Am 7. September 1905, also bei Erscheinen dieser Sonderausgabe vor ziemlich genau 120 Jahren, erschien die erste Nummer von Siegfried Jacobsohns Schaubühne.
Seine Intention hatte der Gründer und Herausgeber in einem Geleitwort niedergelegt, dem er folgendes Zitat von Friedrich Schiller voranstellte:
„So gewiß sichtbare Darstellung mächtiger wirkt
als toter Buchstabe und kalte Erzählung,
so gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Gesetze.“
Das Geleitwort selbst hatte folgenden Wortlaut:
„So lange das Gefühl nicht ganz erstorben ist, daß der Geist eines Volkes und einer bestimmten Zeit eindringlicher als in der übrigen Literatur im Drama zum Ausdruck kommt, so lange wird immer von neuem der Wunsch lebendig werden, daß der Schaubühne ein Strom künstlerischer und geistiger Neuwerte entquelle, da jetzt zumeist Geschäftsleute bemüht sind, dem Theater mit dem geringsten Einsatz an Geist den größten Gewinn zu entlocken.
Der Wunsch wird zur Aufgabe – zu der Aufgabe, das Theater wieder zur Würde eines Kunstinstitutes zu erheben. An dieser Aufgabe mitzuarbeiten, führend und unterrichtend, ist die vornehmste Pflicht dieser Wochenschrift: im engsten Zusammenhange mit dem Leben unserer Zeit, soweit die Kunst des Dramas in Wort und Ton es gestaltet, in ständiger Fühlung auch mit den mannigfaltigen praktischen Fragen der dramatischen Kunst wollen wir hier die Probleme und die Erzeugnisse des zeitlos Großen und Schönen würdigen und fördern.“
Aus Anlass des jetzigen Jubiläums hat die Redaktion Heidemarie Hecht angefragt, ob sie für die Leser des Blättchens skizzieren würde, auf welchem Wege aus dem Theaterblatt Schaubühne von 1905 bis 1918 Die Weltbühne (Wb), eine der wichtigsten links-bürgerlichen politischen Stimmen der späteren Weimarer Republik, wurde, und sie ist dieser Bitte freundlicherweise nachgekommen. Heidemarie Hecht war bis 1993 16 Jahre lang Redakteurin und Autorin der Weltbühne; Anfang der 1990er Jahre hat sie zum Thema „Von der ‚Schubühne‘ zur ‚Weltbühne‘. Der Entstehungsprozeß einer politischen Zeitschrift (1913 bis 19919)“ promoviert.
Die inhaltliche Umorientierung und thematische Erweiterung der Schaubühne, die der Umbenennung von 1918 vorausging, hatte übrigens mit Lion Feuchtwanger auch mindestens einen prominenten Ablehner. Feuchtwanger selbst äußerte dazu später: Es habe ihn überrascht, „als sich Jacobsohn […] entschloß, aus der ,Schaubühne‘ die ,Weltbühne‘ zu machen. Wir hatten einige ziemlich heftige mündliche und schriftliche Auseinandersetzungen. Ich hatte den leichtern Part. Ich konnte Jacobsohn seine eignen Argumente aus den frühern Jahren vorhalten: die Kritik an Dingen des Theaters sei zehnmal wirksamer als die Kritik der politischen Zustände; die Stärke der ‚Schaubühne‘ liege darin, daß sie sich aufs Theater beschränke. Jacobsohn erwiderte mit dem schönen Zitat, er sei keine von den Korkseelen, die immer auf der Oberfläche ihrer einmal vorgefaßten Meinung schwämmen. Der kleine, lebendige Mann war wirklich das Gegenteil eines Prinzipienreiters; hatte er eine These noch so leidenschaftlich verteidigt, einen erkannten Irrtum gab er rückhaltlos preis.“ (Weltbühne, 37/1930)
1933 von den Nazis und 1939, nach Kriegsbeginn, auch im französischen Exil verboten, befasste sich die Wb nach ihrem Wiederaufleben 1946 und in ihren DDR-Jahren immer mal wieder mit der Geschichte ihrer klassischen Vorgängerin sowie mit deren maßgeblichen Machern und Autoren, aber auch mit ihrer eigenen Zeit ab 1946. Weniges davon haben wir – teils im Wege des Reprints – bereits in Erinnerung gerufen – siehe Blättchen 2/2016 [1], 25/2018 [2] und 25/2023 [3].
Das nachfolgende Konvolut an Reprints ist – mit Ausnahme der beiden dem Wb-Jahrgang 1930 entnommenen Beiträge – ein durchaus unsystematisches, um nicht zu sagen willkürliches: Worauf wir beim Blättern in DDR-Jahrgängen der Weltbühne in jüngster Zeit so gestoßen sind. Mit der Einschränkung, dass uns ein Zugriff auf die meisten DDR-Jahrgänge leider nicht vergönnt war, lediglich auf jene von 1976 bis 1993*. Allerdings haben wir einige ältere Einzelhefte aus der Nachkriegs-Ära der Weltbühne ebenfalls im Archivbestand – darunter die Nr. 1 vom Juni 1946 und die Nr. 22 vom 31. Mai 1961, deren Banderole titelte: „1946-1961: 15 Jahre wieder Weltbühne“.
Wenn nicht anders ausgewiesen, ist es der Redaktion leider nicht gelungen, die Autoren der nachfolgenden Reprints oder Inhaber der Rechte an deren Wb-Publikationen ausfindig zu machen. Wir bitten daher darum, sich gegebenenfalls mit uns in Verbindung zu setzen.
Bei den Reprints wurde die Schreibweise der Originale beibehalten, nur orthographische und grammatikalische Unrichtigkeiten wurden korrigiert.
* – Zu verdanken ist diese Sonderausgabe in entscheidendem Maße jenem der früheren Weltbühne und dem Blättchen seit Jahrzehnten verbundenen Ehepaar aus Radeburg, das dem Redaktionsarchiv vor einiger Zeit die Jahrgänge 1976 bis 1993 der Weltbühne übereignet hat – buchbinderisch in Halbjahresbänden versammelt und somit sehr handlich.