden.‘ Plauderte Deutschlandfunk-Journalist Stefan Detjen am 1. Juli 2025 angesichts des Besuchs von Außenminister Wadephul und namhafter deutscher Rüstungsvertreter in Kiew dankenswerterweise aus dem Nähkästchen. ‚Ich glaub, man ist am Puls der Zeit‘, lässt Detjen Sven Kruck […] von Quantum Systems ins Mikrophon sprechen. Der bayerische Drohnenentwickler verfügt bereits über drei Produktionsplätze in der Ukraine. Ein weiterer soll bald hinzukommen.“ – Am Ende jeder Folge: Links zu allen vorangegangenen Teilen.
Leo Ensel: Das Wörterbuch der Kriegstüchtigkeit (XIV), globalbridge.ch, 21.10.2025. Zum Volltext hier klicken. [7]
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Beim diesjährigen Waldaj-Forum warf Russlands Präsident Wladimir Putin einen Blick zurück: „Ich erlaube mir hier einen kurzen historischen Exkurs. In dem Bestreben, die Gründe für eine Blockkonfrontation zu beseitigen und eine gemeinsame Zone der Sicherheit zu schaffen, hat unser Land zweimal seine Bereitschaft erklärt, der NATO beizutreten. Das erste Mal geschah das 1954, zu Zeiten der UdSSR. Das zweite Mal während des Besuchs von US-Präsident CLINTON in Moskau im Jahr 2000, als wir auch mit ihm über dieses Thema gesprochen haben. Und beide Male erhielten wir praktisch von Anfang an eine Ablehnung.“
„Waldaj-Diskussionsclub“ Forum 2025 – Podium mit dem Präsidenten der RF, DGKSP-Diskussionspapiere 47.1. Zum Volltext hier klicken. [8]
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„Während Mali, Burkina Faso und Niger“, schreibt Fanny Pigeaud, „mit Frankreich gebrochen haben – Soldaten, Diplomaten und Journalisten wurden ausgewiesen – und Senegal auf Distanz geht, unterhält Côte d’Ivoire weiterhin enge Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht. […] In Abidjan, der Wirtschaftsmetropole des Landes, sind französische Handelsketten wie Auchan, Carrefour und Décathlon präsent, der Bouygues-Konzern baut dort die erste U-Bahn-Linie der Küstenstadt. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1960 waren französische Unternehmen noch nie so stark im Land vertreten wie heute […].“
Fanny Pigeaud: Côte d’Ivoire – Frankreichs letzte Bastion in Afrika, Le Monde diplomatique, 09.10.2025. Zum Volltext hier klicken. [9]
Letzte Meldung
Wegen der seit Wochen andauernden Haushaltssperre in den USA befinden sich zig-Tausende US-Staatsangestellte im Zwangsurlaub. Das betrifft auch die National Nuclear Security Administration (NNSA), die 1400 Mitarbeiter, den Großteil ihrer Beschäftigten, informiert hat, dass sie ohne Gehaltsfortzahlung pausieren müssten (Stand: 28.10.2025).
Aufgabe der NNSA ist es, für die Sicherheit und Wirksamkeit des US-Atomwaffenarsenals zu sorgen. Zudem reagiert die Behörde auf Notfälle in den USA wie im Ausland.
Nach Schätzungen von Experten des Bulletin of the Atomic Scientists verfügen die USA über insgesamt 5177 Atomsprengköpfe.