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3.176 Beiträge im Forum

  1. Zu Ulrich Kaufmann „Erneut blickt Sigrid Damm zurück“: eine nette Rezension, bis auf diesen Absatz: „Manchen Leser mag es irritieren, dass die Autorin jetzt an sowjetische Kunstwerke erinnert, zu einer Zeit, da Putins Krieg den Ruf Russlands fundamental ruiniert.“ Mich irritiert es enorm, daß man im März 2023 noch immer diese sehr verkürzte Betrachtungsweise benutzen mag. Wir wissen mittlerweile Genügendes um den wirklichen Hergang der Geschehnisse über Jahrzehnte in und um die Ukraine, und daher finde ich es ärgerlich und grundsätzlich falsch, wenn auch heute noch einfach und endlos die Parolen des Mainstreams wiederholt werden. Im Gegenteil man sollte gerade in dem Minenfeld der Falschdarstellungen auf seine Formulierung achten: es ist nicht „Putins Krieg“ ( Putin, das oder der Böse, der satanisch wütet unter die Lämmer der Ukraine), und nicht dieser Krieg hat Russlands Ruf ruiniert, sondern das Ruinieren Russlands ist das besondere Anliegen des Westens, allen voran der Vereinigten Staaten. Und dann noch dies: lieber Herr Kaufmann, wieso könnte es mich irritieren wenn Sigrid Damm an sowjetische Kunstwerke erinnert? Ist allein das „Erinnern an“ schon eine Schande und Peinlichkeit wenn es etwas Russisches betrifft? Muß das unbedingt hinzugefügt werden, damit man nicht unversehens gesteinigt werden soll, weil man scheinbar etwas Positives zu Russland verlautbart hat? Dieser Absatz zeugt zu meinem Empfinden ( der ich von den Niederlanden aus, voller Bestürzung die politischen und gesellschaftlichen Irrungen und Wirrungen in Deutschland verfolge) von der Russophobie die jetzt unter Deutschen grassiert. Es ist unser moralischer Pflicht auf die Sprache zu achten und die dummen Verkürzungen der Politik und der Medien nicht weiter zu reichen. Und Mut zur freien Urteilsbildung zu haben und zu zeigen, gegenüber einer irregeleiteten Öffentlichkeit!

    • wolfgangbr sagt:

      Herr van Ommering, mit Verlaub, was Sie meinen und denken ist Ihre Sache. Schwierig wird es nur, wenn Sie erklären, ” Es ist unser moralischer Pflicht auf die Sprache zu achten”, Sie sich also selber zum Sittenrichter aufschwingen und gleichzeitig auf einen Autor eindreschen, der irgendwie eine andere Meinung hat als Sie. Sie wollen also den einen “Mainstream” durch einen anderen, Ihnen genehmeren ersetzen… Willkommen im Heiligen Officium!
      Gelinde gesagt, ich halte Ihren Beitrag für einen exzellenten Beleg für die aktuelle Verrohung der Diskurssitten.
      Wolfgang Brauer

    • Stephan Wohanka sagt:

      Herr Brauer mag sich an der „Verrohung der Diskursitten“ stören; mich (ver)stört der Inhalt der Suada des Herrn van Ommering. Putin, das Unschuldslamm – wenn schon von „Lämmern“ die Rede ist?
      Geht es um die Ukraine, zitiert Putin gern Iwan Iljins „0rganisches Modell“ russischer Staatlichkeit, wonach die Ukraine ein untrennbares Glied des jungfräulichen Körpers sei. Dieses Körpers haben sich „Nazis“ bemächtigt; oder wie ist es zu deuten, dass Putin davon spricht, die Ukraine von „Nazis“ befreien zu müssen? Dass sich (Neo)Nazis in der Ukraine tummeln, ist unbestritten und auch gut beschrieben. Auch, dass Stefan Bandera hochgehalten wird…. Jedoch auch Russland hat eine extrem gewaltbereite Neonaziszene. Gehetzt und Gewalt angewendet wird gegen alle, die nichtrussischer Herkunft sind, gegen Homosexuelle, Andersdenkende.
      Der Sieg über „Nazis“ oder „Faschisten“ war einer der wichtigsten Bezugspunkte sowjetischer Identität: Man war damals uneingeschränkt der Sieger und war zurecht stolz darauf. Heute reklamiert Russland diesen Sieg – den alle Sowjetvölker gemeinsam errangen – für sich und „formt“ ihn dergestalt um, dass eben wieder gegen „Nazis“ oder „Faschisten“ geht. Folgt man dem Historiker Timothy Snyder, so „beschreibt Putins Lieblingsautor Iwan Iljin eine verworrene und zerbrochene Welt, die Russland mit Gewalt heilen müsse, und zwar mithilfe eines starken Führers, der die Demokratie zum reinen Ritual macht. Das Projekt heißt: Die Welt ist nicht sie selbst, solange sie nicht russische Werte lebt“. Aber klar – der Westen will Russland ruinieren,
      Der Rückgriff auf die Geschichte ist Programm! Anläßlich der Eröffnung einer Ausstellung zum 350. Geburtstag Peters des Großen sagte Putin: „21 Jahre lange führte Peter der Große den Großen Nordischen Krieg gegen Schweden. Und auch wenn es so aussieht, als hätte er Schweden etwas weggenommen, hat er doch in Wahrheit nur zurückgeholt, was Russland gehörte. Offenbar ist es auch unser Los: zurückzuholen und das Land zu stärken. Wenn wir dies als Grundlage unsres Daseins akzeptieren, werden wir die vor uns liegenden Aufgaben lösen“. Die Liste der vielen bekannten und teils bizarren Rechtfertigungen, die Putin bisher für seinen Angriff auf die Ukraine gegeben hat, ist um eine Variante reicher: Es geht (auch) darum, Territorien „zurückzuholen“; welche noch? Könnten damit auch die nach des Zaren Sieg bei Poltawa 1709 gemachten Eroberungen im Baltikum und später auch Finnland gemeint sein? Wenn alle europäischen Länder mit derartigen „historischen“ Forderungen aufträten; der ganze Kontinent stünde in Flammen …
      Aus einem Krieg wird in russischer Lesart eine „Spezialoperation“, aus einer gewählten Regierung werden „faschistische Banden“ oder „vereinzelte Missgeburten“, so Dmitrij Medwedew. Der gleiche weiter:„Das ist der Weg für so eine Ukraine“, nämlich das Schicksal Nazideutschlands zu erleiden, was aber den Weg eröffne für „ein offenes Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok“. Medwedew wählt exakt die gleichen Worte des – man tritt ihm nicht zu nahe – faschistischen Philosophen Alexander Dugin, der schon lange ein „eurasisches Kontinental-Imperium“ unter Führung Russlands propagiert. Dugin wiederum fußt in seinem Denken auf dem russischen Hitler-Anhänger Iljin, der schon in den 30er-Jahren Ukraine nur in Anführungsstrichen schrieb. Aber nicht nur Dugin, Putin selbst bedient sich immer häufiger des Gedankenguts Iljins – siehe oben.
      Aber natürlich – der Westen ist schuld!

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Herr Wohanka bestätigt wieder einmal die Wahrnehmung von außen: der “politischen und gesellschaftlichen Irrungen und Wirrungen in Deutschland”. Herzlichen Glückwunsch!

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Ernst,

      ad 1: Ich kann als Deutscher auf Russland tatsächlich nur eine „Wahrnehmung von außen“ haben – wie übrigens quasi jede Person, die weder Russe noch russischer Staatsbürger ist und die auch etwas über Russland schriebe oder sagte.

      Ad 2: Wenn ich Iwan Iljin, Alexander Dugin, Dmitrij Medwedew und Putin himself zitiere, dann sind das offensichtlich Russen, ob sie nun noch leben oder schon gestorben sind. Ich hätte auch noch weitere russische Stimmen zitieren können… wie das zu „politischen und gesellschaftlichen Irrungen und Wirrungen in Deutschland“ führt, erschließt sich mir nicht.

      Stephan Wohanka

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Allerwertester Herr Wohanka,
      mein Zwischenruf bezog sich nicht auf Ihr Räsonieren in Bezug auf irgendwelche russischen Nationalgelehrten, sondern auf den Befund von Herrn van Gommering, dass man im Ausland “voller Bestürzung die politischen und gesellschaftlichen Irrungen und Wirrungen in Deutschland” verfolgt, die insgesamt in den politischen Debatten um sich greifen. Dazu sind Ihre Einlassungen exemplarische Bestätigung. Die Neue Zürcher Zeitung verwies neulich genüsslich auf den berühmten “Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland”, der im Jahre 1944 den britischen Soldaten in die Hand gegeben wurde, die damals in Deutschland kämpften und bald Besatzungssoldaten werden sollten. Darin heißt es, die “Mischung aus Sentimentalität und Gefühlskälte zeugt nicht von einem ausgewogenen Selbstbewusstsein. Die Deutschen haben ihre Gefühle nicht gut im Griff. Sie weisen einen hysterischen Charakter auf.”
      Alle Debatten gegenwärtig – ob es um den Ukraine-Krieg, Taurus-Raketen, Antisemitismus, den Gaza-Krieg oder den “Kampf gegen rechts” geht – sind hysterisch.
      Weiter frohes Schaffen!

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Ernst,
      wenn meine „Einlassungen“ in Ihrer Wahrnehmung für die hysterischen Debatten hierzulande stehen, dann nehme ich das so hin. Es ist so gut wie unmöglich, in derartigen Debatten auf einen Nenner zu kommen – es liegt im subjektiven, „metaphysischen“ Ermessen, welches wiederum durch die eigenen komplexen Lebensumstände und -geschichte determiniert ist, wie ein Mensch die Welt sieht, dann kann es prinzipiell keine einheitlichen, das heißt für alle Betrachter ein für allemal verbindliche Antworten, Bewertungen, Sichten sozialer und politischer Phänomene und namentlich historischer Abläufe, Geschehnisse, usw. geben. Diese Bewertung hängt immer von meiner Sicht auf diese Zusammenhänge ab – und die des anderen kann genauso „richtig“ sein wie die meinige; es gibt sozusagen viele gleichberechtigte Wahrnehmungen und eben keine „objektive“! In der Anerkenntnis dessen liegt ein entscheidender Ansatz für menschliche Toleranz.
      Beste Grüße
      Stephan Wohanka

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Mich würde interessieren, Herr Wohanka, in welche Aussage(n) des Textes von Godfried van Ommering, den Sie eine Suada nennen, Sie eine Rechtfertigung des putinschen Angriffskrieges hineininterpretieren können resp. wollen. Sie benutzen den Terminus „Lämmer“ aus seinem Text, um ihm zu unterstellen, er sehe Putin als ein Unschuldslamm, was keinem Satz oder auch nur Halbsatz eben dieses Textes zu entnehmen ist.
      Den Rest Ihres Textes widmen Sie, ohne auf Herrn van Ommering weiter einzugehen, dem durchaus gelungenen Versuch, Putins Rechtfertigung, er führe den Krieg gegen den Faschismus, zu widerlegen. Diese Rechtfertigung ist, Sie haben Recht und kein ernstzunehmender Diskutant bestreitet dies, absurd.
      Dennoch darf man erwähnen und in die Beurteilung der Gesamtsituation einbeziehen, was sich in den Jahren nach 1989/90 entwickelt hat, ein paar Stichworte:
      Ausdehnung der NATO entgegen eindeutiger, wenn auch nicht vertraglich fixierter Zusagen und Absprachen, Erweiterung der EU unter ähnlichen Vorzeichen, beides, so denke ich, aus russischer Sicht Vertrauensbrüche, die das damals ergrünende zarte Plänzchen gegenseitigen Vertrauens vertrockenen ließen. Militärische Aktivitäten wie beispielsweise der Aufbau eines „defensiven“ Raketenschutzschildes in Polen, wodurch konsequenterweise das westliche atomare Aggressionspotential an Relevanz gewann, trugen ebenfalls dazu bei, die damals erhoffte Errichtung eines gemeinsamen europäischen Hauses zu torpedieren.
      Auch vor einem Paktieren mit ukrainischen Faschisten schreckten die Vetreter des „Wertewestens“ nicht zurück, wenn es darum ging, den Einfluss Moskaus zu minimieren.
      Dieses gemeinsame europäische Haus war nicht gewünscht. Es ging den westlichen, transatlantischen, neoliberalen Eliten darum, den Sieg des kapitalistschen Systems zu perfektionieren und Russland zu isolieren, wenn nicht gar, wie die Praktikantin im Auswärtigen Amt und Vertreterin besagter Eliten zugegebenermaßen nach Putins Angriff forderte, zu „ruinieren“.
      Auch diese Fakten gehören zum Hintergrund dieses Krieges und sind zu berücksichtigen, wenn es um Strategien zu dessen Beendigung geht.
      Moralinsaure Empörung abzusondern, wenn jemand sie benennt, hilft nicht dabei, dem Blutvergießen ein Ende zu setzen.

  2. Dieter Kusske sagt:

    Stephan Wohanka und Holger Politt

    Herr Wohanka,
    Zu Ihrer Frage, ob Navalny Geheimdienstkontakte hatte, kann ich Ihnen ein Video empfehlen, das in dem Blog „news mal anders“ am 17.2.2024 gezeigt wird. – Dieser Blog beschäftigt sich vorwiegend mit dem Kriegsgeschehen in der Ukraine und wird von einem in Kroatien lebenden Deutschen betrieben. – In einem Video ist zu sehen wie der Anwalt und beste Freund von Navalny mit einem Agenten des MI6 über Unterstützungszahlungen (20, 30 Millionen) verhandelt (ab Minute 42:59). Weiter Wissenswertes zu Navalny können Sie von Minute 38:40 bis 48:50 erfahren (https://www.youtube.com/watch?v=4fW9kEKYH_I). Hier wird auch die Frage aufgeworfen und beantwortet, warum Navalny nach seinem sicheren Aufenthalt in Deutschland wieder nach Russland ging, obwohl er mit sofortiger Verhaftung rechnen musste.

    Herr Politt,
    mehr Klarheit zu Putin-Russland und Navalny gibt es in einem Beitrag von Gilbert Doctorow, der in Englisch und in Deutsch auf seinem Blog (https://gilbertdoctorow.com/2024/02/16/death-of-aleksei-navalny-the-brits-did-it/ ) veröffentlicht ist. Er kennt noch den altrömischen Ermittlungsgrundsatz cui bono! Moralische Entrüstung hilft da wenig. Der Westen handelt nach dem Grundsatz. Biden, Pressekonferenz am 16.2.2024: „Wir wissen nicht genau, was passierte, aber es gibt keine Zweifel…“

    • Stephan Wohanka sagt:

      Vielen Dank, Herr Kusske, ich werde mir die Sache ansehen…
      Stephan Wohanka

  3. Bruni Butzke sagt:

    Zu Nawalny
    Am 16. Februar wurde von der russischen Gefängnisverwaltung der Tod Alexej Nawalnys mitgeteilt. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde sein Tod beklagt, die Gattin bzw. nun Witwe klagte öffentlich Putin an und forderte dessen Bestrafung. Die Außenminister der G7-Gruppe legten eine Schweigeminute ein. Kanzler Scholz verkündete, Russland sei „längst keine Demokratie mehr“. Das wussten wir aber doch bereits. Russland war nie „eine Demokratie“ nach westlichem Muster.
    Der Oppositionspolitiker, Dokumentarfilmer und Blogger Nawalny, der Jura studiert hatte, war am 20. August 2020 auf dem Rückflug von Tomsk nach Moskau vergiftet worden, eine aufmerksame Flugbesatzung und ein umsichtiges Ärzteteam in Omsk hatten sein Leben gerettet. Dann war er nach Berlin in die Charité zur weiteren Behandlung gebracht worden, mit Genehmigung der russischen Behörden. Im Januar 2021 reiste er nach Moskau zurück, wurde sofort am Flughafen verhaftet und hat dann bis zu seinem Tod das System von Gefängnissen, Gerichten und Straflagern nicht wieder verlassen.
    Das konnte man aber alles schon vorher wissen. Nawalnys Führungsoffizier (ob vom Bundesnachrichtendienst oder von der CIA) oder seine „Berater“ im Westen sind augenscheinlich von einer falschen Lageeinschätzung ausgegangen. In der Spätphase der Sowjetunion galt, dass ein Dissident, wenn er im Ausland bekannt war, zwar weiter im Gefängnis verblieb, bis es still um ihn geworden war, und er dann oft ausreisen durfte, er aber seines Lebens sicher sein konnte. Das geschah unter der Voraussetzung, dass die kommunistische Parteiführung bis zum Schluss an ihrem Welterlösungs-Versprechen festhielt.
    Der Staat Putins ist aber nicht auf Ideologie gebaut; Orthodoxie, Nationalismus und Verherrlichung des Imperiums sind keine in sich geschlossene Ideologie. Es ist im Grunde der Zarenstaat, nur mit einem Zaren, der regelmäßig durch Akklamation per Wahlen bestätigt wird. Und da Putin und seine Dienste wissen, dass die spätsowjetische Hemmung den Niedergang des Systems eher beschleunigt statt aufgehalten hatte, wird heute die Entscheidung, einen Gegner verschwinden zu lassen, nicht wieder ausgesetzt.
    Die Entscheider im Westen haben 2021 die falschen System-Analogien gezogen und auf die russische Welt nach 1917 statt davor geschaut. Nawalny könnte immer noch in Ruhe in Berlin sitzen und Pamphlete schreiben. Das wollte man 2020 offenbar auch in Moskau dulden. Statt dessen hatte man ihn dorthin zurückgeschickt, in der irrigen Annahme, auf diesem Wege Putin stürzen zu können.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Liebe Frau Butzke,
      können Sie belegen, dass Nawalny einen westlichen “Führungsoffizier” hatte?
      Stephan Wohanka

    • Holger Politt sagt:

      Sehr geehrte Bruni Butzke,

      dass Putin jetzt nur noch zwei Berater kennt, weiß die Welt durch Lawrow: Peter I. und Katharina II. Zu der von Ihnen angeführten spätsowjetischen Gepflogenheit, Gefangene auszutauschen oder nach geraumer Zeit ausreisen zu lassen, doch diese Bemerkung: Ihre „russische Welt nach 1917“ als diesbezügliche Zäsur ist insofern irrig, weil unter Stalin die allerwenigsten prominenteren Gefangenen eine Chance hatten, freigelassen zu werden oder gar ausreisen zu dürfen. Hier soll nur auf das entsetzliche Schicksal der beiden polnischen Bundisten-Führer Henryk Ehrlich und Wiktor Alter verwiesen werden. Die diesbezüglichen Liberalisierungen der späteren Sowjetzeit sind wohl weniger ein Ergebnis tieferer Einsicht gewesen, viel eher spiegelten sie die kalkulierte Rücksicht auf die sehr viel stärker werdende internationale Verflechtung überhaupt und auf gewisse Befindlichkeiten in europäischen sozialistischen Ländern wieder. Nach der jüngsten Entwicklung weiß der Westen zumindest, welch tiefer moralischer Fall sich im Kreml in den letzten Jahren vollzogen hat.

      Holger Politt.

  4. Franka Haustein sagt:

    Kaum hatte Russlands Präsident Putin dem US-Moderator Tucker sein Interview gegeben, da wusste der Kanzler der Deutschen bereits, dass der Russe ja doch nur eine “völlig absurde Geschichte über die Ursachen für diesen Krieg” in der Ukraine erzähle. Bei der Schweizer Website GLOBALBRIDGE („Der Politblog für gegenseitiges Verstehen“) hat man sich trotzdem die Mühe gemacht, den Wortlaut des Interviews zu übersetzen, so dass man sich bei Bedarf auch eine eigene Meinung bilden kann: https://globalbridge.ch/wp-content/uploads/2024/02/Putin-Carlson.pdf.

  5. Werner Sohn sagt:

    Verehrter Herr Wohanka, nun haben Sie aber mindestens ein Kind mit dem Bade ausgeschüttet (vorletzter Absatz), nicht wahr? Eine generelle Begründungspflicht des BVerfG zu fordern, also die rechtliche Lage vor 1993 wiederherzustellen, ist doch keine rechtsradikale Zersetzungsstrategie! Vielleicht schauen Sie sich noch einmal die einschlägige rechtspolitische Debatte an. Es war vor 30 Jahren ja gerade die Befürchtung einiger Kritiker, dass das Vertrauen der Bürger leidet, wenn auch noch die minimalste Begründungspflicht entfällt und das Verfahren für den vielleicht nach Jahren endgültig Abgeschmetterten und Gebeugten mit einem leeren Blatt beendet wird, also mit einem nicht begründeten Nichtannahmebeschluss der jeweils zuständigen Kammer. Nun drehen Sie die Sache um: Wer vom BVerfG eine Begründung verlangt, säe Misstrauen, weil er der Weisheit des höchsten deutschen Gerichts nicht restlos vertrauen würde. Übrigens hat auch eine SPD-Justizsenatorin (Claudia Schilling, Bremen) längst erkannt, dass der § 93a gelegentlich übel aufstoße. Dass Schilling diesbezüglich erst beim Fall Böhmermann (Stichwort »Schmähgedicht«) aktiv wurde, hat natürlich ein Geschmäckle, aber immerhin. Vielleicht überdenken Sie noch einmal Ihre Position, Herr Wohanka? Wo kämen wir hin mit dem freiheitlichen Rechtsstaat ohne Begründungspflicht staatlicher Entscheidungen. Das BVerfG ist keine Ausnahme.

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Wahrscheinlich ist der Ossi doch nicht nur eine westdeutsche Erfindung. Oder anders gesagt: Wenn der Ossi sich zu den Innereien des institutionellen Gefüges der BRD äußert, sollte er sich zuvor sachkundig machen, was da früher so war. Das gilt auch für Blättchen-Autoren, im Sinne: erst lesen, dann schreiben und urteilen.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Sehr geehrter Herr Sohn,
      ich denke doch, ich habe nicht ganz unrecht – es gibt die generelle Begründungspflicht des BVerfG nicht!
      Das BVerfG hat das Recht, über die Annahme von Verfassungsbeschwerden zu entscheiden. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung annimmt oder nicht. In der Regel legt das Gericht jedoch in seinen Entscheidungen die Gründe für die Annahme oder die Nichtannahme dar. Diese Gründe können verschiedene rechtliche, sachliche oder verfahrenstechnische Aspekte umfassen. Es gibt keine generelle Verpflichtung für das BVerfG, eine Nichtannahme zu begründen, aber die Praxis des Gerichts ist es, in den meisten Fällen eine Begründung zu liefern.
      Im Fall der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erhält die beschwerdeführende Person neben der Entscheidung ein „Hinweisblatt zum abgeschlossenen Verfahren zum abgeschlossenen Verfahren der Verfassungsbeschwerde“; darin heißt es: „Ein Beschluß, durch den die Annahme einer Verfassungsbeschwerde abgelehnt wird, muß nach § 93d Abs 1 Satz 3 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nicht begründet werden“.

      Also insofern ist es schon eine Frage, ob und warum man wieder eine Verpflichtung jeder Nichtannahme einer Verfassungsbeschwerde fordert. Zumal das politische Motiv dabei im Vordergrund stehen dürfte und weniger das juristische, wenn überhaupt.

      Freundlich
      Stephan Wohanka

      Herr Ernst – eben erst sachkundig machen. Das gilt auch für Kritiker, nur nebenbei.

      PS: Ich war auswärts – deshalb auch erst heute eine Antwort.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Mir ist – wie ich gerade lese – ein Lapsus unterlaufen. Natürlich muss der Satz unten in meinem Antworttext lauten: „…. ob und warum man wieder eine Verpflichtung zur Begründung >jeder Nichtannahme< einer Verfassungsbeschwerde fordert“.
      Wohanka

    • Werner Sohn sagt:

      Die Praxis des Gerichts, verehrter Herr Wohanka, ist es, in den allermeisten Fällen der Nichtannahme k e i n e Begründung zu geben.

  6. Klaus-Dieter Grimmer sagt:

    Dilemma
    Der akademische Streit der beiden Barden Brauer und Dr. Hildebra hier im „Blättchen“ Forum, reizt mich mein persönliches Dilemma zu veröffentlichen. Als guter Staatsbürger bin ich geneigt der öffentlich rechtlichen Berichterstattung Glauben zu schenken. Die Ereignisse dieses schrecklichen Krieges im Osten Europas und die daraus resultierende Meinungsverbreitung im sogenannten Mainstream bringt aber mein oben genanntes Dilemma an den Tag. Siegesmeldung an Siegesmeldung der Ukrainer gegen die Russen wird aneinandergereiht. Hier und da wird dabei neuerdings ganz leise eingeflochten, das die lauthals verkündete Offensive der ukrainischen Armee wohl gescheitert ist. Für mich ist aber eines klar, der Krieg der ehemaligen Brudervölker ist an Grausamkeit nicht zu überbieten. Es sollte von der Völkerfamilie alles getan werden dieses Gemetzel zu beenden. Aber im Gegenteil es wird gleichzeitig ein Bedrohungsszenario für ganz Westeuropas vor einer Aggression Russlands aufgebaut. „Die Russen kommen“ Ältere Leser können sich bestimmt an diese unsägliche von den Nazis geprägte „Losung“ erinnern. Was soll nun der normale Bürger glauben oder wem dient nun dieses Geschrei u.a. von Hofreiter, Kiesewetter, Strack-Zimmermann &Co über die sogenannt russische Gefahr? Mir fällt da nur ein Wirtschaftszweig ein.

  7. Dr. Markus Hildebraa sagt:

    Im heutigen „5 nach 12“-Newsletter der Zeitung „Die Welt“ (08.02.2024) heißt es zu dem Interview, das der ehemalige Fox-News-Moderator Tucker Carlson gerade mit Russlands Präsident Putin geführt hat: „Das Interview ist noch nicht veröffentlicht, das soll in der Nacht zu Freitag geschehen.“ Doch das Interview ist durchaus bereits einsehbar: https://amg-news.com/bombshell-tucker-carlsons-exclusive-interview-with-vladimir-putin-in-moscow-full-transcript-released/

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Mit Verlaub, Herr Dr. Hildebraa, der Erkenntniswert des Putin-Interviews mag ja für WELT-Leser ein Ungeheurer sein. Im Kern sind es immer hanebüchener werdende Selbstreinwaschungsversuche eines Massenmörders. Eine Probe gefällig?

      “PUTIN: Sind wir eingedrungen oder wurden wir überfallen? Schauen Sie sich die Geschichte an. Schauen Sie sich die Menschen an, die dort leben. Historisch gesehen sind wir es, die überfallen wurden und jetzt einfach zurückschlagen. Das Land und die Menschen sind Russen und wir werden wieder das haben, was immer unser war.”

      Und diesen Stuß empfehlen Sie tatsächlich unserer Leserschaft? Ich denke, hier werden nicht nur die Grenzen des guten Geschmacks überschritten. Der russische Präsident rechtfertigt seine Aggression. Das macht er ungerührt schon zwei Jahre lang. Dieses Zeug immer wieder unter die Leute zu bringen bedeutet, den russischen Krieg zumindest zu tolerieren.

    • Dr. Markus Hildebraa sagt:

      Mit Verlaub, Herr Brauer, Totschlagsargumente wie das Ihrige („Der russische Präsident rechtfertigt seine Aggression … Dieses Zeug immer wieder unter die Leute zu bringen bedeutet, den russischen Krieg zumindest zu tolerien (sic!).“) sind schlimmstenfalls dazu angetan, den Krieg zu verlängern. Das Zugänglichmachen der gegnerischen Denke mit dem Bannstrahl zu belegen blockiert doch zugleich eine maßgebliche Voraussetzung dafür, mit der anderen Seite ins Gespräch über eine friedliche Konfliktbeilegung zu kommen. Womöglich jedoch steht eine solche ja gar nicht auf Ihrer Prioritätenliste. Was aber schwebte Ihnen alternativ vor? Kriegsbeendigung durch Niederlage Russlands auf dem Schlachtfeld? Ich befürchte, eine solche wird gegen eine atomare Supermacht nicht zu haben sein.
      Im Übrigen hat sich der Westen d e n Putin, der seit längerem so redet, wie Sie ihn zitieren, durch jahrelanges konsequentes Ignorieren russischer Sicherheitsinteresse zum erheblichen Teil selbst herangezüchtet. Da hat sich auf geradezu diabolische Weise bestätigt, was George Kennan 1997 mit Blick auf die damals erst geplante Osterweiterung der NATO prophezeite: Ein solcher Schritt würde „die Atmosphäre des Kalten Krieges in die Ost-West-Beziehungen zurückbringen und die russische Außenpolitik in Richtungen treiben, die uns entschieden missfallen werden“.
      Statt aber allmählich anzufangen, alten Fehlern nicht immer neue hinzuzufügen – was tut der Westen? Waffen an Kiew liefern, Kommunikation mit Moskau verweigern, Kriegshysterie im eigenen Bereich schüren und aufrüsten, NATO-Großmanöver veranstalten …
      Inzwischen kann man das Putin-Interview übrigens vollständig zur Kenntnis nehmen – über die Website des russischen Präsidenten: http://en.kremlin.ru/events/president/news/73411. Da stehen auch noch andere Sachen drin. Eine Probe gefällig?

      Tucker Carlson: … Können Sie sich ein Szenario vorstellen, in dem Sie russische Truppen nach Polen schicken?

      Wladimir Putin: Nur in einem Fall: wenn Polen Russland angreift. Und warum? Weil wir kein Interesse an Polen, Lettland oder irgendwo anders haben. Warum sollten wir das tun? Wir haben einfach kein Interesse.

    • wolfgangbr sagt:

      Na, da können unsere Nachbarn aber beruhigt sein, dass Russland an ihnen kein Interesse hat. Derzeit jedenfalls, anderweitig hat man schon ganz andere Töne gehört… Aber vielleicht dämmert es, dass der Happen einfach zu groß und zu heiß wäre… Und beschwören Sie bitte nicht so ein Zeug wie “Totschlagsargumente” und “Zugänglichmachung der gegnerischen Denke” … Gegnerische Denke? “Das Blättchen” ist keine Kriegspartei. Mit Ihrer Art der Argumentation machen Sie es zu einer solchen. Wir sind nicht die PR-Abteilung Sergei Lawrows. Auch nicht die des State Departements.
      “Russische Sicherheitsinteressen”? Ja, die gibt es, und die sind zu achten. Es gibt aber auch die Sicherheitsinteressen der “kleineren” Nachbarn. Die sind nicht minder zu achten. Die einen über die der anderen zu stellen, bediente die Logik einer Räuberbande. Und Mr. Carlson? Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, aus welchem Rennstall dieser Mann kommt und wessen Interessen er bedient? Ich halte inzwischen eine Art “München 1938 – neu aufgelegt” nicht mehr für ausgeschlossen. Damit wären wir wirklich wieder in der Logik der Nachkriegszeit: Zwei große Mächte zirkeln ihre Einflussgebiete ab. Was die eine in dem ihren betreibt, interessiert die andere einen Dreck. Gegebenenfalls hält man mit großem Medienaufwand Konferenzen auf “neutralem” Feld ab.
      Dr. Hildebraa, Sie haben offenbar ein ausgeprägtes Feindbild, “den Westen”. Nun gut, Ihre Sache. Aber davon sollte man sich nicht den analytischen Blick vernebeln lassen.
      Beste Grüße
      Wolfgang Brauer

    • Ralf Nachtmann sagt:

      @Hildebraa & Brauer: Bei allem Verständnis – bitte auch in der Wortwahl abrüsten. Das hilft dem Nachdenken. Vielen Dank

  8. Ralf Nachtmann sagt:

    Danke für Detlef Jenas interessanten Rückgriff auf einen weitgehend unbekannten (ungewollten?) Teil deutscher Militär-Tradionen.
    Heute liegen wir ja nicht mehr vor Helgoland, sondern zwischen dem Horn von Afrika und dem Jemen. Dazu möchte ich folgendes anmerken (was irgendwie auch schon in Vergessenheit geriet):
    „Meine Einschätzung ist aber, dass … ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege … Es wird wieder sozusagen Todesfälle geben … Man muss auch um diesen Preis sozusagen am Ende seine Interessen wahren.“
    Dies sagte der damalige Bundespräsident Horst Köhler am 22. Mai 2010 in einem Interview mit dem Deutschlandradio. Daraufhin fielen die Opposition und vor allem die „Großmedien“ wie Spiegel, Süddeutsche Zeitung oder Frankfurter Rundschau über ihn her. Der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin, zog einen Vergleich zu historischer Kanonenbootpolitik. Mit der Rechtfertigung bewaffneter Außenhandelspolitik stünde Köhler nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Man monierte, weder die damaligen Afghanistan-Mandate der Bundeswehr noch die Verfassung deckten „Wirtschaftskriege“ ab. Am 31. Mai 2010 erklärte Köhler ob dieser Angriffe seinen sofortigen Rücktritt vom Amt des deutschen Bundespräsidenten.
    Am 31. Januar 2024 beschloss die Bundesregierung (wie stets in nibelungischer Gefolgstreue zu den USA), eine deutsche Fregatte ins Rote Meer zu entsenden, um „die Sicherheit der Handelswege“ zu gewährleisten. In keinem einzigen „staatstragenden“ Medium wurde irgendeine Rücktrittsforderung erhoben …

  9. Werner Sohn sagt:

    Stephan Wohankas Nachruf auf Schäuble weitet sich zu einem Ausgriff auf die schwierige Frage, was an der CDU wohl noch konservativ sei. Die “Schwarze Null” ist, jenseits strittiger ökonomischer Bewertung, insofern ein gutes Beispiel. Sie zeigt die konservative Haltung aus einem philosophischen Fundus von “Maß und Mitte”. Daraus lässt sich nur begrenzt ein politisches Programm entfalten. Als Katechon der grünroten Dynamik hat die CDU, die dank dieser Dynamik zzt. einen erstaunlichen Zuspruch erfährt, immer noch eine besondere Bedeutung, ja sogar als Katechon gegen die AfD. (Siehe Landratswahl in Thüringen) Dass die CDU heute ihr eigenes Programm der 60er-Jahre in Gestalt der AfD mit Verve bekämpft, zeigt ihren fundamentalen Wandel.
    Zu bezweifeln ist allerdings, ob es überhaupt im eigentlichen Sinne konservative Parteien geben kann.

  10. Axel Matthies sagt:

    Danke für den Beitrag von Werner Sohn.

  11. Ralf Nachtmann sagt:

    In der Debatte um das “Adlon-Treffen” (Günter Hayn schreibt: “Am 10. Januar 2024 hat das unabhängige Medienhaus CORRECTIV das Treiben und die Protagonisten öffentlich gemacht.” bleiben (zumindest für mich) 2 Fragen unbeantwortet:
    1.: das Treffen fand am 25. November 2023 statt. Wieso wurden die “Erkenntnisse”, wo es sich doch um so schwerwiegende wie dringende Probleme von “Zerstörung der Demokratie” handelt, erst so viele Wochen später in die Breite gestreut? War wohl doch nicht so dingend? Oder gang man davon aus, dass sich in der Vorweihnachtszeit keine Massendeminstrationen mobilisieren ließen?
    2.: Wie “unabhängig” ist das Medienhaus CORRECTIV, das auf massive staatliche bzw. staatsnahe Finanzunterstützung bauen kann?
    Sachdienliche Hinweise können gern auch an mich persönlich gerichtet werden.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Herr Nachtmann – ganz schlicht: Wenn ich CORRECTIV wäre, hätte ich die Sache auch nicht in der Vorweihnachtszeit veröffentlicht; das ist Aufmerksamkeitsökonomie.

    • Günter Hayn sagt:

      Verehrter Kollege Nachtmann,
      hinsichtlich der Terminierung müssen Sie die CORRECTIV-Leute fragen. Das ist mir auch schlichtweg egal. Fakt ist, dass die Ergebnisse veröffentlicht wurden. Und das ist auch gut so. Und darauf hat “Das Blättchen” reagiert. Fakt ist auch, dass die Mehrzahl der Pfeile offenbar ins Schwarze traf. Die Reaktionen der Betroffenen und ihres Umfeldes sprechen für sich.
      Eine andere Frage ist viel spannender: Warum wurde der “Rest” der medialen deutschen Welt nicht eher auf diese Dinge aufmerksam? Nach Eingeständnis der Veranstalter war es immerhin der siebente Treff, der sich mit dem inkriminierten Thema befasste. Wo blieb eigentlich die nach deren Selbstbeschreibungen übertolle linke Publizistik? Sowohl die “Identitären” als auch erst recht der rechte Flügel der AfD müssten doch eigentlich permanent in deren Fokus stehen! “Sezession” und “Blaue Narzisse” sind frei zugänglich. Da kann man ja wohl nur Totalversagen feststellen. Ob das ähnliche Ursachen hat, wie das jahrelange “Noli me tangere”-Verhalten der LINKEN gegenüber dem AfD-Thema? O-Ton: “Mit Faschisten reden wir nicht! Das ist Querfront!” In der Gegend, in der Sie aktiv sind, knallten denen in der Folge auf Landesebene drei Direktwahlkreise weg … In einer ehemals linken Hochburg. Die “Schrift an der Wand” wollte vorher keiner von ihnen sehen, danach auch nicht so recht.
      “Unabhängig” – da haben Sie teilweise Recht. Aber auch nur teilweise. Nur weil die Truppe kein Bestandteil eines Medienkonzernes ist, ist sie nicht unbedingt 100%ig unabhängig. Stimmt. Das ist selbst die in Hellersdorf erscheinende “jot.w.d.” nicht. Bei kleinen Blättern sind es auch nur kleine Summen. Aber – wenn ich recht informiert bin – selbst ein so marktfernes Periodikum wie “Das Blättchen” nimmt gelegentliche Rücksichten auf Dritte. Lassen Sie also das Steineschmeißen. Sie sitzen im Glashaus.
      Seien Sie lieber froh, dass so viele Menschen mit einer seit Jahren nicht dagewesenen Deutlichkeit sagen, wir wollen keine Nazis! Oder geht das Ihnen gegen den Strich? Weil da der Scholz auch am Rande einer Demo auftauchte? Das würde mich wundern und würfe mehr als zwei Fragen auf.
      Ja, o.k., ich verstehe: Antifaschismus ist nur hinnehmbar, wenn er einen Reinlichkeitstest des selbsternannten Officiums bestanden hat. Das ist die tradierte pseudolinke Rechthaberei. Nochmal: Welcher Teufel reitet Sie?
      In tiefer Verwunderung
      Ihr
      Günter Hayn

  12. Holger Politt sagt:

    Verehrter Waldemar Landsberger! Ihre „Anmerkungen zu einem Skandalon“ seien unbenommen. Nur eine Verständnisfrage: Was darin wäre nun „links“?

  13. Bernhard Romeike sagt:

    Werter Herr Hayn, zuerst wollte ich nur darauf verweisen, dass die Bibelstelle für die Predigt in der evangelischen Kirche am vergangenen Sonntag Matth. 8, 12 war: “die aber, für die das Reich bestimmt war, werden hinausgeworfen in die Finsternis; dort wird sein Heulen und Zähneklappern.“ Psychologisch betrachtet, kann man gewiss auch über vorauseilendes Zähneklappern reden.
    Die Psychologisierung ist aber auch sehr Zeitgeist. Daher will ich etwas Zeitgeschichtliches hinzufügen. Anfang der 1990er Jahre war eine der ersten Veranstaltungen, die die Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft (BBAG) gemeinsam mit der ebenfalls neuen Deutschen Gesellschaft in Brandenburg organisiert hatte, eine Konferenz über Deutschland und die vier Siegermächte. Dazu waren auch Militärs der vier Mächte eingeladen. Die Franzosen kamen nicht, die Russen und die US-Amerikaner hatten relativ junge Truppenoffiziere geschickt, die trinkfest aber wenig argumentationsstark waren, die Briten aber schickten einen pensionierten Oberst, der noch im Zweiten Weltkrieg gekämpft und nach 1945 bei den britischen Besatzungsbehörden in Deutschland gearbeitet hatte.
    Die ersten rechtsextremen Verbrechen in Rostock und Hoyerswerda hatten bereits stattgefunden, und es gab, besonders auch von deutscher Seite, sehr besorgte Diskussionsbeiträge in Bezug auf die Zukunft in diesem Land. Der britische Oberst sagte dann, wir sollten nicht verkürzt argumentieren. Die Nazi-Herrschaft und der 2. Weltkrieg haben nicht stattgefunden, weil die Nazi-Horden Anfang der 1930er Jahre auf der Straße waren, sondern weil das deutsche Kapital nach der Niederlage von 1918 den Revanche-Krieg wollte. Das ist mit dem 8. Mai 1945 endgültig erledigt, das deutsche Kapital ist eingeordnet in das westliche Gefüge.
    Ich denke, daran hat sich bis heute nichts geändert.
    Beste Grüße
    Bernhard Romeike

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Ach wie wohl mir doch ist, wenn ich mich auf die Zuverlässigkeit des Kapital verlassen darf.

  14. Ewald G. Schleiting sagt:

    Vergleiche hinken: Zur „Wannseekonferenz“ trafen sich hochrangige Vertreter einer schon seit mindestens 9 Jahren an der uneingeschränkten Macht befindlichen NSDAP, um die endgültige Realisierung des Holocaust organisatorisch und logistisch abzusichern (Ich versuche hier möglichst nüchtern zu formulieren, auch wenn mir deutlich ist, dass auch schon darin eine furchtbare Verharmlosung liegt.). Diese Leute jedenfalls waren an der Macht, sie waren völlig enthemmt und frei von jeglicher Moral und hatten auch keine Notwendigkeit mehr auf (Mehrheits)meinungen, die auf moralischen Kategorien beruhten, Rücksicht zu nehmen. Hier liegt ein Unterschied zum aktuellen Potsdamer Treffen: Soweit wie die Nazis vor etwas mehr als 80 Jahren sind die heutigen noch nicht. Sie reden von „Remigration“, nicht von„Endlösung“. Frei von Moral sind gleichwohl Sellner, Müller, Höcke und andere, ob sie nun Teilnehmer waren oder nicht, ebenfalls. Frei von Hemmungen allerdings sind sie nicht. Nur resultieren diese Hemmungen nicht aus Resten von Moralvorstellungen, sondern lediglich aus dem Kalkül, dass sie noch nicht an der Macht sind und es bis zur Erringung derselben für klüger halten, bestimmte Dinge nicht zu formulieren. Dazu ist nach der Machtergreifung immer noch Zeit. Den Vergleich dieses Treffens mit der Wannseekonferenz als „Verharmlosung des Nationalsozialismus“ zu diffamieren, wie das Bernhard Romeike tut, wird der Gefährlichkeit dieser aktuellen Nazibande nicht gerecht. Hier liegt die eigentliche Verharmlosung.
    Ich schließe mich in diesem Fall Günter Hayn an und oute mich als Nachplapperer.

  15. Günter Hayn sagt:

    Zu Bernhard Romeikes “Nachplapperer”-Vorwurf

    Verehrter Herr Romeike,
    wenn Sie nicht willens sind, der extremen Rechten ernsthafte Verwirklichungsabsichten ihrer politischen “Visionen” zuzubilligen – verlassen Sie doch bitte einmal den geschützten Elfenbeinturm des Weltenerklärers und mischen sich nur ein einziges Mal unter diese Leute. Allerdings nicht in deren akademische Kaffeekränzchen vor laufender Kamera, sondern da, wo man vorher keine Kreide frisst… Sie neigen gelegentlich dazu, Menschen, die Ihnen nicht 1:1 folgen können oder wollen, gewisse verstandesmäßige Grenzen zu attestieren. Das spricht nicht unbedingt für ein gesundes Verhältnis zu einer zivilisierten Debattenkultur. Bei weniger dramatischen Sachen mag das hingehen. Aber hier und heute geht es, mit Verlaub, ans Eingemachte. Und in dieser Causa gehört Ihr “Argumentationsmuster” in die Kategorie “Verharmlosung”.
    Beste Grüße
    Günter Hayn, Nachplapperer

  16. Wolfgang Ernst sagt:

    Hinweis eines aufmerksamen Zeitungslesers
    In der Berliner Zeitung vom 24. Januar ist eine interessante Kolumne von André Mielke mit der Überschrift: „Wer klärt bitte die Begriffe?“ Darin thematisiert er das Potsdamer Rechten-Treffen und die Reaktionen darauf.
    Bei Mielke stellen sich „Hemmungen“ ein, „wenn die Kanzlerparteivorsitzende zur Rettung der Demokratie eine 22-Prozent-Opposition verbieten lassen will. Hätte Viktor Orbán derlei vor, ließe Saskia Esken ihm das nicht durchgehen.“ Die AfD werde nicht Höckes wegen gewählt. „Was die Partei nährt, ist eher die Amtsführung derer, die sich jetzt an die Spitze der Anti-AfD-Bewegung stellen. Eine große Mehrheit lehnt die Arbeit einer Regierung ab, die vielen den Eindruck vermittelt, das Land erledigen zu wollen, bevor Inlandsnazis oder Putin es tun können. Statt Besinnung oder gar Vernunft wenigstens zu simulieren, mobilisieren Koalitionäre nun gegen einen Teil ihrer Gegner. Aus historischer Verantwortung, sagen sie. Es könnte auch Machtkalkül sein.“
    Dieser Verdacht beschleiche den Kolumnisten nicht in Bezug auf die Motive Hunderttausender Demonstranten, sondern „weil Proteste gegen die Herrschenden durch selbige regelmäßig angebräunt werden. Sei es wegen Migration, Windrädern, Corona, Ukraine oder Traktordiesel – alles demokratiefeindlich und von rechts unterwandert.“
    Diese Routine komme ihm aus DDR-Zeiten vertraut vor: Die Partei der Arbeiterklasse meinte, sie vertrete die „objektiven Interessen des Volkes“, jede Kritik an ihrer Politik gefährde daher das Gemeinwohl. DDR-Parallelen würden heute als pfui gelten. „Aber wenn alle Welt sich vom berüchtigten Potsdamer Treffen an die Wannseekonferenz erinnert fühlt, erlaube ich mir eine Assoziation. Vielleicht braucht ganz Deutschland Staatsbürgerkunde, um Grundbegriffe zu klären.“

    • Holger Politt sagt:

      … und André Mielke als Lehrer im Staatsbürgerkundeunterricht für “ganz Deutschland”! Bitte nicht!

    • Bernhard Romeike sagt:

      Verehrter Holger Politt,
      das muss man ja nicht so nennen. Aber die Begriffsklärung ist schon dringend nötig. Der Vergleich des berüchtigten Potsdamer Treffens mit der Wannseekonferenz wäre vor ein paar Wochen noch unter die Rubrik: „Verharmlosung des Nationalsozialismus“ gestellt worden, was bekanntlich als besonders arglistige Gestalt des Antisemitismus gilt. Heute wird das allenthalben begriffslos nachgeplappert.
      Beste Grüße

  17. Peter Maiwald sagt:

    Als für die Auswahl „Aus anderen Quellen“* namentlich verantwortlich Zeichnender leiten Sie, Herr Schwarz, Ihre aktuelle Offerte mit diesem Satz ein:
    „Auch und besonders in Kriegszeiten sollte man die Positionen der anderen Seite zumindest kennen. Daher hat Das Blättchen bereits des Öfteren zentrale Stellungnahmen aus Moskau dokumentiert. Hier nun erneut …“
    Mein Frage: Hat das Blättchen und haben namentlich Sie und Ihre Followers denn je etwas anderes verbreitet?
    Außerdem: Wenn Sie wirklich „Positionen der anderen Seite“ dokumentieren wollten, dann hätten Sie konsequenterweise Dokumente der Putin-Gegner veröffentlichen müssen.

    Erich Warlitz
    * https://das-blaettchen.de/2024/01/bemerkungen-363-67795.html

  18. Girndt sagt:

    Zum Beitrag von Alfons Markuske, 1/24 “Abgesang auf einen Mythos”
    “Die in Teilen der Linken heute so selbstgerecht praktizierte, manchmal regelrecht zelebrierte Unwissenheit gegenüber der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution, ihrer weltweiten Bedeutung und den Personen, die sie gemacht haben, Lenin inklusive, geht mir total gegen den Strich.”
    Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn über den Begründer des Sowjetstaates und dessen Erbe im nd vom 18.01.2024

    • Stephan Wohanka sagt:

      Eine nicht aus “Unwissenheit”, sondern aus “Wissen” heraus gestellte Frage: Kann man die Oktoberevolution – um die es geht – als “erfolgreiche sozialistische Revolution” bezeichnen?

  19. Jan Opal sagt:

    Ergänzung zum Beitrag „Am Rande der Staatskrise“

    Andrzej Dudas Begnadigung vom 11. Januar war höchstens eine halbe, denn er übergab die Verantwortung an den Justizminister/Generalstaatsanwalt, der nun einen langen Verfahrensweg in Gang setzen muss. Die Nationalkonservativen und Duda fordern den aber auf, von seinem Recht Gebrauch zu machen, die beiden Gefängnisinsassen freizulassen für den Zeitraum des Begnadigungsverfahrens. Das aber will dieser – Stand heute – nicht tun, denn er spielt den Ball zurück und fordert: Der Präsident habe alle Möglichkeiten, die beiden Verurteilten direkt zu begnadigen, ohne Umweg über den Minister und langen Verfahrensweg, tut es aber nicht! Tatsächlich hält Duda – zuletzt sagte er es am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos – an seiner Begnadigung von 2015 fest, die sei weiterhin gültig, so wären Kamiński und Wąsik freie Männer und blieben Abgeordnete. Die Nationalkonservativen behaupten nun, beide seien „politische Gefangene“, die Regierungsseite entgegnet: Politiker, die ins Gefängnis wandern, seien nicht automatisch „politische Gefangene“.

  20. Krysztof Daletski sagt:

    Danke an Wolfgang Schwarz für den Hinweis auf und die Zusammenfassung von Sarottes Buch. Dem Zitat von Ihr “Haben die USA Russland also am Ende des Kalten Krieges betrogen? Die kurze Antwort lautet Nein. Bei den Verhandlungen kam nichts rechtlich Bindendes heraus.” sei allerdings eine andere Auffassung gegenübergestellt die Itzkowitz Shifrinson in “International Security” 2016 notierte: https://www.belfercenter.org/publication/deal-or-no-deal-end-cold-war-and-us-offer-limit-nato-expansion. “International Security” wird vom Belfer Center der Harvard Kennedy School herausgegeben und kann wohl kaum der “russischen Desinformation” bezichtigt werden. Auf den Artikel wurde ich durch einen Hinweis von Noam Chomsky (sic!) aufmerksam, der dies als den definitiven Artikel zu dem Thema empfahl.

    Itzkowitz schreibt, dass der Kern der Debatte ist die Frage sei, was als Übereinkunft in der Weltpolitik gelten kann. Die Auffassung, dass nur formale schriftliche Verträge gültige Absprachen sind, gilt zum einen nicht in “US domestic politics”: “An informal offer can constitute a binding agreement provided one party gives up something of value in consideration of payment in goods or services.” (p. 16) Zum anderen ignoriert es die Bedeutung informeller mündlicher Absprachen zur Konflikteindämmung, insbesondere in der Diplomatie des Kalten Krieges. Er schreibt (p. 17) : “[…] if private and unwritten discussions are menaingless, then diplomacy itself would be an unnecessary and fruitless exercise.”.

  21. Ewald G. Schleiting sagt:

    Zu „Not one inch“ von Wolfgang Schwarz

    Da kann man nur Goethe zitieren: „Da steh ich nun…“. Was hilft einem das Studium und die Rezension des Werkes einer Historikerin, deren Reputation, wie der Rezensent darlegt, durch ihre eigenen man darf schon sagen „verschwörungstheoretischen“ Aussagen über Putins „ausgefallene Geburtstagsgeschenke“ stark gelitten hat, bei der Frage, ob die Moskauer Führung vom Westen in der Frage Osterweiterung der NATO beschissen wurde? Dass eine „namhafte deutsche Spitzenpolitikerin“ (Wer eigentlich? Ist mir entgangen.) auch den Hamas Überfall auf dem Putin´schen Gabentisch ausgemacht haben will, sollte man allerdings fairerweise nicht Frau Sarotte anlasten.
    Sei´s drum.
    Dass die Moskauer und auch die Ostberliner Nomenclatura in dieser Situation des sich anbahnenden Zusammenbruchs auf schwankendem Boden standen und daher nur mit eingeschränkter Autorität und Souveränität verhandeln konnten, habe ich früher schon einmal angemerkt. Sie saßen den Siegern gegenüber! Diese Schwäche haben diese gnadenlos ausgenutzt und vermieden, dass feste Zusagen protokolliert und Vertragsbestandteil wurden. Dass Polen und andere Länder über kurz oder lang NATO und auch EU Mitglieder werden sollten, war im Westen längst ausgemachte Sache.
    Damit haben die für diese Politik verantwortlichen westlichen Politiker, auch Genscher und besonders Kohl, ihre Mitverantwortung am Scheitern des Projektes eines „Europäischen Hauses friedlicher Nachbarn“.

  22. Wolfgang Ernst sagt:

    Allerwertester Herr Hildebraa,
    jetzt haben Sie aber die inhärente Ironie Brauers nicht mitbekommen. Aber seien Sie nicht traurig, der Herrgott verteilt seine Gaben unterschiedlich.
    Weiter eine gute Zeit!

  23. Horst Arndt sagt:

    Ich habe als 5-jähriger Junge- in Berlin 1943/44 , im Sandkasten Krieg gespielt mit anderen Kindern. Bunker, Schiffe, wurden aus Sand geformt. Zweigstücke waren die Kanonenrohre, dann wurde mit Steinen auf die gegnerischen ” Bauten ” geworfen. Wer die wenigsten Kanonenzweige hatte war der Sieger. Über uns brummten die Bomber, die Flieger und ab gings ins Gebüsch.
    So, und sollen “DAS” meine Urenkel wieder erleben ?
    Horst Arndt aus Dresden, nachdem ich als Bauschaffender die Stadt Dresden wieder mit aufgebaut habe.
    .

  24. Stephan Wohanka sagt:

    Zu: „Ich würde mir wünschen …“ von Gabriele Krone-Schmalz

    Frau Krone-Schmalz ist eine erfahrene Journalistin; sie weiß mit Sprache umzugehen. „Natürlich“ sei „der russische Angriff auf die Ukraine völkerrechtswidrig“. An diese Pflichtübung schließt Krone-Schmalz eine Folge rhetorischer Fragen an: „Aber was folgt denn daraus? Rache, Vergeltung, wie Du mir so ich Dir? Kampf bis zum letzten Blutstropfen? Das lässt sich leicht fordern, wenn man nicht selbst an die Front muss“.
    Der Gebrauch rhetorischer Fragen führt dazu, dass die Debatte von einem Thema auf ein anderes, damit eventuell in Beziehung stehendes Thema gelenkt wird, sodass der Schein entsteht, als sei das verwandte Thema für das erste bedeutsam; in erster Linie geht es jedoch darum, vor der Notwendigkeit auszuweichen, sich mit der Hauptsache befassen zu müssen.
    Sich mit der „Hauptsache“ zu befassen, hieße in dem Falle erst einmal die alle überraschende Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ukraine nicht nach drei Tagen erobert war, wie Putin und die russische Armeeführung das imaginiert hatten, sondern dass das angegriffene Land sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln vom ersten Tag an tapfer verteidigte. Aber nicht das ist Krone-Schmalz wichtig, sondern sie hebt sofort auf „Rache“, „Vergeltung“ ab. Damit ist der Ton mit Sicht auf die Ukraine gesetzt. Zum Aggressor kein Wort.
    „Kampf bis zum letzten Blutstropfen?“ – Krone-Schmalz´ nächste rhetorische Frage wird fortgesetzt mit dem Satz „Das lässt sich leicht fordern, wenn man nicht selbst an die Front muss“. Wer dies fordere, läßt Krone-Schmalz offen. Und gerade hier hätte ich zumindest gern gewusst, wer „man“ ist, wen sie meint.
    Ich belasse es dabei… Auch das Beispiel Krone-Schmalz macht deutlich – solange ehrliche Friedensfreunde nur eine einseitige Sicht auf diesen Krieg haben, werden sie auch nicht wirklich durchdringen. Was angesichts der Lage mehr als bedauerlich ist.

    • Franka Haustein sagt:

      Ich weiß natürlich auch nicht, wen Krone-Schmalz unter „man“ („Kampf bis zum letzten Blutstropfen? Das lässt sich leicht fordern, wenn man nicht selbst an die Front muss.“) subsummiert. Aber Roderich Kiesewetter, der in den Medien allgegenwärtige Bellizist von der Unionsfraktion im Bundestag, gehört ganz gewiss dazu. Der hat WELT-TV am 5.12. wissen lassen: „Die Krux in der Ukraine ist, dass beispielsweise in der Europäischen Union über 600.000 wehrdienstfähige (ukrainische) Männer sich dem Wehrdienst entziehen. Allein in Deutschland sind es 220.00, und die würden natürlich helfen, die Männer an der Front zu entlasten …“ Das „wären allein in Deutschland über 10 Divisionen.“ (https://www.welt.de/politik/ausland/video248868622/Ukraine-Krieg-Krux-ist-dass-sich-600-000-wehrfaehige-ukrainische-Maenner-dem-Wehrdienst-entziehen.html?icid=search.product.onsitesearch)

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Lieber Herr Wohanka,
      ich finde, das ist eine notwendige Klarstellung. Danke!
      Es gibt argumentatorische Endlosschleifen. Wer den Prämissen ihrer Konstrukteure bedingungslos folgt, hat verloren. Immer. In zurückliegenden Jahrzehnten reduzierten das die Überzeugungswächter gerne auf die drohend vorgebrachte Frage, man sei doch für den Frieden – oder?
      Wolfgang Brauer

    • Dr. Markus Hildebraa sagt:

      Nun benotet also ein Blättchen-Redakteur (Wolfgang Brauer) den FORUM-Beitrag eines Blättchen-Autors (Stephan Wohanka) mit „sehr gut“. Warum denn dieses? Damit auch die besonders Dummen den Schuss (in diesem Falle gegen Krone-Schmalz) hören? Soll das jetzt Schule machen? Das käme mir reichlich klippschulhaft vor. Aber vielleicht ist Herr Brauer ja Lehrer und kann einfach nicht anders …

  25. Jürgen Scherer sagt:

    Betrifft: Deutsche Perspektiven in Nr 25 Seite 5
    Glückwunsch, Herr Romeike: Für die Palästinenser Menschenwürde einfordern, was bei allen Göttern dieser Welt mehr als angebracht ist, aber gleichzeitig von von 68er Lehrern (wer immer die sein mögen) „abgerichteten“ (sic!) Klimaklebern der Letzten Generation sprechen – eine Meisterleistung differenzierten Denkens!
    Jürgen Scherer

  26. Fellenberg, Peter sagt:

    Zum letzten Heft: Es werden die „alten“ Diskussionen um Krieg, Frieden und Pazifismus neu geführt. (Vgl. Max Michaelis, Anti-Krieg zwischen Weltkriegen, Berlin 2023.) Der Ausgang damals ist schlagend bekannt geworden.

  27. Stephan Wohanka sagt:

    Deutschland kriegstüchtig? von Erhard Crome
    Es steht im Text vieles, dem ich zustimme. Jedoch will ich auf Sachverhalte hinweisen, die mir zu kurz kommen…
    Der Tenor des Textes bezweifelt, dass die deutsche Gesellschaft sich mental in Richtung „Kriegstüchtigkeit“ werde bewegen lassen; Crome selbst will auch nicht so denken.
    Si vis pacem para bellum – wenn du Frieden willst, rüste zum Krieg; eine alte Maxim, wohl schon den Griechen bekannt. Sie zielt darauf ab, Frieden mittels eigener Rüstung, mit der Androhung und, wenn nötig, mit einem Krieg zu erhalten respektive zu erzwingen. Das passt zu einer Kultur, in der Krieg ein normales Mittel der politischen Auseinandersetzung ist; Crome schreibt das auch.
    Der keineswegs als kriegslüstern geltende Walter Benjamin sprach davon, dass „wer aber den Frieden will, der rede vom Krieg“. Der Ersatz des Verbs „rüsten“ durch „reden“ – und welch ein Bedeutungsunterschied! Wir reden vom Krieg, weil wir den Frieden wollen. Nicht die Zurückweisung des Gedankens an einen möglichen Krieg bringt „uns“ (Crome fragt, wer ist „wir“?) weiter, sondern die offensive Auseinandersetzung mit dem Thema! Deshalb muss die gesellschaftliche Debatte geführt werden. Benjamin ging mit einem Pazifismus ins Gericht, der sich in Anschein und Habitus erschöpfe, der nichts nutze, der nicht die Kraft habe, sich offen und kritisch mit dem Krieg zu befassen, den er ablehnt. So ein unkritischer Pazifismus sei strukturell kaum mehr als ein moralisches Feigenblatt, ein Lippenbekenntnis.
    Dass von deutschem Boden nach der Nazibarbarei nie wieder Krieg ausgehen darf, ist Konsens. Ich denke – über alle Parteigrenzen hinweg. Was aber leider nicht bedeutet, dass a u f deutschem Boden nie mehr Krieg geführt werden könnte. Wenn Pistorius vor möglichen Kriegen in der Mitte Europas warnt, spricht er nur Offensichtliches aus. Und weiterhin glauben (zu) viele Menschen hierzulande immer noch, dass an die Stelle gegenseitiger Bedrohung und Abschreckung, die wir aus dem Kalten Krieg kennen, eine Welt getreten sei, die nur aus Freunden und Geschäftspartnern bestehe. Und dass wir in einer regelbasierten (Welt)Ordnung lebten. Doch die skrupellose Aggression Russlands gegenüber der Ukraine beweist das Gegenteil.
    Jahrzehntelang hatte es sich namentlich die Bundesrepublik bequem unter dem Schutzschirm der Nato eingerichtet, die angeführt von den USA Sicherheit garantierte. Gern wurde auch die vermeintliche „Friedensdividende“ – Crome erwähnt sie auch – kassiert und die Bundeswehr dem Verfall und Gespött preisgegeben. Nun haben wir schon einen großen Krieg – wenn auch (noch) nicht in der Mitte, so doch in Europa; vor Kurzem so undenkbar.
    Dieser Krieg steckt in einer Pattsituation fest; a la long hat Russland die größeren Reserven. Sollte Russland dabei – in welcher Form auch immer – Erfolg haben, so halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass die Ukraine nicht das letzte Angriffsziel Russlands gewesen ist; Nato-Mitgliedschaft hin oder her. Auch ein Krieg auf dem Balkan ist weiterhin nicht völlig vom Tisch. Und bleiben unsere Nachbarn in ihrem chauvinistischen Überschwang für immer unsere Freunde? Was dann? Wie stünden wir dann zu unserer Bündnisverpflichtung; und auch die USA? 2024 wird dort gewählt – Ausgang offen. Vertrauten wir weiter darauf, dass die USA weiterhin allzeit ihre schützende Hand über uns und andere hielten, dass sie bereit wären, auch einen Atomkrieg für uns riskierten, der auch US-Städte in Trümmerfelder verwandelte… Wohl eher nicht. Und dass die Bundesrepublik selbst in der Lage wäre, sich zu verteidigen, ist auch kaum glaubhaft. Sie muss zu ihrer Sicherheit Bündnisse mit anderen eingehen….
    All das sollten „wir“ uns zumindest einmal vor Augen führen; wir können nicht isoliert von anderen (innen)politisch debattieren, geschweige agieren. Und – historische Reminiszenzen helfen heute kaum weiter.

    • Franka Haustein sagt:

      Werter Herr Wohanka, Sie schreiben: „Jahrzehntelang hatte es sich namentlich die Bundesrepublik bequem unter dem Schutzschirm der Nato eingerichtet, die angeführt von den USA Sicherheit garantierte.“
      Sind Sie ein […, gekürzt, d. Red.] Ossi?
      Dann sollten Sie allerdings vielleicht besser nicht in Ost-Berlin gelebt haben!
      Denn zu der „Sicherheit“, von der Sie reden, gehörte: „Nach der Atomwaffenbedarfsstudie des amerikanischen Strategic Air Command von Juni 1956 gehörte die Bevölkerung im Ostteil Berlins und in allen größeren Vorstädten zu den Zielen im Falle eines Atomwaffeneinsatzes in Europa. […] Außerdem sollten gegen Bahnanlagen 21 Kernwaffen eingesetzt werden, fast alle in Ost-Berlin, gegen Treibstofflager neun, gegen Hafenanlagen und Militäreinrichtungen sowie gegen Rundfunksender jeweils sechs.“
      Linke Hetze?
      Nee, Springers WELT: http://www.welt.de/geschichte/article150290008/Hunderte-Ziele-von-US-Atombomben-in-der-DDR.html.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Liebe Frau Haustein,
      um mit Letzterem zu beginnen – natürlich war die damalige atomare Bedrohung Ostberliner Einrichtungen keine „linke Hetze“. Und nicht nur Ostberlin war – denke ich – im Visier US-amerikanischer Atomwaffen, sondern die gesamte DDR. Nur werden desgleichen auch Westberliner und bundesdeutsche Ziele im Visier sowjetischer Atomwaffen gewesen sein. Ergo hat der NATO- respektive US-amerikanische Atomschutzschirm die Sicherheit der Bundesrepublik im Auge gehabt, während wiederum die Atomwaffen des Warschauer Pakts respektive der Sowjetunion die Sicherheit der DDR garantierten. Was soll – nochmals – daran linke Hetze sein? Es war das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens, was Gottseidank allen Krisen und Fehlalarmen standhielt; zwar ein spannungsgeladener, aber dennoch stabiler Frieden. Es gilt als gesichert, dass ein Krieg damals das gesamte Gebiet des heutigen Deutschlands zum „intensivsten“ Kriegsschauplatz gemacht hätte.
      Friedfertige Grüße
      Stephan Wohanka

  28. Gappa sagt:

    Menschliche Tiere?
    Danke an Michael Geiger für die vielen Denkimpulse im Blättchen Nummer 22 vom 23.10.23..
    Insbesondere für seine umfängliche Argumentation zu den Schlagwörtern „Aggressionstrieb, Ausgrenzung, Frieden, Krieg,…,Triebrealisierung“.
    Sowohl alle aktuellen militärischen Auseinandersetzungen auf unserer Erde als auch alle anderen destruktiven Konfliktkonstellationen in und zwischen den Staaten, die in sich das Eskalationspotential zur militärischen Gewaltaustragung tragen, sind kein universeller Beweis dafür, dass wir Menschen keine Alternativen zu destruktiven Gewaltverhalten haben.
    Alle Forschungen, die das Ziel haben, die besondere Aggressivität der Gattung Mensch mit quantitativen Tötungsvergleichen zwischen Tiergattungen und der Menschengattung zu machen entfernen sich vom e w i g e n G r a b e n zwischen Menschen und Tieren und relativieren die S o n d e r s t e l l u n g d e s M e n s c h e n in der Natur.
    Diese S o n d e r s t e l l u n g begründete der Naturwissenschaftler G.F. Nicolai in seinem Buch „Biologie des Krieges“ (1915) im „§ 15 Die Autonomie des Gehirns“ so, indem er die menschliche Art und Weise, Werkzeuge zu e n t w i c k e l n und zu nutzen in zweierlei Hinsicht zum Naturgeschehenen abgrenzte: einmal universell, indem er den Begriff Werkzeuge inhaltlich mit der Aussage füllte, dass unsere Werkzeuge ablegbare und auswechselbare Organe von uns Menschen sind, die wir gelernt haben als Waffe nicht nur gegen die Natur sondern auch gegen uns selbst zu nutzen und in zwei Bänden begründete, warum der Krieg kein universeller Prozess in unserer menschlichen Kultur des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist.
    Jeder kann nachlesen, dass Nicolai es als unsittlich und falsch wertet, uns Menschen als Teil der Natur zu sehen wie es besonders im Kriege geschieht, und wir Menschen uns „nicht als etwas der gesamten Natur Entgegengesetzes“ wahrnehmen.
    Unser menschliches Verhalten ist „etwas anderes als Naturgeschehen, und deshalb haben wir den Krieg nicht hinzunehmen wie ein Erdbeben….“
    Schließt man sich dieser Art zu denken an kommt man notwendig zur Schlussfolgerung, dass wir Menschen immer die Möglichkeit zur Verhaltensänderung haben. So verhalten können, um unsere Konflikte zum gegenseitigen Nutzen lösen zu können.
    Eine von allen Konfliktparteien gewollte deeskalierende Konfliktlösung schließt die Akzeptanz und die Toleranz unserer Unterschiedlichkeiten in unseren Gemeinsamkeiten mit ein.
    Gemeinsamkeiten von Kompetenzen, wie sie in der Humanontogenetik für uns Menschen als biopsychosozialen Systemganzheiten in ihrer Struktur und Funktion als universell, ewig, generisch beschrieben sind:
    motorische, optische, akustische, taktile, olfaktorische, gustatorische, sexuelle, soziale, kommunikative, kognitive, volitive, emotionale, motivationale, ästhetische und temporale Kompetenz.
    Diese grundlegenden Kompetenzen haben wir Alle – sowohl die weiblichen als auch die männlichen Menschen – und spirituell gesehen sind wir die einzige Gattung mit einer temporalen Kompetenz und einer temporalen Neugier, die nicht nur über die eigene Lebenszeit zurück – und vordenken kann sondern die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse und Interessen in arbeiten und freizeiten planen kann. Immer von dem Glauben beseelt , dass das Geplante mit Ziel und Zweck auch umsetzbar ist. Dieser universelle Glaube an die Transformation einer Idee aus unserem menschlichen Bewusstsein in die Umwelten unseres Bewusstseins ist der Schlüssel zum Verstehen des unüberwindbaren Grabens zwischen Natur und Mensch.
    Meine Schlagworte sind deshalb: Weltall – Erde – Mensch. A r b e i t.
    Danke also für den Impuls zur Rückbesinnung an meine Jugendweihe.
    Die Westdeutschen befragen zum zweitvorletzten Satz sinnvollerweise die altgewordenen Ostdeutschen um die 75.

  29. Henricus Schwertfeger sagt:

    Verehrter Wolfgang Brauer,
    Ihren essayistischen Reisebericht „In Böhmens Hain und Flur“ über Tschechien habe ich mit großem Interesse gelesen. Es ist gut, dass Ihnen, wie Sie schreiben, der Finger juckte. Und fast gar nicht schnipsend. Aber natürlich subjektiv, alles andere wäre auch vermessen. Das Blätchen ist schließlich kein Lexikon.
    Nur mit einer Ihrer Prämissen komme ich ins Hadern. Sie betonen: „Ein Wort noch zur Schreibung der Ortsnamen. Selbstverständlich verwende ich die tschechische Form, ein Gebot des Respekts dem gastgebenden Land gegenüber. Königgrätz heißt nun einmal Hradec Králové, auch wenn die Umlautzeichen im Deutschen ungewohnt sind.“
    Das ist natürlich Ihre persönliche Entscheidung, allerdings halten Sie diese Beteuerung in keiner Weise durch: Sie schreiben, als gäbe es nichts anderes, von Prag (nicht Praha), von Brünn (nicht Brno), von Melnik (nicht Mělnik). Bei den – zwar nicht entsprechend postulierten – geographischen Namen das gleiche Bild: Böhmen (nicht Čechy), Mähren (nicht Morava) oder Moldau (nicht Vltava). Bei Aussig bzw. Ústí nad Labem benutzen Sie selbst beide Benennungen.
    Ja, es gab Zeiten, da vermutete mancher, nicht immer zu unrecht, wegen der Benutzung deutscher Städtenamen wie Brünn oder Karlsbad oder auch Pressburg, Breslau und Königsberg revanchistische Haltungen. Nur das ist im Allgemeinen lange perdu. Nur am Rande: Die Tschechen bezeichnen zum Beispiel Leipzig als Lipsko und die Polen als Lipsk.
    Beim empfehlenswerten tschechischen Autor Jaroslav Rudiš lese ich zum Beispiel in seinem wunderbaren Roman „Winterbergs letzte Reise“ (2019) ganz selbstverständlich gleichzeitig über Pardubice und Pardubitz oder über Liberec und Reichenberg. Auch ich halte die Verwendung der deutschen Ortsnamen neben den amtlichen tschechischen Namen frei vom Beiklang falscher Besitzansprüche. Fehlender Respekt oder einfach Anerkennung einer gemeinsamen tschechisch-deutschen Vergangenheit und Respektierung dieser Herkunft?
    Mit Bezug auf seinen Roman erhielt Rudiš 2021 von Bundespräsident Steinmeier das Verdienstkreuz am Bande als „einer der engagiertesten Brückenbauer zwischen Deutschland und Tschechien“. In diesem Sinne und mit besten Grüßen
    Henricus Schwertfeger

    • wolfgangbr sagt:

      Sie haben natürlich recht, auch ich benutze beide Schreibweisen. Da, wo sie historisch hingehören. Diesen Hinweis unterschlagen Sie mit Ihrer verkürzten Wiedergabe meiner Erklärung… In heutigen Zusammenhängen ist Brünn natürlich Brno, ebenso wie Ústi nad Labem nicht Aussig heißt. Mit Mělník haben Sie recht. Da hab ich nicht aufgepasst. Das ist korrigiert. Danke!
      Herzlichst – Wolfgang Brauer

  30. Holger Politt sagt:

    Die Zeilen unten schrieb ich im Herbst 2010 für “Blättchen”. Palikot gründete eine neue Partei, trat aus der bisherigen Partei und der Sejm-Fraktion aus (gab das Mandat auf) und kam dann im Herbst 2011 wieder strahlend zurück in den Sejm, mit der neuen Partei. Schimpfe also niemand leichtfertig über Polen! Es ist meistens unbegründet.

    “In Polen kennt ihn jeder, den einstigen Schnapsproduzenten Janusz Palikot. Neben Regierungschef Donald Tusk ist er bislang das bekannteste Gesicht der Regierungspartei PO (Bürgerplattform). Der studierte Philosoph steht auf dem liberalen Flügel, spielt virtuos auf dem Medienklavier – ein Enfant terrible, das nie mit einem Regierungsamt rechnen kann. Also ein Provokateur vor dem Herrn, so wie Leute einen mögen. Zielscheibe seines Spottes, seiner kunterbunten Attacken sind die Erzkonservativen, die er vor allem beim Konkurrenten PiS (Recht und Gerechtigkeit) ausmacht. Zuletzt noch sah man ihn mit Gitarre und poppiger Brille gegen Jarosław Kaczyński streiten, als der Präsident werden wollte. Nun warf er den entsprechenden Handschuh nicht dem politischen Gegner, sondern seinem eigenen Parteichef vor die Füße. Für den 6. Dezember kündigte er an, Partei und Fraktion zu verlassen. Er tat es in Warschau vor 5.000 Menschen, die seiner Einladung gefolgt waren, die Wiege einer neuen politischen Bewegung zu bilden.”

  31. Danke für die Erinnerung an den 40. Jahrestag des Beinahe-Atomkriegs im Blättchen 2023/21. Zu dem Vorfall habe ich dieses Jahr auch ein Lied verfasst, das in der letzten Strophe auch den Bezug zur heutigen Zeit herstellt. Weil das Thema so wichtig ist, habe ich es gleich in drei Sprachen übertragen und jeweils als Duett aufgenommen:

    auf Englisch: https://youtu.be/uQYysFA4MfQ

    auf Esperanto: https://youtu.be/5Xyd01Ws8kA

    auf Deutsch: https://youtu.be/Gx6m3bkmbhY

    Weil das Risiko eines “Atomkriegs aus Versehen” heute so hoch ist wie nie, ist dieses Lied ebenso wie der Artikel im aktuellen Blättchen vielleicht hilfreich, darauf aufmerksam zu machen. Die letzte Strophe ist in der Esperanto- und englischen Fassung deutlicher als in der deutschen:

    90 seconds now till midnight / But nobody seems to care:
    Many call for escalation / No protestors anywhere.
    The reaction time is shorter / Delegated to AI*).
    And diplomacy is ruined / All this makes me wonder why
    We still hope that always some Petrov saves the world.

    *) AI = artificial intelligence

  32. Ralf Nachtmann sagt:

    Zu Ekke Mieder “Bürger zweiter Klasse”:
    Zweite Klasse ist doch ganz gut. Wie ich höre, soll es ja auch “Dritte Klasse” und “Vierte Klasse” geben, von der “Holzklasse” ganz zu schweigen. Hintan- und Herabsetzungen sind nun einmal das Los der Verlierer. Vae Victis, wusste schon Julius Caesar treffend auszurufen.

  33. Birgitte Nyborg sagt:

    In Ergänzung zum Beitrag von Stephan Wohanka in der aktuellen Ausgabe lohnt es, einen älteren Blättchen-Beitrag nochmals aufzurufen: https://das-blaettchen.de/2010/09/demokratie-versuch-einer-anamnese-2357.html.

  34. Lieber Mario Keßler,
    vielen Dank für die Rezension des Friedmann-Buches über Elise Ewert. Elise Ewert, Arthur Ewert, Olga Benario Prestes – wie wichtig das ist, diese erstaunlichen, unerhört tapferen Menschen nicht zu vergessen. Und wie nobel deine Würdigung der Arbeit von Ronald Friedmann! Ich schließe mich mit Freude an. – Zur um sich greifenden Geschichtsvergessenheit der Linken und LINKEN bleibt nichts hinzuzufügen.

    • Mario Keßler sagt:

      Danke, Wolfram… und Deine Worte zur Geschichtsvergessenheit der Linken in Groß- und Kleinschrift sind ein Teil, nicht der Einzige unserer gegenwärtigen Tragödie.

  35. Literat sagt:

    Angeregt durch das Motto, mit dem Herr Wohanka seine Gedanken + Vorstellungen von Strömungen in gegenwärtiger Politik, bei politischen Parteien und deren Exponenten bekräftigt: „Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muß sich alles ändern“(18/23), möchte ich diese Erkenntnis um den Satz von Erich Fried verstärken: „Wer will daß die Welt so bleibt wie sie ist der will nicht daß sie bleibt.“ (So das Original). Aus „Status quo“, in „Lebensschatten“, Wagenbach 1981 – gedacht und veröffentlichst als Beitrag zum damaligen Wettrüsten mit Option zu „Erstschlag“/„Zweitschlag“ usw.
    Und weil schon bei Fried, dessen Empfindungen und Erfahrungen beim Schreiben: „Eigenartig wie das Wort eigenartig es fast als fremdartig hinstellt eine eigene Art zu haben“.

  36. Horst Möller sagt:

    zu Ernst Reuß, Nr. 16
    An Walerian Wróbels Schicksal war zu zeigen, dass was als „Recht“ unterm Hakenkreuz galt, ein Nichts bedeutete. Der Bremer Rechtshistoriker Christoph Schmink-Gustavus, der die Akten zu diesem Fall ermittelt und publiziert hat – nachzulesen auch in einer polnischen und einer griechischen Übersetzung – tritt mit seinem Buch denen entgegen, die sogut wie unbehelligt weiter als Juristen tätig sein konnten, obwohl sie Schuld auf sich geladen hatten. Das traf, wie Schminck-Gustavus ebenfalls in einer Studie herausgearbeitet hat, zum Beispiel auch auf die „Richter“ zu, die Dietrich Bonhoeffer (und nicht nur ihn) zum Tode verurteilt und am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg stranguliert hatten.

  37. Ralf Nachtmann sagt:

    Mein freundlicher Dank geht an Hannes Herbst, der mir mit seinem stellenweise fast schon kabarettistischen Verriss des Hoyer-Buches 28 Euro “geschenkt” hat. Dennoch werde ich mit das Werk selbst noch einmal näher betrachten, wozu gibt es öffentliche Bibliotheken?
    Was für mich schwerer wiegt: Ich bin seit langem der Überzeugung, dass eine sachliche (objektiv wäre zu viel verlangt) Betrachtung der DDR erst “nach dem Aussterben der Erlebensgeneration” möglich sein wird. Wenn nun aber, wie Herbst schreibt, solche Amateur-Werke international für “Furore” sorgen, dann wünschte ich fast, dem eben genannten “Aussterben” recht bald anheim zu fallen, um nicht noch mehr solcher Machwerke (das einzig gute diesen Namens stammt von Volker Braun) ertragen zu müssen. Ist es denn nicht Grauen genug, die (das folgende Wort hab’ ich selbst erfunden) Guidoknoppisierung der Zeitgeschichte ertragen zu müssen?

  38. Detlev Reichel sagt:

    Auf zum letzten Gefecht? Jutta Grieser
    Ein interessanter Beitrag, frei von der Leber weg, ohne vermeintlich diplomatische Schnörkel. Und doch, “Also Vorsicht mit bestimmten Worten”? Ich denke, wir sollten den Kommunismus nicht der Deutungshoheit Dobrindt, Gröhe, Steinmeier, die hier zitiert werden, oder anderen Granden des Antikommunismus überlassen. Genauso wie die Linke nicht dazu da ist, die imperialistische Staatsräson zu stützen, sollte sie nicht den Geburtsfehler der Bundesrepublik Deutschland, die antikommunistische Staatsräson tolerieren oder gar übernehmen. Wo man vor lauter Lavieren zwischen den ideologischen Gräben hinkommt, das ist ja gerade das Elend der Linken. Deshalb unbedingt “back to the roots”. Eine der stärksten Wurzeln sozialistischen Denkens und Handelns ist nun mal das Kommunistische Manifest. Da ist es wieder das “Vorsichts”-Wort. Man kommt einfach nicht drumherum.

  39. Klaus-Dieter Grimmer sagt:

    Herr Hayn
    Der Kern meiner Kritik war, das sie mit ihrem unangemess polemischen Text, Herr Schleiting schreibt “Geschwafel”, im letzten Blättchen nicht den kleinsten Beitrag geleistet haben eine Idee aufzuzeigen, der als ersten Schritt zu einer Deeskalation in diesem schrecklichen Krieg führen könnte.
    Wie sie auf die Idee mit der Streumunition gekommen sind, bleibt ihr Geheimnis oder es gibt andere für mich unbekannte Gründe.
    Wissen sie ich kann mich noch genau erinnern, ich war damals 16 Jhre, wie die Welt am absoluten Rand eines atomaren Weltkrieges während der Kuba Krise gestanden hat. Wie sie in einer ähnlichen komplizierten Weltsituation einen solchen völlig unsensiblen Text fabrizieren können, kann und will ich nicht nachvollziehen.
    Unabhängig davon, ich wünsche ihnen und den ihren einen sauberen Himmel.

  40. Klaus-Dieter Grimmer sagt:

    In der Zwickmühle oder „Skylla und Charybdis“ von G. Hayn
    Der Artikel verfasst in einer Art und Weise, bei der fehlende Arroganz nicht unterstellt werden kann, geht meines Erachtens völlig an der Sorge des größten Teils der Menschheit vorbei, Mittel und Wege zu finden den Konflikt in der Ukraine zumindest erst einmal zu deeskalieren. Der beidseitige Verzicht auf Verwendung von Streumunition wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
    Die Frage nach Wegen des Endes dieser Auseinandersetzung zu stellen, ist in diesem Artikel rein gar nicht zu finden. Im Gegenteil meint Herr Hayn ist es doch legitim wenn die Ukraine Moskau mit Raketen beschießt. Das wäre dann nach der Verwendung von Streumunition, die nächste Eskalationsstufe in diesem fürchterlichen Krieg.
    Aber hier bedient sich der Autor nach meiner Meinung der gleichen Methode wie der, bei den Linken und Pazifisten kritisierten „Reletivierungspirouette“. Das dabei unschuldige Menschenleben daran hängen können, wie Hr. Schleiting das richtig im Forum geschrieben hat, stört dabei anscheinend nicht.
    Das zu Recht im Beitrag von Hr. Schleiting erwähnte „Geschwafel“ im Artikel des Herrn Hayn hat uns bei der Klärung des bereits oben genannten Problems keinen Millimeter voran gebracht.
    Außerdem wird wieder mannigfaltig nach der „Haynschen Methode“ verfahren, dem anderen etwas in die Schuhe zu schieben um ihn dann deftig zu diskreditieren. Dabei nicht einmal an Personalien halt zu machen, würde ich nicht unbedingt als Courage bezeichnen. Abschließend, noch die Sache mit der Räuberbande. Aus dem Kontext geht eindeutig hervor, die Räuberbande das sind die Russen. Für mich ist das offen gesagt nicht eindeutig, wer hier die Räuberbande ist.
    Hinzu kommt bei der speziell deutschen Geschichte, Russland in das Licht einer kriminellen Vereinigung zu stellen, ist wie der Wunsch der deutschen Außenministerin: „Wir werden Russland ruinieren“.
    Ich halte es da lieber mit einer schöpferischen Entstellung eines historischen Zitates: „Die Putins kommen und gehen, das russische Volk bleibt“!

    • Günter Hayn sagt:

      Mit Verlaub, Herr Grimmer, Sie haben einen anderen Text gelesen, nicht meinen. Sonstwürden Sie mir nicht unterstellen, ich würde die Verwendung von Streumunition legitimieren. Lesen Sie bitte richtig.
      Ich habe gesagt, wer berechtigterweise die Verwendung dieses Teufelszeugs durch die eine Seite geißelt, sollte es auch bei der anderen tun.
      Ich habe gesagt, wer Kiew bombardiert, sollte sich nicht wundern, wenn auch Moskau angegriffen wird. Unterstellen Sie mir nicht, ich würde das legitimieren wollen. In Moskau hängen “unschuldige Menschen dran”, wie Sie erklären. In Kiew und Odessa nicht? Dass Russland bombardiert, darf man also in Kauf nehmen? Genau das ist das “Zwar-Aber-Muster” …
      Zu den “unschuldigen Menschen”. Addieren Sie einfach einmal die zivilen Opferzahlen seit dem 24. Februar 2022. Lassen Sie das Militär raus dabei…
      Und dann verlangen Sie von deren Angehörigen – es gibt Leute, die sagen nichts anderes … -, sie mögen gefälligst auch noch die rechte Backe hinhalten. Das mag sehr christlich gedacht sein, es ist aber nicht die eigene Backe. Ich finde das zynisch.
      Ja, das russische Volk befindet sich in den Fängen einer Räuberbande, mit der man sich nicht – auch nicht argumentativ – gemein machen sollte. Das ist zutiefst tragisch. Aber es muss die selber loswerden. Über Frau Baerbock müssen wir nicht diskutieren.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      “Ich habe gesagt, wer Kiew bombardiert, sollte sich nicht wundern, wenn auch Moskau angegriffen wird.”
      Sry Herr Hayn, das haben Sie, jedenfalls im zur Rede stehenden Text, nicht gesagt. Sie haben die Frage gestellt „Weshalb allerdings ukrainische Raketen nicht auf Moskau abgefeuert werden dürfen“ und behaupten, dies könne nur Medwedew erklären und implizieren damit, dass jeder außer Medwedew (und evtl. seinen Kumpanen) sich für einen Beschuss Moskaus aussprechen müsse und dass es keine vernünftige Alternative gebe. Genau das ist die Kriegstreiberei, die niemandem weiterhilft und letztlich in die Eskalation und damit ins Verderben führt.
      […]

  41. Peter G. Spengler sagt:

    Victory Is Possible – ?: eine späte, aber immer noch wichtige Resonanz auf die Provokationen Karaganows. Das Echo, das Karaganows Äußerungen hier findet, kann man nur als Reaktion auf eine Echokammer ansehen, nicht aber auf den [zugegeben verwegenen] Gedankengang des Mannes, den er seinem Planspiel zugrundelegt. In dem langen Gespräch auf RT hat er uns auch einige ‚Hintergedanken‘ wissen lassen. Ich habe mir erlaubt, dazu eine Schlüsselfeststellung per Tweet in den Mittelpunkt zu rücken:

    „I have often said and written that with the right strategy of deterrence and even use, the risk of a ‘retaliatory’ nuclear or other strike on our territory can be minimized. Only if there is a madman in the White House who also hates his own country will the US decide to strike in ‘defense’ of the Europeans and invite retaliation by sacrificing a hypothetical Boston for a notional Poznan. The Americans and the Western Europeans are well aware of this, they just prefer not to think about it. We, too, have contributed to this recklessness with our peace-loving pronouncements. Having studied the history of US nuclear strategy, I know that after the USSR acquired a credible nuclear retaliatory capability, Washington never seriously considered using nuclear weapons on Soviet territory, even though it publicly bluffed. When nuclear weapons were considered, it was only against ‘advancing’ Soviet forces in Western Europe.”

    Man muß aber der Prämisse auf den Grund gehen, weshalb Karaganow dieses Planspiel nicht nur virtuell in Erwägung zieht, sondern in seinen Darlegungen von virtuell zur Drohung die Perzeption changieren läßt. Nach meinem Verständnis ist die Logik hier in seinem Aufsatz vom Juni zu finden, worin es in letzter Hinsicht
    darum geht, nach ≈ 500 Jahren die [Vor-]Herrschaft des ‘Westens’ aus den Angeln zu heben:

    „And here I come to the most difficult part of this article. We can keep fighting for another year or two, or even three, sacrificing thousands and thousands of our best men and grinding up hundreds of thousands more who are unfortunate enough to fall into the tragic historical trap of what is now called Ukraine. But this military operation cannot end in a decisive victory without forcing the West into a strategic retreat or even capitulation. We must force the West to abandon its attempts to turn back history, to abandon its attempts at global domination, and to force it to deal with its own problems, to manage its current multifaceted crisis. To put it crudely, it is necessary for the West to simply “piss off” and end its interference in the direction of Russia and the rest of the world. However, for this to happen, Western elites need to rediscover their own lost sense of self-preservation by understanding that attempts to wear down Russia by playing the Ukrainians against it are counterproductive for the West itself.“

    Die Nichtaufnahme der Ukraine in die NATO [ganz entgegen der wetterwendischen Logik Kissingers zum operativen Zweck der Aufnahme der Ukraine] heißt nichts anderes als daß die USA in der NATO, ob auf mittlere Sicht zu ihrem Vorteil oder nicht, nicht davon abzuhalten sind, die Ukraine zum Vietnam-Afghanistan der RF zu schmieden und zu bewaffnen, solange die Indolenz der meisten NATO-Mitglieder und ihrer Wählerschaften dies zuläßt. Wenn aber in nicht ferner Zukunft der militärische Zusammenbruch der Ukraine eintritt, bleibt dann etwas anderes übrig als ‚strategischer Rückzug oder sogar Kapitulation‘?

    Es ist gerade dieser Moment der Implosion der NATO, ab dem bei ihrer angloamerikanischen Führung jegliche Berechenbarkeit in Frage steht. In einem solchen Moment kann man sich auf eine Lage besinnen und sie ausmalen, die mit dieser Frage angerissen wird: Was wäre wenn die nächste Versuchsanordnung mit Kinschals von Kaliningrad bis zum NATO-HQ vorgenommen würde?

    Lawrow ist bereits in seiner Verlautbarung einen Schritt in diese Richtung gegangen.

  42. Dr. Markus Hildebraa sagt:

    Zum Beitrag von Sarcasticus im aktuellen Blättchen – das russische Staaatsmedium RT DE informierte unter gestrigem Datum: Mehr als 20 „Mitglieder des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik Russlands, einer einflussreichen russischen Denkfabrik, warnen eindringlich … vor einem nuklearen Präventivschlag Russlands, etwa um in der Auseinandersetzung mit dem Westen über die Ukraine die Oberhand zu gewinnen. Solche Forderungen seien äußerst unverantwortlich und gefährlich … Die gemeinsame Erklärung, die Mitglieder des Rates am Donnerstag veröffentlichten, ist eine der jüngsten Reaktionen in russischen Expertenkreisen auf die Debatte über den möglichen Einsatz von Atomwaffen, welche durch einen hochumstrittenen Meinungsbeitrag von Sergei Karaganow als einem Ehrenmitglied des Präsidium des Rates im vergangenen Monat ausgelöst wurde.“

  43. Ewald G. Schleiting sagt:

    Zwischen Skylla und Charybdis

    Herr Hayn, was Sie machen ist schon reichlich befremdlich: Sie referieren eine Diskussion über Streubomben, kritisieren da die inkonsequente Haltung beispielsweise der Herren Stoltenberg und Steinmeier, gleichzeitig aber auch die Kritik aus der Linkspartei an deren Lieferung an und Einsatz durch die Ukraine, obwohl Sie selber diese Waffe zu Recht als „Teufelswerk“ klassifizieren und postulieren, „wer gegen den Einsatz von Streumunition ist, muss radikal gegen beide Seiten vorgehen“. Ihre Kritik an der Linken, auch an der Friedensbewegung, begründen Sie mit deren ihrer unbegründeten Ansicht nach vergleichweise verhaltenem Protest gegen den Einsatz derartiger Waffen durch das russische Militär im derzeit tobenden Krieg. Der „Friedensbewegung“, wen immer Sie damit meinen, unterstellen Sie sogar – und das bezeichne ich nicht lediglich als befremdlich, sondern als böswillig, freundschaftliche Nähe zum Putinregime. Bis dahin ist man als Leser noch auf der Suche nach Ihrer eigentlichen Argumentationslinie, ich könnte auch schreiben – verzeihen Sie – überlegt man, wohin das Geschwafel denn führen soll. Ihr Exkurs in die Geschichte des ausgehenden 19. resp. jungen 20. Jhds. hilft einem da auch nicht viel weiter, der Vergleich der historischen Situation, die zum Berliner Kongress führte mit der heutigen ist doch ziemlich an den Haaren herbeigezogen.
    Aber Herr Hayn, Sie enttäuschen uns nicht! Sie kriegen die Kurve: mit Hilfe des Georg Witte sind Sie bei Ihrem und möglicherweise auch seinem Lieblingsthema angekommen: den „Relativierungspirouetten“ von Linken und Pazifisten. Die Frage nach Streumunition dient nur als Aufhänger um mal wieder in bewährter Manier gegen alle zu polemisieren, die sich erlauben, die einzig relevante Frage, nämlich die nach dem Ende zu stellen und diese Frage zu beantworten ohne auf die Befindlichkeiten in den Vorstandsetagen der westlichen Rüstungsindustrie Rücksicht zu nehmen. Wie kann man diesen Krieg beenden? Was steht am Ende eines Krieges der sich möglicherweise noch lange hinzieht und weiter zu eskalieren droht? Sie argumentieren mit dem durch die UN definierten Begriff der Aggression und tun so, als ob diese Definition bezüglich des russischen Angriffs umstritten sei. Das ist sie nicht! Kein Mensch, der sich als links oder als PazifistIn bezeichnet, kann in dem Angriff auf die Ukraine etwas anderes sehen, als einen brutalen Akt der Aggression. Die Argumentation, die Sie und andere Ihrer Denke – offensichtlich willentlich – überhören, relativiert nicht die Verurteilung dieser Aggression, sondern ist ausgerichtet an der Frage, wie diese zu beenden ist. Und da muss mehr möglich sein, als von einem endgültigen umfassenden Sieg der Ukraine zu träumen oder gar von einer endgültigen und vernichtenden Niederlage Russlands.
    Eins noch: Sie stellen die Frage, „Weshalb allerdings ukrainische Raketen nicht auf Moskau abgefeuert werden dürfen, solange Kiew unter ständigen russischen Angriffen leidet…“. Für diese Frage ist Herr Medwedew wohl nicht der geeignete Ansprechpartner. Was halten Sie von meiner Antwort? Weil durch diese Raketen gegebenfalls auch in Moskau unschuldige Menschen sterben.

  44. Franka Haustein sagt:

    Lieber Mario Keßler, in Ihrem höchst interessanten Beitrag über den Trotzki-Enkel Esteban Volkov schreiben Sie: „Die Lektüre von Rudolf Bahros ‚Alternative‘ übte einen starken Einfluss auf ihn aus.“ Wie kam man in Mexiko, wo Volkov 1977 lebte, als das Buch erschien, mit diesem in Kontakt. Zumal Volkov, wie Ihnen dieser erzählte, „das Russische wie das Deutsche, die Sprachen seiner frühen Kindheit“ vergessen hatte … fragt nur neugierig und nicht aus Zweifeln gegenüber Ihrem Text – Franka Haustein

    • Liebe Franka Haustein, danke sehr für Ihr Interesse! Ich vermute, Esteban Volkov las entweder die englische Ausgabe, die 1978, ein Jahr nach der deutschen Erstausgabe, erschien, oder die französische Ausgabe, die 1979 herauskam. Er dürfte somit recht früh genaue Kenntnisse über Bahro und sein Werk gehabt haben. Auf dem Trotzki-Kongress im März 1990 in Wuppertal schilderte er mir beredt, welchen Eindruck Bahro auf ihn gemacht habe und erkundigte sich nach seinem Befinden. Freundliche Grüße, Ihr Mario Keßler

  45. Detlev Reichel sagt:

    Klassenmäßige Außenpolitik, Erhard Crome
    “Wenn die Außenpolitik des heutigen Deutschlands sich nicht nur als Fortsetzung der BRD unter anderen Umständen verstehen, sondern sich auch auf das Erbe der DDR beziehen würde, hätte Annalena Baerbock eine bessere Figur in Südafrika abgeben können.” In der Tat. Doch leider hat dieser Satz zu viele Konjunktive – wenn, würde, hätte.
    Im Johannesburger Stadtteil Rivonia befindet sich ein Museum im Gebäude der ehemaligen Lilliesleaf Farm, wo sich Anfang der 1960er Jahre das Hauptquartier von uMkhontoWeSizwe (MK) befand, dem bewaffneten Arm des ANC. In diesem Museum ist auch ein Raum, der der DDR-Solidarität gewidmet ist. Als der derzeitige deutsche Botschafter vor einiger Zeit zur Eröffnung eben dieses Raumes eingeladen war, äußerte er, sinngemäß, er sei hier wohl auf der falschen Veranstaltung. Wahrscheinlich haben ihn einige der ausgestellten Fotos, auf denen auch NVA-Uniformen usw. zu sehen sind, gar erschröcklich erschreckt. Der arme Mann.
    Frau Baerbock kommt, laut Selbsteinschätzung, zwar “vom Völkerrecht her”, hat aber offenbar die europäische Geschichte, auch die jüngere, erfolgreich umgangen beziehungsweise ausgeblendet. BILD-online hatte ihr ja auf ihre Reise nach Südafrika den Auftrag mitgeben, sie solle dafür sorgen, dass im August in Pretoria “die Handschellen klicken”, wenn Putin zum BRICS-Gipfel anreist. Derartige Dreistigkeiten wird selbst Frau Baerbock sich nicht leisten, sie versuchte es eher mit “von Mutter zu Mutter”, als sie mit ihrer südafrikanischen Kollegin sprach. Doch im außenpolitischen Geschäft zählen Interessen, Fakten, diplomatisches Können und Geschick. Und da stehen Annalena Baerbock und Naledi Pandor auf völlig unterschiedlichen Plattformen.

  46. Sehr geehrter Herr Wohanka,
    ich finde es gut, dass Ihr Text hier im “Blättchen” steht. Denn er ist für mich ein treffendes Beispiel dafür, wie die vom Bundeskanzler ausgerufene “Zeitenwende” in alle Bereiche unseres Lebens hineinreicht – auch in die Methoden und Formen des politischen, ideologischen, wissenschaftlichen Streits.
    Sie schreiben zur Verteidigung Ihres Textes an Herrn Schleiting: “In jeweils spezifischer Ausprägung hat [es] diese Phänomene auch anderswo gegeben. Nur: Im in Rede stehenden Text geht es um Russland. Wollte ich über Gleiches in einem anderen Land oder überhaupt darüber schreiben, wäre es ein anderer Text.” Das ist ein sehr interessante Gedankenübung: Sie schreiben über ein Thema, das ohne die Herstellung von Zusammenhängen und Wechselbeziehungen überhaupt nicht beschreibbar ist, und klammern genau diese Zusammenhänge und Wechselbeziehungen ganz bewusst und zielgerichtet aus. Das heißt, Sie wissen eigentlich viel mehr, aber das soll jetzt mal keine Rolle spielen, denn: Es geht um Russland.
    Und weil es Ihnen nur um dieses eine Land geht, suchen sie dort nach ganz spezifisch Russischem, ergo: Sie begeben sich aufs dünne Eis des Völkischen. Was Sie nun an Beobachtungen und Zitaten bringen, ist im Einzelnen weitgehend unanfechtbar, aber in Zusammenhang gebracht wird es unerträglich.
    Da schreibt also ein Deutscher über eine “typisch russische” “Verschmähung von Menschenleben”. Heute ist der 22. Juni. Im Zuge einer beispiellosen “Verschmähung von Menschenleben” zogen auf den Tag genau vor 82 Jahren unsere Väter, Großväter und Urgroßväter los, um die Sowjetunion zu vernichten. Dabei “passierte” – neben unendlich viel Anderem -, dass, weil die nach Millionen zählenden sowjetischen Kriegsgefangenen angeblich nicht mehr ernährt werden konnten, zwei bis drei Millionen von ihnen planmäßig dem Verhungern preisgegeben wurden. Auch dem eingeschlossenen Leningrad war das “Schicksal” des Aushungerns zugedacht. Meinen Sie, sehr geehrter Herr Wohanka, tatsächlich, dass Daniil Granin als Leningrad-Augenzeuge in seiner tiefen Erschütterung über seine Partei und seine Staats- und Armeeführung darauf abzielte, Ihnen, einem Deutschen, ein Argument dafür in die Hand zu geben, in der Frage der “Verschmähung von Menschenleben” ausgerechnet dessen deutsche Variante auszublenden? Ausgerechnet diese, zu deren Lasten auch die Schoah geht? Und der Genozid an den Sinti und Roma? Und dieser ganze gewaltige Komplex des Massenmordes an den Slawinnen und Slawen?
    Aber vielleicht werfen Sie jetzt ein, es sei Ihnen ja vor allem darum gegangen, die besondere russische “Verschmähung” auch im Umgang “mit dem eigenen Volk” zu zeigen? Zum Beispiel beim Sturm auf die Seelower Höhen? Dann ist der gleichzeitig agierende deutsche “Volkssturm” aus Kindern und alten Männern wohl ein Ausdruck der Hochschätzung menschlichen Lebens gewesen?
    Nein, es geht nicht. Es geht nicht, so, wie Sie es tun, die Vorgänge aus ihren ganz realen, lebenswirklichen Zusammenhängen zu reißen und dann isoliert – sozusagen “in Reinkultur” – einer Betrachtung zu unterziehen. Und ich kann auch nirgends einen guten Grund dafür erkennen, dies zu tun. Es sind uns doch wissenschaftliche Methoden der Aufklärung über die – sichtbaren sowohl als auch verschleierten – Zusammenhänge und Wechselwirkungen an die Hand gegeben. Warum darauf verzichten?
    Ich komme auf die bundeskanzlerische “Zeitenwende” zurück. Diese selbst basiert auf Zusammenhanglosigkeit. Basiert auf Abtrennung der Ereignisse von ihrer Vorgeschichte und ihren materiellen und immateriellen Umständen und auf Diskriminierung der Erkundung und Geltendmachung eben dieser Vorgeschichte und Umstände. Und sie befördert die Rückkehr zum Denken im Maßstab des “Volks”, mithin: zum Völkischen, zum Nationalistischen.
    Was – übrigens – haben Sie sich als Konsequenz aus Ihrem Artikel gedacht? Was sollen “wir” nun machen mit “Russlands Fluch”? Oder ging es darum gar nicht, sondern einfach nur um ein zusammenhangloses Stück Text?

    • Stephan Wohanka sagt:

      Sehr geehrter Herr Adolphi,
      Sie schreiben: „Denn (mein Text – St. W.) er ist für mich ein treffendes Beispiel dafür, wie die vom Bundeskanzler ausgerufene Zeitenwende in alle Bereiche unseres Lebens hineinreicht – auch in die Methoden und Formen des politischen, ideologischen, wissenschaftlichen Streits“. Dem will ich insofern widersprechen, da hier die „Zeitenwende“ ursächlich gesetzt wird; ich sie aber als eine Folge eines anderen Ereignisses halte – nämlich der russischen Aggression gegen die Ukraine. Und diese hat tatsächlich „die Methoden und Formen des politischen, ideologischen, wissenschaftlichen Streits“ massiv beeinflusst. Noch etwas – nicht nur hierzulande war dieser Überfall Anlaß für Zeitenwenden; denken Sie an Finnland und Schweden. Diese Länder verstanden sich dazu, ihre jahrzehntelang erprobte Neutralität aufzugeben, wohl ein noch größerer Einschnitt in Bisheriges. Wenn ich von einer Sache ziemlich überzeugt bin, dann der, dass die Zeitenwende weder Scholz noch der Bundesregierung in den Kram passten. Desgleichen nicht der deutschen Wirtschaft. Es war doch so „schön“: Russische Energie zu moderaten Preisen, der Transport gesichert über die Ostseepipelines, die man gegen alle Einwände namentlich aus Osteuropa als „rein wirtschaftliche Projekte“ quasi bis zum ersten Schuss in der Ukraine verteidigte.
      Was Ihren zweiten Punkt angeht, so weiß ich – wie Sie sagen – „eigentlich viel mehr“ (über Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus – St. W.) , aber das soll jetzt mal keine Rolle spielen, denn: Es geht um Russland“. Sie kennen möglicherweise besser als ich den Umfang der Literatur zu diesen Themen – und ich soll in einem Blättchen-Text von grundsätzlich 8000 Zeichen (ich habe überzogen) bei der Beschäftigung mit einem Land dieses mein Wissen zu ebendiesen Gegenständen auch noch ausbreiten? Oder hätten Sie gewollt, ich hätte wenigstens geschrieben: Das gab und gibt es auch woanders. Was hätte das an meinem Text geändert?
      Ihr hauptsächlicher Einwand ist wohl der – ich begäbe mich „aufs dünne Eis des Völkischen“. Ein geharnischter Vorwurf; mir erscheint er als Variante dessen, was in einem anderen Forum-Beitrag als Frage aufgeworfen wurde, ob „das eigentlich schon Faschismus?“ sei. Ich denke, so kann man nicht miteinander umgehen. Bei aller notwendigen Auseinandersetzung in der Sache. Daniil Granins Schreiben war sicherlich, wie Sie wohl richtigerweise sagen, von „tiefen Erschütterung über seine Partei und seine Staats- und Armeeführung“ geprägt. Und er hat diese Erschütterungen öffentlich gemacht mit seinem Schreiben; warum wohl? Und Sie meinen nun, dass es mir, „einem Deutschen“, nicht zukäme, Granin zu zitieren? Dürfte ich das als Franzose, Engländer oder Holländer oder auch Pole? Tangierte das nicht ein wenig den Vorwurf, den Sie mir machen?
      Am Schluss fragen Sie rhetorisch: „Was sollen ,wir’ nun machen mit ´Russlands Fluch´“? Gar nichts; es ist ein – vielleicht nicht ganz „zusammenhangloses Stück Text“ zu einer Debatte, die geführt wird. Und an der Sie sich beteiligen.

      Freundliche Grüße
      Stephan Wohanka

      PS. Sie haben sicherlich die letzten Entwicklungen in Russland mitbekommen. Letztlich ausgelöst durch Putins Spezial-Operation. Nun schießen in Russland Russen auf Russen. Es kann darob kein Frohlocken geben.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Naja, Herr Wohanka, es geht nicht darum, ihnen das Zitieren von wem auch immer anzulasten, sondern jedenfalls auch um die Unredlichkeit, mit der Sie das Granin-Zitat ge(miss)brauchen. Er kritisiert den achtlosen, verächtlichen Umgang der Staats-und Armeeführung mit Menschenleben, in dem Fall mit dem Leben einfacher Soldaten, differenziert also ganz klar zwischen Tätern und Opfern. Wenn Sie nach einem Abriss über die Historie des russischen Imperialismus und seine menschenverachtenden Auswüchse das grausame Agieren wahrscheinlich auch einfacher Soldaten im aktuellen Krieg quasi als der russischen Seele immanent und geradezu typisch betrachten – wie Sie mit dem einen oder anderen Zitat zu belegen versuchen – heben Sie diese Differenzierung auf.
      Bestimmt sind auch einfache Soldaten zu brutalen Tätern geworden. Anders ist, was in Butscha und anderswo an Bedrückendem zu sehen und zu erfahren war und ist, wohl nicht zu erklären.
      Dennoch ist es falsch und führt in die völlig falsche Richtung, dies mit den Abgründen der russischen Volksseele, was immer man darunter verstehen möchte, zu erklären, anstatt zu erkennen und darüber zu verzweifeln, zu was Menschen, egal welcher Volkszugehörigkeit, fähig sind.
      Gerade wir als Deutsche müssen mit Entsetzen in die Vergangenheit blicken und erkennen, welche Schuld unsere Eltern und Großeltern zu tragen haben bzw. hatten und welche Verantwortung uns heutigen dadurch aufgebürdet ist.
      Es geht eben nicht, Herr Wohanka, wie Sie schreiben um Russland und schon garnicht um die russische Seele. Es geht um die Frage, wie wir Menschen unser gesellschaftliches Leben dauerhaft gerecht und repressionsfrei gestalten, um uns derartige Auswüchse an Brutalität zu ersparen.
      Die Antwort will ich gerne noch einmal wiederholen: Es ist die urlinke, wenn auch derzeit in Verruf geratene Forderung nach Niederlegung der Waffen, aber eben auch nach Überwindung der kapitalistischen neoliberalen Gesellschaftsordnung und deren übelster Ausprägung, des Faschismus.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Schleiting,

      warum rekurrieren Sie wieder auf den „Faschismus“? Möglicherweise kommen „urlinke“ Positionen nicht ohne ihn aus; ansonsten meint gegenwärtig nur Putin, gegen Faschisten zu Felde ziehen zu müssen. Und meint damit die Ukrainer.
      Ich „ge(miss)brauche“ das Granin-Zitat, sagen Sie. In der Antwort auf Herrn Adolphi habe ich die Frage gestellt, warum der 96-jährige Granin diesen ihn offenbar sehr bedrückenden Umgang mit sowjetischen Soldaten durch ihre Kommandeure im Großen Vaterländischen Krieg öffentlich gemacht hat. Und zwar erst in seinem 2011 erschienen Spätwerk „Mein Leutnant“. Also lange Jahre nach den Geschehnissen brach er ein Tabu. Meine Antwort auf meine Frage: Er wollte warnen. Er wollte verhindern, dass so etwas wieder möglich würde. Und es geschah wieder.
      Wie es in einer Besprechung des Buches damals hieß: Es geht Granin darum, für die Nachgeborenen die Gräuel dieses Krieges zu dokumentieren, in dem das Sterben kein Zufall, sondern das Überleben, und in dem auch die sowjetische Führung durch die Beseitigung der erfahrenen militärischen Führung und der darauffolgenden Desorganisation dazu beitrug, dass auf der eigenen Seite so zahlreich gestorben wurde. Und im Blättchen-Heft: 25. Jahrgang, Nummer 1 vom 3. Januar 2022 hat Alfons Markuske ebenfalls dieses Buch besprochen. Man lese nach. Granin hielt übrigens am 27. Januar 2014 im Deutschen Bundestag die Rede anlässlich des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus.
      Sie schreiben: „Bestimmt sind auch einfache Soldaten zu brutalen Tätern geworden. Anders ist, was in Butscha und anderswo an Bedrückendem zu sehen und zu erfahren war und ist, wohl nicht zu erklären“. Wenn mein Erklärungsversuch historischen, psychologischen und soziologischen Entwicklungen und Tatsachen nicht gerecht wird, kann man dagegenhalten mit eigenen schlüssigen, überzeugenderen Argumenten.

      Stephan Wohanka

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Herr Wohanka
      „ansonsten meint gegenwärtig nur Putin, gegen Faschisten zu Felde ziehen zu müssen. Und meint damit die Ukrainer.“ Ich lerne gerade Niederländisch und bei Ihrer obigen Aussage kommt mir die frisch gelernte Redewendung „dat meen je niet echt“, sinngemäß „das kann nicht dein Ernst sein“ in den Sinn.
      Wollen Sie tatsächlich vor dem Hintergrund, dass allenthalben Faschisten auf dem Vormarsch sind -Beispiele brauche ich nicht aufzuzählen – alle ehrlichen Antifaschisten dadurch diskreditieren, dass Sie sie mit Putins vorgeblichem und verlogenem Antifaschismus gleichsetzen?
      Damit verabschieden Sie sich aus dem Diskurs!

  47. Erhard Crome sagt:

    Im aktuellen Forum des Blättchens wurde gerade über russische Soldaten und ihre Herkunftsgegenden gemutmaßt.
    Hier die Erinnerung an die deutschen Umstände. Der damalige Bundestagsabgeordnete von den Grünen (die waren damals noch für den Frieden) aus Sachsen, Peter Hettlich, fragte 2010 die Bundesregierung nach dem Anteil der Ostdeutschen an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Nach der Antwort des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesverteidigungsministerium, Thomas Kossendey (CDU), waren von den 6391 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz 3143 ostdeutscher Herkunft. Das machte einen Anteil von 49,2 Prozent aus – bei einem Anteil der Ostdeutschen an der Bevölkerung Deutschlands von damals knapp 20 Prozent. Das verteilte sich sehr unterschiedlich auf die Dienstränge: bei den Mannschaften waren es 62,5 Prozent, bei den Stabsoffizieren 16,6 Prozent, bei den Generälen nicht einer. (Nachzulesen bei der Süddeutschen Zeitung, 17. Mai 2010. Steht heute noch im Netz.)
    Von den 25 Gefallenen im Afghanistan-Krieg zwischen 2008 und Mitte 2012 stammten neun aus Ostdeutschland. Sechs Gefallene waren „deutschstämmige Zuwanderer/Spätaussiedler“ aus Polen, Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Damit waren „mehr als 50 Prozent der Gefallenen Ostdeutsche, Zuwanderer und Spätaussiedler“ (www.bild.de, 29.06.2012).
    Bekannt ist aus verschiedenen soziologischen Untersuchungen zu den US-Streitkräften, dass seit Jahrzehnten der Anteil der Schwarz-Amerikaner signifikant höher ist als der Weißen und höher, als ihr Anteil an der Bevölkerung der USA.
    Bei einem Seminar zur Rolle der Streitkräfte in Chile, an dem wir vor 20 Jahren teilgenommen hatten, berichteten die chilenischen Sozialwissenschaftler, dass sich viele Freiwillige von den indigenen Mapuche aus dem Süden Chiles zur Armee melden, weil das für sie der kürzeste Weg ist, der Armut zu entkommen.

  48. Wolfgang Brauer sagt:

    An Herrn Schleiting.
    Es gibt zivilisatorische Essentials, die weder durch Historisierungen noch durch Analogisierungen aufhebbar sind. Es sei denn, man will sich unbedingt mit der Moral einer Räuberbande gemein machen. Nichts anderes machen Sie. So ganz nebenbei springt man mit einer solchen Argumentation zum Beispiel allen ins Gesicht, die seinerzeit dem vietnamesischen Volk tätige Solidarität erwiesen. Das hatte sich übrigens mit einer atomaren Supermacht angelegt, die die Bombe schon einmal eingesetzt hatte.
    Um es ganz deutlich zu sagen, wer einem überfallenen Volk, das um Hilfe gegen einen übermächtigen Aggressor bittet, diese Hilfe verweigert, erledigt die Geschäfte des Aggressors. Da helfen die edelsten und geistreichsten Erklärungen nichts. Darauf hat Hayn hingewiesen. Das hat inzwischen selbst Alice Schwarzer erkannt.

    • Dr. Markus Hildebraa sagt:

      Apropos „zivilisatorische Essentials“, werter Herr Brauer: Entweder Sie wissen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass Russland, egal welchen weiteren Verlauf der Ukraine-Krieg nimmt, keine Atomwaffen einsetzen wird, oder Ihnen ist dieses Risiko ob ganz gewiss hehrer übergeordneter Grundsätze herzlich egal. In letzterem Falle würde ich von Ihnen und anderen Vertretern Ihrer „Denkschule“ allerdings nicht gern in kollaterale Mithaftung genommen werden.
      Ihr Bezug auf den Vietnamkrieg im Übrigen ist zwar irrig, aber gerade deswegen in der Debatte hilfreich: Der Krieg fand nicht vor der Haustür des Aggressors statt und drohte zu keinem Zeitpunkt, auf diesen überzugreifen …

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      An Herrn Brauer

      anstatt reflexartig auf bestimmte Begriffe und Namen zu reagieren, sollten Sie vielleicht die Mühe auf sich nehmen, Texte, deren VerfasserInnen Sie angreifen, zu lesen und zu verstehen versuchen. Es gab und gibt sowohl im Blättchen selbst, als auch in diesem Forum eine Reihe von Beiträgen, die einerseits sehr differenziert die historischen Zusammenhänge beschreiben, die der aktuellen Situation vorausgegangen sind und in denen zum anderen deutlich die Rechtfertigung dieses russischen Angriffs negiert wird, die aber zum dritten eben auch und gerade von Linken eine Positionierung zwischen den Fronten einfordern, eine Positionierung, die neben der akuten Forderung nach Niederlegung der Waffen eben die klassische linke Forderung nach Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und damit auch des Faschismus beinhaltet. Wer wie Sie jeden, der nicht vorbehaltlos in das allgemeine Gebrüll nach „mehr Waffen für die Ukraine“ einstimmt, bezichtigt, sich „mit der Moral einer Räuberbande gemein“ zu machen, betreibt letztlich das Geschäft der Kapitalisten, insbesondere das von Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann. Dass den Menschen in der Ukraine damit geholfen wird, darf ich weiterhin bezweifeln.

  49. Günter Hayn sagt:

    Zu Jutta Grieser.
    Sie erklären, Russland habe ein legitimes Sicherheitsinteresse. Sehr einverstanden. Die Ukraine hat dieses aber auch. Ebenso wie Deutschland oder meinetwegen Sri Lanka. Wenn Sie jetzt erklären, große Staaten hätten aber diesbezüglich größere Bedürfnisse, dann ist das keine eigenwillige Auslegung des Völkerrechtes, sondern dessen völlige Ersetzung durch die Logik einer Räuberbande. Das haette sich noch nicht einmal Otto von Bismarck getraut. Mir wird einfach nur noch schlecht

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Aus einem Text, in dem die Entwicklung seit 1989 sehr differenzert dargestellt wird, einen aus dem Zusammenhang gerissenen Satz zu nehmen und sich daran hochzuziehen, das ist einfach nur billig, Herr Hayn.

    • Jutta Grieser sagt:

      Fragen Sie doch bitte Ihren Arzt oder Apotheker.

  50. Ewald G. Schleiting sagt:

    Achso, Nachtrag, hab ich ganz vergessen, muss man ja betonen, besonders als Lumpenpazifist: Ich verurteile den russischen Angriff auf die Ukraine auf das Schärfste.

    • Stephan Wohanka sagt:

      An Herrn Schleiting:

      Um mit der am Ende Ihres Beitrages gestellten Frage zu beginnen – ob das „eigentlich schon Faschismus“ sei? Auf „Faschismus“ zu rekurrieren, zumal in deutschen Debatten, legt den Verdacht nahe, sachliche Argumente nicht zu haben oder sie zu vermeiden. Der Antifaschismus ist hierzulande gesamtgesellschaftlicher Konsens, und so kann jeder gebrandmarkt werden, der vom (vermeintlich) „richtigen“ Pfad der politischen Tugend (vermeintlich) abweicht.
      Sie haben natürlich recht – jeder Krieg ist „Verschmähung von Menschenleben“. Nur – ich beziehe mich auf Granin – kann auch im Krieg versucht werden, die Verluste an Soldatenleben klein zu halten oder eben auch nicht: „Nicht mit Menschen muss man sparsam umgehen, sondern mit Munition“.
      Und auch darin haben Sie recht, wenn Sie schreiben: „Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus sind und waren alles andere als russische Spezialtäten“. In jeweils spezifischer Ausprägung hat diese Phänomene auch anderswo gegeben. Nur: Im in Rede stehenden Text geht es um Russland. Wollte ich über Gleiches in einem anderen Land oder überhaupt darüber schreiben, wäre es ein anderer Text.
      Sie schreiben: „… indem er seine diskriminierenden Äußerungen nicht auf alle Russen bezieht, sondern die Menschen in Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk ausnimmt. Die sind ja intellektuell und moralisch beinahe auf unserem westlichen Werteniveau. Jedenfalls kommen ja die aktuellen Kriegsverbrecher „überwiegend…aus eher vernachlässigten, ärmeren Gegenden des Imperiums; was kein Zufall sein dürfte“. Nein – es geht nicht darum , dass „die Menschen in Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk“ auf „auf unserem westlichen Werteniveau“ wären (was ich auch nicht beurteilen kann), sondern darum – um nochmals Granin zu zitieren: „Morgen schicken sie Sibirier, dann Uraler, dann Kasachen“ -, dass russische Machthaber es aus naheliegenden Gründen vorzogen, nichtrussische Völkerschaften „schneller“ in den Krieg zu schicken als ethnische Russen. Und auch in der Putinschen „Spezialoperation“ sind nach internationalen Untersuchen überproportional viele Soldaten aus verarmten russischen Teilrepubliken gefallen. So hat danach das iranischsprachige Nordossetien 5,5 Gefallene pro 100.000 Einwohner zu beklagen, gefolgt von buddhistisch geprägten Burjaten – 5,44. Moskau mit rund 12 Millionen Einwohnern musste für den gleichen Analysezeitraum von einem Jahr wohl „nur“ rund 92 Tote beklagen. Damit genug dieser widerlichen Totenbuchführung.

  51. Ewald G. Schleiting sagt:

    Stephan Wohanka und der „böse Russe“

    Herr Wohanka läuft zu Höchstform auf: Er wirft den russischen Militärführern zu Recht „Verschmähung von Menschenleben“ vor, unterschlägt dabei, und das ist infam, dass jeder Krieg gleichzusetzen ist mit Verschmähung von Menschenleben. Er missbraucht die Zitation russischer Kriegsverbrecher (Stichwort „Fleischwolf“), indem er die aktuellen Ereignisse in eine angeblich „unselige Tradition“ russischer Kriegsführung einordnet, als ob nicht zu jedem Krieg das „Verheizen“ von Menschen untrennbar dazu gehört. Die Behauptung einer solchen typisch russischen Tradition meint er mit dem menschenverachtenden imperialistischen Agieren russischer Herrscher von Iwan dem Schrecklichen bis hin zu Stalin belegen zu können. Dabei übersieht er geflissentlich den historischen Kontext: Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus sind und waren alles andere als russische Spezialtäten. Mit Belegen hierfür möchte ich die Leser nicht langweilen, Herrn Wohanka stelle ich anheim, sich zu diesem Thema ein wenig einzulesen. Aber darum geht es ihm ja auch nur vordergründig:
    Indem er einen Zögling einer russischen Militärakademie als Experten zitiert, will er letztlich den Leser dahingehend „aufklären“, dass „Brutalität ein dunkler Teil der ´russischen Seele´ sei“. Auch das Medwedew-Zitat geht in die gleiche Richtung.
    Letztlich schränkt er sein Pauschalurteil ja dann doch ein, indem er seine diskriminierenden Äußerungen nicht auf alle Russen bezieht, sondern die Menschen in Moskau, Sankt Petersburg und Nowosibirsk ausnimmt. Die sind ja intellektuell und moralisch beinahe auf unserem westlichen Werteniveau. Jedenfalls kommen ja die aktuellen Kriegsverbrecher „überwiegend…aus eher vernachlässigten, ärmeren Gegenden des Imperiums; was kein Zufall sein dürfte“.
    Einer Gruppe von Menschen, in diesem Fall den Russen oder denen aus bestimmten Gebieten, eine dunkle Seele anzudichten und somit die Angehörigen dieser Gruppe zu diskriminieren, ist das eigentlich schon Faschismus?

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      An Herrn Wohanka,
      in Ihrer Antwort reduzieren Sie Ihre Aussagen im Vergleich zu Ihrem Ursprungstext in der Weise, dass Sie Kritik an russischen Machthabern dahingehend äußern, dass diese „es aus naheliegenden Gründen vorzogen, nichtrussische Völkerschaften ´schneller` in den Krieg zu schicken als ethnische Russen.“ , also entsprechend leichtfertiger deren Leben riskierten. Sie belegen das mit den entsprechenden Opferzahlen. Das mag so stimmen, ich habe nicht die Kenntnis es zu widerlegen oder zu bestätigen. Sie betonen, dass Sie nun mal über Russland und den Imperialismus russischer Ausprägung schreiben und sich dementsprechend beschränken. Dem kann ich folgen.
      Ich frage mich allerdings, wie ich Ihr Geschwurbel bzw. das der von Ihnen ja wohl zielgerichtet zitierten „Experten“ einordnen soll, mit dem Sie bzw diese über die „dunkelsten Winkel der russischen Seele“ schwadronieren. Sie fragen: „Woher kommt so viel Zerstörerisches in diesen Menschen? Wer waren diese Soldaten? Sie kamen nicht aus Moskau, aus Sankt Petersburg oder Nowosibirsk – sie kamen überwiegend aus depravierten Regionen im Fernen Osten oder Zentralrussland“, Klartext: typische Vertreter dieses brutalen Teils der russischen Seele. Kommt einem doch irgendwie bekannt vor: Der böse Russe halt.

  52. Brigitta Wagner sagt:

    Text : China: Politische und strategische Perspektiven

    Sehr geehrter Herr Schilling, der Artikel in der letzten Ausgabe des Blättchens hat mich etwas beunruhigt. Uneingeschränkt teile ich Ihre Bewunderung für den phänomenalen Aufstieg Chinas und wünsche dem chinesischen Volk, dass sich diese positive Entwicklung fortsetzt und möglichst alle Chinesen daran partizipieren können.
    Etwas kühl distanziert lese ich den Abschnitt, dass “die chinesische Führung konsequent ” gegen die Uiguren vorgeht. Wenn ich mich nur auf die offiziellen chinesischen Nachrichtenquellen beziehe, werden Uiguren in kasernierten Lagern, genannt Umerziehungslager, beim Singen fröhlicher Bilder, beim Basteln etc. und voller Lebensfreude gezeigt. Angesichts der deutschen Geschichte hege ich ein gewisses Misstrauen gegen jedwede Umerziehungslager. In meiner Erinnerung der Nachrichten der letzten 45 Jahre hat diese Art des Umgangs keinerlei Wirkung gezeigt. Als freiheitsliebender Mensch würde bei mir ebenfalls eine gewisse Widerspenstigkeit aufkommen. Nicht ganz unerwähnt lassen möchte ich sehr viel gravierendere Vorwürfe gegen die chinesische Führung durch westliche Medien. Da diese Vorwürfe durch die Auseinandersetzung mit dem chinesischen Konkurrenten aufgebauscht sein könnten, empfehle ich die Untersuchung durch ein unabhängiges Gremium, z.B. die UNO. Da es Uiguren nicht nur in China gibt und mir keinerlei terroristische Aktivitäten der Uiguren andernorts bekannt sind, hoffe ich auf ein friedliches Zusammenleben aller Chinesen in Wohlstand.

  53. Dieter Kusske sagt:

    Eine mögliche Antwort auf Wolfram Adolphi:

    Ein lesenswertes Buch über die Partei DIE LINKE – in diesem Frühjahr veröffentlicht

    Brajer, Sven: Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken.
    Von der Kapitalismuskritik zum woken Establishment
    Promedia 2023.

    Aus der Beschreibung durch den Verlag

    „Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat die deutsche Linke eine enorme Transformationsleistung hingelegt. Von antiimperialistischen, antiautoritär-libertären und antikapitalistischen sozialen Strömungen ist bis auf wenige Ausnahmen kaum etwas übriggeblieben. Eine einstmals linke Bewegung ist kulturell im woken Establishment und politisch in der marktkonformen, also der „bürgerlich-parlamentarischen Demokratie“ angekommen. Sie spielt auf der Klaviatur einer transatlantischen Propagandamaschinerie, bestehend aus „nachhaltigem“ Konsum, digitaler Massenverblödung und bürokratischem Anstaltsstaat mit leicht sozialem Touch.

    Zunehmend werden Feindbilder gezeichnet und jede/r, die/der dabei nicht mitmacht, wird ignoriert oder per Shitstorm zum Opfer einer sich ausbreitenden Cancel Culture gemacht. Das Diktum von der Freiheit, die immer auch die Freiheit der Andersdenkenden ist (Rosa Luxemburg) sowie Kritik am Überwachungskapitalismus sind vergessen, es zählt nur noch der Machterhalt, eingerahmt von einem totalitären Moralismus. Die Linke ist selbst Teil dessen geworden, was sie eigentlich bekämpfen wollte. Wie konnte es nur so weit kommen?“

  54. Danke, lieber Günter Hayn, für den Artikel zum Hintergrund und Umfeld des Prozesses um Lina E. und das Vorgehen der Staatsmacht. – Im “heute-journal” vom 4. Juni, 21.45 Uhr (https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/heute-journal-vom-4-juni-2023-104.html) bringt die Sprecherin ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck, mit welcher Gelassenheit die übrigen Parteien mit dem Anwachsen des AfD-Einflusses umgehen, obwohl diese Partei doch den Umfragen zufolge im Bund bereits mit der SPD auf einer Höhe liegt (!) – und zwar auf Platz 2 hinter der CDU und vor den Grünen – und in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gar an der Spitze rangiert, und es kommt dann auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) zu Wort, und der sagt in Minute 6:43 doch tatsächlich, dass sich die AfD “entzaubern” werde. Ich traue meinen Ohren nicht: War es nicht schon einmal Konsens, dass es einer der ganz entscheidenden – und am Ende tödlichen! – Fehler der demokratisch gesinnten Kräfte 1932/33 war, anzunehmen, dass sich die Nazis “entzaubern” würden? Weil sie, wenn es darauf ankomme, “nichts zu bieten” hätten? Nein, lerne ich jetzt, einen solchen Konsens gab es nicht. Nicht mal in der Linken. Denn nun wird von einem linken Ministerpräsidenten genau dieser Fehler wiederholt. Von einem Ministerpräsidenten, in dessen Amtszeit die AfD seine Partei DIE LINKE überholt und hinter sich gelassen hat.
    Ja, zum Teufel, was ist denn die – ganze Bücherregale füllende (!) – Forschung zum deutschen Faschismus wert, wenn sie nicht einmal die Einsicht in einen solchen Grundfehler, wie ihn die fundamentalen Unterschätzung des Faschismus darstellte, in den Köpfen befestigen konnte? Nun rächt er sich, der seit 1990 fast überall in der Linken – die SPD eingeschlossen – grassierende Mangel an politischer Bildungsarbeit, und er tut es mit nicht absehbaren Folgen. Wie kam es, dass, als Hitler und den Seinen die Macht übergeben worden war, Millionen Menschen aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, der Wirtschaft, der Wissenschaft, des Justizapparates, des Bildungs- und Erziehungswesens, des Gesundheitswesens usw. den Nazis folgten, ihnen all ihr Wissen und Können zur Verfügung stellten und darum eben die von so vielen gerade noch erhoffte “Entzauberung” nicht stattfand? Es ist allerhöchste Zeit, sich diese Fragen zu beantworten, denn anders werden wirksame Antworten auf die Entwicklung nach rechts nicht zu finden sein.

  55. Literat sagt:

    Mitunter ist der Blick zurück förderlicher als der voraus. Zum Beleg dieser Literatur-Hinweis: Peter Liebers: “Zivilcourage und Eigensinn. Der Dichter Stefan Hermlin”, zu finden in 8/13. April 2015 des “Blättchen”. Und trotz der Jahre dazwischen, erfahrungsgemäß mit veränderten Draufsichten und Folgen daraus, nichts zu finden für Selbst- oder Fremdzensur. Eher ein echter Beitrag! Beispiel: “Kaum zu glauben, daß der wertgeschätzte Literaturkritiker Karl Corino nicht erkennen konnte, daß Hermlins ‘Erziehungsbuch’, wie FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher das ‘Abendlicht’ nannte, ‘weder Memoiren, noch Autobiographie, noch Erzählung’ darstellen.” Mit: “Das Genre des Textes ist schwebend,” wird Dieckmann zitiert. Also Nachschlage empfohlen.
    Nun, weil ich schon mal dabei bin, etwas zur gegenwärtigen Diskussion: Ich erinnere daran, daß es sich um ein höchst angenehm vorgestelltes neues Buch von Herrn Schütt handelt; Hermlin ist sein Objekt, auch wenn der Autor pfiffig nur “Entlang eines Dichters” wandelt. Immerhin auf 296 Seiten! Wollen wir da vielleicht doch erstmal lesen, wie der Autor mit alten und neuen Erkenntnissen, auch eigenem Urteil zu diesem “Gegenstand” umgeht.

  56. Jürgen Hauschke sagt:

    Lieber Herr Wohanka,

    Wir nähern uns an. Ja, es ist so, auch Stephan Hermlin hat gewissermaßen eine Mitschuld, da er vermutlich aus gewissen Eitelkeiten und Lebenserfahrungen der fahrlässigen Gleichsetzung eines literarischen Textes mit einem Sachtext nicht deutlich entgegentrat. Tatsache bleibt, “Abendlicht” wurde von seinem Autor nicht mit einer Genrebezeichnung versehen, was auch Missverständnisse evoziert.
    An den verkürzten Satz “Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit”, kann ich mich auch gut erinnern. Ich hörte ihn, wenn ich mich nicht täusche, erstmals im FDJ-Studienjahr in den Abiturjahren. Wie ich später begriff, stammt diese philosophische Erkenntnis von Friedrich Engels aus dem sogenannten “Anti-Dühring”, Engels bezieht sich auf Hegel und der hat es so nicht formuliert… Wie auch immer, genutzt wurde er als hohle Phrase zu Legitimierung aktueller Politik und nicht als philosophisch-logisches Gedankengerüst.
    Mit Ihrer Kritik an der mangelnden Berücksichtigung des Individuums in den Zeiten des “realen Sozialismus” sprechen Sie mir aus dem Herzen.
    Mit besten Grüßen Jürgen Hauschke

  57. Jürgen Hauschke sagt:

    Lieber Herr Wohanka,
    Ich-Erzähler eines literarischen Werkes bedeutet zunächst nichts anderes, als das die erzählte Welt aus der Perspektive eines „Ich“ berichtet wird. Dieses „Ich“ ist nicht der Autor, sondern eine fiktive literarische Figur. Sie kann, muss aber nicht Parallelen mit dem Autor aufweisen. Als Hermlins Text im Leipziger Reclam Verlag 1979 erschien, stand im Klappentext: „Ein eigentümliches Buch aus der Rückschau gewonnen und doch keine Autobiografie: Dichtung und Wahrheit, Andeutung und poetisches Symbol, Erlebnis und Evokation fügen sich zu einem Text von großer Intensität.“
    Vielleicht kennen Sie, um ein anderes Beispiel zu geben, das Buch „Der Tod ist mein Beruf“ von Robert Merle. Auch hier ist ein Ich-Erzähler im Zentrum, aber niemand käme auf die Idee diesen mit dem französischen Romanautor gleichzusetzen, denn die literarische Figur erzählt aus der Perspektive eines KZ-Kommandanten. „Abendlicht“ wurde von seinem Autor auch nie als Autobiografie betitelt.
    Herzlich Jürgen Hauschke

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Hauschke, lieber Herr Hildebraa,
      es ist richtig, dass Hermlins „Abendlicht“ keine Autobiografie ist. Punkt. Dass es jedoch zu Auffassungen kommen konnte, es sei eine, daran ist der Autor nicht ganz schuldlos; er trat seinerzeit Meinungen, es sei Autobiographie, nicht nachdrücklich genug entgegengetreten. Und auch später säte er selbst Zweifel – wenn Folgendes richtig ist: „Bei einer Lesung in einer Berliner Galerie erläutert er (Hermlin – St. W.), was ihn von seinem Verfolger unterscheidet: ´Ich habe gelogen aus sehr dringenden Gründen, aber Herr Corino lügt nicht aus denselben Gründen wie ich´, sondern ´aus tiefer antikommunistischer Überzeugung´“. Wenn Hermlin meint, gelogen zu haben, stellt er dem fiktionalen Charakter seines Werkes selbst zur Disposition. Fiktionen lügen nicht. Auch professionelle Literatur-Exegeten haben Hermlin bei seinem Wort genommen – zum Beispiel Gustav Seibt.
      Und , Herr Hildebraa, Sie fragen, wie ich darauf käme, den Satz von der Verdrehung Individuum / Gesellschaft für „einen der fundamentalsten Sätze der marxistischen Theorie überhaupt“ zu halten?
      Geben Sie sich nicht zumindest teilweise selbst die Antwort, wenn Sie schreiben: „Die strichen den Satz zwar nicht aus dem Manifest, übergingen ihn aber – in den Exegesen meines ausufernden marxistisch-leninistischen Grundstudiums in der DDR kam er praktisch nicht vor – zugunsten des die SED-Praxis besser rechtfertigenden Diktums von der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“? Genau deshalb kam der Satz nicht nur in Ihrem Studium nicht vor, sondern „überall“. Weil er „richtig“ gelesen der Praxis des realen Sozialismus widersprach. Und genau deshalb las Hermlins Protagonist ihn auch über die Jahre „falsch“.
      Nun kann man über den Kollaps des Sozialismus lange philosophieren, aber dass er rein äußerlich quasi ausschließlich als Angelegenheit von Produktionsverhältnissen, Produktivkräften, Produktionsweise, Klassenkämpfen, Diktatur des Proletariats, Vergesellschaftung der Produktionsmittel usw. daherkam, ist bekannt; Sie wissen das selber. Nirgendwo oder kaum trat dabei das Individuum in Erscheinung. Ist das nicht auch einer der Gründe seines Kollapses? Warum warfen Theoretiker wie Adam Schaff in Marksizm a jednostka ludzka (Marxismus und das menschliche Individuum) die These auf, dass auch in der sozialistischen Gesellschaft die Entfremdung des Individuums nicht aufgehoben sei; warum nicht?
      Lucien Sève hat mit dem Titel „Marxismus und Theorie der Persönlichkeit“ ein ähnliches Buch publiziert…. 2020 sagte Sève auf die Frage, was Kommunismus sei: „Gigantische technologische Möglichkeiten für das Wohlergehen aller, Ansätze für menschliche Beziehungen außerhalb der Klassen, unwiderstehlicher Fortschritt der menschlichen Emanzipation, verbunden mit der wachsende Rolle der Frauen, eine Fülle von Initiativen durch Einzelpersonen und Völker, ihr Schicksal und damit das unsere in die eigenen Hände zu nehmen… „. Ob das alles so richtig ist, sei dahingestellt; jedenfalls dem Einzelnen breiter Raum gegeben.

      Ich grüße Sie herzlich
      Stephan Wohanka

  58. Stephan Wohanka sagt:

    Zu: Gefährte des Ikarus von Wolfgang Brauer
    „Und dann „Abendlicht“, ein Stück deutsche Jahrhundertprosa….“.
    Mir ist diese Prosa vor allem im Gedächtnis geblieben, da in ihr ein, bah – das Paradebeispiel für ideologische Selbstmanipulation beschrieben ist: „Mit dreizehn Jahren las ich zufällig das´Kommunistische Manifest´ […] Längst schon glaubte ich, es genau zu kennen, als ich, es war in meinem fünfzigsten Lebensjahr, eine unheimliche Entdeckung machte. Unter den Sätzen, die für mich seit langem selbstverständlich geworden waren, befand sich einer, der folgendermaßen lautete: ´An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft … tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung aller die Bedingung für die freie Entwicklung eines jeden ist´. Ich weiß nicht, wann ich begonnen hatte, den Satz so zu lesen, wie er hier steht. Ich las ihn so, er lautete für mich so, weil er meinem damaligen Weltverständnis auf diese Weise entsprach. Wie groß war mein Erstaunen, ja mein Entsetzen, als ich nach vielen Jahren fand, daß der Satz in Wirklichkeit gerade das Gegenteil besagt: ´… worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist´“.
    Dann geht es bei Hermlin etwas diffus weiter – aber was für ein selbstkritisches Zeugnis! Welche Verkennung, ja Verdrehung einer der fundamentalsten Sätze der marxistischen Theorie überhaupt! Zu finden im besagten Buch auf den Seiten 22, 23.

    • wolfgangbr sagt:

      Mit Verlaub, lieber Herr Wohanka, Sie mach(t)en denselben Fehler wie Corino. Sie nehmen “Abendlicht” als Autobiographie. Es ist künstlerische Prosa. Vielleicht sollten Sie mit 50 Jahren Abstand noch einmal lesen? Und nicht nur herausgebrochene Sätze… Selbstmanipulation ist das nicht, Sie würden das rasch bemerken.
      Hermlin hatte noch so einen Satz geäußert, der seinerzeit ein wüstes Feldgeschrei provozierte. Den mit dem letzten spätbürgerlichen Schriftsteller…
      Herzlichst
      Wolfgang Brauer

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Herr Brauer,
      ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Wenn die Sätze aus Hermlins Buch nicht autobiographisch sein sollen – worauf beziehen sie sich dann? Auf einen„nichtbiographischen“ Ich-Erzähler? Auf die in der DDR praktizierte Politik? Die ja wohl ziemlich genau im Sinne der „verdrehten“ Lese-Version Hermlins handelte. Ist es also Hermlins Kritik an dieser?
      Ebenso Herzlich
      Stephan Wohanka

    • Dr. Markus Hildebraa sagt:

      Werter Herr Wohanka,

      die von Hermlin in reiferem Alter neu gelesene und dann gegensätzlich verstandene Sentenz aus dem Kommunistischen Manifest ist, ich darf Sie zitieren, „einer der fundamentalsten Sätze der marxistischen Theorie überhaupt“.

      Wie kommen Sie bloß darauf?

      Als Marx und Engels das Manifest schrieben, mag sie dieses und jenes motiviert haben. Die „Schaffung“ einer marxistischen Theorie gehörte gewiss nicht zu ihren Intentionen. Das übernahmen nach dem Tod der beiden ganz andere Religionsstifter. Die strichen den Satz zwar nicht aus dem Manifest, übergingen ihn aber – in den Exegesen meines ausufernden marxistisch-leninistischen Grundstudiums in der DDR kam er praktisch nicht vor – zugunsten des die SED-Praxis besser rechtfertigenden Diktums von der Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit.

      Sind Sie, geschätzter Blättchen-Auto, womöglich von einem sehr alten, doch in Zeiten krebsartig wuchernder unsozialer Medien und um Unierung des öffentlichen Denkens und Redens bemühter klassischer Medien wie nie zuvor verbreiteten Phänomen nicht gänzlich uninfiziert? Einen Popanz erst einmal Gestalt zu geben, um ihn hernach umso eindrücklicher erlegen – in Ihren Falle vielleicht besser abwatschen: „Welche Verkennung, ja Verdrehung einer der fundamentalsten Sätze der marxistischen Theorie überhaupt!“ – zu können.

      Der Versuchung erliegt man schnell, wie ich selbstkritisch einzuräumen nicht umhin komme. Und auch wenn man ihr einmal entgangen ist – sie liegt allzeit auf der Lauer …

      Mit herzlichem Gruß
      Markus Hildebraa

  59. Ralf Nachtmann sagt:

    Wie gut, dass die beiden Beiträge von Detlef Jena und Bernhard Romeike direkt aufeinander folgen; gewiss ist die kein Zufall.
    Hinsichtlich des französischen Präsidenten muss ich gestehen, dass ich vor einigen Jahren seiner damals mehrfach ver- oder angekündigten “Verbesserung” der Europäischen Union misstraute. Alldieweil er den Nach-Komma-Satz “und die Deutschen sollen das gefälligst bezahlen” immer nur im Geiste sprach. Aber dafür wird er wohl des öfteren heimlich weinen, weil er “Flinten-Uschi” zur Euro-Bossin machte; sein “vermeintlich kleines Übel” hat sich als recht großes entpuppt. Kann passieren.
    Heute gehe ich mit Macron vor allem hinsichtlich seiner Forderung, wir sollten keine “Vasallen” Amerikas sein d’accord. Leider kam dies von ihm nicht nur in Worten, sondern m.E. auch in Taten um Jahre zu spät. Als die Ukraine-Krise so um 2012 auf einen ersten “Höhepunkt” zusteuerte, hat Frankreich dies zwar nicht ignorieret, die “Arbeit” hingegen Deutschland und leider eben auch den USA überlassen.
    Zu schade, dass meine Forderung von Anfang 2014, nun endlich das “D 125-Format” auf den Weg zu bringen, überhört wurde. (Der D 125 war der Fernreisezug Paris-Berlin-Moskau; lange vor dem 2. WK hieß er auch einmal D 6. DDR-Bürger durften ohne Reisevisum nicht einsteigen, selbst wenn sie in Frankfurt/Oder wieder hätten aussteigen können.)
    Doch wenigstens spricht Macron – ganz im Gegensatz zu Biden, Scholz/Baerbock und Leyen nicht vom “Siegfrieden”. Möglicherweise hat das auch damit zu tun, dass Frankreich bei den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert auch nie, obschon gewonnen, “gesiegt” hat.
    Offen bleibt bisher – zumindest habe ich noch nirgendwo davon schlüssig lesen können – die Frage, welche Interessen bei diplomatischen Vorstößen welches Gewicht bekommen sollten. Ist es da tröstlich, dass selbst der “Hundertjährige Krieg” nach 116-einhalb Jahren beendet war?

    • Jürgen Hauschke sagt:

      Werter Herr Nachtmann,
      Sie schreiben: “Möglicherweise hat das auch damit zu tun, dass Frankreich bei den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert auch nie, obschon gewonnen, ‘gesiegt’ hat.”
      Das stimmt so nicht ganz. Zum Ende des Ersten Weltkriegs hat Frankreich sehr wohl gemeinsam mit den anderen Entente-Mächten kräftig gegenüber Deutschland “gesiegt” und dies im Versailler Vertrag besiegeln lassen. Dieser nicht nur von den Rechten in Deutschland als “Schand- und Diktatfrieden” bezeichnete Vertrag trug bekanntlich bereits in sich den Keim des kommenden Krieges einige Jahre später.
      Das wäre für Macron vielleicht ein Grund, nicht vom “Siegfrieden” zu träumen.
      Herzliche Grüße
      Jürgen Hauschke

  60. Ewald G. Schleiting sagt:

    Die Kunst der Diplomatie
    Jaja, sie muss noch viel lernen. Bedauerlich ist nur, dass sie es nicht in der Schule tut, wo das „Lernen am Modell“ an der Tagesordnung ist und der durch Dummheit oder Übereifer angerichtete Schaden sich in übersichtlichen Grenzen hält. Nein, sie praktiziert „learning by doing“ auf höchster diplomatischer Ebene, posaunt ihre Statements, kürzlich las ich die treffende Formulierung: „mit der Inbrunst einer Klassensprecherin“, in die Welt und merkt garnicht, welchen diplomatischen Flurschaden sie anrichtet, der blöderweise nicht allein ihrer in Gestalt einer schlechten Note auf dem nächsten Zeugnis ist, sondern einer, der die ganze Welt betrifft, die durch ihre Trampelei noch unsicherer wird.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Sry, Herr Precht, für das geklaute Zitat, war mir in dem Moment nicht bewusst

  61. Bernd Gappa sagt:

    Der Teufelskreis von Krieg und Frieden (2. Teil)
    Am Ende des zweiten Weltkrieges wurde in unserer Gattungsgeschichte Mensch eine vollkommen neue Weichenstellung für die Gestaltung der Beziehung von Gesundheitsförderung und Gesundheitszerstörung vorgenommen.
    Sowohl im Völkerrecht (seit 1945) als auch in der Deklaration der Menschenrechte (1948) sind die Inhalte von Demokratieentwicklung vorgegeben: Kriege sind zu verhindern, um die Menschenrechte durchzusetzen.
    Das Ringen um einen Weltfrieden aller Staaten zur Durchsetzung der Menschenrechte beinhaltet: Kriege zu verhindern und Friedensförderung zu betreiben, die die wesentlichste Bedingung für die Gesundheitsförderung des Menschen im Sinne aller Menschen auf unserem Globus ist.
    1989 gab es in den Protestaktionen der DDR drei Ereignisse, die ich hier für die Entfaltung der Einheit von Friedensförderung und Gesundheitsförderung hervorheben will:
    1. Es gab eine Losung „Global denken – lokal handeln“;
    2. Es gab die Gründung der IFM – Initiative für Frieden und Menschenrechte;
    3. Es gab den zivilen Ungehorsam aller waffentragenden Männer, die sich der militärischen Verteidigung der DDR verweigerten.
    Vor allem der letzte Fakt scheint mir bis heute nicht beachtet zu werden, denn er enthält ja die Frage, warum es 1989 keinen Bürgerkrieg in der DDR gab.
    Denn mit einem Staat DDR im Bürgerkrieg hätte es niemals die Gründung der BRD am 03.10.1990 gegeben.
    Hätte auch nur ein einziger „Ossi“ sein Waffensystem – egal welches – zum Einsatz gebracht, würde es heute keine schwachsinnigen Diskussionen über Identitäten von Ossis und Wessis geben.
    Schwachsinnig deshalb, weil diese Art von Konfliktaustragung die riesige Chance einer politischen Synchronisierung verhindert, Gesundheitsförderung und Friedensförderung nachhaltig in Einklang zu bringen. Das verhindert auch, alle in der Vergangenheit aufgetauchten Ideen in diese Richtung gar nicht zur Kenntnis zu nehmen.
    Eine dieser konstruktiven Ideen, über militärische Verteidigung nachzudenken, wäre das ernsthafte Aufgreifen der Konzeption einer vertrauensbildenden Verteidigung der Staaten. Das ist formallogisch zwar unlogisch, lebensweltlich betrachtet für die Synchronisierung von Gesundheitsförderung und Abrüstung und Konversion der Streitkräfte im Klimawandel eine mögliche politische-moralische Entscheidung, um im Interesse aller Menschen sich gemeinsam weltweit in den Klimawandel ein- und anzupassen.
    Die Umsetzung der Idee der vertrauensbildenden Verteidigung im oben genannten Kontext ermöglichte logischerweise gleichzeitig eine neue Qualität in der Anpassung des Gesundheitssystems an die Idee der individuellen Gesundheitsförderung als gesamtstaatlicher Aufgabe und gleichzeitig als globale gemeinschaftliche Aufgabe aller Staaten.
    Der Teufelskreis von Krieg und Frieden könnte also durchbrochen werden und die Gewalt des Friedens könnte nachhaltig zur Wirkung kommen und den Krieg als Staatszustand zurückdrängen.

  62. Bernd Gappa sagt:

    Der Teufelskreis von Krieg und Frieden (1. Teil)
    Am 02.05.23 wurde mir ein Artikel von Rolf Bader auf den Nachdenkseiten mit folgendem Titel zugeleitet: „ Positionspapier „Landesverteidigung“ bedeutet Krieg: Für eine „Kultur des Friedens“ im Zeichen des Ukraine-Krieges!“
    Als philosophierender Mensch, der sich als Friedensforscher mit dem Beitrag der IPPNW zur Herausbildung neuen politischen Denkens und Handelns befasst hat, muss ich diesen Artikel nicht lesen.
    Begründung dieses zivilen Ungehorsams.
    Meine Forschungsarbeit zur Rolle der Ärzte für die Verhinderung eines Atomkrieges erfolgte in den Jahren 1986 und war im Frühjahr 1990 beendet.
    Der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn meiner Arbeit mündete in der Feststellung, dass die Berufsinteressen von Ärzten und darüber hinaus das Berufsinteresse aller Angestellten im Gesundheitssystem in allen Staaten rund um den Globus inhärent die gleiche ethische Grundorientierung haben: Förderung der Gesundheit des Menschen. Das aber ist eine gesellschaftliche Querschnittsaufgabe auch aller anderen gesellschaftlichen Systeme wie das der Wirtschaft und des Bildungs- und Erziehungssystems.
    Mit einer Ausnahme: das staatliche Verteidigungssystem. Wenn dieses System abschreckend gegen Angriffskriege anderer Staaten funktionieren soll, muss es so ausgerüstet sein, dass der angreifende Staat keine Chance auf einen dauerhaften stabilen und konstruktiven Frieden auf fremdem Staatsgebiet haben wird.
    Die Erfahrungen vergangener und jetziger Kriege sowie militärischer Auseinandersetzungen zeigen, dass sowohl Soldaten als auch alle an militärischen Kampfhandlungen beteiligten Akteure nur ein Verhaltensinteresse haben dürfen: dem Feind zu schaden, so gut es geht.
    Das aber ist nicht bloß das Gegenteil von Förderung der menschlichen Gesundheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sondern hier stehen sich zwei auseinanderstrebende Gesellschaftsprozesse gegenüber. Hier Lebensförderung und dort Lebenszerstörung.
    Deshalb steht das Gesundheitssystem dem Verteidigungssystem in Ziel- und Zwecksetzung diametral gegenüber. Die Berufsinteressen der Arbeiter im Gesundheitssystem und die Berufsinteressen der Arbeiter im Verteidigungssystem sind objektiv unvereinbar.
    Unvereinbar deshalb, weil die beruflichen Ausbildungsziele im Gesundheitssystem und im Verteidigungssystem vollkommen entgegengesetzt sind.
    Als Fallschirmjäger wurde ich ausgebildet zum Töten von Menschen und zum Zerstören von militärischer Infrastruktur sowie zum Zerstören militärisch nutzbarer ziviler Infrastruktur.
    Fallschirmjäger, egal in welchen Streitkräften, erfahren die gleiche Ausbildung.
    Töten von Menschen und Zerstören militärischer und militärisch nutzbarer Infrastruktur ist das Grundziel für die Ausbildung der Soldaten in allen Staaten.
    Dennoch gibt es in jedem Staat die Gleichzeitigkeit dieser auseinanderstrebenden Systemaufgaben.

    • Oliver sagt:

      Gut, dass Sie den Begriff “Kultur des Friedens” erwähnen. Dazu gab es ja auch schon eine UNO Dekade (.. for a culture of peace). In den letzten Jahren betonen Autoren wie Sven Fuchs (Die Kindheit ist politisch!) und Franz Jedlicka (Die vergessene Friedensformel) immer wieder die Wichtigkeit einer gewaltfreien Kindheit für eine solche Friedenskultur. Denn wie sollen Länder friedlich werden, wenn bereits Gewalt in der Kindheit weitgehend akzeptiert wird (Jedlicka). Sven Fuchs hat wiederum die Kindheiten vieler Diktatoren untersucht und kommt zu dem gleichen Schluss …

  63. Ewald G. Schleiting sagt:

    Jörg Machel Den Frieden gewinnen
    Großenteils stimme ich den Ausführungen von Jörg Machel zu: die Leistung Gorbatschows, die allgemeine Hoffnung auf eine lange Zeit des Friedens, die arrogante Siegermentalität des Westens, die Appellation an einen gewaltfreien Aufstand der Friedfertigen. Findet alles meine Zustimmung. Es ist richtig und wichtig, diese Kriegslogik in Frage zu stellen bzw. als falsch und Leid bringend zu entlarven und zu verurteilen. Als jemand, der die katholische bigotte Lebensweise als Kind und Heranwachsender im tiefschwarzen Westmünsterland der 50er und 60er Jahre sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen, dieselbe als Zögling eines katholischen Internates „genossen“ und lange gebraucht hat, sich davon zu emanzipieren, muss ich allerdings feststellen, dass die christlich-österlichen Bezüge mich doch sehr befremden, ja abstoßen: Alles, was an moralischen Forderungen auf der christlichen nachösterlichen Lehre basiert, ist in den 2000 Jahren seitdem zu oft und bis heute auf das Übelste pervertiert worden. Eines der herausragenden jüngeren, wenn auch nicht das letzte, wahrscheinlich, nicht sicher, das übelste vieler Beispiele dafür wird im aktuellen Blättchen in dem Beitrag „Der schweigende Papst“ von Jürgen Hauschke mit bekannten, aber eben auch neuen, Fakten und Erkenntnissen untermauert: die Kooperation Pius des XII. gerade mit den Nazis ab 1939 zum gegenseitigen Nutzen und zum Schaden unzähliger jüdischer Opfer. Diese katholische Kirche und ihre Lehre taugt nicht als moralische Instanz!
    Die von Jörg Machel in bester Absicht aufgestellten richtigen Forderungen lassen sich m. E. deutlich überzeugender philosophisch ethisch begründen. Ob man da einer Kant´schen deontologischen Ethik folgt oder eher einer utilitaristischen, wie sie Jeremy Bentham und John Stuart Mill entwickelt und wie sie Peter Singer später als Präferenzutilitarismus fortentwickelt hat, ist dabei nicht von Bedeutung. Bedeutsam ist, dass es in der philosophischen Ethik tatsächlich und überzeugend um moralisch begründetes Handeln geht. Unter diesen Gesichtspunkten stellt sich sicherlich Putins Handeln als verurteilungswürdig dar, das der westlichen Akteure in Vergangenheit und Gegenwart aber sicherlich auch als kritikwürdig und falsch.

  64. Andreas sagt:

    Text: Marc Trachtenberg, NATO-Osterweiterung

    Die Tagesschau am 31.1.90, 20h, berichtet u.a. von Genschers Tutzinger Vorschlägen. Wieben verliest, Genscher habe sich auf einer Tagung der evang. Akademie Tutzing besonders gegen eine Ausweitung des militärischen NATO-Gebietes nach Osten gewandt, da dies das Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion berühren und damit die deutsch-deutsche Annäherung blockieren würde.

    Dem folgt ein Einspieler mit O-Ton von Genscher in Tutzing:

    Interviewer:
    Herr Minister, keine militärische Ausdehnung der NATO auf des Gebiet der DDR, aber auch kein neutralisiertes Gesamtdeutschland, wie soll das Ihrer Meinung nach zusammen gehen?​

    Genscher:
    Deutschland wird Mitglied sein in der NATO, aber die Streitkräfte der NATO werden in dem Raum bleiben, in dem sie heute stehen; d.h., auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland.​

    Der Interviewer fragt nun, ob Genscher diese Vorstellungen mit seinen Kollegen in der NATO abgesprochen habe.
    Genscher gibt zurück, nein, das sei ein deutscher Beitrag zu kooperativen Sicherheitsstrukturen in Europa und der NATO gehe dabei ja nichts verloren, […] die deutsche Einheit sei nicht zu haben, wenn es zu einer Kräfteverschiebung zwischen West und Ost komme. […]

    Der Schwerpunkt des Tagesschauberichts liegt also erkennbar auf dem DDR-Militärstatus.

    Aktuell wird wenig wahr genommen, dass Genscher im Interview am 31.1.1990 für die Tagesschau zutreffend betonte, dass der NATO mit seinem Vorschlag ja nichts verloren gehe. Nicht zutreffend war dagegen seine offenkundige Auffassung, sein Vorschlag, die militärischen Strukturen der NATO nicht auf das DDR-Gebiet auszudehnen im Fall einer deutschen Einheit, sei k e i n e Kräfteverschiebung zwischen Ost und West.

    Denn: Gesamtdeutschland werde Mitglied in der NATO sein, so Genscher. Was zur Folge hätte (hatte), dass die DDR bzw. das DDR-Gebiet aus dem WP ausscheiden würde (ausgetreten ist). Und dort war das mit weitem Abstand umfangreichste Militär- und Waffenkontingent der SU außerhalb der SU stationiert.

    Das musste unweigerlich wenig seriös oder konstruktiv in Moskau wirken, sowohl bei den orthodoxen Kommunisten, siehe Valentin Falin oder Juli Kwizinsky, wie bei den moderaten Kräften wie Gorbatschow und Schewardnadse.

    Gorbatschows Brief an Willy Brandt vom 7. Februar 1990 bringt u.a. genau diesen Umstand zur Sprache.

    In der Tagesschau vom 9. Februar 1990, 20h-Ausgabe, wird u.a. vom Besuch des us-amerikanischen Außenminister James Baker in Moskau berichtet. Dabei wird lediglich berichtet, es gehe u.a. zwischen den USA und der Sowjetunion um Abrüstung und um die Frage, ob ein vereintes Deutschland, wie Baker es wolle, Mitglied der NATO sein könne. Sein Meinung dazu wolle Gorbatschow den Journalisten nicht mitteilen.

    Der nächste Einspieler zeigt den ARD-Korrespondenten in Moskau, Albrecht Reinhardt, der einen Kommentator der offiziösen sowjetischen Nachrichtenagentur TASS u.a. damit anführt, Genschers Vorschlag eines vereinten Deutschland innerhalb der NATO, aber ohne westliche Truppen auf dem Gebiet der heutigen DDR, sei weder realistisch noch konstruktiv.

    Die Äußerungen Valentin Falins zu Genschers Tutzinger Ideen, im Interview mit dem SPIEGEL vom 18. Februar 1990, spiegeln die ablehnende sowjetische Haltung dazu, sowohl der Hardliner wie der Moderaten, genau wieder.

    Entsprechend und offenbar gänzlich irrelevant war in der damaligen Lage, Sache, Situation und Diskussion die benachbarte, verwechslungsfähige und verwechselte Aufforderung/ Idee/ Vorstellung/ Anregung in GenschersTutzinger Rede:

    […] Sache der NATO ist es, eindeutig zu erklären: Was immer im Warschauer Pakt geschieht, eine Ausdehnung des NATO-Territoriums [der NATO-Militärstrukturen? der sicherheitspolitischen Garantie nach Art. 5?; Anm. von mir] nach Osten, das heißt, näher an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben.[…]

    • Holger Politt sagt:

      Werter Andreas!
      Ihre ausgelassene Argumentation in Ehren. Doch eine kleine Frage zum Verständnis: Wo genau verlaufen Ihrer Meinung nach die Grenzen der Sowjetunion seit dem 1. Januar 1992? Ich habe da keine mehr gefunden!
      Hochachtungsvoll, Holger Politt.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Werter Herr Politt,
      sind Sie tatsächlich des Glaubens, dass Sie einer faktenbasierten Argumentation mit dem haarspalterischen Hinweis auf eine falsche Begrifflichkeit bzw. mit der herabsetzenden Wertung “ausgelassen” adäquat begegnen können? Es hat ja wohl doch jede Menge Zusicherungen gegenüber den Verantwortlichen der damals noch bestehenden Sowjetunion gegeben, an die man sich seitens der “Siegermacht Wertewesten” gegenüber dem Nachfolgestaat nicht gebunden fühlte.
      Bevor das wieder losgeht: Auch diese Arroganz seitens des Westens rechtfertigt selbstverständlich nicht den Angriff Putins…,

  65. Bernd Gappa sagt:

    Was ist denn nun richtig?

    Heute, am 15. April im Jahre 4.002.023 oder 7.002.023 steigt der heutige deutsche Staat aus der Nutzung der Atomkraft aus.
    (Gedanklich bewege ich mich immer in diesem unter Wissenschaftlern diskutierten Zeitraum unserer menschlichen Gattungsgeschichte als ungeschriebener und geschriebener Geschichte.)

    Tatsächlich ein Ausstieg des deutschen Staates aus der Nutzung der Atomkraft?

    In Deutschland werden die letzten 3 Kernspaltungskraftwerke abgeschaltet.
    Warum wird das mit der falschen Aussage in die Öffentlichkeit getragen, dass Deutschland aus der Atomkraftnutzung aussteigt?
    Die riesigen Geldmengen, die weltweit für die Entwicklung von Fusionskraftwerken ausgegeben werden machen doch nur dann einen Sinn, wenn sie komplementär zu den regenerativen Energien genutzt werden sollen unter Einschluss der Renaturierung der mit Windkrafträdern verbauten Umwelten.
    Iter – jeder kann sich im Internet informieren – soll nach mehrmaligen Verschiebungen 2025 angeschaltet werden und hat bis jetzt 25 Milliarden € gekostet.
    Fusionsforschung und Fusionskraftwerke sollen eine unerschöpfliche saubere Energiequelle erschließen.
    Warum dann die n i c h t nachvollziehbare Aussage, Deutschland steigt aus der Nutzung von Atomkraft aus, wenn sich Deutschland an der Fusionsforschung umfassend beteiligt?
    Warum wird n i c h t eine öffentliche Diskussion über die reale Möglichkeit inhärent sicherer Kernspaltungsreaktoren gefördert?
    Warum verbreiten Menschen eine falsche Aussage über die Atomkraftnutzung die k e i n e r Wirklichkeit im Ganzen entspricht?
    „Atomkraft nein danke“ schließt doch als nächsten konsequenten Schritt Widerstandsaktionen gegen Forschung und Entwicklung von Fusionsreaktoren in Deutschland ein?
    Ist das eine falsche Frage an die Atomkraftgegner, die ich als Philosoph stelle?
    Ich glaube nicht. Ich halte meine Frage als Philosoph gestellt für richtig. Genauso auch die Frage nach den realen Möglichkeiten eines inhärent sicheren Kernspaltungskraftwerkes scheint mir eine zeitgemäße Frage zu sein.
    All diese Fragen können umfassend sachfundiert nur die Naturwissenschaftler und die Ingenieure beantworten, die ihren Forschungsgegenstand in der Nutzbarmachung der Kernenergie sehen.
    Seit dem Jahr 4.002.045 oder 7.002.045 hat sich in der Kultur unseres Gattungslebens für alle Menschen in ihrer historischen Erscheinungsform als Staatsbürger ein global gültiges Wertekompendium entwickelt, das sich nur gemeinsam global in soziale Wirklichkeit umsetzen lässt.
    Danach bedeutet Gemeinsamkeit zu organisieren auch im Energiesektor im zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Marktverhalten von uns Menschen, unser individuelles Gewaltmonopol global so zu synchronisieren, dass die gemeinsame konstruktive Nutzung der Kernenergie im globalen Maßstab ermöglicht wird.
    Inhärent ist diesem Wertekanon die Herstellung von Kernspaltungswaffen und Kernfusionswaffen.
    Aber nur dann, wenn sie als Verteidigungswaffen für das eigene Staatsterritorium genutzt werden sollen.
    Wenn jedoch nicht nutzbar, warum dann hergestellt?
    Der Verteidigungskrieg ist nach wie vor der Krieg, der juristisch im Völkerrecht erlaubt und verankert ist.
    Genauso wie die Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen verboten ist.
    Damit ist der Krieg als Ganzes verboten.
    Das ist formal logisch genauso unbestreitbar wie formal logisch die Atomkraftgegner nun gegen die geplanten Fusionsreaktoren vorgehen müssten.
    Aller Erfahrung nach könnte das der nächste Schritt sein für „Atomkraft – nein danke!“ .
    Eine Position mal konsequent zu Ende gedacht in einer aktuellen sozialen Wirklichkeit, in der die kluge und gleichzeigig beschränkte Vernunft nach wie vor unsere objektiven Konfliktkonstellationen regeln will.
    Konflikteskalationen selbstverständlich immer inbegriffen.
    Eine Koalition der Vernunft und des Realismus in Bezug auf Durchsetzng des Völkerrechts und der Menschenrechte in einklagbare Bürgerrechte zu bringen ist deshalb bleibende Moralforderung.

  66. Stephan Wohanka sagt:

    Bulgakow entsorgen? von Dieter Segert

    Der Autor schreibt: „Dem nationalistischen Blick wird alles Russische zum Feind. Schon unter Präsident Juschtschenko, von 2005 bis 2010, wurde Russland zum historischen Feind der ukrainischen Nation auserkoren. Der wichtigste Ausdruck dessen war die Umdeutung der politisch erzeugten Hungersnot nach 1932 in eine gezielte Ermordung von Ukrainern. Die Stalinsche Politik der beschleunigten Industrialisierung und gewaltsamen Kollektivierung wurde als gezielte Ausrottung ethnischer Ukrainer interpretiert, als gewollten Genozid am ukrainischen Volk“.
    „Umdeutung“ – ist das nicht etwas hoch gegriffen? Auch kann der vom Autor verwendete Begriff der „politisch erzeugten Hungersnot“ durchaus auf „eine gezielte Ermordung von Ukrainern“ hinweisen. Wenn es dabei grundsätzlich um die – was stichhaltig ist – „Politik der beschleunigten Industrialisierung“ der Sowjetunion ging, wäre da nicht besser, von einer „ökonomisch bedingten“ Hungersnot zu sprechen? Dass jedes, auch ökonomisches Vorhaben, dann in politisches Handeln mündet, ist klar. Schon Lenin wies darauf hin: „Der Bauer muss ein wenig Hunger leiden, um dadurch die Fabriken und die Städte vor dem Verhungern zu bewahren. Im gesamtstaatlichen Maßstab ist das eine durchaus verständliche Sache; dass sie aber der zersplittert lebende verarmte Landwirt begreift – darauf rechnen wir nicht. Und wir wissen, dass man hier ohne Zwang nicht auskommen wird – ohne Zwang, auf den die verelendete Bauernschaft sehr heftig reagiert“.
    Nach Vielem, was zu lesen ist, ist der historische Befund nicht eindeutig – er schwankt zwischen einer Interpretation des Holodomor als Genozid – was dann tatsächlich primär als politische Maßnahme zu verstehen wäre – und einem doch grundsätzlich ökonomisch veranlassten Vorgehen, dem neben Ukrainern auch andere Ethnien der damaligen Sowjetunion zum Opfer fielen.

    Der ukrainische Hunger verführt schon länger zu zum Teil absonderlichen Deutungen (obige gehört nicht dazu). Der Historiker Wolfgang Wippermann kritisierte den Herausgeber des Schwarzbuches des Kommunismus, Stéphane Courtois, der darauf hinwies, dass der Tod eines ukrainischen Kulaken-Kindes, das vom stalinistischen Regime gezielter Hungersnot ausgeliefert worden sei, genauso schwer wiege wie der Tod eines jüdischen Kindes im Warschauer Ghetto, das dem vom NS-Regime herbeigeführten Hunger zum Opfer fiel. Wippermann argumentierte, das ukrainische Kulaken-Kind sei nicht wegen seiner ukrainischen Herkunft, sondern wegen seiner Klassenzuordnung gestorben. Das jüdische Kind dagegen sei ermordet worden, weil die Nationalsozialisten alle Juden vernichten wollten.

  67. Ewald G. Schleiting sagt:

    An Wolfgang Brauer
    Herr Brauer,
    wenn jemand sich mit Polemik verabschiedet, darf er sich über eine polemische Antwort nicht wundern. Das vorerst dazu.
    Zu Ihnen und Ihrer Argumentation bzw. Diktion:
    Sie werfen mir nunmehr nicht mehr Halbwissen, sondern Nichtwissen vor in Bezug auf die Leistungen eines von Ihnen geschätzten Autoren. Mir scheint es allerdings durchaus möglich, auch ohne dieses Wissen eine fundierte Meinung zu entwickeln zu vielen Fragen im Zusammenhang mit diesem Krieg, auch wenn dies zugegebenermaßen aufgrund vieler guter, aber eben auch oft gegensätzlicher Argumente verdammt schwierig ist.
    Sie schreiben bezüglich meines Textes von „an Arroganz kaum zu toppende[r] Kommentierung“, ohne dies zu begründen, wohl wissend, dass dieser Text eine Antwort darstellte auf einen Kommentar, der vor Arroganz strotzte: bestimmten Autoren werden hier in vermeintlich satirischer Form (ich nenne das Polemik) tatsachenverdrehende Behauptungen zu machtmissbrauchenden Aktivitäten der Sowjetunion bzw. des Warscher Paktes bzw. später der Russischen Föderation untergeschoben. Nicht gerade ein intellektueller Diskursansatz, wie ich finde. Dieselben Autoren sind ja wohl auch gemeint, wenn kurz danach vom „sich »links« drapierenden Unfug im »Blättchen«“ die Rede ist. Intelletueller Diskurs? Achso!
    Sie maßen sich an, zu beurteilen, welche Argumente einem „intellektuellen Diskursansatz …würdig“ sind. Spätestens an dieser Stelle heben auch Sie sich den von mir bei Schlütrumpf diagnostizierten Bruch.
    Meine Argumente bezeichnen Sie als „beckmesserisch“ und begründen dies mit Ihren SED-Erfahrungen. Diese teile ich nicht, ich bin in Westfalen aufgewachsen und sozialisiert(, kann Ihnen aber versichern, dass auch das nicht immer ein Zuckerschlecken war, Spaß beiseite). Allerdings ist es unredlich, diesen Erfahrungshintergrund zum Maßstab zu machen, indem Sie den von mir „als groben Keil auf einen groben Klotz“ formulierten Satz bezüglich des Abschieds mit der inquisitionsartigen „Befragung“ unbotmäßiger Genossen respektive mit einem üblen Honeckerzitat gleichsetzen. Mir damit gleichsam Honecker´sche Denke zu unterstellen, ist schon starker Tobak.
    Verehrter Herr Brauer, wenn Sie jemandem Arroganz, Polemik und mangelnde Bereitschaft oder gar Fähigkeit zum intelletuellen Diskurs vorwerfen wollen, sollten Sie vielleicht den Satz beherzigen, dass, wer im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen soll.
    Im Übrigen geht mir das von Ihnen unterstellte Sendungsbewusstsein gänzlich ab. Dafür bin ich mir meiner eigenen Haltung gegenüber vielen Fragen, die im Zusammenhang mit diesem Krieg aufgeworfen werden, viel zu unsicher. Ich bin sehr bereit, meine inhaltlichen Positionen darzulegen, was nicht Sinn meines hier zur Rede stehenden Textes war, und diese zu hinterfragen und hinterfragen zu lassen. Ich halte dieses Hinterfragen(dürfen) bezogener Positionen, ohne dabei die Moralkeule zu schwingen, auch für dringend geboten im Sinne einer irgendwann einmal zu erreichenden möglichst konsistenten linken Positionierung in diesem Komplex. Wozu ich nicht bereit bin und was ich auch nicht nötig habe, ist mich in Schlütrumpfscher oder Brauerscher Manier von genau dieser Moralkeule abkanzeln zu lassen.

  68. Wolfgang Brauer sagt:

    An Ewald G. Schleiting

    Herr Schleiting,
    man kann in Bezug auf Inhalt und Form von Jörn Schütrumpfs Erklärung, mit der er dem „Blättchen“ quasi Valet sagt, höchst unterschiedlicher Meinung sein. Aber Ihre mit Verlaub an Arroganz kaum zu toppende Kommentierung schlägt schlägt nun doch dem Faß die Daube aus. Offensichtlich muss man Ihnen zugute halten, dass Sie weder die Texte dieses Autoren noch seine sonstigen Veröffentlichungen, respektive seine verlegerische Tätigkeit kennen. Sie müssten sonst wissen, dass Sie sich hier über einen der besten deutschen Kenner der Geschichte der Parteien und Bewegungen im Umfeld der Kommunistischen Internationale und ihrer Nachfolgeorganisationen äußern. Nun sollte man niemandem Nicht-Wissen vorwerfen – auch deshalb habe ich meinen ursprünglichen FORUM-Eintrag wieder gelöscht –, man kann ja dazulernen. Aber statt dessen dreschen Sie jetzt auf Holger Politt los, zeigen dabei nicht den geringsten Ansatz, dessen Position zu verstehen und praktizieren statt dessen billigste Polemik, die jedem intellektuellen Diskursansatz unwürdig ist.
    Ich kenne solch beckmesserischen „Argumentationen“ aus meiner SED-Vergangenheit, die schlussendlich in die Frage mündeten: „Bist du nun für den Frieden oder nicht? Bist du nun für uns oder bist du gegen uns? Genosse, du stehst doch schon gar nicht mehr in der Partei…“
    Ich gehöre zu der Generation, die noch mit sehr persönlicher Getroffenheit den Satz lesen musste, dass man “denen” keine Träne nachweine. Das war die Honeckersche Antwort auf Menschen, die den DDR-Sozialismus nicht mehr ertragen wollten oder konnten. So etwas wollte ich eigentlich nie wieder sehen. Statt dessen muß ich im „Blättchen“-Forum lesen (8. April, 15:23), „der Verfasser [J. Schütrumpf] scheint zu glauben, sein mit böswilliger Polemik inscenierter Abschied wird als Verlust verstanden“. Mit Verlaub, das ist dieselbe Denke.
    Das habe ich als Spät-Stalinismus erlebt. Und ich erlebe ständig, dass solches in manch linken Zusammenhängen – jetzt kommen Sie mir bitte nicht mit den Rechten, um die geht es jetzt nicht – immer noch Usus ist. Das ist das, was ich mit dem euphemistischen Begriff „furchtbar“ meine.
    Klipp und klar: Jörn Schütrumpfs Abschied empfinde ich nicht nur als Verlust, es ist einer. Sie mögen das anders sehen. Eines sehen Sie richtig, seine Attacke geht auch in Richtung von Positionen, die Sie vertreten.
    Gott erhalte Ihnen Ihr Sendungsbewusstsein.
    Wolfgang Brauer

    • Dr. Markus Hildebraa sagt:

      „Sendungsbewusstsein“, Herr Brauer, trifft’s: Herrn Schütrumpfs finale Abkanzelung anderer Blättchern-Autoren zeugt von einer Heilandspose, die nun wirklich nur schwer erträglich ist. Da kann dem groben Klotz dann auch schon mal ein ebensolcher Keil (Schleiting) begegnen – alle ansonsten zu würdigenden Schütrumphschen Verdienste hin oder her.
      Im Übrigen hat das Blättchen J. Schütrumpfs geschichtsvergessene Formulierung „Falls die Ukraine fällt, wird über eine neue Anti-Hitler-Koalition … zu reden sein.“, die offenkundig von keinerlei Sachkenntnis zum militärischen Kräfteverhältnis zwischen Russland und dem Westen* getrübt ist und damit ebenfalls als, um Sie nochmals zu zitieren, „billigste Polemik“ gescholten werden könnte, zwar passieren lassen (Ausgabe 12/2022), ist ihm in dieser Richtung aber bisher meines Wissens nicht gefolgt. Ich hoffe, das bleibt so.

      * – Dazu findet sich im Blättchen 15/2022 eine umfassende Darstellung (“Zur konventionellen Überlegenheit der NATO gegenüber Russland”).

  69. Erhard Crome sagt:

    Der Spiegel-Text, den ich im März in Sachen “Pazifismus” zitiert hatte, enthielt auch den zutreffenden Satz: “Ehemals Überzeugte haben sich verbittert abgewendet. Unter ihnen viele Grüne, Linke, Sozialdemokraten…” Das betrifft augenscheinlich nicht nur partei- und friedenspolitische Akteure, sondern auch frühere oder Noch-Blättchen-Schreiber.
    Was mich anbelangt, es haben sich nun exakt dieselben Verdammer der Idee, dass eine weiße Fahne hunderttausendfachen Tod und die Zerstörung weiter Teile der Ukraine verhindert hätte, jetzt gefunden, die sich in dieser Sache bereits vor einem Jahr lautstark geäußert hatten. Es war übrigens auch kein einziges neues Argument dazugekommen.

    • Holger Politt sagt:

      Da verschlägt es mir dann doch ein wenig die Sprache, wenn ich lese, wie unverhohlen der deutsche Friedensforscher Erhard Crome die Ukraine zur Kapitulation auffordert. Ihm sei hier Gerd Kaiser empfohlen, dessen ergreifendes und so wichtiges Buch über Katyn: Die weiße Fahne hatte jenen 15.000 Offizieren (meistens waren es Reserveoffiziere, also im zivilen Leben Ärzte, Ingenieure, Lehrer usw.) der polnischen Armee, die mit gestreckten Waffen in die sowjetische Gefangenschaft gingen, nichts genutzt. Sechs hochgestellte Herren im Kreml entschieden per Unterschrift alsbald, sie einzeln erschießen zu lassen. Hinter Oder und Neiße beginnen andere historische Erfahrungen, wie Erhard Crome zu gut weiß. Warum er im Falle des brutalen militärischen Angriffs auf die Ukraine nun so tut, als gäbe es diese gar nicht, bleibt unergründlich. Aus dessen tiefer Ablehnung aktueller US-amerikanischer Außenpolitik erklärt sich diese Ignoranz nicht.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Was mich sprachlos macht, Herr Politt, ist, wie eindimensional Sie historische Erfahrungen mit Kriegsverbrechen geograhisch in den Osten verorten und damit einzig dem russischen Verantwortungsbereich zuschieben. Immer da, wo es Kriege gab, gab es Kriegsverbrechen, an denen, auch wenn Sie es geflissentlich übersehen, leider auch die Staaten des sogenannten „Wertewestens“ beteiligt waren. Nicht ohne Grund wird der Internationale Strafgerichtshof in den Haag auch von den USA nicht anerkannt. Ich wäre dafür, im Augenblick alles zu tun, um weiteres Blutvergießen und weitere Zerstörung zu beenden und danach in einer Situation, in der niemand mehr um sein Leben fürchten muss, die weiteren Dinge in aller Klarheit, beispielsweise auch in den Haag, zu regeln.

  70. Ewald G. Schleiting sagt:

    NATO, 1990: keinen Zoll nach Osten – eine Nachlese
    Wolfgang Schwarz
    „Weder die NATO noch die Vereinigten Staaten oder eine andere westliche Demokratie haben 1990 oder danach das von Putin behauptete Versprechen [es werde keine Ost-Erweiterung der NATO stattfinden – W.S.] abgegeben […]. Was es gab, waren entsprechende mündliche Erklärungen des Bonner Außenministers Hans-Dietrich Genscher und vielfältig ausdeutbare Formulierungen des amerikanischen Außenministers James A. Baker und des Bundeskanzlers Helmut Kohl.“
    Dieses Narrativ versuche ich mal – Entschuldigung, manchmal ist es ja doch hilfreich – auf Stammtischniveau herunter zu brechen: Wenn „der Russe“ damals so dämlich oder naiv war, auf mündliche Zusagen zu vertrauen, dann ist er selber schuld, dass er nun über den Tisch gezogen wird. So etwas lässt man sich vertraglich zusichern, das weiß doch jede(r) Stammtischschwester/bruder.
    Auf dieses Narrativ also berufen sich nicht nur die maßgeblichen westlichen Politikgrößen, sondern auch ausgewiesene Historiker.
    Dass in den Umbruchsjahren (manche nennen das ja sogar „Revolution“) auf der Seite der Sowjetunion Personen verhandelten, die auf extrem schwankendem Boden standen, sich ihrer Positionen, sowohl formal, als auch inhaltlich, denkbar unsicher waren – der Augustputsch 1991, in dessen Verlauf und Folge Boris Jelzin an die Macht kam, machte diese Situation evident -, wird dabei großzügig ignoriert. Diese Personen waren nicht in der Lage mit Selbstbewusstsein zu verhandeln. Sie saßen Siegern gegenüber.
    Auch dass ihnen gegenüber auf westlicher Seite „Verhandler“ saßen, denen gerade sämtliche in 45 Nachkriegsjahren aufgestellten Ziele mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes auf dem Silbertablett serviert wurden und die zu echten Verhandlungen gar nicht bereit waren, sondern lediglich die Erfüllung ihrer Forderungen abhaken wollten, wird nicht gesehen.
    Der Warschauer Pakt, der real existierende Sozialismus war besiegt. Hurra!
    Ja, welche andere Konsequenz, als die Auflösung der NATO, deren Existenzberechtigung, meinetwegen auch …notwendigkeit, in der Bedrohung durch den Warschauer Pakt bestand, wäre denn nun sinnvoll gewesen?
    Es kam anders.
    In altbewährter Siegermentalität (das Wort „Machtgeilheit“ muss ich mir schweren Herzens verkneifen) wurden sämtliche Ansätze, mit der russischen Föderation zu einem Ausgleich zu kommen verspielt, die Osterweiterung von EU und NATO ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten in Moskau durchgezogen und so die Chance, tatsächlich ein gemeinsames, in Frieden existierendes „Europäisches Haus“ zu kommen, vergeigt.
    Jeder der angesichts dieses Krieges so gescholtenen PazifistInnen, mich eingeschlossen, hätte diese Konsequenz auf Seiten der Nato für sinnvoll und notwendig erachtet. Der jetzige Krieg hätte wahrscheinlich nicht stattgefunden, die Ukraine wäre ein Land, in dem es schön ist zu leben..
    Ich will letztlich dennoch nicht versäumen, auch wenn es mir bestimmte Leute als Lippenbekenntnis auslegen werden, mit zum Schwur erhobener Hand zu versichern, dass ich den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine verurteile.

    • Ralf Nachtmann sagt:

      “Diese Personen waren nicht in der Lage mit Selbstbewusstsein zu verhandeln. Sie saßen Siegern gegenüber.”
      Genau das erinnert mich so sehr an Versailles 1919. Die damaligen “Sieger” haben in ihrem Siegesrausch den Keim der Revance gelegt. Der biedere US-Präsident Woodrow Wilson brachte seine Erzählung vom “Selbstbestimmungsrecht der Völker” mit. Dieses jedoch wird – gerade von den USA – bis heute nur den von ihnen selbst “auserwählten” Völkern zugebilligt. WSelche das heute sind bzw. eben nicht sind, dürfte hinlänglich bekannt. sein.

  71. Joern Schuetrumpf sagt:

    Aus

    Wenn ich bestimmte Autoren im »Blättchen« richtig verstehe (Autorinnen und andere Geschlechter habe ich möglicherweise übersehen), dann hat die NATO am 17. Juni 1953 die Arbeiterunruhen in Ost-Berlin und im Gebiet um Halle/Saale mit Panzern niedergeworfen. 1956 ist die NATO in Ungarn einmarschiert und hat – nicht nur in Budapest – ein Blutbad sondergleichen angerichtet. Am 13. August 1961 hat die NATO – von West-Berlin aus – die Berliner Mauer errichtet und danach 28 Jahre lang Flüchtende gezielt ermorden lassen. Am 21. August 1968 ist die NATO in die Tschechoslowakei eingefallen und hat in verschiedenen Städten Demonstranten – allein auf dem Marktplatz von Liberec waren es neun – ermordet. 1979 überfiel die NATO Afghanistan und hat dort u. a. mit Minen, die in Spielzeug versteckt waren, Kinder umgebracht. Kurz darauf, 1981, hat die NATO die polnische Führung gezwungen, das Kriegsrecht zu verhängen. Am 9. Oktober 1989 versuchte die NATO, in Leipzig ein Blutbad anzurichten. 1999 hat die NATO Grosny und weitere tschetschenische Städte sowie einige Dörfer weitgehend in Schutt und Asche gelegt. Und am 24. Februar 2022 hat die NATO ein friedliebendes Russland überfallen …
    Außer im Falle Serbiens 1999 hat meines Wissens die NATO – die mir übrigens alles andere als sympathisch ist – nie jemanden überfallen; ihre Vormacht, die USA, hingegen sehr wohl: verbunden mit sehr vielen Verbrechen, die immer wieder angeprangert werden müssen. Die gehen aber nicht auf das Konto des Nordatlantikpaktes.
    Lange Jahre habe ich den sich »links« drapierenden Unfug im »Blättchen« weggelächelt. Ab sofort halte ich es jedoch mit Alfred Polgar. Der jahrzehntelange Autor der »Weltbühne« wurde 1947 angesprochen, ob er nicht an der neuen Ost-Berliner Zeitschrift mitmachen möchte. Er antwortete, dass er zwar an einer Zeitschrift gleichen Namens bis in die Emigration hinein mitgearbeitet habe, aber mit dem neuen Produkt nicht in Verbindung gebracht werden möchte. So geht es mir ab sofort mit dem »Blättchen« auch.
    Jörn Schütrumpf, Ostern 2023

    • Max Klein sagt:

      Unser langjähriger und immer noch Freund wird wissen, dass er mit seiner satirischen Verdrehung einer traurigen Geschichte keinen Blaettchen Autor “richtig versteht”. Max Klein

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Macht nix
      Der erste Teil des Kommentars ist keine Satire, sondern billige Polemik. Dazu sonst nix. Der zweite Teil zeugt von der Überheblichkeit des Verfassers, der 1. zu glauben scheint, sein mit böswilliger Polemik inscenierter Abschied würde als Verlust erlebt und 2. offensichtlich meint, sich mit Alfred Polgar vergleichen zu können, und sich damit einen Bruch hebt.

    • Ralf Nachtmann sagt:

      Ach, es waren also nicht die NATO-Mitglieder, die den Vietnam-Krieg in unverbrüchlicher Treue unterstützten, sondern die Warschauer-Pakt-Staaten, die Bomben, Napalm und Agent Orange regenen ließen?
      Es waren also nicht die NATO-Mitglieder, die stillschweigend (und zustimmend) den verbrecherischen Überfall der USA auf Grenada incl. der öffentlichen Ermordung des frei und demokratisch gewählten Präsidenten hinnahmen?
      Ihre meist recht klugen Beiträge werden (wohl nicht nur mir) fehlen. Allerdings: Jeder ist ersetzbar.
      Alles Gute, verehrter Herr Kollege.
      Bleibe Ihr Ralf Nachtmann

  72. Bernd Gappa sagt:

    Philosophieren über Humanismus und Gewalt
    Humanismus ist eine geistige Grundhaltung von Menschen, die davon ausgeht, dass alle Menschen ihrem Wesen nach gleich sind und darum die Verhaltensergebnisse aller Menschen, ob als Einzelner oder als Gruppe, immer menschlich sind.
    Das Wort unmenschlich als Wertung menschlichen Verhaltens ist deshalb ein überflüssiges Wort. Es hat keinen realen Bezugspunkt zur Verhaltenswirklichkeit von uns Menschen.
    Der Mensch als biopsychosoziale Einheit verhält sich immer als ganzer Mensch und jeder Mensch ist für sein Verhalten verantwortlich.
    Verhalten des Menschen ist immer auch Wahrnehmung von Verantwortung für das eigene Verhalten.
    Da der Mensch sich nicht nicht verhalten kann, kann es folglich auch kein verantwortungsloses Verhalten von Menschen geben.
    Nur Tiere und Maschinen mit KI sind unmenschlich und verantwortungslos, denn sie kennen weder moralischen Grundsätze noch entwickeln sie Ziele und Zwecke für ihr Verhalten.
    Das schiebt den Menschen zwischen Tier und Maschine und hebt im Dreieck Tier – Mensch – Maschine uns Menschen an die Spitze des Dreiecks.
    Damit wird die ganze Verantwortung des Menschen für sein ziel- und zwecksetzendes Verhalten nicht über Tier und Maschine gestellt. Der Mensch wird in seinem Verhalten zur Natur immer abhängiger von der Natur. Diese wachsende Abhängigkeit von der Natur wird im dreifachen Sinne deutlich:
    1. von der Natur selbst;
    2. von den Gesetzen der Natur sowohl außerhalb seiner selbst als auch in sich selber;
    3. von der Maschinenwelt, die immer das Nutzen von Naturgesetzen ist.
    Das geschieht im Krieg genauso wie im Frieden.
    Krieg und Frieden ist heute – im 21. Jahrhundert – nach tausenden Jahren Kriegserfahrungen innerhalb unserer Gattungsentwicklung auch ein Vergleichsverhältnis von antihumanistischer Gewalt und humanistischer Gewalt.
    Die untrennbare Einheit von Humanismus und Gewalt ist heute der objektiv reale transformative Inhalt in der Globalisierung, den nur ein über den Staaten stehender politische Souverän, der alle rund 200 Staatsvölker auf der Erde vertritt, durchsetzen kann – und das ist die UNO – bzw. sollte sie sein..
    Sie zu reformieren bedeutet im Kern, die konstruktive Gewalt der UNO stärken, damit sie ihre Aufgaben im Einklang von Völkerrecht und Menschenrechten sowohl innerstaatlich als auch zwischenstaatlich durchsetzen kann.
    Staatliche Streitkräfte gegeneinander und gegeneinander gerichtete Militärblöcke sind ein öffentlich demonstriertes Zeichen gegen eine gemeinsame Durchsetzung der Menschenrechte zu einklagbaren Bürgerrechten.
    Eine Welt ohne Kriege ist möglich, wenn man sie will. Wer sie nicht will, scheint aus einer Welt mit Kriegen umfassenden Nutzen zu ziehen. Das ist natürlich eine menschliche Grundhaltung aber auf jeden Fall eine antihumane Grundhaltung.
    Ostern ist ein guter Anlass, hinter dem Schokoladenhasen den ans Kreuz genagelten Jesus zu sehen. Sein neues Denken über Geld und dessen zerstörender Wirkung auf die Kultur des menschlichen Zusammenlebens haben Andersdenkende veranlasst, ihn ans Kreuz zu nageln. Dennoch konnte bis heute nicht verhindert werden, dass die 10 Gebote der christlichen Lehre nach wie vor zum geistigen Welterbe eines humanistischen Denkens zählt.
    Ostern ist ein guter Anlass, über Gotteskrieger und das individuelle Gewaltmonopol der Friedensaktivisten nachzudenken.

  73. Holger Politt sagt:

    Zum Sonderheft: Es fällt auf, wie konsequent der Herausgeber (Wolfgang Schwarz) die Frage des im Laufe des Jahres 1991 immer deutlicher voranschreitenden Zerfallsprozesses der Sowjetunion ausklammert. Das Auseinanderfallen der Sowjetunion kann dem Westen nicht angekreidet werden, der trägt da wohl kaum eine nachweisbare Schuld. Wer genauer hinsieht, wird übrigens die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) als die entscheidende und treibende Kraft beim Auseinanderbrechen des Riesenlandes ausmachen können. Ohne Sowjetunion aber begann ein völlig anderes sicherheitspolitisches Spiel, woran 1990 in westlichen Hauptstädten (von Gorbatschows Moskau einmal ganz abgesehen) weniger gedacht worden sein dürfte. Und: Als die Sowjetunion verschwand, war auch der Warschauer Vertrag bereits einvernehmlich aufgelöst. Damit aber standen Länder wie Polen, Ungarn oder die Tschechoslowakei ab 1992 vor völlig neuartigen sicherheitspolitischen Fragen. Bezüglich dieser Fragen sollten – so verstehe ich jedenfalls das weitergehende Anliegen von Wolfgang Schwarz – bereits 1990/91 von westlicher Seite (Washington, Bonn, Paris, London) und von Gorbatschow entscheidende Eckpunkte festgelegt worden sein? Mir scheint das ziemlich weit hergeholt! Der Blick in die Dokumente ab dem 1. Januar 1992 dürfte hier viel eher weiterführen. Obendrein: Gorbatschows schneller Bedeutungsverlust, dem er ab Sommer 1991 nicht mehr ausweichen konnte (die dramatischen Vorgänge in Moskau, die Auflösung des Warschauer Vertrags), sollte nicht ausgeblendet werden.

  74. Heinz Jakubowski sagt:

    Finale Einlassung II

    Um hier meinerseits noch einmal klarzustellen: Der Westen, vornehmlich die Nato und allen voran die USA haben mehrfach schwere völkerrechtliche Schuld auf sich geladen, was ihnen in der Tat auch nicht vergessen werden darf. Und auch die Ukraine ist kein Land, das als “Insel der Seligen” zu verteidigen ist, sondern sls Opfer einer brutalen Aggression mit aberwitzigen “Begründungen”. Den erstgenannten Aspekt aber gebetsmühlenartig mal um mal in Stellung zu bringen, wo es um eine russische Aggression geht, hat mehr als nur ein politisches Geschmäckle. Als seinerzeit – auch im Blättchen – etwa der verlogene Irakkrieg der Bush-Administration international ebenso verurteilt worden ist wie von dem heute so verachteten Mainstream der Medien, kam jedenfalls kein “Blättchen”-Autor auf die Idee, mit permanenten Hinweisen auf russische Terrorakte wie in Tschetschenien um Relativierung bemüht zu sein. Denn an dem, was Alfred Reingoldowitsch Koch, unter Boris Jelzin Russlands stellvertretender Ministerpräsident jüngst resümierte, ist leider nichts übertrieben: “Es gibt kein Verbrechen, das sie nicht schon begangen haben. Sie haben viel Geld ausgegeben und Hunderttausende ihrer eigenen Leute und andere Leute getötet. “Sie haben die Zukunft ihres Landes und den Ruf ihres Volkes zerstört. Und was haben sie im Gegenzug erreicht? Nichts. Nichts als den Hass und die Verachtung der Menschheit.”

    Gewiß, man kann als Autor solcher Meinung sein, wie sie Wolfgang Schwarz – und nicht nur er (!) – im Blättchen – vertritt und man kann sie auch publizieren. Wenn man allerdings als Redakteur einer Publikation diese zur Lufthoheitstribüne macht, dann sollte man ehrlicherweise entweder eine eigene Plattform gründen oder sich dem inhaltlichen Solidarverbund der Jungen Welt, der Nachdenkseiten und des Rotfuchs anschließen.

    Heinz Jakubowski

    PS: All die oft langjährigen Autoren, die mit ihren Texten nach wie vor dem eigentlichen, nichtideologischen und politisch nichthermetischen Anspruch des Blättchens dankenswerter Weise folgen, mögen mir die Schärfe meines Urteils nachsehen, sie sind mit diesem nicht gemeint.

    • Dr. Markus Hildebraa sagt:

      Na, werter Herr Jakubowski, schon wieder mal ein Rücktritt vom Rücktritt? Mit finalen Beiträgen, meine ich, mich erinnern zu können, waren Sie in diesem Forum schon des Öfteren präsent.
      Doch die Sache ist für müde Scherzchen zu ernst: Erneut schwingen Sie sich zum Zuchtmeister auf – besonders wortreich dieses Mal und mit dem ehrenrührigen Anwurf, Blättchen-Autoren betrieben das Geschäft des Kremls.
      Allerdings zeugt Ihre Betrachtungsweise im vorliegenden Fall von einem gerüttelten Maß an historischem Astigmatismus: Der Ukraine-Krieg hat eine Vorgeschichte, ob Ihnen das nun passt oder nicht, und wer die ausblendet, statt Lehren daraus zu ziehen, der legt jetzt schon wieder den Grundstein dafür, dass auch die nächste Nachkriegsordnung vergeigt werden wird. D a s habe ich bei Schwarz, Sarcasticus und anderen im Blättchen verstanden und finde diesen Ansatz in ureigenstem deutschen und europäischen Sicherheitsinteresse höchst vernünftig.
      Und apropos Nachkriegsordnung: Dass wir eine solche überhaupt noch einmal erleben werden, ist derzeit ja keineswegs ausgemacht. Denn ob man eine Atommacht wie Russland vor ihrer Haustür oder – falls der Krieg sich ausweitet, was verhindert werden möge – gar auf ihrem eigenen Territorium militärisch besiegen kann, ist bisher aus gutem Grunde noch nie versucht worden. Das sollte auf jeden Fall auch so bleiben, denn anderenfalls könnten Kernwaffen eingesetzt werden. A u c h d i e s e s habe ich bei Schwarz und anderen im Blättchen gelesen, ohne dass damit dem russischen Angriffskrieg Absolution erteilt worden wäre.
      Natürlich ist es Ihr gutes Recht, all dies entweder gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen oder für irrelevant zu halten …

    • Erhard Crome sagt:

      Da wir nun wieder bei der Erkenntnis sind, nicht nur die aktuelle Oberfläche zu betrachten, sondern auch historische Zusammenhänge und Hintergründe, sei nur angemerkt, dass dieser Herr Reingoldowitsch Anfang der 1990er Jahre zu der neoliberalen Clique gehörte, die in Russland mittels sogenannter Schocktherapie die Privatisierung und damit die Wirtschafts- und Gesellschaftskrise sowie allgemeine Verarmung der Bevölkerung durchführte.
      Mitte der 1990er Jahre hatten wir in Potsdam eine Veranstaltungsreihe der Universität Potsdam und der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, zu der auch Sozialwissenschaftler aus den “Transformationsländern” eingeflogen wurden (Jochen Franzke und ich haben das damals abwechselnd moderiert). Russische Soziologen berichteten damals anhand aktueller Umfragedaten, dass “Demokratie” bei der Mehrheit der Bevölkerung inzwischen als Schimpfwort galt – nach fünf Jahren – wie Sowjetmacht nach über 70 Jahren.
      Ohne die damalige gesellschaftliche Zerrüttung wäre Putin niemals an die Macht gekommen. Außerdem lebt dieser Kronzeuge lt. Wikipedia in Deutschland, erzählt also das, wovon er erwartet, dass man es hier hören möchte.

  75. Heinz Jakubowski sagt:

    Finale Einlassung

    Was will uns ein Autor sagen, wenn er über ein Jahr nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine per “Sonderausgabe” noch einmal – denn der Autor hat das schon vielfach an diesem Ort ebenso getan wie seine Brüder und Schwestern im Geiste (Sarcasticus, Gabriele Muthesius, Hannes Herbst etwa) – beweist, dass der Westen es war, der Rußland betrogen und dergestalt bedroht hat, dass diesem quasi nichts übrig blieb, als sich prophylaktisch zu verteidigen?

    Ist es ihm wichtig, wenn er (wenn auch immer nur knapp) erklärt, dass der russische Überfall zu verurteilen ist? Oder ist sein Anliegen eben doch, Schuld und Verantwortung für den barbarischen Feldzug der russischen Armee und ihrer Progoschin- oder Kadyrow-Söldner jenen zuzuweisen, die sich nun dagegen wehren?

    Man hat Putin also mit Zusagen betrogen. Wenn ich dieser Enthüllung einfach mal folge, wäre eine Folgefrage meinerseits, wer wiederum die Ukraine und die an den damaligen Verhandlungen mitbeteiligten Westmächte in Budapest 1994 und in der Nato-Rußland-Akte von 1997 betrogen hat, als er für die Rückgabe der Atomwaffen nicht nur territoriale Integrität, sondern auch via KSZE-Grundakte die freie Bündniswahl vertraglich (!), und damit anders als in der Causa Genscher/Baker, zugesichert hat. Wenigstens diesmal war ja wohl nicht der Westen die Inkarnation alles Bösen, was für Autoren wie Wolfgang Schwarz nun etwa das ist, was die Sowjetunion und Co. einst für Ronald Reagan waren.

    Sorry, aber hier betreibt jemand das Spiel des Kremlherrn, was für das Blättchen, das bei allem Fehl und Tadel binnen seines 25jährigen Bestehens sich nie mit imperialen Kräften und/oder Demokratieverächtern gemein gemacht hat, ein schmählicher Werdegang ist – bis vor kurzem übrigens , denn der zuvor schon peinliche Totalverzicht auf jedweden Beitrag zur Pandemie nach anfänglicher Akklamation der Fundamentalkritik an der demokratischen Grundordnung, war zu alledem immerhin ein illustres Vorspiel.

    Um Wolfgang Schwarz mal an seinen Kollegen Sarcasticus zu erinnern:
    In einem wie üblich langen Beitrag – https://das-blaettchen.de/2023/01/dysfunktionale-fehlerdebatte-64381.html – hat dieser erst kürzlich eine lange Reihe von provozierenden NATO-Perfidien aufgezählt. An deren Anfang stellte er, dass die NATO sich seit 1999 durch ihre Osterweiterung immer näher an die Westgrenze Russlands herangeschoben hat und im Jahre 2008 schließlich beschloss, auch Georgien und die Ukraine aufzunehmen. (Eine Entscheidung, die auf dem NATO-Gipfel 2022 bekräftigt worden ist.) Dass die Aufnahme Georgiens und der Ukraine 2008 willentlich ausgesetzt wurde und erst durch Putins Überfall wieder auf die Agenda geraten ist, hat Wolfgang Schwarz wohl übersehen.

    Der Clou dieses Textes: Wolfgang Schwarz resümiert das alles und erklärt dann: Um aber gar nicht erst missverstanden zu werden: Keiner der gravierenden, teils fatalen Fehler des Westens im Verhältnis zu Russland seit Ende des Kalten Krieges – und auch nicht deren Summe – könnte die völkerrechtswidrige Aggression gegen die Ukraine rechtfertigen.*- Voila! Wie mag es nur kommen, dass diese “Erkenntnis” Schwarzens Verteidigungstexten Rußlands so regelmäig abhanden kommt?* (Hervorhebungen von H.J.)

    (Da das hier verhandelte Thema relevant genug ist, erlaube ich mir, diese Einlassung durch einen zweiten Teil zu ergänzen.)

  76. Stephan Wohanka sagt:

    Sehr geehrter Herr Schleiting,

    Sie haben mich zweimal angesprochen und es gebietet die Höflichkeit, Ihnen zu antworten.
    Es freut mich, dass Sie einräumen, ich bediente „Attitüde der Überlegenheit noch mit einem gewissen Augenmaß“; Sie seien Schlimmeres gewöhnt.
    Zum anderen fragen Sie, warum ich mich dafür entschuldige, mich selbst zu zitieren. Auch das halte ich für eine gewisse Form des Respekts Anderen gegenüber.

    Grundsätzlich geht es jedoch nicht um Obiges, sondern darum, was wir vom Pazifismus halten; nicht abstrakt, sondern sehr irdisch im Hier und Heute. Ich fand eine Textstelle, die ich gern zitiere, da sie meine Haltung dazu kurz und knapp ausdrückt: „… ich bin davon überzeugt, dass Pazifismus und damit auch Nichtsolidarität eine ausgesprochen gefährliche und unmoralische Haltung sein können, sowie ein Verrat an der Erinnerung an diejenigen, die sich tapfer gewehrt haben für den Frieden in früheren Zeiten“.

    Freundliche Grüße
    Stephan Wohanka

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Sehr geehrter Herr Wohanka,
      das Geplänkel bezüglich Ihres Selbstzitates könnte ich in sophistischer Manie(r) weiterführen, verzichte aber darauf. Bedenklich finde ich das Zitat, mit dem Sie Ihren Kommentar beenden und Ihre persönliche Haltung definieren:
      Die Gleichsetzung von Pazifismus mit Nichtsolidarität und die Verurteilung desselben als unmoralische Haltung geht exakt in die Richtung, gegen die ich mich verwahre. Da ist die Bezeichnung “Lumpenpazifist” nicht mehr weit. Ich befürworte jede nur erdenkliche Hilfe für alle Menschen die unter Krieg und Gewalt leiden, gleich ob sie in der Ukraine leiden oder in anderen Teilen der Welt. Deshalb fordere ich auch die Aufnahme und menschenwürdige Behandlung aller Geflüchteten und jede mögliche humanitäre Hilfe dort, wo diese leben bw. stranden, also selbstverständlich auch in der EU. Von daher verurteile ich absolut das menschenverachtende Grenzregime, dessen sich die EU schuldig macht. Was in diesem Zusammenhang geschieht, muss ich nicht im einzelnen ausführen. Ebensowenig muss ich allerdings ausführen, dass ich den von der russischen Führung angezettelten Krieg verurteile.
      Ich darf mir dennoch Gedanken darüber machen bzw. kritisieren, dass kaum noch jemand, schon gar nicht verantwortliche Politiker, das Ziel zu haben scheint dieses Blutvergießen zu beenden, es sei denn durch einen umfassenden Sieg der Ukraine und den Ruin Russlands. Dass dieser Zustand in absehbarer Zeit nicht eintreten wird, muss man erwarten und ergo befürchten, dass der Krieg mit allen Folgen noch lange andauert und möglicherweise weiter eskaliert. Es wird abertausende von Toten und massive Zerstörungen geben und, was ich tatsächlich zum Kotzen finde: Milliardengewinne für die westliche (Rüstungs)industrie. Oder werden letztere vielleicht abgeschöpft und zur Linderung der Not der Menschen, wo immer diese existiert, verwendet?
      Freundliche Grüße
      Ewald G. Schleiting

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      PS Herr Wohanka, so ist das nun mal mit den kurzen und knappen Antworten, mit denen alle bedient werden, die einfachen Gemütes sind oder nur keine Lust zum Nachdenken haben: Sie klingen zwar im Moment ganz plausibel, halten aber näherem Hinsehen nicht Stand, weil in der Regel die Probleme komplexer sind. Dass vornehmlich rechte Verführer mit dieser Art von “Argumentation” operieren, sollte Ihnen zu Denken geben.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Sehr geehrter Herr Schleiting,

      die Textstelle, die ich zitiert habe, ist nicht auf Sie gemünzt; sie bringt – wie gesagt – meine Haltung zum Ausdruck. Und der Begriff „Lumpenpazifist“ wäre auch nicht mein Sprachgebrauch.
      Ich will noch hinzufügen – und damit wird die Tragweite, die Komplexität des Friedensengagement unter diesen Kriegsbedingungen und die verhängnisvolle Verstrickung aller, die sich äußern, deutlich: Das Zitat stammt aus dem Inneren der Berghof Foundation, die sich – Sie wissen es als Friedensbewegter sicher – seit 50 Jahren als unabhängige Nichtregierungsorganisation für Friedensförderung stark macht. Ihr jetziger Direktor sagt, die Tradition des linken Pazifismus verdiene größten Respekt. Es sei jedoch nötig, die Engführung von „Nie wieder Krieg!“ zu hinterfragen.
      Worauf es also hinausläuft: Weder der erwähnte Direktor, noch Sie, noch ich haben „recht“. Es gibt hier keine allgemeingültige Wahrheit (die gibt es sowieso nicht); es gibt nur Haltungen, ein Sich-Verhalten zu dem, was vorgeht.

      Freundliche Grüße
      Stephan Wohanka

  77. Heinz Jakubowski sagt:

    Lieber Herr Schleiting,
    danke zunächst für den Hinweis auf den unangenehmen „Verlust“ des verneinenden Wortes „nicht“ – pardon! Den noch viel größeren Faux pas haben auch Sie übersehen – hat die UdSSR doch im Krieg gegen den Faschismus doch „nur“ 20 und nicht , wie ich schrieb, 50 Millionen Menschen verloren, Triple-Pardon!
    Über Ihren Hinweis darauf, dass Stalin lieber Menschen verheizt hat als zu kapitulieren, möchte ich nicht weiter mutmaßen, denn wiewohl Sie Stalins Menschenfeindlichkeit sicher zutreffend charakterisieren, mögen für die sowjetische Gegenwehr wohl doch noch andere Motive infrage kommen; Volkswille etwa, den man m.E. auch dann in Anschlag bringen kann, wenn niemand „das Volk vorher gefragt hat“.
    Ich habe großen Respekt vor Ihrer unbeugsamen pazifistischen Haltung. Aber da grade etwa der 75. Todestag von Egon Erwin Kisch begangen wird : Waren er, Orwell, Hemingway – um nur mal Beispiele aus den Reihen von Künstlern zu nennen – Kriegsverlängerer und quasi Mitmörder, weil sie und tausende Interbrigadisten den Kampf der spanischen Republikaner gegen den Faschisten Franco unterstützt statt zur Kapitulation aufgerufen zu haben?
    Moral ist ein schwieriges Terrain…
    Mit freundlichen Grüßen,
    Heinz Jakubowski

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Lieber Herr Jakubowski,
      um mit Ihrem Schlusssatz zu beginnen: tatsächlich ist Moral ein schwieriges Terrain, deshalb maße ich mir auch keineswegs an, dieselbe eher zu besitzen, als viele andere, auch andersmeinende. Es liegt mir auch fern, die von Ihnen aufgezählten Künstler oder gar diejenigen, die im spanischen Bürgerkrieg auf der richtigen Seite gekämpft haben zu verurteilen, schon gar nicht, und ich hoffe das wollen Sie mir nicht unterstellen, als Mörder. Ich darf aber daran erinnern, dass der spanische Bürgerkrieg, soviele Heldentode in seinem Verlauf auch zu betrauern waren, letztlich erst am 20.11.1975 mit Francos Tod, vielleicht aber auch erst mit dem gescheiterten Putschversuch am 23.02.1981, vielleicht aber bis heute nicht endgültig beendet ist, wenn man das Wiedererstarken der extremen Rechten in Spanien und anderswo in Rechnung stellt.
      Ich verurteile auch niemanden, der sich gegen Gewalt zur Wehr setzt oder auch dabei hilft.
      Ich sehe allerdings in der aktuellen Situation des Krieges in der Ukraine, wie auch in vielen anderen Kriegen, deutliche Interessen, die nicht vorrangig die der Menschen sind, die unter diesen Kriegen leiden müssen. Diese Interessen sehe ich durchaus auch auf der Seite des “Wertewestens”, beispielsweise bei den Kriegsgewinnlern in der Rüstungsindustrie. Letzteren spreche ich dann doch jegliche Moral ab, wenn ich daran denke, wo überall auf der Welt mit westlichen Waffen die Unterdrückung und das Töten von Menschen realisiert wird.
      Freundliche Grüße
      Ewald G. Schleiting

  78. Ewald G. Schleiting sagt:

    Antje Vollmer, Salut
    Vielen Dank, Max Klein, für diesen berührenden, aber auch aufrüttelnden Nachruf auf eine Frau, deren politisches Wirken und deren Positionen ich persönlich, wie ich zugeben muss, nicht auf dem Schirm hatte und daher auch nicht wertgeschätzt bzw. gewürdigt habe.
    Im Zentrum der Argumentation um eine Friedensperspektive sollte tatsächlich ihr Satz stehen, den Sie aus ihrem Beitrag in der BZ zitieren:
    „Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt wirklich retten will, diesen kostbaren einzigartigen wunderbaren Planenten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“
    Auch der Vergleich dieser beiden „grünen“ Politikerinnen, nämlich zwischen der amtierenden Außenministerin und Frau Vollmer, läßt das Manko der derzeitig im Westen praktizierten „Sicherheitspolitik“ aufscheinen:
    Hier die Ministerin, die mit ihren pubertären „durch argumentative Schlichtheit“ verblüffenden schrillen Trompetentönen, eine neue „antagonistische Nato Strategie“ verkündet, ganz im Sinne ihrer Idole Blinken und Biden, und jeden Gedanken an eine wie auch immer geartete Nachkriegskoexistenz vermissen lässt, dort eine Frau, die ihre Qualitäten als Vermittlerin mehrfach bewiesen hat und der es fern gelegen hätte, auch noch so „üble Konfliktparteien durch vorlaute Worte“ zu desavouieren.
    Dieser Vergleich ist übrigens alles andere als unfair. Wer dieses Amt ausüben will, darf sich nicht auf die Position zurückziehen „Ich bin ja noch klein und muss noch viel lernen“. Dafür ist der Schaden, den sie anrichtet zu groß. Vielleicht gibt es ja Menschen, die Frau Baerbock den Platz an der Sonne neben Blinken und Biden gönnen. Gut für Deutschland und die Welt ist es sicherlich nicht, in dieser Position eine Person zu haben, die genau diesen „Hass“ und diese „Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion“ verkörpert wovon Antje Vollmer schreibt und deren erklärtes Ziel es folgerichtig ist Russland zu ruinieren und eine europäische Sicherheitsarchitektur nicht nur ohne, sondern gegen Russland aufzubauen.

  79. Ewald G. Schleiting sagt:

    Lieber Heinz Jakubowski,
    Sie fragen „warum sich die UdSSR…via Kapitulation ihre horrenden Opfer erspart hat.“ Ausgehend von der Annahme, dass Ihnen bei der Formulierung das Wort „nicht“ durch die Lappen gegangen ist, möchte ich behaupten, dass die Antwort auf der Hand liegt: Auch der Machthaber der damaligen Sowjetunion war ein menschenverachtendes Ungeheuer, dem wie Hitler ein paar Millionen Menschenleben, egal welcher Nationalität, am A…. vorbei gingen.
    Über die Beweggründe der beschriebenen Dorfbewohner, egal ob Russen, Belarusen, Ukrainer oder Balten, die den deutschen Truppen, wahrscheinlich in Unkenntnis ihres tatsächlichen Auftrages bzw iher tatsächlichen Absichten, mit gewisser Freundlichkeit begegneten (wenn es denn so war, mir ist das, wie ich gestehen muss, neu), kann man trefflich spekulieren. Ob sie bzw. ihre Väter, Männer, Brüder dann letzlich mit Hurra für Stalin und die Sowjetunion in den Tod gegangen sind, darf man getrost bezweifeln. Gefragt wurden sie nicht, ebensowenig wie die Menschen in der Ukraine heute. Bei letzteren bezweifle ich allerdings ebenso, dass sie freiwillig beispielsweise für die Freiheit der Krim sterben oder gar für die Verteidigung des immer wieder von den Transatlantikern hochgelobten „westlichen Wertesystems“.
    Es ist wie immer: über Krieg oder Frieden entscheiden die Mächtigen (und Reichen) auf der Grundlage ihrer Interessen (Rekordgewinne bei Energieversorgern und in der Rüstungsindustrie). Darunter zu leiden haben die Massen.
    Deswegen bin und bleibe ich Pazifist und lasse mich gerne auch mal von Herrn Lobo in den Adelsstand des „Lumpenpazifisten“ erheben.

  80. Holger Politt sagt:

    Erhard Crome verweist in Bezug auf den deutschen Überfall auf die Sowjetunion auf “Unkenntnis der Kriegsgeschichte”, sitzt aber selber einem Irrtum auf, wenn er nämlich behauptet, in den “ersten Kriegstagen im Juni 1941” seien deutsche Soldaten in “etlichen russischen Dörfern mit Brot und Salz empfangen” worden. Das kann nicht sein, denn deutsche Soldaten zogen im Juni 1941 wohl in kein einziges “russisches Dorf” ein, es waren nämlich litauische, belorussische, polnische oder ukrainische Dörfer, die in den ersten Kriegstagen im Juni 1941 erobert wurden. Erhard Crome meint womöglich “sowjetische Dörfer”, aber auch das wäre nur bedingt richtig, ohne es hier nun weiter auszuführen.

  81. Holger Politt sagt:

    Kurz zu Erhard Cromes Behauptung: Russische Dörfer in den ersten Kriegstagen? Wo? Es können wohl nur litauische, polnische, belorussische, ukrainische oder rumänische Dörfer gewesen sein.

  82. Heinz Jakubowski sagt:

    Lieber Erhard Crome,
    natürlich verfüge ich nicht über so kompetente Geschichtskenntnis wie Sie, würde aber gern wissen,warum sich die UdSSR “als nach kürzester Zeit jedoch klar war, dass die Deutschen im Osten einen mörderischen Vernichtungskrieg führen und nicht einen klassischen Hegemonialkrieg”, via Kapitulation ihre horrenden Opfer erspart hat. Das wäre ja sehr wohl eine “Alternative zum Abwehrkrieg gegen Nazideutschland” gewesen, wie Sie eine solche nun ja offenbar zur Beendigung des Ikraine-Krieges für geraten halten.

    PS: Mit Verlaub: Bei allem Respekt vor Ihren Geschichtskenntnissen – Was Ihre Eingangszeilen an die freundlich ampfangene Wehrmacht im Kontext mit meiner Anmerkung zu tun hat, erschließt sich mir Amateur leider nicht. Aber Sie werden mich sicher aufklären.

  83. Heinz Jakubowski sagt:

    Ein Zwiespalt
    Herr M. ist in der Stadt unterwegs. Am S-Bahnhof Walzerheide erblickt er einen kleinen Auflauf samt Geschrei. Herr M. wird rasch gewahr, was vor sich geht: Zwei Männer prügeln sich. Wobei – wenn es denn dabei je paritätisch zugegangen sein sollte: Die Prügelei ist ob der unübersehbar physischen Überlegenheit des einen ist für den anderen längst zu einer Gefahr für Leib und Leben geworden; ersterer schlägt und tritt wie rasend auf den am Boden Liegenden ein, der sich ebenso verzweifelt wie hoffnungslos zu wehren versucht.
    Wie alle Umstehenden ist auch Herr M. empört über diesen Gewaltexzess. Auffordernden Rufen im Umkreis, einzuschreiten und den möglicherweise Moribunden zu retten, tritt M. indes mit der Mahnung zu Umsicht und vorausgehender Analyse entgegen. Da Gewalt nur die ultima ratio des Handelns sein könne, wäre also zunächst zu klären, welche Gründe und Motive die beiden Akteure zu dieser Prügelei veranlasst habe; auch gründliche Exkurse in die Vor- und überhaupt-Geschichte inklusive ihrer globalen Dimensionen wären zu bedenken, auch die Sicht des Überlegenen und gegebenenfalls auch Kritikwürdiges oder gar Provozierendes beim Unterlegenen und dessen Unterstützern.
    Im Wissen darum gehöre dann abgewogen, auf wessen Seite das Recht sei. Sei das geklärt, wäre wiederum zu prüfen, welche Motive oder gar Parteilichkeiten, ja, welches Kalkül jeder einzelne der nach aktiver Einmischung Rufenden zu seiner Bereitschaft treibt, den Zwei-Personen-Krieg durch sein persönliches Einschreiten zu beenden. Seien so sämtliche kontextualen Beweggründe ausgeschlossen, dann, ja dann wäre das Instrumentarium zu beleuchten, das zur Streitschlichtung verfügbar sei. Und sei darüber dann erst einmal Einvernehmen erzielt, o.k. – dann ließe sich mit einem guten Gewissen Hand anlegen.
    Herr M. hatte für seine Ausführungen ein durchaus verständnisvolles Publikum. Seinerseits nun tatbereit, hatte sich inzwischen eine herbeigerufene Erste Hilfe eingeschaltet und den schwerverletzt Unterlegenen ins Krankenhaus gebracht, wo er noch zwei Tage überlebte. Geblieben aber war Herrn Ms heiliger Zorn gegen die Gewalt.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Diesen Stuss habe ich mir schon vor gut 50 Jahren als Kriegsdienstverweigerer anhören müssen.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Ergänzung
      Nähere Erklärung nötig?
      Ich meine den Stuss, die Frage einer
      Hilfeleistung in dem von Ihnen beschriebenen Fall
      gleichzusetzen mit der Entscheidung in einen Krieg einzutreten oder
      sich, in welcher Form auch immer, daran zu beteiligen, zumal “Wir im
      Wertewesten” ja dann gegebenenfalls von den Opfern der Menschen in der
      Ukraine profitieren.
      Der hilflose Mensch in Ihrem Beispiel war in den Anhörungen, denen man als Kriegsdienstverweigerer ausgesetzt war, in der Regel die Freundin, die von einem bösen Russen vergewaltigt wurde. “Ja was würden Sie denn da machen, Herr Schleiting, wenn Sie ein Gewehr in der Hand hätten?”
      In 50 Jahren nichts dazugelernt?

  84. Stephan Wohanka sagt:

    Die Grünen und der Krieg von Matthias Rude
    Der Autor schreibt: „Wenn Grüne … es offensichtlich gar nicht abwarten können, dass endlich wieder deutsche Panzer gegen Russland ins Feld rollen …“. Ohne das „Warum?“ zu benennen, ist es einfach nur infam davon zu reden, dass „wieder deutsche Panzer gegen Russland“ rollen. Hat vor Kurzem nicht auch Putin genau das Gleiche von sich gegeben?
    Dieser sich überlegen gebende Duktus, nur man selbst stehe auf der richtigen Seite wenn schon nicht der Geschichte, dann doch wenigstens im deutschen Schrebergarten. Ein Eintrag im Blättchen-Blog rekurrierte kürzlich auf einen Text eines Nachrichtenmagazins; hier ein weiteres Zitat daraus: „Eine selbstsicher-parolenhafte Überheblichkeit, die jede kriegerische Handlung ablehnt, einfach, weil sie kriegerisch ist, wird der Realität nicht gerecht. Überdies verbieten sich Ratschläge aus dem sicheren Raum unter dem Schutzschirm amerikanischer Atomwaffen an ein Volk, dessen Existenzrecht bestritten und bekämpft wird. Deshalb ist das Manifest von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht ja so unangenehm. Man wird das Gefühl nicht los, dass ein Sankt-Florians-Pazifismus gepredigt wird: Verschon mein Land, greifs andere an. (Würde man genauso argumentieren, wenn Deutschland angegriffen würde und die USA ihren Schutz zurückzögen, um einen atomaren Flächenbrand zu verhindern: Deutschland solle sich erobern lassen, um des lieben Friedens willen?)“.

    An anderer Stelle teilt der Autor mit: „Der Kosovo-Krieg war, wie der Historiker Edgar Wolfrum in seinem Buch ´Rot-Grün an der Macht´ 2013 schreibt, ´ein Scharnier für alles, was danach kam, Afghanistan und kurz darauf der Irak. Ähnliches wäre für eine CDU-geführte Regierung weitaus schwieriger gewesen´“. Da geht wohl dem Historiker und in der Folge unserem Autor, der das ungeprüft wiedergibt, etwas durcheinander; man sollte vielleicht vorher die Quellen prüfen…. Rot-Grün hat sich in der Tat an der UNO-Mission 2001 in Afghanistan beteiligt. „…und kurz darauf der Irak“? Es waren Schröder und Fischer, die sich 2003 eben nicht der „Koalition der Willigen“ anschlossen. Und das im klaren Gegensatz zur CDU: Merkel hatte als Oppositionsführerin nichts Eiligeres zu tun, als nach Washington zu reisen, um Bush mitzuteilen, dass mit ihr an der Regierung Deutschland fest an der Seite der USA stehend den Krieg befürwortete. Merkels Beitrag damals in der „Washington Post“: “Schröder spricht nicht für alle Deutschen”.

    • Heinz Jakubowski sagt:

      Übrigens wäre die einstige Haltung der UdSSR, gegen die anfags so übermächtige Armee Hitlers nicht zu kapitulieren und statt dessen 50 Millionen eigene Kriegstote hinzunehmen, im Sinne (nicht nur) von Matthias Rude wohl neu zu bewerten, die von Vietnam ebenso, selbst Spartacus wäre als eigentlich Schuldiger des finalen Massenmordes an den aufständischen Sklaven auszumachen; Grundgütiger.
      Heinz Jakubowski

    • Erhard Crome sagt:

      Dieser Einwand von Heinz Jakubowski wiederholt das sowjetische “Narrativ”, zeugt aber von Unkenntnis der Kriegsgeschichte. In den ersten Kriegstagen im Juni 1941 wurden deutsche Soldaten in etlichen russischen Dörfern mit Brot und Salz empfangen, man erwartete die Befreiung von der bolschewistischen Herrschaft und dass die Deutschen sich in den besetzten Gebieten nicht schlechter als im Ersten Weltkrieg verhalten. Das war auch die Erwartung großer Teile der “weißen” Emigration im Westen. General Krasnow bot der deutschen Seite an, aus den vielen sowjetischen Kriegsgefangenen eine russische Armee zu formieren, die dies mit russischen Kräften und deutschen Waffen erreicht. Als nach kürzester Zeit jedoch klar war, dass die Deutschen im Osten einen mörderischen Vernichtungskrieg führen und nicht einen klassischen Hegemonialkrieg, gab es keine Alternative zum Abwehrkrieg gegen Nazideutschland.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      “Dieser sich überlegen gebende Duktus, nur man selbst stehe auf der richtigen Seite wenn schon nicht der Geschichte, dann doch wenigstens im deutschen Schrebergarten.” Auch wenn am Ende dieses “Satzes” ein Punkt steht, handelt es sich nicht um einen vollständigen Satz, er enthält nämlich kein Prädikat. Mich würde interessieren, was denn mit diesem “Duktus” geschieht oder was er macht! Wem er nach Meinung des Verfassers zugeordnet werden soll, kann man ja wohl dem Tenor seines Beitrages entnehmen. Allerdings widerlegt er sich mit diesem Beitrag selbst: jemanden Schrebergartenmentalität vorzuwerfen zeugt schon überdeutlich von dem Bewusstsein der eigenen Überlegenheit und darf wohl als überheblich bezeichnet werden. Im Übrigen, das sei zu Wohankas Entschuldigung angeführt, bedient er diese Attitüde der Überlegenheit noch mit einem gewissen Augenmaß. Andere werden da deutlicher: Als jemand, der immer mehr Waffenlieferungen kritisiert und das Fehlen jeglicher Perspektive bedauert, den Krieg zu beenden, außer durch den umfassenden ukrainischen Sieg, musste ich mir schon Schlimmeres anhören.

    • Sarah Müller sagt:

      Ein derart überheblicher und ätzender Kommentar ist eigentlich gar keine große Erwiderung wert; deshalb nur ganz kurz eine Antwort von einer, die das Buch auch tatsächlich gelesen hat: 1. geht es bei der Rede vom “Scharnier” darum, wie die Kriege der NATO/des Westens ideologisch legitimiert worden sind (und dafür war der Kosovo-Krieg als völkerrechtswidriger Angriffskrieg der NATO der Dammbruch für alles, was danach kam, bis hin zum Irak-Krieg), 2. bezieht sich die Aussage des Historikers Wolfrum “Ähnliches wäre für eine CDU-geführte Regierung weitaus schwieriger gewesen” nicht auf den Irak-Krieg, sondern eben auf diesen Dammbruch, also den Kosovo-Krieg, 3. ist auch der Irak-Krieg später im Buch über die Grünen noch Thema. Dort heißt es z.B.: “Angesichts der hanebüchenen Begründungen, welche die USA vorbrachten, und der öffentlichen Meinung in Deutschland, die eindeutig gegen eine Teilnahme tendierte, entsandten Schröder und Fischer diesmal keine deutschen Soldaten. Dennoch nahm das rot-grün regierte Deutschland im Hintergrund an allen möglichen Kriegsaktivitäten teil – was Fischer in seinem Buch ‘I am not convinced: Der Irak-Krieg und die rot-grünen Jahre’ (2011) allerdings lediglich als ‘Beitrag zur Bündnisverteidigung’, nicht aber als Unterstützung des Krieges verstanden wissen will.”

      In ihrem Buch “Krieg, Atom, Armut. Was sie reden, was sie tun: Die Grünen” (2011) schreibt Jutta Ditfurth übrigens: “Als der Krieg im März 2003 begann, wollte man einen Kampfstiefel im Irak haben. Tatsächlich nahm das rot-grün regierte Deutschland hinter der friedfertigen Kulisse an allen Kriegsaktivitäten mit Ausnahme des Bodenkrieges teil. Deutschland war eine Drehscheibe für den Aufmarsch, den Nachschub und für die Versorgung der Kriegstruppen am Persischen Golf: rund 13 Militärstützpunkte in Deutschland, Überflugrechte, deutsche Flug- und Seehäfen als Umschlagplätze für Kriegsmaterial, US-Kommandozentralen in Stuttgart und Heidelberg (…). Mitglieder des Bundesnachrichtendienstes halfen bei der Vorbereitung der Bombardierung Bagdads.”

      Bei solch einem platten und niveaulosen Kommentar fragt man sich schon, wer hier eigentlich mental im deutschen Schrebergarten steht…

  85. Ewald G. Schleiting sagt:

    Zu Matthias Rude „Die Grünen und der Krieg“

    Tja, die Grünen, haben sie sich tatsächlich gewandelt? Oder sind sie nicht vielmehr geblieben, was sie immer schon waren: in gut- bis großbürgerlichem Umfeld sozialisierte Besserwisser mit linksliberalem Anstrich, die das Privilegiertsein sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen haben. Mit dem Sendungsbewusstsein besser als alle zu wissen, was gut ist für die Menschen und die Welt haben sie sich als Teil der 68er Studentenbewegung in den lächerlichsten Spontidebattierclubs lange gegenseitig bis aufs Messer bekämpft, später wenig Berührungsängste mit den Machenschaften der RAF erkennen lassen, umso mehr ihre Verachtung gegenüber tatsächlich sozialen Bewegungen, beispielsweise den Gewerkschaften, vor sich her getragen, schließlich aber realisiert, dass man mit dem entsprechenden sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund und ein paar fortschrittlich klingenden Lippenbekenntnissen in der Gesellschaft der Bundesrepublik der 90er hervorragend reüssieren konnte.
    Das Intermezzo eines mit „Turnschuhen“ im Bundestag auftretenden Fraktionsvorsitzenden war schnell vergessen, auch die Mandatsrotation, die Macht bei Einzelpersonen begrenzen sollte, wurde schnell beerdigt. Stattdessen sah man die Protagonisten an ihren Karrieren werkeln und schließlich die rot/grüne Koalition begründen, die man dann vorrangig dazu nutzte, den Sozialstaat zu schleifen und ja…. Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland hoffähig zu machen. Nun sind sie genau da, wo sie herkommen: in der Mitte der Bourgeoisie.
    Ein Mann namens Josef Fischer war stolz auf sein freundschaftliches Verhältnis zur amerikanischen Außenministerin und sich später nicht zu schade in den (ich glaube) Nullerjahren für den ersten elektrischen BMW Werbung zu machen.
    Seine Nachfolgerin frißt ihren heutigen Vorbildern Biden und Blinken schon aus der Hand. Wann brettert sie zusammen mit Herrn Hofreiter mit dem ersten klimaneutralen Leopardpanzer durch Munsterheide?

  86. Günter Hayn sagt:

    Mit Interesse und einem gewissen Erschrecken verfolge ich die gerade im FORUM laufende Debatte über den Krieg in der Ukraine und die diversen deutschen Positionierungen. Mit aller gebotenen Zurückhaltung möchte ich auf einen Artikel Georg Wittes aufmerksam machen (Das Verhör, in: Lettre International 139; Witte ist russophober Haltungen vollkommen unverdächtig ). Es geht ihm um den Umgang deutscher linksliberaler Intellektueller mit diesem Krieg. Er stellt eine “geradezu reflexhafte Abwehr gegen eine Teilhabe am Leiden und am Kämpfen der Ukrainer” fest. Mit “den immerselben Zwar-Aber-Argumenten: Zwar hat Russland angegriffen, aber es wurde ja auch provoziert. Zwar ist auch Russland imperialistisch, aber das ist nichts gegen NATO=USA …”. Etc.pp. Wittes Beitrag ist inzwischen einige Monate alt, aber er listet haargenau “Argumente” auf, die man auch auf diesen Seiten en détail nachlesen kann. Und er wirft die Frage in den Raum, warum “die Verweigerung der Empathie mit dem vergewaltigten Volk zur Methode geadelt” wird: “Es frappiert, dass manche Repräsentanten eines im weitesten Sinne als linksliberal geltenden Diskurses sich darin verkrampfen, gegen Erfahrungen immun zu werden.”
    Auf einige dieser Erfahrungen hat Holger Politt hingewiesen. Sie werden inzwischen fast tagtäglich von diversen offiziellen und semioffiziellen Verlautbarungen aus der russischen Hauptstadt bestätigt.
    Das Gegenteil eines Fehlers sei wieder ein Fehler, meinte einmal Blaise Pascal. Man kann die nicht nur von Georg Witte aufgeworfenen Fragen – seine Antworten muss man nicht teilen, es sind auch andere möglich – natürlich rhetorisch leicht wegwischen. Dann bewegt man sich allerdings nicht mehr auf der Ebene des intellektuellen Diskurses, sondern bedient die Abteilung Agitation und Propaganda. Da ist es dann egal, auf welcher Seite man steht. Das Ergebnis ist dasselbe.

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Aber mehr Empathie, als in der Position von Olaf Müller bekundet ist, geht doch nicht: die Menschen werden nicht ermordet und die Städte sind nicht zerstört. Alles weitere ist Sache der späteren Geschichte. Dass die Sowjetunion 1991 zerfallen könnte, hatte sich 1936 oder 1945 auch niemand vorstellen können.

    • Günter Hayn sagt:

      Herr Wolfgang Ernst, wir kennen einander nicht. Ich weiß nicht, ob und mit welcher Inbrunst Sie in jungen Jahren Lieder wie “Spaniens Himmel”, das “Moorsoldatenlied”, “Bandiera rossa” oder gar die “Partisanen vom Amur” gesungen haben. Mit der von Ihnen hier mitgeteilten Position sollten Sie sich das heute auch in Momenten sentimentalster Anwandlungen verkneifen. Aber vielleicht war das auch Ironie, und ich habe die bloß nicht erkannt. Dann bitte ich vorab um Entschuldigung.
      Allerdings kenne ich etliche Leute, die so etwas durchaus ernst nehmen – und dennoch bei vielen herzzerreißenden Freiheitsliedern das berühmte Tränlein im Auge haben. Gerne auch mal ein Blümchen niederlegen. Natürlich nur bei den “richtigen” Toten. Bei den anderen geht man vorbei. Ich finde das schäbig.
      Zur Freiheit nur soviel: Zu den wohl nachhaltigsten Erkenntnissen im Zusammenhang mit dem weltweiten Untergang des “realen Sozialismus” gehörte auch, dass eine bessere Gesellschaft ohne individuelle Freiheitsrechte nicht überlebensfähig ist. Das wird zunehmend von Vielen offenbar vergessen. Statt dessen scheinen im “linken” Diskurs wieder Leute die Überhand zu gewinnen, deren geistige Ahnen schon im Helsinki-Prozeß sowohl im Vorfeld als auch in der danach erfolgenden propagandistischen Umdeutung der KSZE-Schlussakte äußerst clever zwischen den diversen “Körben” unterschieden und eine Rangfolge aufmachten. Die Leute um Putin machen sich noch nicht einmal diese Mühe. Die räumen alles ab. Und das wollen Sie tolerieren?

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Bei uns im evangelischen Kindergarten wurde neben christlichen Liedern “Zehn kleine Negerlein” gesungen. Und “Drei Chinesen mit dem Kontrabass”.

  87. Erhard Crome sagt:

    Eine Erinnerung
    Der Spiegel-Redakteur Markus Brauck hat in der aktuellen No. 13 einen Text veröffentlicht unter der Überschrift: „Die weiße Fahne. Gehört der Pazifismus wirklich auf den Müllhaufen der Geschichte?“ Darin heißt es angesichts des Ukraine-Krieges: „Der Pazifismus hat es in Deutschland gerade doppelt schwer. Ehemals Überzeugte haben sich verbittert abgewendet. Unter ihnen viele Grüne, Linke, Sozialdemokraten, die früher gern ihre Städte zu atomwaffenfreien Zonen erklärten und den Wehrdienst verweigerten.“ Die letzten verbliebenen Fürsprecher dagegen, jedenfalls „jene, die den Diskurs in der Öffentlichkeit dominieren, predigen indes einen schwer erträglichen Fundamentalpazifismus, der ebenso rasch über das Leid der Ukrainer hinweggeht, wie er politisch naiv ist“.
    Anlass für Braucks Text ist ein Reclam-Bändchen des Berliner Philosophen Olaf Müller, das 2022 erschien und den Titel hat: „Pazifismus. Eine Verteidigung“. Fazit des Artikels ist ein Zitat von Müller: „Vergleichen wir die tatsächliche Belagerung Mariupols mit einer gleichartigen Belagerung Krakaus (der geliebten Heimatstadt meiner Frau) oder Berlins (des Wohnortes unserer vierköpfigen Familie, den insbesondere unsere zwei Töchter über die Maßen lieben). Ich finde: In allen Fällen soll sofort die weiße Fahne gehisst werden. Besatzung & Fremdherrschaft sind ein Übel, keine Frage, jedoch nicht irreversibel. Die Auslöschung dieser Städte ist bzw. wäre ein viel gravierenderes Übel. Die vernichteten Kulturschätze wären für immer dahin, die Toten werden nicht wieder auferstehen.“
    Das erinnerte mich daran, dass ich genau dies in Blättchen No. 9/2022 geschrieben hatte: „Als 1968 die sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei einmarschierten, hatte der dort verantwortliche Verteidigungsminister befohlen, dass die tschechoslowakischen Truppen in den Kasernen bleiben. Niemand wurde erschossen, keine Stadt in Kämpfen zerstört. Als zwanzig Jahre später der politische Umbruch erfolgte, konnten sich alle Lebenden daran beteiligen.
    Im August 2021 flüchtete der afghanische Präsident Aschraf Ghani aus Kabul und alle höhnten ob seiner Feigheit im Angesicht der Taliban. Aber vielleicht war er der größte afghanische Patriot, weil er ein neuerliches Blutbad verhinderte. Auch dort können alle, die jetzt nicht erschossen wurden, in zehn oder 15 Jahren Akteure eines politischen Neuanfangs werden.
    Im Grunde ist Defätismus für beide Seiten, die russische wie die ukrainische, der einzige vernünftige Ausweg, der den Umständen des 21. Jahrhunderts gemäß ist.“
    Daraufhin meldeten sich auch im Blättchen-Forum die „ehemals Überzeugten“ und beschimpften mich, ich wolle Putin in die Hände spielen. Nun taucht der Gedanke – ein Jahr später – in der bürgerlichen Mainstream-Presse, die ansonsten auf Kriegspropaganda getrimmt ist, als ernstzunehmende Denkfigur wieder auf. Die Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts legen das nahe.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Ich bitte um Entschuldigung, dass ich nachfolgend aus einem Blättchen-Text zitiere, den ich selbst geschrieben habe:
      „Jürgen Grässlin muss man nicht kennen. Und das trotz der Zuschreibung, er sei der ´bekannteste Pazifist und Rüstungsgegner des Landes´. Als solcher war er Gegenstand eines Textes in einer der letzten Ausgaben eines Nachrichtenmagazins. Ein Reporter begleitete ihn über Monate und schreibt, Grässlin sei gegen jeden Krieg; auch gegen solche, die den Segen der UNO hätten und solche, die das Völkerrecht brächen. Sozusagen als Quintessenz Grässlinschen Denkens kommt der Autor des Beitrages zum Schluss, ´Grässlin hätte wohl auch Adolf Hitler gewähren lassen…´“.

    • Holger Politt sagt:

      Es ist schon bemerkenswert, zu welch verstiegenem Urteil Blättchen-Autor Erhard Crome sich da hinreißen lässt. Hier sei deshalb noch einmal auf Ernst Bloch verwiesen, der 1938 vor München eindringlich gemahnt hatte, Hitler an den Grenzen des Landes der Tschechen und Slowaken mit militärischen Mitteln zu stoppen. Und zur Erinnerung: Es gibt auf unserem Kontinent Völker, die mit der Erfahrung leben, nach schlimmen Niederlagen wieder “herausgeholt” zu werden, Belgien und die Niederlande wären hier zu nennen. Aber es gibt auch die anderen, die schmerzlich erfahren mussten, zumindest für eine sehr lange Zeit nicht wieder “herausgeholt” zu werden. Ein weites Feld, ich weiß, aber es lohnt, hier nicht alles über den einen Leisten zu schlagen. Gute Lektüre dazu darf übrigens mit Friedrich Engels einsetzen, dessen vor kurzem im Blättchen ausgewiesener Text aus dem Jahre 1890 (“Die auswärtige Politik des russischen Zarentums”) noch einmal ausdrücklich empfohlen sei.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Pazifismus, Defätismus oder „berechtigter Verteidigungskrieg“?
      Ich finde im Gegensatz zu Holger Politt Erhard Cromes Aussagen alles andere als verstiegen. Verstiegen sind doch wohl eher Äußerungen westlicher Politiker, auch der deutschen Außenministerin, die darauf abzielen, “Russland” zu “ruinieren” oder auch eine tragfähige europäische Nachkriegsordnung gegen Russland aufbauen zu wollen. Crome und der von ihm zitierte Olaf Müller haben Recht:
      Jeder Tod, jede Zerstörung im Krieg ist irreversibel.
      Die weiße Fahne zu hissen rettet Leben (und Ressourcen).
      Wer überlebt, kann an Veränderung/Verbesserung der Situation mitarbeiten.
      Einige ergänzende Fragen bzw. Anmerkungen:
      Wer bestimmt in der Ukraine, ob Krieg das „richtige Mittel“ gegen den putinschen Angriffskrieg ist?
      Wurden dazu die Menschen in der Ukraine gefragt?
      Wer hat „wehrfähigen Männern“ die Ausreise verboten und zwingt sie zu kämpfen?
      Für was sterben die Menschen in der Ukraine?
      Für ihre eigene Freiheit?
      Für den Profit von Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall?
      Für unser bequemes Leben hier?
      Wie ist denn „unser westliches Wertesystem“zu beurteilen, von dem Baerbock, Strack-Zimmermann, Hofreiter, Klingbeil, Scholz und andere schwärmen? Von welcher moralischen Warte argumentieren diese Herrschaften denn? Was treiben denn diese “Werte” für Blüten?
      Einige Beispiele:
      Krieg im Irak, der von der Bushadministration vom Zaun gebrochen wurde und dem Land bis heute nicht mehr als andauernden Bürgerkrieg und Tote gebracht hat, aber keine rechtsstaatliche Ordnung, wie versprochen wurde,
      ähnliche Situation in Afghanistan: ein Land nach der Kapitulation der „Überbringer der westlichen Werte“ regiert von den Taliban, die ursprünglich vom CIA gegen die Sowjetunion aufgepäppelt wurden und nun das Land mit mittelalterlichen Methoden unterdrücken, wobei die Menschen, die guten Glaubens mit den „Heilsbringern“ aus Washington, London, Paris und Berlin kooperierten, von diesen schnöde im Stich gelassen und nun von den alten und neuen Machthabern als „Kollaborateure“ verfolgt werden,
      Syrien: ein Land, dessen Bevölkerung versucht sich eines verbrecherischen Diktators zu entledigen, in dem die zarten Blüten demokratischer und emanzipatorischer Strukturen zwischen russischen Truppen und türkischen Natotruppen mit deutschen Panzern zerstört werden,
      Kriegsverbrechen der USA und anderer in Afghanistan und im Irak und Verfolgung von Journalisten und Whistleblowern, Beispiel Assange und Snowden, die Kriegsverbrechen offengelegt haben, bis zur persönlichen Vernichtung eines Julian Assange, der auch den zur staatstragenden Partei avancierten Grünen kein Wort mehr wert ist,
      tausendfache Tode auf den Flüchtlingsrouten in die Länder des „westlichen Wertesystems“,
      faktische Rettungsverbote im Mittelmeer mit absichtlichem Ertrinkenlassen von Menschen,
      Abschiebungen in Länder, in denen die Menschen dann in Gefängnissen landen und gefoltert werden,
      soziale Ungerechtigkeiten, Menschen, die nicht menschenwürdig leben können und Kinder, die in Armut und ohne realistsche Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben in den Ländern der „Westlichen Wertegemeinschaft“ aufwachsen müssen,
      ein Wirtschaftssystem, das immer noch den Fokus auf ungebremstes Wachstum und maximale Rendite legt, statt auf die Rettung des Klimas,
      Innenpolitiker aller Coleur, die Menschen kriminalisieren, weil sie sich gegen den Klimawandel stemmen und gleichzeitig asozialen Geldsäcken erlauben, mit 250 km/h und schneller über die Straßen zu rasen.

      Wer also profitiert von dem heldenhaften Einsatz der Menschen in der Ukraine? Für wen sterben sie? Für sich selbst? Das wäre absurd! Für die Freiheit ihrer Mitmenschen, damit diese in einem System, das die oben beschriebenen Krebsgeschwüre hervorbringt, leben dürfen? Wollen die das überhaupt? Oder doch eher dafür, dass in den Vorstandsetagen des Big Business die Champagnerkorken knallen? Der Lärm der Geschütze auf den Schlachtfeldern dringt ja nicht in die schallisolierten Paläste dieser Schmarotzer!

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Stephan Wohanka:
      “Ich bitte um Entschuldigung, dass ich nachfolgend aus einem Blättchen-Text zitiere, den ich selbst geschrieben habe”
      Entschuldigung angenommen, nur warum machen Sie das?

  88. Ralf Nachtmann sagt:

    Als ich die “Bemerkung” über den “kw-Vermerk für Clara Zetkin” gelesen hatte, stieg in mir spontan die Frage auf: Wer ist gleich noch mal Oberbürgermeister in besagtem Tübingen? Sachdienliche Hinweise bitte an die Redaktion schicken.

  89. Wolfgang Ernst sagt:

    Kinder ermorden Kinder. Deutsche sogenannte Fußballfans machen in Italien der Tradition ihrer Urgroßväter von der Waffen-SS alle “Ehre”. Die nächste Finanzkrise wirft ihre Schatten voraus. Die Inflation verliert kaum an Wirkung. Der Krieg in der Ukraine rückt jetzt direkt in das Verhältnis zwischen den USA und Russland und vergrößert die Weltkriegsgefahr.
    Der Fäulnisprozess des Spätkapitalimus weitet sich schneller aus, als 1990 gedacht. Unter einer gewissen intellektuellen Perspektive musste das erwartet werden. Es wird uns aber alle treffen.

    • Holger Politt sagt:

      1989/90 ist zunächst der sowjetisch geprägte Sozialismus in Europa krachend gescheitert, in sich zusammengefallen. Wenig später löste sich die Sowjetunion auf, auch sie hielt als eine morsche Konstruktion dem Sog der westlich geprägten Zivilisation nicht mehr stand. Wieso sollte nun Putins schmutziger Krieg gegen die Ukraine – der in allererster Linie von politischer Ohnmacht im Kreml zeugt – einen kommenden Untergang des Westens anzeigen? Die Schlussfolgerung scheint mir sehr weit hergeholt. Vielleicht ist hier aber lediglich der Wunsch ein Vater des Gedankens!

    • Wolfgang Ernst sagt:

      Das verstehe ich nicht. Meine Anmerkung war systemisch gemeint. Russland und sein unseliger Krieg sind Teil des faulenden Spätkapitalismus. Dort fault er nur anders, als in Westeuropa und Nordamerika.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Am Schlagendsten illustrieren natürlich Kinder, die Kinder ermorden, den Fäulnisprozess des Spätkapitalismus.

  90. Klaus-Dieter Grimmer sagt:

    Wer sind die „Schwurbler“?
    In der umsichgreifenden suizidalen Kriegshysterie unser Massenmedien und ganzer Politikerriegen aller Farben, finden sich dann immer noch einige, die vehement dabei sind alles noch weiter auf die Spitze zu treiben. So bezeichnet Biermann unlängst die beiden Wissenschaftler Precht und Welzer als „Secondhand Kriegsverbrecher“ weil sie es zu recht gewagt haben, die herrschende Einseitigkeit der Medien in Sachen Berichterstattung zum Ukrainekrieg zu kritisieren.
    Nach der Friedenskundgebung am 27. Februar meldete sich ungefragt der Wahlirokese Sascha Lobo zu Wort und bezeichnete die Organisatoren und Teilnehmer als „Friedensschwurbler“!
    Da schickt die Heute Show-Redaktion des ZDF ihren „Spassmatzel“ Fabian Köster zur besagten Friedensdemonstration um die Teilnehmer zu diffamieren und der Lächerlichkeit Preiszugeben, damit aber zu zeigen, dass sich die Sendung ebenfalls in die Reihen derer aufgemacht hat, den USA Mächtigen in den Allerwertesten zu kriechen.
    Dann gibt es einen öffentlich rechtlichen Sender MDR der in einer Fakt-Sendung mit Vehemenz versucht eine Allianz zwischen den Initiatoren der Friedenskundgebung und der AFD einschließlich weiterer Rechter Kräfte zu zimmern.
    Von dem gleichen MDR wird der Praktikant Jakob Kluck beauftragt den 69 Erstunterzeichnern des Manifestes für Frieden in Mc Carthy- Manier Fragen zu stellen, die an Dreistigkeit kaum zu überbieten sind.
    Auch die Mitglieder der parteiübergreifende Stahlhelm-Fraktion des Deutschen Bundestages allen voran Strack Zimmermann, Hofreiter, Kiesewetter u. a. melden sich heulend zu Wort.
    In diesem Reigen darf der „Undiplomat Melnyk nicht fehlen. Er bezeichnet die beiden Initiatorinnen des Manifests als „Handlanger Putins“!
    Vom Mainstream gesteuerten Massenmedien werden jene frenetisch gefeiert, die als Erstunterzeichner der Manifestation nach dem verleumderischen Medienrummel weiche Knie bekommen haben und ihre Unterschrift zurückzogen.
    Die Aufzählung solcher plumpen und fadenscheinigen Versuche der Diskriminierung und Verfälschung eines einfachen Friedensgebots kann man beliebig fortsetzen. Die inzwischen fast 750 000 Unterzeichner und Unterzeichnerinnen des Manifestes für Frieden sind aber aus dem politischen Alltag der Bundesrepublik nicht mehr weg zu leugnen. Wer sind nun die „Schwurbler“ Herr Lobo?
    Fazit: Aus allen diesen Diffamierungsversuchen spricht nackte Angst der mächtigen Meinungsmanipulierer in unserem Land, dass mit dem „Manifest für Frieden“ und der am 27. 02. 2023 stattgefundenen Kundgebung am Brandenburger Tor eine neue Friedensbewegung aus der Taufe gehoben wurde. Mein Wunsch, sie möge im Interesse aller und Angesichts der kreuzgefährlichen Weltsituation weiter wachsen, weil sie das Gegenteil von „Schwurbeln“ ist, sie ist zu tiefst logisch im Sinne der Erhaltung des Weltfriedens.
    Ich bin Mitunterzeichner des Manifestes für den Frieden und Teilnehmer an der Friedenskundgebung am 27. 02. 2023

    • Bernhard Romeike sagt:

      In der Kollektion der Staats-Schwurbler wäre noch Dieter Nuhr hinzuzufügen. Er nannte Sahra Wagenknechts Position am vergangenen Donnerstag “national-sozialistisch”.

  91. Bernd Gappa sagt:

    Meine Kritik am Manifest für Freiheit in Europa und warum ich es nicht unterschreiben kann
    Allen, die dieses Manifest als Erstunterzeichner unterschrieben haben, unterstelle ich, dass auch sie keine Kriegseskalation wollen.
    Auch dieses Manifest hat erstaunlicherweise den gleichen Mangel wie das Manifest für den Frieden: weder zum Völkerrecht, noch zu den Menschenrechten und auch zum Grundgesetz von 1990 und auch nicht zum KSZE Schlussdokument wird eine bewusste Beziehung hergestellt.
    In all diesen Dokumenten wird eine klare juristische und moralische Orientierung an die Staaten gegeben, wie ein friedliches Zusammenleben der Staatsvölker organisiert werden kann.
    Dieses „Manifest für Freiheit in Europa“ ist kein Manifest gegen den Krieg, weil es nicht einmal Bezug nimmt zum Beginn dieses Angriffskrieges Russland gegen die Ukraine im Jahre 2014.
    2014 waren 100 Jahre nach Beginn des ersten Weltkrieges.
    Begeistert zogen deutsche Staatsbürger zum Töten und selbst getötet werden in den Krieg.
    2014 waren auch 75 Jahre nach dem organisierten Kriegsanlass auf den Sender Gleiwitz. Wieder zogen kriegsbegeisterte deutsche Staatsbürger in den Krieg und läuteten mit dem Überfall auf Polen den 2. Weltkrieg ein.
    Die wichtigste Lehre aus diesem 2. Weltkrieg: Nie wieder Krieg. Verbot aller Angriffskriege. Die Grundgarantie für ein friedliches Zusammenleben aller Staatsvölker im Inneren wie auch nach außen. Festgeschrieben im Völkerrecht von 1945.
    Grundorientierung im Grundgesetz der alten Bundesrepublik Deutschland von 1949.
    Beibehalten auch für die Gestaltung des Neuen Deutschland ab 1990.
    Artikel 26 des Grundgesetzes kriminalisiert kriegsförderndes Verhalten: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“
    Und in der Präambel des Grundgesetzes, dass allen folgenden Artikeln vorangestellt ist, findet sich für alle heute in Deutschland lebenden Menschen folgende Verhaltensorientierung:
    „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
    Diesen globalen Blick teile ich voll und ganz.
    Diesen globalen Blick vermisse ich im oben genannten Manifest.
    Ich bezweifle, ob die Logik eines europäischen Friedenshauses mit Ausschluss des territorial größten europäischen Landes, Russland, überhaupt nachhaltig tragfähig sein kann.
    Wer tatsächlich glaubt, dass durch eine Verlängerung des Krieges Leben und Gesundheit, also die Würde des Menschen, geschützt wird, lebt in einer geistigen Welt, zu der mir auf Grund meiner Bildung und Erziehung der Zugang fehlt.
    Dennoch sind wir deutschen Staatsbürger gezwungen, den Zugang zueinander suchen.
    Was natürlich erschwerend ist, wenn man meinen Glauben an eine friedliche aber nicht konfliktfreie Welt respektlos und dämonisierend behandelt.
    Deshalb ist es für mich eine mentale Zumutung, wenn von einer europäischen Friedensordnung gesprochen wird, in der die Menschenrechte in ihrer Ganzheit willkürlich dem politischen Tagesgeschehen angepasst werden.
    Dieses Manifest für Freiheit in Europa kann ich wegen noch größerer Wirrnis zur Einheit von Krieg und Frieden nicht unterschreiben.
    Eine der schlimmsten Wirrnisse ist die Gleichsetzung von Hitler mit Putin, die keiner macht aber einer Siegermentalität in der Kriegswahrnehmung innewohnt.
    Hitler allein hat ebenso wenig den 2. Weltkrieg geplant wie Putin allein keinen 3. Weltkrieg planen kann. Aber sein Angriffskrieg trägt diese mögliche Eskalationsstufe in sich, wenn der Ukrainekrieg grenzüberschreitend wird und aus dem völkerrechtsgesicherten ukrainischen Verteidigungskrieg militärische Gegenschläge und Angriffe auf russisches Territorium beginnen.
    Die UNO ist gefragt

  92. Der Mensch ist das am HÖCHSTEN entwickelte TIER. Die Einen helfen als Mediziner Menschen zu helfen und zu heilen. Andere entwickeln und produzieren Waffen und Munition, damit Menschen ermordet werden- Soldaten sind Mörder- und Ihre Auftraggeber , Befehlshaber/ Regierungspräsidenten auch ! Also: WER sind die GUTEN und wer sind die Bösen ? Wenn man in Western Germany für Frieden und Kriegsende auf die Straße geht, wird man von den deutschen Medien als BÖSE verurteilt ! Ergo : Tier bleibt Tier ????????????? , also ab in den Tod, demnächst in diesem Theater “BRDNATOUSA” ! HORA aus Dresden, bin 87 Jahre alt und habe als 8-jähriges Kind 1945 das Kriegsende in Berlin erlebt. Nie wieder !!!

    • Bernd Gappa sagt:

      Sehr geehrter Herr Arndt,
      Sie sind 87 und ich bin 75. Unsere Art, die Welt zu betrachten ist bei aller wesentlichen Verschiedenheit doch auch die Gleiche. Nie wieder Krieg, Aggression und destruktive Gewalt im Zusammenleben der Menschen.
      Es stimmt optimistisch, dass das „Manifest für den Frieden“ von A. Schwarzer und S. Wagenknecht immer noch unterschrieben wird trotz aller berechtigter und destruktiver Kritik: vom 10.02.23 bis heute – 02.03.23 unterschreiben ununterbrochen Menschen, die sich dem Anliegen dieses Aufrufes verpflichtet sehen, das nie wieder Krieg zwischen uns Menschen sein soll.
      Von 61 Erstunterzeichnern ist der jetzige Stand am 02.03.23 um 17.02 Uhr auf 725.286 angewachsen und dieser Prozess scheint nicht aufzuhören trotz all den Angriffen gegen Wagenknecht und Schwarzer und bewussten Missinterpretationen der Einheit von Frieden und Krieg.
      Wir zwei sind also nicht allein mit unserer Auffassung, dass Menschen ohne Feindbild in der Lage sind zu begreifen, dass die Gestaltung eines konstruktiven Weltfriedens die wichtigste Bedingung ist, um die weltweite Forderung nach nie wieder Krieg einzulösen.
      Auch die Sehnsucht der meisten US-Amerikaner nach einem Leben in einer friedlichen Umwelt ist eine Tatsache, so dass ich ihre Wortschöpfung BRDNATOUSA als sehr unglücklich ansehe, weil sie einem Antiamerikanismus Vorschub leistet der die Aufmerksamkeit weglenkt von der verhältnismäßig kleinen Gruppe US-Amerikaner, die die politische Hauptverantwortung tragen für die Durchsetzung eines Feindbildes, dass im Kern einer Dämonisierung von uns Menschen gleichkommt. Erschütternd ist nur, wie wirksam diese US-amerikanische Minderheit in den Staaten der Welt eine Gefolgschaft findet, die sich von der europäischen Aufklärung, so wie sie Kant erklärt, verabschiedet hat.
      Ich danke Ihnen und bin froh, dass es unter den katholischen Christen – so interpretiere ich ihr Wort HORA – Gläubige gibt, die für den Erhalt der Schöpfung keinen Krieg als notwendiges Mittel betrachten.
      Sollte ich das missinterpretiert haben, korrigieren sie mich. Aber das ändert ja nichts an der Forderung friedliebender Menschen, dass Krieg kein Mittel ist, unser gemeinsames Zusammenleben und unsere gemeinsame Umwelt zu gestalten.
      Und hier sind wir beide raus. Wir haben keinen Einfluss darauf, dass heute die Verteidigung der Staaten gegen den Geist des Völkerrechts und der Menschenrechte betrieben wird untermauert mit der Lüge, dass offensive Verteidigungsstrukturen der Staaten dem Weltfrieden dienen. Tatsächlich aber kreieren sie eine destruktive Weltfriedensordnung, in der jeder einzelne Krieg in sich ein Eskalationspotential entlang der modernen Waffensysteme entfalten kann bis hin zur Vernichtung des europäischen Kontinents infolge eines ungebremsten Ukrainekrieges.
      Glauben wir zwei und die Millionen, die möglicherweise das Manifest für den Frieden unterschreiben, dass wir damit die Gewissen der Politiker in Aufruhr versetzen können, damit diese sich endlich der Gestaltung einer konstruktiven Weltfriedensordnung zuwenden? Denn die Regierungspolitiker haben die politische Macht von ihren Staatsbürgern erhalten, diesen Schritt zu gehen. wenn sie es gemeinsam wollen.
      Ich bleibe skeptisch aber nicht hoffnungslos, dass die Vernunft der „mündigen Bürger“ in der bürgerlichen Elite vielleicht doch noch triumphieren kann und sich im ersten Schritt auf defensive Verteidigungsstrukturen ihrer Staaten einigen können. Dass das geschehen muss ist offensichtlich zwingend, aber wann das geschieht und ob das geschieht ist offen.
      Der Ukrainekrieg ist für alle rd. 200 Staaten die große Chance, im Interesse ihrer Staatsbürger im Sinne der Schaffung defensiver Verteidigungsstrukturen zu verhandeln. Das Ergebnis könnte den Traum von „Nie wieder Krieg“ zur weltweiten sozialen Wirklichkeit werden lassen.
      Eine Minderheit ist dagegen aber eine Mehrheit dafür.
      Herr Arndt, ich hoffe sie sehen mich nach meinen philosophischen Ausflügen noch an ihrer Seite.

  93. Bernd Gappa sagt:

    Meine Kritik am Manifest für den Frieden und warum ich es unterschrieben habe
    Das Manifest ist gegen den Krieg in seiner Einheit von Angriffskrieg und Verteidigungskrieg.
    Das verstehe ich als das Grundanliegen des Manifestes für den Frieden. Was ich jedoch kritisiere ist der fehlende Bezug zum Völkerrecht (1945) und zu den Menschenrechten (1948) sowie zum Schlussdokument der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vom 01.08.1975. Alle 3 Dokumente beinhalten das gleiche Anliegen des Manifestes für den Frieden: eine Weltfriedensordnung mit abnehmender Kriegsgefahr zu gestalten.
    Das aber ist im Kern die Entmilitarisierung der Sicherheit im Zusammenleben aller Staatsbürger, im Staat selbst als auch zwischen den Staaten. Diese umfassende und komplex strukturierte Aufgabe der Entmilitarisierung der Sicherheit ist der zentrale Bezugspunkt einer wertebasierten Innen- und Außenpolitik der 200 UNO-Mitgliedstaaten.
    Jede Staatsregierung – und nicht der Kanzler in Deutschland allein, sondern alle Regierungsmitglieder sind verantwortlich für die Gestaltung einer konstruktiven Weltfriedensordnung. Ergänzt durch die innerstaatliche Bildung und Erziehung zu einer Bereitschaft für friedliche Konfliktlösungen in all unseren zwischenmenschlichen Beziehungen.
    Mit diesen Bedingungen wären die Chancen für die Gestaltung einer konstruktiven Weltfriedensordnung wesentlich günstiger. Hielten sich alle Staatsbürger in Deutschland an das Grundgesetz dieses Staates, würde jeder Staatsbürger sein individuelles Gewaltmonopol für ein konstruktives Zusammenleben im deut-schen Staat als auch zwischen den Staaten einsetzen. Das aber ist nicht die Wirklichkeit in Deutschland.
    Eine am Völkerrecht und den Menschenrechten orientierte wertebasierte Innen- und Außenpolitik aller Staaten macht eigentlich Kriege unmöglich.
    Bis heute wird das staatliche Gewaltmonopol zur Gestaltung einer konstruktiven Weltfriedensordnung mit tiefgreifendem Abbau von Kriegsgefahren nicht umfassend genutzt. Dieser Ist-Zustand muss als destruktive Weltfriedensordnung bezeichnet werden.
    Diese destruktive Weltfriedensordnung wird die Einpassung und die Anpassung in den natürlichen Prozess des Klimawandels nicht nur erschweren, sondern letztlich unmöglich machen.
    Ein Manifest für den Frieden bleibt missverständlich, wenn in ihm diese hier genannten Bezüge zur UNO und zur KSZE nicht eindeutig als Bezugspunkte herausgehoben werden. Denn nur in diesem politischen Ordnungsrahmen kann die vorhandene destruktive Weltfriedensordnung überwunden werden.
    Und das schließt vor allem auch ein Angebot an sichere Lohnarbeitsplätze in anderen gesellschaftlichen Bereichen für alle im militärisch-industriellen Bereich arbeitenden Menschen mit ein. Einschließlich der Arbeiter in den Streitkräften als Soldaten und Zivilangestellte.
    Solange aber Feindbilder als Projektidee zum Ausgangspunkt von Planung, Vorbereitung und Realisierung von Streitkräften genutzt werden, die ihre Kriegsführungsfähigkeit zu mehr nutzen sollen als nur zur Landesverteidigung, solange wird eine grenzüberschreitende und raumbesetzende Kriegsführungsfähigkeit von Streitkräften eine reale Kriegsbedrohung bleiben und die gegenseitige Wahrnehmung als Feind bleibt weiterhin die Quelle von Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen.
    Der Krieg als Ganzes ist und bleibt ein komplexes Verbrechen am Individuum Mensch. Und die Feindbilder bleiben die geistige Quelle dieses Verbrechens. Der Anfang vom Ende eines Kriegsgeschehens ist das Angebot eines Feindes an den anderen Feind.
    Wenn von Russland kein Angebot kommt, dann muss die NATO ein Angebot an Russland machen: Russland in die NATO aufnehmen. Und gleichzeitig natürlich auch die Ukraine. Die Feinde in die NATO integrieren, um sie in Partnerschaft für eine neue Weltfriedensordnung zur Zusammenarbeit zu zwingen.
    Warum findet sich diese Forderung nicht im Manifest für den Frieden?
    Das wäre eine Forderung, die ich unbedingt dem Manifest hinzufügen würde.

    • Jene, die gestern in Berlin für den Frieden gegen die NATO und die USA demonstriert haben, jene, die nichtmal planen, auch auf dem Roten Platz in Moskau für Frieden zu demonstrieren, sollten mal nach Bosnien reisen (Bin grade von dort zurück.): Wenn sie versuchen würden, den Bosniern zu erklären, daß es ein Fehler war, sich unter die Hegemonie der NATO und der USA zu begeben, was schließlich mit dem Dayton-Abkommen zum Frieden führte, wenn sie versuchen würden, den Bosniern, Montenegrienern, Kroaten zu erklären, sie sollten die Investitionen der “bösen Kapitalisten” nicht annehmen, könnten die Antworten, die sie vor Ort erhalten, ihren Verstand ein wenig wieder grade rücken. Interessant ist, daß immer, wenn man sich mit Einheimischen in Bosnien – mit Bosniaken, Kroaten, Serben – unterhält, die irgendwann die Bemerkung einflechten, wie friedlich sie nun zusammenleben. Und die 2-Mark-Münze zeigt auf der Rückseite eine Friedenstaube.
      Jeder weiß natürlich auch, warum Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer und jene, die ihnen folgen, an die westlichen Politiker appellieren und nicht auch an Putin & Co. Jeder weiß, was einem erwartet, wenn man eine Friendensdemonstration auf dem Roten Platz in Moskau unternehmen wollte: Wenn die Demonstranten nicht gleich bei der Einreise nach Rußland festgesetzt würden, erwartet sie auf dem Roten Platz Prügel von “russischen Patrioten”, während die Polizei dabei zuschaut. Die würde sie dann anschließend verhaften und schlimmstenfalls verschwinden die Friedensdemonstranten als “ausländische Agenten” für ein paar Jahre in einem russischen Gefangenenlager.

  94. Jürgen Hauschke sagt:

    Sehr geehrter Herr Lothar W. Pawliczak,
    unbenommen ob die Redaktion sorgfältig oder – wie Sie etwas tollkühn unterstellen – nicht sorgfältig gearbeitet hat, gesteht sie den Autoren des Blättchens zu, ihre Meinung zu ändern, ohne dass sie widerrufen müssen oder andere Bekenntnisse abzugeben haben. Ich halte das für eine ganz normale Entwicklung, zumal bei dynamischen tagespolitischen Themen. Ansonsten sind Ihre Einlassungen über die redaktionelle Arbeit nichts anderes als Vermutungen, die hier nicht weiter kommentiert werden sollen.
    In die Bemerkungen des aktuellen Heftes hatte ich einen Gedanken von Albrecht Daniel Thaer aufgenommen, den ich hier der Einfachheit halber wiederholen möchte: „Meine Meinung habe ich über verschiedene Dinge in meinem Leben oft geändert und hoffe es, wenn mir Gott Leben und Verstand erhält, noch mehrmals zu tun. Es freut mich immer, wenn ich Gründe dazu habe, denn so komme ich in meinem Wissen vorwärts. Ich halte den für einen Toren, der in Erfahrungssachen seine Meinung zu ändern nicht geneigt ist.“

  95. Heinz Jakubowski sagt:

    Günter Hayn markiert das Problem des in Rede stehenden Beitrages m.E. genau. Anzumerken wäre nur, dass die kritisierte Tonlage bzw. russisch-präferierte Sichtweise nicht nur ein Merkmal dieses Textes ist – sie dominiert das Blättchen, was man als Leser in summa zwangsläufig als dessen Haltung wahrnehmen muß. Fast schon kuriose Widersprüche inklusive, wie etwa diese textliche Kombination bei Sarcasticus (dessen Beiträgen merkwürdigerweise jedwedem Sarkasmus völlig abhold sind):
    “Denn Moskaus heutige Sicht auf den Nordatlantikpakt, der 1949 mit der erklärten Absicht gegründet worden war, to keep the Soviet Union out (Lord Hastings Ismay, erster Generalsekretär der NATO), dürfte in erster Linie davon geprägt sein:
    dass die NATO sich seit 1999 durch ihre Osterweiterung immer näher an die Westgrenze Russlands herangeschoben hat und im Jahre 2008 schließlich beschloss, auch Georgien und die Ukraine aufzunehmen. (Eine Entscheidung, die auf dem NATO-Gipfel 2022 bekräftigt worden ist.)”
    Nach weiteren, durchaus zu bestätigenden Beispielen westlicher Aggressivitäten wie etwa Serbien oder Irak folgt dann als Konklusion:
    “Um aber gar nicht erst missverstanden zu werden: Keiner der gravierenden, teils fatalen Fehler des Westens im Verhältnis zu Russland seit Ende des Kalten Krieges – und auch nicht deren Summe – könnte die völkerrechtswidrige Aggression gegen die Ukraine rechtfertigen.”
    (Quelle: https://das-blaettchen.de/2023/01/dysfunktionale-fehlerdebatte-64381.html)
    Unübersehbar, dass die einschlägigen Blättchen-Autoren solcherart Lippenbekenntnisse nur als Vehikel benutzen (siehe auch der von Hayn zitierte E. Crome), um dann den Westen im Geiste Putins wieder zum letztlichen Aggressor zu stempeln.
    https://www.jungewelt.de/artikel/426240.rede-wladimir-putins-am-9-mai-2022-in-moskau.html

    • Erhard Crome sagt:

      Lieber Heinz Jakubowski,
      ständig die Frage zu stellen, ob eine bestimmte Position dem Klassenfeind oder wem auch immer dient, ist Ausdruck selbstverschuldeter Knechtseligkeit. Eine Position als solche zu vertreten, Inanspruchnahme intellektueller Freiheit.
      Ansonsten bin ich auch künftig bei Karl Liebknecht: Der Feind ist der Imperialismus des eigenen Landes. Die “Vaterlandsverteidigung” im Sinne der Zustimmung zu den Kriegskrediten, die jetzt “Sondervermögen” heißen, ist meine Sache nicht.
      Dessen ungeachtet Dir alles Gute, auch im persönlichen Leben.

    • Sarcasticus sagt:

      Wer selber denkt, legt lediglich Lippenbekenntnisse ab und argumentiert im Übrigen im Geiste Putins … Jetzt erkenne ich das auch, werter Herr Jabubowski, und gebe mich ganz unsarkastisch geschlagen: Diesem intellektuellen Höhenflug vermag ich nicht wirklich, etwas entgegenzusetzen.

  96. Günter Hayn sagt:

    Zu Erhard Cromes “(Vor-)Kriegspropaganda”
    Im Krieg stirbt als Erstes immer die Wahrheit, heißt es gemeinhin. Das ist nicht ganz richtig, ihr Sterben setzt bereits vor dem Krieg ein, sonst käme es nie zum großen Schießen. Insofern legt der Beitrag wieder manches scheinbar Vergessene auf den Tisch.
    Allerdings liefert der Autor nur die halbe Geschichte, ihre “russische Seite” blendet er vollkommen aus. Das beginnt mit der diminutivischen Bewertung des Ukraine-Krieges als “einen Regionalkrieg” russischerseits – während der Westen wie gehabt einen Krieg zur Verdrängung Russlands “als relevante Macht aus der internationalen Politik” führe. Das ist nichts anderes als die unreflektierte Übernahme der russischen Position. Vor genau einem Jahr las sich das beim selben Autor noch ganz anders: “Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine bricht mit diesem sowjetischen Erbe und kann nur als offener Bruch des Völkerrechts qualifiziert werden, als Versuch Russlands, Krieg ‘als Werkzeug nationaler Politik’ zu benutzen” (E. Crome: Russischer Imperialismus, Das Blättchen 6/2022). Da war nicht die Rede von regionalen Auseinandersetzungen, sondern von imperialem Gehabe. Selbst “regionale” Scharmützel – allein die Bilder der seinerzeitigen Panzerkolonnen beim Vormarsch auf Kiew führen solch Einschätzung ad absurdum – wären auf dem Territorium eines selbstständigen, international, auch von Russland anerkannten Staates vollständig illegitim und mitnichten zu verteidigen.
    Aber genau das macht der Autor. Er begründet faktenreich, dass “der Westen” – welch propagandagetränkte Begriffsfindung! – alles getan habe, “um die Ukraine von Russland zu lösen”. Wieso von Russland lösen? Die ukrainische Republik war nie Bestandteil der russischen Föderation! Putin ließ allerdings nichts unversucht, um auf diversen Wegen nicht nur sie, sondern ein ganzes Bündel ehemals zur UdSSR gehöriger Republiken wieder an den russischen Großtanker anzudocken. Dass sich die russischen Bemühungen, in Kiew nachhaltig lenkenden Einfluss auszuüben, als Rohrkrepierer erwiesen, verschwiegt er geflissentlich. Genau diese “Flops” hatten einen nicht unwesentlichen Einfluss auf den mentalen Standpunktwechsel vieler Ukrainerinnen und Ukrainer. Und diesem Land selektiv “Vetternwirtschaft und Korruption” vorzuwerfen, ist eine billige Übung angesichts der vollkommen vetternwirtschafts- und korruptionsfreien russischen Zustände, so berechtigt der Vorwurf auch ist.
    “(Vor-)Kriegspropaganda” erklärt, sich mit einseitiger Propaganda zur Legitimierung eines Krieges auseinandersetzen zu wollen. Das macht der Text in eine Richtung. In der anderen ist er selber ein Stück Propagandaliteratur – “So fühlt man Absicht und man ist verstimmt” (Goethe, Torquato Tasso).

    • Erhard Crome sagt:

      Werter Herr Leser,
      das Blättchen-Format macht es leider unmöglich, in jedem Text nochmals alles zu wiederholen, was man schon einmal geschrieben oder erklärt hat. Wenn Sie es ausführlicher wünschen, hier zwei Angebote:
      https://www.eulenspiegel.com/verlage/verlag-am-park/titel/russlands-ukrainischer-krieg.html
      und
      https://www.youtube.com/watch?v=llyPzQ992lY
      Mit freundlichen Grüßen

      Erhard

    • Sehr geehrter Herr Hayn (Soviel Zeit muß sein.), lieber Erhard,
      einer sorgfältigen Redaktion wäre sicher aufgefallen, daß einer ihrer wichtigen Autoren plötzlich mit einer Tendenz schreibt, die dem widerspricht, was er zuvor zum gleichen Thema geschrieben hat. Sie hätte dann wohl den Autor vor Veröffentlichung des neuen Textes gefragt, wie das möglich ist und ob er ältere Texte damit widerrufen will, ihn auf jeden Fall zu mehr Klarheit aufgefordert. Da dies anscheinend unterblieben ist, ist wohl nicht nur Herr Hayn, vielleicht noch so manch anderer erstaunte Leser nun – gelinde gesagt – irritiert. Ich bin es, mit Verlaub, nicht. Analysen politischer Prozesse und der Handlungen von Regierungen haben – wie jede Analyse mit seriösem Anspruch (Ich vermeide hier das Wort „wissenschaftlich“, obwohl es hier hingehört.) – ohne vorausgesetzte moralische Bewertungen zu erfolgen. Staaten haben bekanntlich Interessen und Regierungen versuchen die durchzusetzen – außer wohl neudeutsche Regierungen, die nicht mehr zu wissen scheinen oder nicht wissen wollen, was die deutschen Interessen sind. So haben auch die USA Interessen, auch Rußland. Dabei ist dann weiter zu analysieren, auf welche Art und Weise Staaten – im Vergleich z.B. diese beiden – diese Interessen durchzusetzen suchen. Da gibt es deutliche Unterschiede. Ich hatte schon (siehe weiter unten) auf den Unterschied zwischen Hegemonialmacht und Imperialherrschaft verwiesen. Wenn es auch bei den USA gelegentlich imperiale Bestrebungen gibt – Imperialherrschaft wie sie seit dem ersten Zaren Iwan IV., während der ganzen Zarenzeit, unter Stalin und nun unter Putin angestrebt wird, kann man aber bei den USA wohl nicht feststellen. Erst wenn man dies unterscheidet und auch die Eigeninteressen anderer Staaten in Betracht zieht – die Ukraine ist ebensowenig wie die Baltischen Staaten oder andere Länder gezwungen worden, sich um die Aufnahme in EU und NATO zu bemühen und sich damit unter den Schutz einer „westlichen“ Hegemonie zu begeben – kann man zu einem angemessenen und dann auch moralischen Urteil kommen. Die Entwicklung in Osteuropa und insbesondere in der Ukraine als Resultat imperialer Bestrebungen der USA zu deuten, nämlich Russland „als relevante Macht aus der internationalen Politik” zu verdrängen, setzt voraus, was dann bewiesen werden soll: Der Ukrainekrieg sei ein Stellvertreterkampf zweier Imperien. Übrigens: Die Propaganda von Putin & Co behauptet genau dies, ja mehr noch: Es sei ein Abwehrkampf der guten russischen Kultur gegen die böse westliche.

    • Deswegen bin ich ja auch – gelinde gesagt – nicht irritiert. Erhard Crome hat mit seinem jüngsten Text nur die Katze aus dem Sack gelassen, die beim Lesen früherer Texte darin schon laut schnurrend wahrzunehmen war.

  97. Dr. Markus Hildebraa sagt:

    Zum Sarcasticus-Beitrag in der aktuellen Blättchen-Ausgabe zur Frage, ob Deutschland im Ukraine-Konflikt bereits Kriegspartei sei: Der Autor erwähnt, dass die Zielzuweisungen für erfolgreiche ukrainische Raketenangriffe gegen russische Ziele seitens der USA erfolgten. Das hat gerade ein Beitrag der Washington Post (9. Februar) bestätigt – unter der Überschrift: „Ukrainische Raketenkampagne auf US-Zielgenauigkeit angewiesen“. Darin heißt es u.a.: „Ukrainische Beamte erklärten, dass sie für die überwiegende Mehrheit der Angriffe, bei denen ihre fortschrittlichen, von den USA bereitgestellten Raketensysteme zum Einsatz kommen, Koordinaten benötigen, die von den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten bereitgestellt oder bestätigt werden – eine Praxis, die bisher nicht bekannt war und die eine tiefere und operativ aktivere Rolle des Pentagons in diesem Krieg erkennen lässt. Die Offenlegung, die von drei hochrangigen ukrainischen Beamten und einem hochrangigen US-Beamten bestätigt wurde, erfolgt, nachdem die Kiewer Streitkräfte monatelang russische Ziele – darunter Hauptquartiere, Munitionsdepots und Kasernen – auf ukrainischem Boden mit dem von den USA bereitgestellten HIMARS-Raketensystem … und anderen ähnlichen präzisionsgelenkten Waffen wie dem M270-Mehrfachraketen-System beschossen haben.“ Und ein hochrangiger ukrainischer Vertreter wird mit der Bemerkung zitiert: „Sie (die USA) kontrollieren ohnehin jeden Schuss.“
    Wer nachlesen möchte: https://www.washingtonpost.com/world/2023/02/09/ukraine-himars-rocket-artillery-russia/.

  98. Holger Politt sagt:

    Betrifft Beitrag “Mehr linke Phantasie in die politische Praxis” von Gerd-Rüdiger Hoffmann

    Der Autor bemerkt dort zum Beitrag “Ernst Bloch – 1938”, dass in dem Beitrag Blochs “große Begeisterung für die patriotische Haltung der Tschechoslowakei 1938 auch für den aktuellen Bezug zur von Russland überfallenen Ukraine taugen” solle. Nun habe ich noch einmal nachgeschaut und staune: Keinerlei Hinweis findet sich in dem Text auf die Ukraine, auf Russland und auch nicht auf Wladimir Putin. Es ist eine kurze, gleichwohl saubere Darlegung der Position Ernst Blochs in einer für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs überaus wichtigen Frage. Da ist nichts Verfälschendes hinzugefügt, nichts weggelassen worden, was verfälschen würde.Insofern erübrigt sich der ausgesprochene Vorwurf des “Hantierens mit Bloch-Zitaten”.

    Holger Politt

  99. Bernd Gappa sagt:

    Pazifismus heute
    oder
    Eine konstruktive Weltfriedensordnung bedroht die Zukunft des Krieges und alle Arbeitsplätze zur Planung, Organisierung und Durchführung von Angriffskriegen
    Das Nachfolgende ist meine alternative Antwort zu Stephan Wohankas Artikel „Pazifismus heute“ in Nr. 3 / 2023 des Blättchens.
    Pazifismus als Gattungsbegriff umfasst alle Menschen, die in ihrer Grundhaltung als Kriegsgegner den Krieg als Einheit von Angriffskrieg und Verteidigungskrieg ablehnen.
    Krieg ohne diese Einheit ist nicht zu haben und der wirkliche Krieg im Ganzen umfasst immer diese beiden Formen von Kriegsführung.
    Sie sind gleichbleibend oder nachhaltig wesensgleich:
    Menschen töten und die Infrastruktur des Feindes töten.
    Diese Wesensgleichheit aller Kriege hat sich bis heute nicht geändert und wird sich auch in der Zukunft nicht ändern.
    Das Gemeinsame ist die gegenseitige Wahrnehmung als Feind.
    Der Pazifismus, in welcher Form auch immer, kommt ohne entmenschlichtes Feindbild aus. Einige Pazifisten versteigen sich sogar zu der abenteuerlichen Formulierung eines gewaltfreien Widerstandes gegen aggressive Staaten und/oder aggressive Menschen in ihrer historisch wesentlichen Erscheinung als Staatsbürger.
    Die Idee eines gewaltfreien Widerstandes jedoch ist absurd, weil es keinen gewaltfreien Menschen als Individuum geben kann. Alle ernstzunehmenden Denker und politisch Engagierten, die einen gewaltfreien Widerstand propagierten (Gandhi, King, Rosenberg uva) hatten dabei immer die Abgrenzung zum aggressiven, intoleranten und menschenfeindlichen Widerstand im Zentrum ihres Denkens.
    Einer der bekanntesten Pazifisten, Albert Einstein, nutzte seinen Bekanntheitsgrad, um das Manhattanprojekt auszulösen, das bis in die Gegenwart den Anfang der nuklearen Abschreckung bildet.
    Die Geschichte der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen in der Neuzeit hat seinen Ursprung in Deutschland. Der deutsche patriotische Wissenschaftler Fritz Haber suchte und fand für den Kriegseinsatz gegen die französischen und britischen Feinde das Chlorgas, von BASF produziert und in Ypern am 22.04.1915 von deutschen Angriffskriegern erfolgreich eingesetzt.
    Aus temporaler Sicht ist das Kürzel ABC-Waffen falsch. Richtiger wäre von CBA-Waffen zu sprechen.
    Warum braucht man Massenvernichtungswaffen?
    Diese Frage ordnet sich der Frage unter, „Warum Krieg?“, die 1932 Einstein an Freud stellte. Ein Briefwechsel, der für alle Friedenswilligen aus Gewissengründen (alle Pazifisten) genauso aktuell verhaltensorientierend ist wie vor 89 Jahren. Der Begriff Alle Pazifisten schließt die militanten Pazifisten ein, zu denen sich auch Einstein selber zählte. (vgl. Albert Einstein „Für einen militanten Pazifismus“ in: Albert Einstein, Sigmund Freud „Warum Krieg? – Ein Briefwechsel, Mit einem Essay von Isaac Asimov“; Diogenes 1972).
    Ich war Fallschirmjäger. Ich war und bin militanter Pazifist und ich hasse den Krieg. Ich hasse nicht die Soldaten der Streitkräfte, von denen der buddhistische Pazifist Thich Nhat Hanh aus den Selbsterfahrungen im Vietnamkrieg sagte, dass die Soldaten aller Streitkräfte Verführte ihrer Regierungen sind, wenn sie als Menschen verführt wurden, sich gegenseitig umzubringen.
    Das eint alle Pazifisten – den Krieg zu hassen und das Kostbarste aller Menschen – ihr Leben – mit aller Macht zu verteidigen und das Wertvollste jedes Lebens – die Gesundheit- zu schützen.
    Nicht ein einziger Krieg kann diese Aufgabe erfüllen. Ob symmetrisch oder asymmetrisch – jeder Krieg ist ein sozialer Brennpunkt der wie alle sozialen Brennpunkte überwunden werden muss weil es heute notwendiger ist als gestern.
    Sind wir 8 Milliarden Menschen in der Lage, uns dem Klimawandel anzupassen ohne Kriege gegeneinander zu führen?
    Das zu beantworten übersteigt die 4000 Zeichengrenze.
    Die Geschichte unseres individuellen Gewaltmonopols beginnt mindestens 4 Millionen Jahre vor der Geschichte des staatlichen Gewaltmonopols und der Durchsetzung von Minderheitheitsinteressen.

    • Was ist der Begriff des Krieges?: Krieg ist zu definieren (als – J.H.) eine besonders gewalttätig organisierte Form des Raubes. Ich unterstelle dabei Raub als Gattungsbegriff (Genus proximum), der eine Handlung bezeichnet, bei der mit Gewalt fremdes Eigentum als Raubgut entwendet wird. Man wird dagegen einwenden, es gäbe doch Verteidigungskriege, gerechte Kriege. Ich meine, der Verteidiger leistet Eigentums(erhaltungs)arbeit und ist kein Krieger: Ähnlich wie ein Hammer als Werkzeug oder Mordinstrument dienen kann, dient eine Waffe bzw. ein Soldat entweder zum Krieg=Raub oder zur Verteidigung=Eigentumserhaltung. Der Koch, der die Erbsensuppe in den Kühlschrank stellt, daß sie nicht verdirbt, der Schäfer, der Hunde abrichtet, daß sie die Herde zusammenhalten und bewachen, der Bauer, der das Feld umzäunt und Vogelscheuchen aufstellt, daß die Saat und die Pflanzen nicht von Tieren weggefressen werden, der Schild-/Spießbürger oder Söldner, der an/auf der Grenz-/Stadtbefestigung wacht und kämpft, leistet Erhaltungsarbeit. Koch, Schäfer, Bauer, Schildbürger führen keine Kriege, sondern sie verteidigen das Ihre.

  100. Zu Erhard Cromes Imperialismus-Argumentation empfehle ich, über den Unterschied einer Hegemonialmacht gegenüber einer Imperialmacht nachzudenken und vor allem zu lesen Ulrich Menzel “Die Ordnung der Welt. Imperium oder Hegemonie in der Hierarchie der Staatenwelt” (Berlin 2015) sowie Bruno Schönfelder “Der Fluch des Imperiums” (Berlin 2022) und den Artikel von Erich Weede in der F.A.Z. vom 30.01.2023 “Warum Russland arm bleibt”

  101. Stephan Wohanka sagt:

    Zu: „Auf den Kanzler kommt es an“ – (?) von Herbert Bertsch
    Das Buch „Wie Demokratien sterben“ der Autoren Ziblatt und Lewitsky zitierend sowie „ die Hauptfragestellung“ Ziblatts „Wird die liberale Demokratie global überleben?“ aufnehmend schreibt Herbert Bertsch: „´Unsere Demokratien´ haben Antworten dazu zeitlich verschoben, auch nach außen delegiert, durchaus auch mit Erfolgen bei dieser Art Krisenbewältigung: […] Ein erfolgreicher Dauerbrenner für die Funktion als Feindbild war seit 1917 die Sowjetunion, mit jähem Ende. Gorbatschow hat ´den Demokratien´ – auch eigensüchtig – den Feind weggenommen, mit allen, auch weltweiten Nebenwirkungen“.
    Ergo und verkürzt – Gorbatschow ist Schuld daran, dass die liberalen Demokratien ins Trudeln geraten sind, da er ihnen den „Feind weggenommen“ hat.
    Ich will das gar nicht in Abrede stellen. Besagter Ziblatt veröffentlichte ein Jahr vor „Wie Demokratien sterben“ – nämlich 2017 – das Buch „Conservative Parties and the Birth of Democracy“ (Konservative Parteien und die Geburt der Demokratie). Darin sagt Ziblatt: „Ich argumentiere in diesem Buch, dass die Demokratien auf eine lange Tradition solider, gut organisierter und pragmatischer konservativer Parteien angewiesen waren, um überlebensfähig zu sein“. Das Buch ist eine Studie über die Ausformung, Konsolidierung und den phasenweisen Zusammenbruch demokratischer Staatsformen zwischen 1850 und 1950, sich hauptsächlich auf Untersuchungen zu Deutschland und England stützend. Der Schweizer Journalist Daniel Binswanger zieht folgendes Resümee: „Das Einzige, was eine Demokratie am Leben erhält, sind solide, vernünftige Traditionsparteien. In heutiger Zeit eine schlechte Nachricht.“ Überall dort, referiert er weiter, wo der Konservatismus mit dem rechten Populismus eine Allianz eingehe, hat letztere die Chance, die politische Macht zu erobern. Das moderne Paradebeispiel dafür sei Donald Trump, den die Republikanische Partei zwar zunächst bekämpft hatte, mit dem sie dann aber auf Gedeih und Verderb einen Pakt geschlossen habe.
    Nehme ich das, so ist die Antwort auf die Frage „Wird die liberale Demokratie global überleben?“ nicht nur „nach außen delegiert“, wie Bertsch schreibt, sondern ist auch weiterhin eine höchst brisante innenpolitische Aufgabe; die Eiertänze der CDU um die AfD belegen das eindrücklich.

  102. Sehr geehrter Herr Held,
    leider akzeptiert die Redaktion keine Verlinkungen in Artikeln. Ich hoffe, es wird akzeptiert, wenn ich das hier mit einem Verweis auf meine Schumpeter-Rezension nachhole: https://www.academia.edu/44986699/Schumpeter_Rezension.
    Schumpeter rehabilitiert den Unternehmer, den Marx nur als kapitalistischen Ausbeuter sah. Es ist – so Schumpeter – der Unternehmer, der aus den gewohnten Bahnen ausbricht, Neues schafft, gegen den Strom schwimmt, das Neue gesellschaftlich durchsetzt und aufgrund dessen seinen Unternehmerlohn realisiert. Schumpeters Begriff des Unternehmers (Entrepreneur) unterscheidet sich klar von der landläufigen Vorstellung vom Unternehmer: Für Schumpeter ist „Unternehmer“ ein Synonym für „Neuerer“. Der Zeitgeist kann und will mit dem Sieg des Keynesianismus und Staatsdirigismus damit nichts anfangen und hat keine Vorstellung davon, was Entwicklung ist, nämlich Entstehung von Neuem. Das ganze Gerede von klimagerechtem Wachstum, Nullwachstum, Postwachstum, Degrowth geht an der ökonomischen Wirklichkeit vorbei. Niemand scheint sich die Mühe zu machen, die Werke von Schumpeter zu lesen, bemängelten Jochen Röpke und Olaf Stiller in der Einführung der Schumpeter-Schrift „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (Nachdruck der 1. Auflage von Joseph A. Schumpeter: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung hg. und ergänzt um eine Einführung von Jochen Röpke und Olaf Schiller. Berlin 2006 S. IX). „Die herrschende ökonomische Lehre bietet nichts an, um die Entwicklung zu erklären oder anzustoßen“. (Gunnar Sohn: Wenn Volkswirtschaften in Routine ersticken. In Hans Frambach u.a. (Hg.): Schöpferische Zerstörung und der Wandel des Unternehmertums. Zur Aktualität von Joseph A. Schumpeter. Marburg 2019 S. 521)

    Es ist unverkennbar, daß ich mit meiner Schumpeter-Rezeption Peter Ruben, dessen Aufsätze auch als PdF im Internet zu finden sind (https://peter-ruben.de/index.html), und Ulrich Hedtke (https://schumpeter.info/) folge.

  103. Claus-Peter Held sagt:

    Sehr geehrter Herr Pawliczak,
    ich habe Ihren Artikel mit Anregung gelesen. Die Innovation, nach Schumpeter an den “guten” Unternehmer geknüpft kommt im allgemeinen Diskurs sehr wenig vor, weder befürwortend noch wiederlegend. Diese Thema treibt uns, meine Frau und mich ebenfalls um. Weniger um des verflossenen Sozialismus willen, der weder innovativ noch menschlich war, nicht einmal zu seinen “führenden” Arbeitern und Bauern. Es ist bei uns eher die Projektion nach vorn, also der Blick auf Bildung, Gesundheit, Forschung, Klimawende in unserem Land. In diesen zentralen Feldern der Wissensgesellschaft verlassen wir uns auf einen Staat, fordern wir von einem Staat der nach Luhmannscher Bauart keineswegs innovativ sein kann und soll. Wir verlassen uns nicht nur, nein wir fordern, wir setzen Ultimaten, kleben uns fest… Es ist nicht die Polemik, sondern eher die (weitergedachte) Antwort auf den Schumpeter. Aber Ihr Artikel ist schon mal eine gute Grundlage.

  104. Franka Haustein sagt:

    Wir haben bekanntlich einen Bundeskanzler, der sich von nichts und niemandem treiben lässt (O-Ton Scholz: „Manchen von diesen Jungs und Mädels muss ich mal sagen: Weil ich nicht tue, was ihr wollt, deshalb führe ich.“, RedaktionsNetzwerk Deutschland, 15.04.2022) und dessen Befürworter immer noch seine Besonnenheit loben („Scholz …: Gute Führung durch Nachdenklichkeit“, NRZ, 25.01.2023).
    Sollte Russland den Ukraine-Konflikt gleichwohl trotzdem zum Dritten Weltkrieg eskalierten, dann wäre es deutscherseits zumindest Apokalypse mit Ansage gewesen:

    „Scholz bleibt dabei: Keine Waffen für Ukraine“, ZDF, 06.02.2022.

    „Scholz stellt klar: Keine Panzer für die Ukraine“, Frankfurter Rundschau, 02.11.2022.

    „Scholz stellt klar: Keine Kampfjets und Truppen für die Ukraine“, Bayerischer Rundfunk, 25.01.2023.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Man kann ja von Scholz halten was man will – namentlich in der “Waffenfrage”.
      Ihm jedoch eine Aussage in Sachen Waffenlieferung vom 06.02.22. anzukreiden; das heißt von vor dem 24.02.22, also vor dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine, ist doch etwas dürftig.

  105. Dr. Jürgen Leibiger sagt:

    Lieber Ulrich Busch, meine 1923-Retrospektive stellt keine Parallelen zur Gegenwart her und sollte auch keine Ängste schüren. Sie erinnert an ein Schicksalsjahr deutscher Geschichte vor hundert Jahren, das in nicht geringem Maße dazu beigetragen hat, dass in Deutschland wie in keinem anderen Land Inflationsängste historisch tief verwurzelt sind. Die Lage ist nun leider so, dass es bei den von den gegenwärtigen Preissteigerungen besonders Betroffenen gar keines “Angstschürens” bedarf; sie haben wohl auch ohne geschichtliche Kenntnisse existenzielle Sorgen genug. Ansonsten stimme ich Ihrem Kommentar natürlich zu.

  106. Ulrich Busch sagt:

    zu Jürgen Leibiger in Nr. 2/2023:
    Seit dem Sommer 2021 ist in Deutschland, im Euroraum und in der Welt ein rasanter Preisanstieg zu verzeichnen. Dieser betrifft insbesondere die Energieträger, bestimmte Rohstoffe und Agrarprodukte. Inzwischen wurden von der Teuerungswelle durch sogenannte Zweitrundeneffekte aber auch andere Produkte und Dienstleistungen erfasst, so dass die bis dahin vorherrschende deflationäre Tendenz als überwunden angesehen und von einer Rückkehr der Inflation gesprochen werden kann. Zufällig trifft dieser Prozess zeitlich mit dem 100. Jahrestag der Hyperinflation in Deutschland, Österreich, Ungarn und anderswo zusammen. Die Koinzidenz beider Ereignisse legt es nahe, die retrospektive Betrachtung der “großen Inflation” im Lichte der inflationären Prozesse der Gegenwart vorzunehmen, wie auch umgekehrt, die aktuelle Inflation anhand der Erfahrungen der Hyperinflation von 1922/23 zu bewerten. Dabei fällt auf, dass es hier sowohl Parallelen als auch signifikante Unterschiede gibt. Insgesamt aber dürften die Differenzen überwiegen, was eine Gleichsetzung beider Prozesse ausschließt und Befürchtungen, die darauf hinauslaufen, die aktuelle Inflation könne früher oder später in eine Hyperinflation übergehen, unbegründet erscheinen lässt. Durch die Retrospektive werden jedoch mitunter böse Erinnerungen an den „Zahlenirrsinn“ von vor einhundert Jahren geweckt, kollektive Ängste geschürt und besorgniserregende, den Preisanstieg eher noch befeuernde Erwartungen in Hinblick auf die Zukunft erzeugt. Es ist daher zu begrüßen, wenn die Ursachen, Verläufe und Folgen beider Inflationsprozesse jeweils genau analysiert und daraus politische und ökonomische Schlussfolgerungen gezogen werden.

  107. Stephan Wohanka sagt:

    Zu: Politische Klasse im Blick von Waldemar Landsberger
    Der Autor schreibt anhand des von ihm besprochenen Buches von Wolfgang Bosbach: Wer glaubt uns noch? Warum Politik an Vertrauen verliert und was wir dagegen tun können, Folgendes: „Und spätestens hier erwischt Bosbach dann auch die Bundesregierung beim Heucheln. Die Linkspartei hatte angefragt, aus welchen Quellen der in die Bundesrepublik importierte Strom komme. Die Regierung antwortete im Januar 2021, das wisse sie nicht. Allein im ersten Quartal 2021 waren die Stromimporte insgesamt gegenüber dem Vorjahreszeitraum um über 18 Prozent gestiegen, darunter aus der Tschechischen Republik um 220 Prozent; mengenmäßig liegt nach wie vor Frankreich vorn. Dort kommt Elektroenergie überwiegend aus Kernkraftwerken, in Tschechien zu 75 Prozent aus Kern- und Kohlekraftwerken“.
    Diese Zahlen sind insofern unredlich, als das sie ein falsches Bild erzeugen; nämlich das eines – „allein im ersten Quartal 2021 waren die Stromimporte insgesamt gegenüber dem Vorjahreszeitraum um über 18 Prozent gestiegen“- stromimportierenden Landes.
    Jedoch über das Jahr 2021 hat Deutschland wesentlich mehr Strom exportiert als importiert; das Saldo betrug 17,4 Terrawattstunden! Der Import, auch französischen Atomstroms und tschechischen Kohlestroms, machte 36,6 Twh, der Export 57,0 Twh aus. Exportiert wurde so auch ein gewichtiger Anteil von Strom – und das ist der springende Punkt – aus erneuerbaren Energien. Die gesamten Stromerzeugung hierzulande betrug im Jahr 2021 rund 505,3 TWh, wovon 42,6 Prozent (215,4 TWh) durch erneuerbare und 57,4 Prozent (289,9 TWh) durch konventionelle Energieträger erzeugt wurden. Zu unterstellen ist, dass die Exporte aus diesem Mix stammen.
    Warum macht sich Herr Landsberg nicht die Mühe, die zitierten Zahlen zu hinterfragen? Passen sie (zu) gut in ein Bild? Zumindest in eines des Herrn Bosbach.

  108. Stephan Wohanka sagt:

    Zu: Die neue Militärmacht – auf dem Wege zur Hightech-Armee von Wilfried Schreiber
    Der Autor schreibt: „Inzwischen hat China mit zwölf seiner 14 Nachbarn auf dem Festland alle Grenzfragen final gelöst und mit acht Nachbarn Verträge über Freundschaft und Kooperation abgeschlossen. Kern der chinesischen Außenpolitik ist Ringen um Friedliche Koexistenz im Sinne einer multipolaren Weltordnung bei voller Unterstützung der Vereinten Nationen“.

    Interessant ist die Feststellung, dass China alle Grenzfragen „auf dem Festland“ gelöst habe; auf dem Meer sieht die Lage offensichtlich diametral anders aus. Nicht nur, dass China immer wieder damit droht, Taiwan mit Waffengewalt zu erobern, wenn dieses sich nicht freiwillig dem „Mutterland“ anschließe. Dabei war Taiwan nie Bestandteil der Volksrepublik China.
    Auch die sogenannte Neun-Striche-Linie oder auch Nine-Dash-Line signalisiert Pekings Entschlossenheit, Grenzen auf dem Meer abzustecken. Von Hainan, der Provinz im Süden Chinas, die aus verschiedenen Inseln besteht und deren größte ebenfalls Hainan heißt, bis zum südlichsten Punkt der Linie vor den indonesischen Natuna-Inseln sind es mehr als 1700 Kilometer. So markiert China etwa 80 Prozent des Südchinesischen Meeres für sich, durch das auch wichtige Routen des internationalen Seehandels verlaufen. Jede Landkarte in China hat die Linien nun eingezeichnet, immer wieder übt das Land auch auf andere Staaten und Unternehmen Druck aus, die Grenzführung zu übernehmen.
    Der Internationale Schiedsgerichtshof wies zwar vor Jahren Chinas historische Argumentation in einem viel beachteten Streitfall zwischen Peking und Manila zurück. Das hat aber keine Wende in der maritimen Politik Chinas angestoßen. Im Gegenteil: Der Drang, durch künstliche Inseln und Verwaltungsverordnungen möglichst rasch Fakten zu schaffen und Nachbarn durch Seemanöver einzuschüchtern, scheint einen neuen Schub bekommen zu haben. Auch ungeachtet der Tatsache, dass nach gültigem Seerecht künstliche Inseln nicht gleichbedeutend mit natürlichen Landformungen sind.
    Ein „Ringen um Friedliche Koexistenz“ sieht wohl anders aus…

    • Krysztof Daletski sagt:

      Es ist immer möglich, einen Akteur als Agressor darzustellen, indem man einzelne Punkte herausgreift und den ganzen Kontext weglässt. Im Falle des südchinesischen Meeres liefert dieses Video https://www.youtube.com/watch?v=ISHHe1Hu6d4 Infos, wieso “China da einen auf dicke Hose macht” (so der Blogger Fefe am 16.10.2022 [1]). Das Video ist m.E. etwas nervig gemacht, aber wenn man das aushält, erfährt man einiges an Kontext. Wer das nicht durchhält, findet beim unten verlinkten Blogeintrag zwei erläuternde Sätze.

      Bei der Bewertung muss man auch berücksichtigen, bei wem es um existenzielle Interessen geht, und wer nur einen Vorteil behalten/ausbauen möchte, aber auch gut anders klar käme. Und angesichts des Vorschlags aus dem Umfeld der US-Navy, sogar Piraterie zu fördern [2], um den chinesischen Seehandel zu stören, erscheinen mir die chinesischen Sorgen keineswegs unberechtigt.

      [PS: Weil ich nicht weiß, ob die Thread-Anzeige hier im Forum verlässlich funktioniert: Dies ist eine Antwort auf den Kommentar von Stephan Wohanka vom 5.1.2023.]

      [1] https://blog.fefe.de/?ts=9db535aa

      [2] https://www.usni.org/magazines/proceedings/2020/april/unleash-privateers

    • Stephan Wohanka sagt:

      Sehr geehrter Herr Daletski,
      nennen wir doch die Dinge beim Namen. Wenn also China quasi 90 Prozent des Südchinesischen Meeres für sich beansprucht, sind laufende Streitereien, ja militärische Konflikte mit den anderen Anrainern zwangsläufig. Beispiele dazu finden sich leicht im Netz. China verstößt also permanent gegen die UN-Seerechtskonvention von 1982, die es selbst unterzeichnet hat. Diese Konflikte in der Region verunsichert viele Anrainerstaaten. Deshalb hat beispielsweise auch Australien seine U-Boot-Flotte massiv vergrößert, und auch andere Staaten rüsten auf… wohl alles – wie ich schrieb, keine Beiträge zur friedlichen Koexistenz.
      Nun weisen Sie auf mehrere Links hin. In dem erstgenannten englischsprachigen Video wird übrigens anschaulich grafisch gezeigt, wie sich die Ansprüche der Anrainer überschneiden. Der Blogger Fefe bringt es auf den Punkt: „Für China ist das die wichtigste Importroute für Energie, und die wichtigste Exportroute für alle Güter. Für die Chinesen ist das also existenziell wichtig, dass diese Route frei bleibt, insbesondere auch dann, wenn irgendjemand mal einen Krieg gegen China führen möchte, denn ansonsten könnte man über eine Blockade der Straße von Malakka einmal Chinas Wirtschaft runterfahren, und das beinhaltet deren Rüstungsindustrie“. Dass es auch um natürliche Ressourcen geht, ist auch klar.
      Wenn es also um Chinas „existenzielle Interessen“ geht, betreibt das Land eine nationalistische Großmachtpolitik gegen seine maritimen Nachbarn. Und ahmt den us-amerikanischen Imperialismus nach; weiteres Machtstreben gegen Machterhalt. Sind die „chinesischen Sorgen“ nicht anders lösbar? Durch eine sicherheitspolitische Kooperation mit ASEAN-Staaten? Oder ist da schon zu viel Porzellan zerschlagen?
      Bei „Fefe“ ist auch noch zu lesen: „Ja aber Fefe, die (Chinesen – St. W.) foltern doch die Uiguren! Ja. Das ist ein Problem. Aber auch das hat uns in anderen Ländern nicht gestört. In Saudi Arabien köpfen sie öffentlich Menschen auf dem Marktplatz. Versteht mich nicht falsch: Ich fände das super, wenn wir mal eine klare Linie gegen Folterknäste und -lager und Fanatismus insgesamt durchsetzen würden. Dann aber bitte überall“. Ja – Fefe hat recht: Der „Westen“ ist auf einem Auge blind; immer wieder misst er mit zweierlei Maß. Das macht doch aber die Lage der Uiguren nicht besser und legitimiert das Vorgehen Chinas in keinster Weise. Auch über diese „Frage“ schweigen sich die chinageneigten Medien gerne aus.
      Ein letzter Gedanke: Wenn Großmächte häufig und bedauerlicherweise „großmächtig“ agieren, also repressiv, gewaltsam, in Teilen aggressiv – dann ist das so; und man sollte es sagen und schreiben.
      Stephan Wohanka

  109. Ulrich Busch sagt:

    zu Ulrich Knappes Anmerkungen im Blättchen 1-2023 zur Sozialismus-Kommunismus-Kontroverse:
    Sehr geehrter Herr Knappe, ich danke Ihnen sehr für Ihre ausführlichen Kommentare zu den Texten von Erhard Crome und der darauf von mir erfolgten Erwiderung. Dem ganzen “Streit” liegt eine Veröffentlichung von mir im Heft 4/2022 des Journals “Berliner Debatte Initial”, S. 77-89, zugrunde, die vielleicht erst zur Kenntnis genommen werden sollte, bevor die Diskussion fortgesetzt wird.
    Ulrich Busch

  110. Ewald G. Schleiting sagt:

    Zu „Wendische Zeiten“ von Erhard Crome
    Eine im Prinzip begrüßenswert differenzierte Darstellung der und Kritik an der aktuellen Außenpolitik des Bundeskanzlers, in der berechtigterweise der Name der zuständigen Ministerin, wenn ich aufgepasst habe, nicht einmal erwähnt wird. Leider gehen derartige Stimmen, die sich in ähnlicher Weise kritisch äußern zur Absens jeglicher diplomatischer Bemühungen der deutschen und der EU-Außenpolitik und zur Hinwendung zum von Biden und den USA eingeschlagenen Weg des Strebens nach Hegemonie und der Konfrontation sowohl mit Russland als auch mit China, leider also gehen diese besonnenen Stimmen immer noch unter im weitgehend undifferenzierten Kriegsgetöse, das im deutschen Blätterwald tobt.
    Leider aber auch sorgt dann der Autor dafür, dass auch diese seine Stimme nicht gehört werden wird, weil er seinen Text mit einem einzigen Satz disqualifiziert:
    Die Kritik an der Brutalität des russischen Militärs in Syrien, das zusammen mit syrischen und oft genug in Abstimmung mit türkischen Truppen (also mit deutschen Waffen) in brutalster Weise die Existenz eines Terrorregimes sichert gegen die legitimen Versuche der Bevölkerung, sich dieses staatlich ausgeübten Terrors zu erwehren, mit dem kalten Hinweis abzutun, dass es sich um einen Einsatz „im Einklang mit dem Völkerrecht“ handele, ist absolut unakzeptabel. In diesem vom Autor als völkerrechtskonform bezeichneten Krieg wurden unzählige Menschen getötet und Millionen vertrieben, wurde dieses Land in Schutt und Asche gelegt, wurden basisdemokratische Strukturen, Gesellschaften, die beispielsweise auch die Rechte von Frauen sicherstellten, brutal zerstört. Sich dabei auf das Völkerrecht zu berufen ist zynisch.

    • wolfgangbr sagt:

      Sie haben recht.
      Es ist zumindest eine freizügige Auslegung des Völkerrechts. De facto handelt es sich russischerseits um ein Eingreifen von außen in einen Bürgerkrieg zur Absicherung eigener Interessen – hier war der einzige Mittelmeerstützpunkt der russischen Marine in Gefahr. Natürlich geschah das “auf Bitten” … Niemand will gerne vor der Geschichte als Aggressor dastehen. Auch der Einmarsch 1968 in die Tschechoslowakei geschah “auf Bitten”, nach Afghanistan ließ man sich “bitten”. Und wie war das mit Tschetschenien? Selbstverständlich fand seinerzeit auch die Aufnahme der baltischen Republiken in die Sowjetunion in vollem Einklang mit dem “Völkerrrecht” statt. Komisch nur, dass die Balten das anders sehen. Aber nach derzeitiger russischer Diktion sind das eh alles nur vom Westen gesteuerte Faschisten. Man kann jetzt entgegnen, das habe nichts miteinander zu tun. Doch, hat es. Die russische Regierung betreibt durchaus eine expansive Politik. Und wie zu vernehmen war, tönte die russische Elite auf Moskauer Silvesterpartys, man werde die “russische Expansion fortsetzen”.
      Die Auseinandersetzung mit der hundsmiserablen deutschen Außenpolitik habe ich mit Interesse gelesen. Dass parallel dazu das alte Muster “böser Westen” versus “gutes Russland” (das sich nur gezwungenermaßen “böse” verhält) bedient wird, befremdet schon.

    • Ralf Nachtmann sagt:

      Ewald Schleitings Verdikt, Erhard Crome habe “seinen Text mit einem einzigen Satz disqualifiziert”, kann ich nicht so recht nachvollziehen. Dass der genannte Passus durchaus streitbar ist, wie auch Wolfgang Brauer in seiner Antwort anmerkt, steht außer Frage. Mir aber sind mit Mut und Verve “angeschobene” Debatten allemal lieber, als weichgespülte Dispute, bei denen man sich von vornherein “über die Regeln und Waffen einig” ist. Dann doch liene à la Goethe “grober Klotz und grober Keil”. Anders gesagt, könnte auch der Satz “Sich dabei auf das Völkerrecht zu berufen ist zynisch.” als “sich disqualifizierend” angesehen werden. Wenn man nicht nur die Frage stellt, “wer hat das Völkerrecht denn geschrieben?”, (das waren, soweit ich weiß, durchweg honorige Personen), sondern nach-fragt: Wer hat ihnen zwischendurch – gern auch freundlich-subtil – in die Feder diktiert?
      In summa: Ganz so einfach, wie wir es gern hätten, ist es dann eben (leider) doch nicht. Umso erfreulicher ist, dass im Blättchen und in diesem Forum kraftvoll diskutiert werden darf. Und soll, wenn ich mich recht erinnere. “Disqualifikationen”, welcher Schiedsrichter (ich bin auch solcher im Sport) sie auch immer aussprechen möchte, gehören hier nur in tatsächlich “extremen” Fällen dazu. Einen solchen kann ich beim genannten Crome-Text selbst nach mehrmaligen Lesen nicht erkennen.
      Streiten wir also weiter – auf dem Spielfeld!

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Gerne, Ralf Nachtmann, hier ein paar grobe Keile:
      1. Es mag Ihnen als Schiedsrichter im Sport nicht so geläufig sein, deshalb gerne ein wenig Nachhilfe: Anders als auf dem Fußballplatz oder in einer anderen Sportart ist es in einem öffentlichen Diskurs nicht ein Schiedsrichter, der jemanden disqualifiziert, sondern es besteht das Risiko, sich oder seinen Text in den Augen anderer selbst zu disqualifizieren. Bezogen auf seinen Aufsatz, dessen Kritik an der „Außenpolitik“ der Bundesregierung ich im Wesentlichen teile, ist dies Erhard Crome meiner Meinung nach passiert.
      So ist auch meine entsprechende Formulierung zu verstehen. Im Übrigen freue ich mich über und auf weitere seiner Beiträge im Blättchen zu diesem und anderen Themen. Es steht mir nicht zu und liegt mir fern jemanden „vom Platz stellen“zu wollen. Ebenso wie Sie schätze ich das Blättchen als einen Ort, an dem man sich ohne in persönliche Ressentiments zu versinken über linke Positionen in klarer Diktion auseinandersetzen und manchmal sogar verständigen kann.
      Dass Letzteres gelingt, wäre mir übrigens mit Blick auf die aktive Politik ein Herzensbedürfnis.
      2. Es ist schon eine reichlich naive, um nicht zu sagen kindliche Vorstellung anzunehmen, „das Völkerrecht“ sei von einigen „honorigen Personen“, denen wer auch immer „subtil“ oder auch nicht „in die Feder diktiert“ hat, aufgeschrieben worden.
      Das Völkerrecht ist eine überstaatliche in multilateralen Verhandlungen immer wieder neu abgestimmte und abzustimmende Rechtsordnung, die sich im Wesentlichen aus der „Charta der vereinten Nationen“ speist. Subjekte des Völkerrechts sind die Staaten ( ein Land – eine Stimme ), über deren, bzw. deren Vertreter Honorigkeit man in dem einen oder anderen Fall durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann.
      Entsprechende völkerrechtliche Normen werden nicht selten in UN-Resolutionen gefasst und beschlossen.
      Eine wenig bis nicht umstrittene dieser Normen ist das Verbot des Angriffskrieges eines Staates auf einen anderen.
      Weniger klar und nicht unumstritten ist die Frage, ob und wann es einer Macht gestattet ist, in einen innerstaatlichen Konflikt mit kriegerischen Mitteln einzugreifen. Deshalb ist auch formaljuristisch durchaus fragwürdig, ob der Kriegseinsatz Russlands in Syrien vom Völkerrecht gedeckt ist, wie Erhard Crome behauptet.
      3. Wesentlich entscheidender aber als diese formalrechtliche Frage ist die moralisch rechtliche Problematik: hier wird – sry, ich wiederhole mich hier teilweise – mit dem formalrechtlichen Argument „Völkerrecht“ die Unterstützung für ein Regime legitimiert, das mit brutalsten Mitteln, beispielsweise auch mit dem Einsatz von Giftgas, gegen die eigene Bevölkerung vorgeht. In diesem „innersyrischen“ Krieg hat auch die russische Seite zusammen mit Assads Truppen ihren Anteil an unzähligen Toten, Millionen Vertriebenen, zerbombten Städten und Zerstörung von demokratischen Strukturen. Was bitteschön, Ralf Nachtmann, ist hier denn „nicht ganz so einfach“? Dieser Kriegseinsatz der Russen an der Seite eines Terrorregimes ist ein Verbrechen, dieses Verbrechen mit „Völkerrecht“ zu rechtfertigen ist und bleibt „zynisch“

  111. Erhard Crome sagt:

    Forum 2.1.2023 – zu Busch vs. Crome (2)
    Ulrich Knappe hat sich in Blättchen No. 1/2023 anheischig gemacht, Anmerkungen zu obiger Debatte zu machen. Ich beschäftige mich mit dem Thema Sozialismus seit Mitte der 1960er Jahre, seit ich harte Diskussionen mit meiner sehr verehrten Großmutter hatte, die aus einer wohlhabenden „reichsdeutschen“ Familie kam, die vor dem ersten Weltkrieg in Russland gelebt hatte und mich vor dem Überlaufen zu den Bolschewisten bewahren wollte. Am Ende landete ich in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, was ich nach 1989 niemals verleugnet oder nachträglich verteufelt habe. Zu meiner Oma hatte ich trotzdem bis zu ihrem Lebensende ein sehr enges Verhältnis.
    Nach der „Wende“ habe ich eine Reihe Texte zum Thema Realsozialismus und seinem Scheitern beigesteuert. Viele Anregungen kamen aus dem Kontext und dem Umfeld von „Berliner Debatte Initial“. Der Bezug auf Peter Ruben war für die damaligen Intellektuellen, die die Zeitschrift machten und hinter ihr standen, von besonderer Bedeutung.
    Nun gibt es in Schriftsätzen des bürgerlichen Anwaltswesens die schöne Formel: „Mit Nichtwissen wird behauptet, dass…“. In diesem Sinne teilt Herr Knappe mit, von Ruben nichts wirklich gelesen zu haben. Da will ich gern aushelfen. Zum Reinarbeiten in die philosophische bzw. theoretische Problematik zu Sozialismus und Kommunismus unter der Voraussetzung von Gemeinschaft und Gesellschaft empfiehlt sich zunächst Band 2 von Rubens Gesammelten philosophischen Schriften (Berlin: Verlag am Park 2022), hier die Seiten 125-147, 160-194, 257-271, 363-383, 577-620 und 656-660. Ergänzend noch Band 4, Seiten 103-139 und 244-273. Danach können wir weiter diskutieren.

    • Ewald G. Schleiting sagt:

      Das ist schon eine recht interesssante Diktion, derer sich Erhard Crome hier bedient: Jemand „macht sich anheischig“ in eine Diskussion einzugreifen. Diese Begrifflichkeit impliziert die Unterstellung, dass dieser jemand damit überfordert ist. Auch die Behauptung, er befasse sich seit Mitte der 60iger Jahre mit dem Thema Sozialismus läßt aufhorchen: Darf nur mitreden, wer sich ebenso lange damit beschäftigt hat? Nein er ist großzügig und vergibt Hausaufgaben. Gnädigerweise ist er bereit mit jemandem zu reden, der die angegebenen Textstellen gelesen hat. Wie großmütig! Wann ist Examen?

  112. Detlev Reichel sagt:

    “Die beste Idee der Vereinigten Staaten von Amerika”
    Die Nationalparks sind, in der Tat, eine gute, eine tolle Sache. Das untermauert der faktenreiche Artikel von Jürgen Hauschke. Aber, ach, diese beste Idee kommt daher mit einem bitteren arsenischen Tropfen: Die Vereinigten Staaten von Amerika zeigen sonstwo auf dem Globus wenig bis gar keinen Respekt vor Mensch, Tier und Natur. Vor 50 Jahren, zum Beispiel, begannen die Flächenbombardements der US-Luftwaffe in Vietnam. Gefolgt von der Vernichtung ganzer Urwälder und Naturlandschaften (Stichwort: agent orange) in diesem Land. Da ist nichts von der zweifellos großartigen Idee der Lincoln, Grant und Roosevelt übriggeblieben.

  113. Stephan Wohanka sagt:

    Zu: Der Hunter-Biden-Laptop und US-Wahlen von Petra Erler
    Frau Erler hält die Einmischung Russlands in den US-Wahlkampf 2016 zugunsten Trumps für Propaganda; sie habe nicht stattgefunden.
    Wie ist auf diesem Hintergrund die Einlassung Jewgeni Prigoschins – wohl vom 07.11.22 – zu werten, der über eine russische Einmischung in US-Wahlen sprach? Laut dem Online-Netzwerk VKontakte respektive seinem Unternehmen Concord erklärte er: „Wir haben uns eingemischt, wir mischen uns ein und wir werden uns weiterhin einmischen. Sorgfältig, genau, chirurgisch und auf unsere eigene Weise, da wir wissen, wie es geht“.

    Frau Erler schreibt: „Tatsächlich wurde Trump zum Katalysator einer permanenten Verschlechterung des Verhältnisses USA-Russland. Wichtige Elemente der US-Russland-Beziehungen gingen zu Bruch: der Mittelstreckenwaffenvertrag, der Open-Skies-Vertrag. […] Trumps fundamentales ´Verbrechen´ bestand darin, dass er in einer Frühphase des Wahlkampfes 2016 und später noch ein paar Mal verbal darauf bestand, dass gute Beziehungen zu Russland gut wären. Das setzte die ganze Operation überhaupt in Gang. […] Es gab einmal einen Wahlsieg in den USA, den niemand von Bedeutung wollte. Aber es gab auch eine ´Versicherungspolitik´ dagegen. Die bestand in der strategischen Schwächung des einheimischen Siegers, die sich mit einer strategischen Schwächung des außenpolitischen Gegners verband. Das wäre eine gute, intelligente Intrige. Frei nach dem Motto: Lasst uns alle Donald Trump herzlich hassen und bekämpfen, wo wir nur können (den kriegen wir schon klein), wenn wir nur gleichzeitig den Hass auf Russland schüren“.
    Das Ganze verstehe ich nicht. Trump wollte gute Beziehungen zu Russland und die, die „in den USA von Bedeutung“ sind – dann wohl vor allem die Demokraten – wollten seinen Wahlsieg nicht und auch keine guten Beziehungen zu Russland; so weit klar. In der Chemie ist ein Katalysator ein Stoff, der – um es zu vereinfachen – eine Reaktion auslöst oder beschleunigt, ohne sich selbst zu verbrauchen. Wenn Trump also „Katalysator einer permanenten Verschlechterung des Verhältnisses USA-Russland“ war, dann hat er eine „Reaktion“ ausgelöst – nämlich eben die der „permanenten Verschlechterung des Verhältnisses USA-Russland“. Und tatsächlich – 2018 kündigte Trump den Mittelstreckenwaffenvertrag und 2020 verließen die USA unter Trump auch das Open-Skies-Abkommen. Wieso handelte Trump gegen seine eigenen Intentionen? War er den Demokraten aufgesessen?

  114. Ralf Nachtmann sagt:

    Oft sind es ja die “kleinen Dinge”, die Freude machen. So wird in den “Bemerkungen” zum “Holodomor” vom “gemeinsamen Bundestagsantrag der Fraktionen von SPG, Grünen, FDP sowie CDU/CSU” gesprochen.
    Zu jener Zeit, als ich eine Weile “Frieden und Sozialismus verteidigen” durfte, war SPG die Abkürzung für “Schweres Panzergeschütz”, das ich durchaus zu bedienen wusste. Dass dieses mittlerweile in Fraktionsstärke im Deutschen Bundestag anzutreffen ist, wundert mich nicht. So ein kleiner Tippfehler zeigt manchmal eben doch die ganze schlimme Wahrheit auf. Glückwunsch!

    Anmerkung der Redaktion: Wir danken für den Hinweis und bitten für die nahezu freudsche Fehlleistung um Pardon. Der Fehler selbst wurde korrigiert.

  115. Erhard Crome sagt:

    Forum 5.12.2022 – zu Busch vs. Crome
    Ulrich Busch, bekannt als ernsthafter Analytiker ernsthafter ökonomischer Sachthemen, hat sich zwei meiner Blättchen-Texte vorgeknöpft. In denen geht es im Kern um Peter Ruben und seine kategoriale Bestimmung des „Kommunismus“. Busch weicht einer wirklichen Bezugnahme auf Rubens Bestimmung aus und unterstellt, ich hätte „Ross und Reiter“ nicht genannt.
    Die relevanten Reiter kommen bei mir alle vor: Ruben, Marx, Stalin, zu den 1990er Jahren der Vordenker der Kommunistischen Plattform in der PDS, Michael Benjamin. Der umtriebige Slavoj Zizek schreibt viel, wenn der Tag lang ist, hat aber keinen überzeugenden neuen Beitrag zum Kommunismus geleistet, außer dass der „vor der Tür steht“. Vor 25 Jahren lautete einer der damaligen „Ostfriesen-Witze“: Was mache ich, wenn der Weihnachtsmann vor der Tür steht? Ich springe aus dem Fenster.
    Mit den jungen Menschen „mit heißen Herzen und leuchtenden Augen“ habe ich auf dem Berliner Kommunismus-Kongress im September 2022 in der Tat diskutiert. Insofern hätte ich auch noch auf verschiedene Arbeiterführer (ohne Arbeiter) kommunistischer Kleinstparteien verweisen können, die dort ihr Publikum suchten. Das wollte ich mir in der Tat ersparen.
    Eine wichtige Frage der spätantiken und mittelalterlichen christlichen Scholastik war die nach der Natur der Engel zwischen Gott und den Menschen. Sie wurde seit dem 6. Jahrhundert diskutiert. Im 13. Jahrhundert wurde dies zu einer Frage, die da lautete: „Wie viele Engel können auf einer Nadelspitze tanzen?“ Bei einer Disputation in Paris im Jahre 1289 reichte die Zahl der Antworten von „keiner“ über 150 bis zu „unzählige“. Seit der Aufklärung im 19. und 20, Jahrhundert galten solche Fragen als Paradebeispiele absurder Gedankenspielerei.
    Der Philosoph Karl Löwith beschrieb 1949 in seinem Buch: „Weltgeschichte und Heilsgeschehen“ den Marxismus als religiöse Heilslehre. Der letzte Antagonismus von Bourgeoisie und Proletariat entspricht dem Endkampf zwischen Christus und dem Antichrist. Die „historische Mission“ des Proletariats entspricht der des „auserwählten Volkes“ in der Heiligen Schrift. „Die universale Erlösungsfunktion der unterdrückten Klasse entspricht der religiösen Dialektik von Kreuz und Auferstehung und die Verwandlung des Reiches der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit der Verwandlung des alten in einen neuen Äon.“ Der Geschichtsprozess hin zum Kommunismus „spiegelt das allgemeine Schema der jüdisch-christlichen Interpretation der Geschichte als eines providentiellen Heilsgeschehens auf ein sinnvolles Endziel hin. Der historische Materialismus ist Heilsgeschichte in der Sprache der Nationalökonomie.“
    In diesem Sinne bewegen sich Debatten, wie denn nun aus der Himmelsmechanik des 21. Jahrhunderts ein wiedergeborener Kommunismus entstehen soll, auf der selben Ebene, wie die Frage, wieviele Engelein – wenigstens zu Weihnachten – auf einer Nadelspitze tanzen.

  116. Ralf Nachtmann sagt:

    Kollege Wohanka schreibt u.a., der “Ausstoß von Treibhausgasen – namentlich von Kohlendioxid” müsse “auf null gebracht werden”. Dass dies schlichtweg unmöglich ist, dürfte neben dem Autor auch jedem Leser klar sein. Allein die acht Milliarden Menschen stoßen jährlich etwa 12 Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus. Gewiss, allein der weltweite Kraftfahrzeugbestand bläst in etwa das 300-Fache ins Freie. Dennoch beträgt der Anteil von CO2 in der Erdatmosphäre weniger als 0.04 Prozent.
    Was mich mehr stört, nicht nur bei Wohanka, ist die Auffassung, werde das “1,5-Grad-Ziel” der “Erderwärmung” überschritten, drohe eine Art Untergang der Menschheit. Das ist weniger als bloße Vermutung, das ist reine Propaganda. Mal ganz abgesehen davon, dass eine Existenz der Menschheit, wie wir sie kennen, in universellen Maßstäben von keinerlei Notwendigkeit begründet ist, steht m.E. zu erwarten, dass die Anpassung an geänderte Umweltbedingungen auf der Erde (zu denen nicht allein der Klimawandel beiträgt) gerade dieser hoch entwickelten Spezies weitaus schneller gelingen wird, als beispielsweise Elefanten oder Stieleichen.
    Wohanka schreibt u.a. weiter, dass “die Abkehr von fossilen Energieträgern nicht bloß ein frommer aber unrealistischer Wunschtraum von Öko-Freaks ist, sondern überlebenswichtig für unsere Gesellschaft”. Einen Beleg für diese These liefert er nicht. Kann er auch gar nicht, denn es gibt schlichtweg keinen. Außer in unbelegten Vermutungen (Wohanka nennt die „points of no return“ hinsichtlich des Klimawandels) und in ideologischer Propaganda, die – auch dies ist nicht neu – von (zumeist) ökonomischen Interessen geleitet ist.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Lieber Kollege Nachtmann,
      das Erstere erledigt sich ganz schnell … meinen Sie wirklich, ich hätte über die „Nullemission“ das Atmen abschaffen wollen?
      Der Anteil von CO2 in der Erdatmosphäre betrüge nur um die 0.04 Prozent sagen Sie. Ja – das entspricht etwa 400 ppm, wobei ppm für parts per million steht. Aber das ist irrelevant in dem Sinne, als dass es um die systematische Erhöhung (!) dieses Anteils in der Erdatmosphäre geht. Diese hängt mit der Industrialisierung der Welt zusammen: Über lange Zeiträume der vorindustriellen Ära bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts lag dieser Wert im Bereich von 280 ppm; 2021 wurde auf Hawaii erstmals eine Konzentration von mehr als 420 ppm gemessen – das ist der springende Punkt!
      Der menschgemachte CO2-Eintrag beträgt zwar nur drei Prozent der jährlichen natürlichen Emissionen, jedoch werden die „natürlichen“ 97 Prozent der Emissionen von so genannten Kohlenstoffsenken wie Regenwäldern, Grasland, Ozeanen aufgenommen, so dass dieser Kreislauf geschlossen ist. Obige drei Prozent stellen jedoch eine zusätzliche Quelle für den globalen Kohlenstoffzyklus dar, von dem bislang nur etwa die Hälfte von Pflanzen, Meeren und Böden aufgenommen wird. Der Rest verbleibt hingegen in der Luft….
      Ich habe zwar nicht vom „Untergang der Menschheit“ gesprochen; aber nehmen wir es als Metapher. In der Tat bin ich der Meinung, doch – wie im Text zu lesen – von „heute unabsehbaren Folgen für die Menschheit“ zu sprechen. Wenn Sie schreiben, die „Existenz der Menschheit, wie wir sie kennen, ist in universellen Maßstäben von keinerlei Notwendigkeit begründet“, kann ich das auch anders formulieren: Unserem Planeten ist es völlig wurscht, ob auf ihm die Spezies Mensch sich tummelt oder nicht. Nur mir nicht und vielen anderen auch nicht. Und sicherlich – da haben Sie auch Recht – besitzt der Mensch größere Anpassungsmöglichkeiten an globale Veränderungen als der Elefant oder die Stieleiche. Aber die Frage ist doch die wie wir zu diesen Veränderungen gelangen – ob, wie es so schön neudeutsch heißt, by design oder by desaster; also durch vorausschauendes Handeln oder durch die Umstände gezwungen. Was letztere „Anpassung“ anginge, so kann ich mir gut vorstellen, dass die Winde, die die Welt verursacht durch Corona gesaust haben, nur laue Lüftchen waren im Vergleich zu dem, was überhitzte Städte, Wassermangel, Waldbrände und dergleichen dann bewirkten.
      Sie monieren meine Aussage, dass „die Abkehr von fossilen Energieträgern nicht bloß ein … Wunschtraum von Öko-Freaks ist, sondern überlebenswichtig für unsere Gesellschaft“ sei und dass ich keinen Beleg dafür liefere. Wie unschwer nachzulesen ist, stelle ich meine Aussage bewusst nicht in einen Zusammenhang mit der Klimakrise, sondern in einen von der Abhängigkeit von problematischen Lieferanten fossiler Energien, die gegenwärtig noch benötigen; und zwar aus geo- und wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten.
      Mehrmals werfen Sie mir „Propaganda“ vor… Nach dem IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, Weltklimarat) Bericht vom August 2021 verläuft der Klimawandel schneller und folgenschwerer als bisher gedacht; es wird also schon in den nächsten zwei Jahrzehnten zu einer stärkeren Erwärmung kommen als bisher von Klimamodellen simuliert.
      Sie enden: „Außer in unbelegten Vermutungen (Wohanka nennt die „points of no return“ hinsichtlich des Klimawandels) und in ideologischer Propaganda, die – auch dies ist nicht neu – von (zumeist) ökonomischen Interessen geleitet ist“. Sie bleiben uns schuldig, wer denn die Profiteure der „(zumeist) ökonomischen Interessen“ sind?

  117. Erhard Crome sagt:

    Zur Bemerkung von Max Klein

    Werter Herr Max Klein,
    Ihre Bemerkung zu meinem Text im Blättchen No. 23 (nochmals zu „Ruben und der Kommunismus!) scheint am Wesen meiner Argumentation vorbeizuschlittern. Sie verweisen auf Texte von honorigen Autoren, die Sie in Ihrem Bücherschrank gefunden haben, in denen es um Opfer des Stalinismus geht. Die Liste ließe sich fortsetzen, etwa unter Verweis auf das, was Andrej Reder kürzlich über das Schicksal seiner Eltern – deutscher Kommunisten, die in die Sowjetunion gegangen waren – veröffentlicht hat, oder Wladislaw Hedeler.
    Darum geht es in meinem Text aber nicht. Das wäre, betrachtet man den Marxismus-Leninismus als eine Buchreligion und eine Weltkirche, häretische Literatur. Mir ging es um die orthodoxe Lesart. Die einzige Schule, die Josef Stalin in seinem Leben besucht hatte, war ein Priesterseminar in Tiflis. Deshalb sind seine Interpretationen von Texten von Marx, Engels und Lenin auch stets im Gestus eines Katechismus verfasst. Zugleich verstand er sich nicht nur als Partei- und Staatsführer sowie als „Vater aller Werktätigen“, sondern war auch sein eigener erster „Kirchenvater“, das heißt der entscheidende Interpret des rechtgläubigen Kommunismus Moskauer Provenienz. Die entscheidende Zusammenfassung erfolgte in der „Geschichte der KPdSU (Bolschewiki). Kurzer Lehrgang“ aus dem Jahre 1938. Der wurde bereits seit Mitte der 1940er Jahre in hohen Auflagen auch in der und durch die SED verbreitet.
    Darin heißt es zu unserer Thematik im Zusammenhang mit der sowjetischen Verfassung von 1936, sie verankere „die weltgeschichtliche Tatsache, dass die Sowjetunion in eine neue Entwicklungsphase, in die Phase der Vollendung des Aufbaus der sozialistischen Gesellschaft und des allmählichen Übergangs zur kommunistischen Gesellschaft, eingetreten ist“. Der Genosse Ulbricht hatte zwar nach dem XX. Parteitag der KPdSU (1956) für die SED festgelegt, dass Stalin jetzt „kein Klassiker mehr“ sei. Dem wollen Sie jetzt folgen.
    Davon unabhängig blieben die entscheidenden Glaubenssätze – nicht nur zum kommunistischen Endzustand, auch zur Macht, zum Eigentum und zur Rigorosität des Vorgehens der Partei gegen Leute, die sie als „Feinde“ definiert hatte – aus dem „Kurzen Lehrgang“ in den Moskau untergeordneten Kommunistischen Parteien gültig, im Grunde bis 1989. Auch ohne, dass der ursprüngliche Chefinterpret und der Ursprungstext weiter erwähnt wurden. Da auch Marx sich im Sinne vom Kommunismus mit den zwei Phasen geäußert hatte, konnte sich Stalin auf diesen beziehen. Negri kommt bei mir als postmoderner Prophet vor, weil in seinem (mit Hardt) als marxistisch deklarierten Buch „Empire“ ebenfalls der Kommunismus als paradiesisches Stadium der Erlösung vorkommt, das er im Sinne von Franz von Assisi mit glücklichen Menschen bevölkern möchte, die dem Gesang der Vögel lauschen.
    In diesem Sinne sind alle heutigen Bezüge auf diese Art „Kommunismus“ letztlich ein Wiederaufguss des Stalismus. Während Ruben den Blick auf eine ernsthafte sozialistische Perspektive öffnet.
    Mit freundlichen Grüßen
    Erhard Crome

  118. Ralf Nachtmann sagt:

    Vielen Dank für Wilfried Schreibers interessante und wichtige Lenkung des Augenmerks auf Kasachstan, dessen mehr oder weniger diktatorischer Präsident Tokajew sich hat soeben wiederwählen lassen. Mir scheint aber, dass die “Hinwendung” des Landes (genauer müsste man sagen: seiner wirtschaftlichen und politischen “Eliten”) auch dem Umstand geschuldet ist, dass Kasachstan in den letzten Jahren vor allem im Osten des Landes unter sehr starken Einfluss Chinas geriet, Stichwort “Neue Seidenstraße”. Dem möchte man von Astana aus mittels “West-Kontakten” etwas entgegensetzen. Mir ist dies nur allzu verständlich, man betrachte nur die chinesischen “Investitionen” in Nordafrika.

  119. Dr. Markus Hildebraa sagt:

    Werter Max Klein, was ist das für eine seltsame Bemerkung, die Sie da in der heutigen Ausgabe gegen Erhard Crome und seinen Beitrag „Eine ausgebliebene Debatte“ (Blättchen 23/2022) in Stellung bringen? Gewiss hat Stalin die Utopie des Kommunismus nahezu vernichtet. Trotzdem bleibt Fakt, dass der Despot und sein -ismus Auswuchs einer Bewegung waren, die sich KOMMUNISMUS auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Wenn aber solcher Missbrauch mit all seinen barbarischen Folgen möglich war, sollte man dann den Finger – schon im Interesse von Wiederholungsprävention – nicht immer wieder in die Wunde legen, statt quasi zu verbieten, beides miteinander in Verbindung zu bringen? Mit freundlichem Gruß, Markus Hildebraa

    • Günter Hayn sagt:

      Werter Herr Dr. Hildebraa,
      nur eine kleine Anmerkung: Das war kein “Missbrauch”, das war die folgerichtige Konsequenz dieses politischen Konstruktes, das – wie Erhard Crome richtig anmerkt – eine pseudoreligiöse Konnotierung hatte. Von der historischen Erfahrung her gab es das schon einmal: Die “grand terreur” der Jakobiner um Maximilien de Robespierre ist im Kern bereits im “Gesellschaftsvertrag” Rousseaus angelegt. Man braucht immer jemanden, der die “Volonté générale” durchsetzt. Immer im Namen der deklarierten Mehrheit gegen die vermeintliche Minderheit … Und am Ende standen immer die Guillotine, die Lubjanka oder auch die killing fields. Und irgendwie auch die “Mauer”. Das liegt in der Logik dieses Ansatzes. Darüber nachzudenken hieße, “den Finger in die Wunde legen”. Diese Erkenntnis prägte einmal die noch ganz junge PDS: Zu ihrem gerne beschworenen “Gündungskonsens” gehörte auch der Verzicht auf jegliches Avantgardedenken. Das ist allerdings lange her und (fast) in Vergessenheit geraten.
      Herzlichst
      Günter Hayn

  120. Wolfram Adolphi sagt:

    Danke, Eckhard Mieder, für Ihren Text. – Und ist es nicht ein Irrsinn, dass diese (von mir von November 1969 bis April 1971 geteilte) Mot-Schützen- und “Eisenschwein”-“Chauffeur”-Erfahrung nun tatsächlich eine fürs Leben so wichtige gewordene ist? Weil sie eben wenigstens eine winzige Ahnung davon vermittelt, was dieser Krieg – und nicht nur dieser – wirklich ist?

  121. Ralf Nachtmann sagt:

    Wenn’s nicht zum heulen wäre, könnt man nur noch lachen, auch beim Lesen von P.A. Ziegfelds hübsch giftigem Text, in dem es u.a. heißt: “Es gibt nicht nur so Robuste, wie mich, sondern auch sehr Anfällige. Die müssen wir schützen, auch vor sich selbst.”
    Genau! Und deshalb wurde in Deutschland auch schon mal die “Schutzhaft” erfunden. Deren Wiedereinführung steht, wenn ich die Neufassung des Paragrafen 130 richtig verstehe, unmittelbar bevor.
    Wie gut, dass ein Großteil der Lager doch nicht, wie so oft aus bestimmten politischen Ecken gefordert, eingeebnet wurde.

    • Jürgen Hauschke sagt:

      Werter Herr Nachtmann, Ihre Wertung zum Beitrag von Frau Ziegfeld – d’accord. Ihre Schlussfolgerungen – Widerspruch.
      Was meinen Sie mit § 130? Ich vermute, Sie beziehen sich auf das Strafgesetzbuch. Der § 130 (Volksverhetzung) des StGB ist kürzlich am 20. Oktober, gegen 23 Uhr, also zu bester Parlamentszeit, um einen Absatz erweitert worden. Bisher war das Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen nur in Bezug auf die Holocaust-Taten strafbar. Die EU-Kommission verlangt aber die Strafbarkeit auch bei anderen Völkermord- und Kriegsverbrechen. Das ist jetzt umgesetzt worden. Vielleicht lesen Sie eine Kolumne von Thomas Fischer zu diesem Thema. Fischer war Vorsitzender Richter im 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs und ist Verfasser eines jährlich überarbeiteten Standardkommentars zum Strafgesetzbuch: https://www.spiegel.de/kultur/frank-walter-steinmeiers-reise-in-die-ukraine-stil-und-sicherheit-kolumne-a-60aaea7b-1c12-4960-9af8-79fe8d5089ff
      Sie spielen auf die „Schutzhaft“ durch die SS an, deren Wiedereinführung nun unmittelbar bevorstünde. Das ist sehr starker Tobak. Abgesehen davon, dass „Schutzhaft“ keine rein deutsche Erfindung ist, malen Sie einen Teufel an die Wand, der in diesem Zusammenhang völlig unpassend, zu schwarz und zu groß ist.
      Was uns aber wirklich besorgt machen sollte, ist die Tatsache, dass seit wenigen Tagen in München sogenannte „Klimakleber“, die den Stachus blockiert hatten, für 30 Tage in Polizeigewahrsam genommen wurden. Das ist nach dem umstrittenen bayerischen Polizeiaufgabengesetz möglich, um vorsorglich die Begehung weiterer Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten zu unterbinden. Nur, Herr Nachtmann, bevor Sie wieder laut „Schutzhaft“ rufen, was man hier eher nachvollziehen könnte, der Unterschied ist: Heute ist in Bayern ein richterlicher Beschluss erforderlich, in der von Ihnen heraufbeschworenen Zeit war es die reine Willkür gegen Andersdenkende, eine richterliche Überprüfung war nicht vorgesehen.

    • Karl Müller sagt:

      Präventiv weggesperrte Klebe-Terroristen sind doch für die Mehrheit der Bevölkerung eine gute Nachricht. Mit Fußball-Hooligans macht man das doch schon seit langem.

    • wolfgangbr sagt:

      An Karl Müller
      Ich nehme an, Sie meinen das ironisch, auch wenn mir solche Scherze einen gewissen Magenkrampf verursachen. Es steht nur zu befürchten, dass viele diesen Witz nicht verstehen. Auch Erich Mühsam und viele andere wurden präventiv weggesperrt. Witzchen darauf gab es seinerzeit auch.
      Selbst mit Richter-Vorbehalt halte ich die bayerische Regelung für ein Stück aus dem Tollhaus. Steter Tropfen höhlt den Stein.

  122. Stephan Wohanka sagt:

    In der heutigen Berliner Zeitung (17.10.22) lässt Daniela Dahn einen Text abdrucken; Blättchen-Lesern muss man sie wohl nicht vorstellen.
    Eine Passage ihres Textes verdient besondere Beachtung: „Die Rücksichtslosigkeit der russischen Truppen bei der Eroberung der auserkorenen Großstädte (in der Ukraine – St. W.) ist allerdings bedrückend….Wie Ex-General Kujat aber betont, hängt die Unerbittlichkeit mit der bereits erwähnten Taktik der ukrainischen Truppen zusammen, sich statisch in Städten und urbanen Räumen festzusetzen – die schwerste Kriegführung. Gleichzeitig sind die Truppen nicht so beweglich und damit Ziele der russischen Artillerie, die gegen die ukrainische Armee nur kämpfen kann, wenn sie zivile Ziele angreift. Eine Armee, die vernichten will, würde nicht nur einen eher kleinen Teil ihrer Streitkräfte und modernen Waffen ins Feld führen“.

  123. blu_frisbee sagt:

    @Ulrich Busch

    Der Kapitalismus ist kein sittliches Unternehmen wo der eine auf den anderen verpflichtet wäre
    und Zweck die Verteilung der Güter an die bedürftige Bevölkerung
    sondern ist Geldvermehrung als Selbstzweck der die Gesellschaft unterworfen wird.

    Ersteres ist ideologische Behauptung, sie wird vom realen Zweck blamiert.
    Es ist https://de.wikipedia.org/wiki/Gerechte-Welt-Glaube
    Es gibt keine Aufgabe der gegenüber einer versagen könnt.

    Der Kapitalismus krankt nicht an Spekulation sondern ist der Fehler.
    Spekulation ist die Weise wie der Fehler sich durchsetzt.
    Sie ist nicht systemfremd sondern gehört dazu.
    Preise werden nicht am Markt gebildet sondern von der Macht des Eigentums gesetzt.

    Die Ineinssetzung von Kapitalismus mit seiner Ideologie möcht man nicht beim Blättchen lesen.
    Ein Leben ohne Kapitalismus ist denkbar und möglich.

    Man kann drüber reden wie man im Kapitalismus seine Schäden jemand anderem zumutet.
    Verhindern wird man sie nie.
    Neoliberalismus ist out, jetzt gehts zum StaMoKap.

    Ein Denken nur im Kapitalismus ist Denken mit Kondom.
    Ein Denken im National ist näher bei Hitler als bei Marx.
    Auch Nationalisten haben eine Kritik am Kapitalismus wenn er die Nation verrät.

  124. Peter Maiwald sagt:

    Sehr geehrter Herr Nachtmann,

    Sie fragen mich „Was nun“? Darauf fallen mir auf Anhieb drei Antworten ein.

    1. Woher soll ich das wissen? Fragen Sie doch einen altgedienten Marxisten-Leninisten, so einer wird sich sicher in Ihrer Umgebung finden lassen. Der wird Ihnen die von ihnen vermutete Diskrepanz zwischen Lenins Theorie und Praxis unter Zuhilfenahme von Konstrukten wie „konkret-historische Situation“ und „Primat des Klassenstandpunktes“ sicher völlig plausibel erklären können.
    2. Ich will Ihnen ja nichts unterstellen, aber aus Ihrer Frage ergibt sich in aktueller Sicht mit einer gewissen Logik, dass sich der Aggressor Putin zwar nicht auf den Theoretiker Lenin, wohl aber auf den Politiker (sprich Aggressor) Lenin berufen kann. Da machen Sie allerdings einen Punkt!

    Allerdings ist, wie mir scheint, angesichts der wie stets etwas sperrigen historischen Realität ein wenig Differenzierung erforderlich. Denn wenn ich den Wikipedia-Beitrag zum Polnisch-Sowjetischen Krieg 1920 bis 1921 richtig verstanden habe, so hatten zunächst die Polen versucht, mit Gewalt ihre alten Grenzen wieder herzustellen; was man ihnen auch schwerlich verübeln kann, nachdem sie mehr als ein Jahrhundert sich damit trösten mussten, noch sei Polen nicht verloren. Als das Kriegsglück sich den Bolschewiki zuwandte, dann allerdings fand Lenin offensichtlich, dass Warschau doch eine sehr hübsche Hauptstadt einer Sowjetrepublik abgäbe; oder notfalls auch eines Vasallen-Staates, wie er Jahrzehnte später tatsächlich errichtet wurde.

    Aber, Herr Nachtmann, vielleicht passt ihre Überlegung zum Politiker Lenin als Putin-Vorbild noch besser zu dem Terroristen Lenin mit der ausgeprägten Erschießungsobsession, ein würdiger Lehrmeister Väterchen Stalins. In diesen Zusammenhang fügt sich dann auch nahtlos Dzierzynski und sein Tscheka-Nachfolger Putin ein. Welch Ansammlung von Menschenfreunden!

    3. Putin selbst legt übrigens keinen Wert darauf, zur Rechtfertigung seiner Aggression auf Lenin zurückzugreifen. Seine historische Rede aus Anlass der Annexion von „Neurussland“ ist zwar ganz im Leninschen Stil als grobianische Schimpftirade unter Verwendung historischer und politischer Versatzstücke konstruiert, aber ohne jede Spur von Kommunismus. Und Lenin selbst? Ohne ihn zu nennen, wird ihm von seinem Nachfolger vorgeworfen, „nach der Revolution die Grenzen der Sowjetrepubliken klammheimlich gezogen“ zu haben. Offenbar waren auch damals schon Verräter oder Dummköpfe oder Verbrecher am Werke, verdächtige Subjekte, wie sie in Putins volkstümlichen Sprache wimmeln wie die Flöhe auf einem Igel. Jedenfalls ist die historische Rede eine Art Manifest des großrussischen Nationalismus, laut Lenin eine imperialistische Ideologie zur Rechtfertigung des „Völkergefängnisses Russland“ – und zumindest dieser Aussage kann man doch schwerlich widersprechen. Wo er Recht hat, hat er Recht – meinen Sie nicht auch, Herr Nachtmann?

  125. Günter Hayn sagt:

    Stephan Wohanka ist hinsichtlich seiner vehementen Kritik an Ralf Nachtmanns “Große-Reiche-Theorie” nur zuzustimmen. Allerdings ist das nicht nur “19. Jahrhundert”. Auch Winston Churchill schwebte Ähnliches zur Verhinderung künftiger deutscher Vormachtsträume – der Kerl kannte uns … – durch das Konstrukt einer Donau-Föderation vor. Aus guten Gründen blieb das Vision. Bislang jedenfalls … Der Kontinent stünde tatsächlich an allen Ecken und Enden in Flammen. Gleiches gilt übrigens auch für die von manchen Linken so gerne hofierten Irredenta-Bewegungen. Die riechen nach Blut, auch wenn sie mitunter von Revolutionsromantikern, die durchaus Respekt abverlangen, getragen werden. Die Zeche zahlen letztendlich die Völker. Den meisten Korsen ist die zitierte Unabhängigkeitsbewegung mit ihrem folkloristischen Herumgeballere auf Straßenschilder und gelegentlichen Brandanschlägen nur lästig. Das heißt nicht, dass sie Paris lieben.
    Wenn politische Menschen nicht in der Lage sind, vor der eigenen Haustür für menschliche Zustände zu sorgen, sollten sie von weltpolitischen Träumen und dem Nachdenken über die Angelegenheiten anderer Völker ablassen.

  126. Ralf Nachtmann sagt:

    Bernhard Romeike schrieb: “Die westliche Propaganda-Behauptung, die Ukraine würde „unsere Freiheit“ verteidigen, erweist sich als reine Lüge.” Antwort: Ja, ja und nochmals ja!

  127. Ralf Nachtmann sagt:

    In seinem wirklich guten Beitrag hinsichtlich Rosa Luxemburg schreibt Holger Politt auch: “Wer heute durch solche Orte geht, in denen auf der Straße mehr als nur die eine Muttersprache zu hören ist, sollte den Blick richten auf die Straßenschilder. Sind sie einsprachig, können sie ein Indiz sein für nicht ein- oder durchgehaltene Minderheitenrechte.” Pauschal mag das zutreffen, zuweilen sogar in der Lebenswirklichkeit. Dennoch gibt es gerade für solche (bei Politt wenigstens vorsichtig formulierte) Fragen jahrzehntelange Debatten, wie sie beispielsweise in der Förderation Europäischer Minderheiten und Volksgruppe geführt wurden/werden. Einfaches Beispiel: Von welchem Zeitpunkt, von welcher “Siedlungsdauer” an kann eine Gruppe Immigtanten als “nationale Minderheit” angesehen werden? Die Geschichte (in Europa und angrenzend) der vergangenen 2300 Jahre lehrt: Diese Frage wurde stets politisch bzw. je nach Zweckmäßigkeit der aktuellen Herrschaft beantwortet. Will sagen: Deshalb gibt es sorbische Straßennamen, wo nahezu niemand diese Sprache spricht, und keine türkischen Straßennamen, obwohl fast alle dort türkisch sprechen. Gewiss, der Vergleich “hinkt” ein wenig, weil die Sorber “Eingeborene” sind, die Türken hingegen Immigranten. Schaut man aber auf muliti-ethnische Staatsgebilde, zeigt sich, dass die “einfache” Lösung, wie sie Rosa Luxemburg postulierte (und ihr Politt darin folgt), eben doch nicht so leicht ist. Bestes Beispiel: Der gerade erst erfolgte diktatorische Eingriff des “EU-Sonderbeauftragten” in die Regularien der Besetzung dortiger höchster Staatsämter – geschehen und verkündet am Abend einer Parlamentswahl (nach Schließung der Wahllokale?)
    Die Idee eines “Nationalstaates” scheint ohnehin überholt, zukunftsweisender scheint mir die Organisation großer “Reiche”, wie es sie (von kleinen Fleckerln abgesehen) bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in Europa (anderwo ebenso) gegeben hat. Unter solchen Umständen hätte Rosa Luxemburg tatsächlich Recht gehabt.
    Warum aber statt dessen (und imGegensatz zur weltwrtschaftlichen Entwicklung) viele Volksgruppen in Europa (Katalanen, Korsen, Sarden u.a.m.) auf einer Eigenstaatlichkeit beharren und massiv dafür kämpfen, verdiente einer gesonderten Betrachtung. Die “einfachen” Gründe sind ja bekannt, die tiefer liegenden sollten benannt werden.

    • Stephan Wohanka sagt:

      Ralf Nachtmann sagt:
      „Die Idee eines ´Nationalstaates´ scheint ohnehin überholt, zukunftsweisender scheint mir die Organisation großer ´Reiche´, wie es sie (von kleinen Fleckerln abgesehen) bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in Europa (anderwo ebenso) gegeben hat“.
      Abgesehen davon, dass das eine indirekte Rechtfertigung der Putinschen Aggression gegen die Ukraine ist, ist diese Idee „großer Reiche“ eine höchst gefährliche. Sie bedeutete die Revision wenn nicht aller, so doch vieler Grenzen europa- und weltweit. Und was das bedeutete, mag ich mir nicht ausmalen. Es ist – wie Nachtmann sagt – eine Vorstellung des 19. Jahrhunderts; und dort sollten wir sie auch belassen.

    • Ralf Nachtmann sagt:

      Lieber Kollege Wohanka,
      Sie mögen es vieleicht nicht so sehen, doch in meinen Augen ist die “Europäische Union” genau ein solches “großes Reich”, vielleicht noch nicht gänzlich ausgeformt. Ist die EU also eine Idee des 19. Jahrhunderts?
      Hierzulande (und gelegentlich auch andernorts) beruft man sich hinsichtlich der EU ja gern auf Carolus Maximus, der den “Vorläufer” errichtet (nicht gegründet) hat, und zwar mittels kriegerischer Gewalt. Die heutige EU ist allerdings weitgehend demokratisch (oder doch nur scheindemokratisch? wer durfte abstimmen?) aufgebaut worden.

  128. Lars Niemann sagt:

    Zu Bernhard Romeikes Artikel “Ukrainekrieg – eine nächste Stufe”:
    Während ich dem Tenor des Beitrages zustimme, möchte ich einem Absatz jedoch widersprechen. Meiner Auffassung waren es nicht die “kommunistische Regierung” oder “kommunistische Armeeführung”, die die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg letztendlich zum Sieg geführt haben, deren Fehlen aber nun die Schwäche (oder nicht ausreichende) Stärke der russischen Armee in der Ukraine erklären soll. Nicht umsonst hieß (und heißt vielleicht noch heute, ich weiß es nicht) der II.Weltkrieg dortzulande “Großer Vaterländischer Krieg”, und nicht etwa “kommunistischer”. Es ging tatsächlich um die Verteidigung des Heimatlandes; das war motivierend. Wenn die sowjetische Armee dagegen aus imperialen Motiven aggressiv eingesetzt wurde, etwa im “Winterkrieg” 1939/40 gegen Finnland oder in den 1980er Jahren in Afghanistan, hielten sich Motivation und Erfolg sehr in Grenzen, ungeachtet der “kommunistischen Führung”. Und da sehe ich schon Parallelen zum Angriff auf die Ukraine. Die Heimatverteidigung ist da wohl eher Sache der ukrainischen Streitkräfte. Und noch etwas zum Parteieinfluss: Selbst im “Polit-Unterricht” während meiner Militärdienstzeit in der DDR wurde ganz offen gelehrt, dass die große Macht der “Kommissare”, also der Parteifunktionäre in den Militäreinheiten, im Zweiten Weltkrieg erst durch das Prinzip der “Einzelleitung” durch professionelle Offiziere ersetzt werden musste, vorher aber militärisch sinnlos war und viele unnötige Opfer forderte. (In Übereinstimmung damit hatten die ostdeutschen “Polit-Offiziere” zumindest auf unterer Ebene praktisch nichts zu sagen und wurden von den Mannschaften auch nicht für voll genommen.)

    • Ralf Nachtmann sagt:

      Stimmt, nur dass hinsichtlich Afghanistan die Zuschreibung “imperialer Motive” nicht zutrifft. Dort ging es nach zunächst wirtschaftlichen Erwägungen im Fortgang der Auseinandersetzung um eine Art “Fernhalten” des erstarkenden “politischen Islam” in der Region nach der Machtergreifung der Ajatollahs im Iran und deren bereits Jahre zuvor ausgerufenen “Heiligen Krieg” gegen kurz gefasst “alles Andere”. (Was im Übrigen im Widerspruch zur mohamedanischen Rligionslehre steht.) Der erste Einsatz der “Roten Armee” in imperialem Streben war übrigens der Krieg gegen Polen 1920. Gerade der wird leider viel zu oft vergessen bzw. weggelassen, obwohl seine Betrachtung mehr zur Entwicklung Europas nach dem 1. Weltkrieg beitragen könnte als bisher populärwissenschaftlich erfolgte.

  129. Peter Maiwald sagt:

    “Niemand ist schuld daran, daß er als Sklave geboren wurde; aber ein Sklave, dem nicht nur alle Freiheitsbestrebungen fremd sind, sondern der seine Sklaverei noch rechtfertigt und beschönigt (der beispielsweise die Erdrosselung Polens, der Ukraine usw. als „Vaterlandsverteidigung” der Großrussen bezeichnet) – ein solcher Sklave ist ein Lump und ein Schuft, der ein berechtigtes Gefühl der Empörung, der Verachtung und des Ekels hervorruft.”

    Lenin, Über den Stolz der Großrussen

    • Ralf Nachtmann sagt:

      Und doch halt Lenin seine Armee 1920 Polen überfallen lassen. Was nun, Herr Maiwald?

  130. Stephan Wohanka sagt:

    Ukrainekrieg – eine nächste Stufe, von Bernhard Romeike
    Der Autor schreibt: „Am 21. September wurde mitgeteilt, dass Putin eine Teilmobilmachung angeordnet hat, womit 300.000 russische Reservisten, die bereits militärisch ausgebildet sind, zu den Fahnen gerufen werden. …. Tatsächlich folgt das der militärischen Logik seit Peter I.: Wenn die bisher bereitgestellten militärischen Kräfte nicht ausreichen, muss man aus der Tiefe Russlands neue bereitstellen“.
    Sehr gut gesagt – „aus den Tiefen Russlands“ und nicht etwa aus den urbanen Zentren, in denen der Protest wohl größer und qualifizierter wäre als an der Peripherie; wobei es auch dort schon etwas rumort…
    Noch eine persönliche Reminiszenz: Meine Eltern besaßen einen großen Bildband des Autors Fritz Koch-Gotha. Der war seinerzeit Kriegsberichterstatter im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05. Da wohl die Kriegsfotografie noch nicht so elaboriert wie heute war, zeichnete Koch-Gotha die Schlachtszenen. Eine ist mir bis heute in in Erinnerung geblieben; ich sah sie immer wieder an und erschauderte – ihr Titel wohl so: Unter klingendem Spiel ziehen sibirische Regimenter in das Trommelfeuer der Japaner. Zu sehen war eine (noch) geschlossene Front der Soldaten in langen Mänteln und Pelzmützen auf dem Kopf; in der ersten Reihe Bläser und Trommler. Die geneigt nach vorn gehaltenen Gewehre waren mit Bajonetten bestückt; ob die je zum „Einsatz“ kamen?
    Dass das Putin-Regime heute nicht weiter ist als Peter I. oder seine Nachfolger auf dem Zarenthron, was die Fürsorge und den Umgang mit den eigenen Soldaten angeht, ist anderer veritabler Skandal in diesem Russland. In der Berliner Zeitung teilt Torsten Harmsen mit, dass „für die ´Mobilisazija´ …. sich offenbar das Wort ´Mogilisazija´ (ausbreite). ´Mogila´heißt Grab“. Er hat wohl recht; leider.

  131. Erhard Crome sagt:

    Keiner soll hungern ohne zu frieren
    „Niemand soll im Winter frieren oder hungern müssen – Kann die Regierung dieses Versprechen halten?“ Das war der Titel der Gerede-Runde bei Anne Will in der ARD am 25. September 2022. Geladen waren Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), der Arbeits- und Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, von der CDU, die Autorin und Journalistin Julia Friedrichs und der Chef des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung München, Clemens Fuest.
    Ich hatte mir erlaubt, eine Bemerkung für die Kommentarspalte zur Sendung beizusteuern, und wies darauf hin, das sei ein interessanter Titel. Schließlich war: „Keiner soll hungern! Keiner soll frieren!“ ein Motto des „Winterhilfswerkes“ im Nazi-Staat. Die Berliner Schnauzen machten damals daraus: „Keiner soll hungern, ohne zu frieren!“ Außerdem machte ich darauf aufmerksam, dass es zur Milderung der Not des Volkes im ersten Weltkrieg den von Hindenburg und Ludendorff veranlassten „Kohlrüben-Winter“ gab. Dazu könne man jetzt natürlich auch zurückkommen.
    In Wills Forum, das moderiert ist, war das dann nicht zu lesen. Die hausinterne Zensur hatte meinen nicht-staatstragenden Kurzbeitrag nicht gewollt. Deshalb will ich ihn hier dem geschätzten Publikum nachreichen.

  132. Literat sagt:

    Seit 15. September ist ein neues Werk von Heinrich August Winkler am Markt – ein Sammelband früherer wissenschaftlicher und journalistischer “Interventionen” unter dem Gesamttitel: “Nationalstaat wider Willen”; nicht zu verwechseln mit dem gleichen Titel von Carsten Wieland, erschienen am 10. Mai 2000, über die Verbindung von Ethnie und Nationalstaat.
    Zum Auftakt der Werbekampagne wurde der Autor im Interview gefragt: “…Putin führt einen brutalen Angriffskrieg gegen die Ukraine, einen weltweiten Zusammenschluß aller Demokratien gegen Rußland hat es aber nicht gegeben. Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika halten weiter zu Moskau. ist die westliche Werteordnung am Ende?” Winkler, “der brillante Erklärer historischer Zusammenhänge”: “Der Westen hat schon lange aufgehört. die Welt zu dominieren. Aber sein großes normatives Projekt ist weiter aktuell: Einen weltweiten Anspruch auf unveräußerliche Menschenrechte zu etablieren.” Also ein moralischer Anspruch auf Weltgeltung, die wohl nicht von allen als erstrebenswert für alle beurteilt wird.
    Ein anderer deutscher Historiker bewertet denn auch solche Verkleidung von Ansprüchen “der Guten” eindeutig anders. Herfried Münkler in “Handelsblatt” vom 23. Januar 2022: “Die Großmächte sagen es zwar nicht, aber sie begreifen die Lage so, daß eben nicht jedes Land bestimmen kann, welchem Bündnis es angehören will. Die Europäer sind vermutlich die Einzigen, die das nicht so sehen.”
    Zum Nachlaß von Theo Sommer gehört diese Vorausschau vom 5. Juli: “Die Meldungen über Krieg und politische Krisen, Corona und steigende Inflation treiben die Menschen um. Dabei gerät leicht aus dem Blick, daß sich derzeit eine neue Weltordnung herausbildet Es werden die Trennlinien der nächsten Generation gezogen: Zwischen dem Westen und dem Rest der Nationen, zwischen liberalen Demokratien und illiberalen Autokratien, zwischen denen, die sich einordnen in die gegenwärtig entstehenden Verbünde, und jenen, de losgelöst davon ihre eigenen Interessen verfolgen. … Noch ist unklar, was für eine Weltordnung am Ende bei all diesen Initiativen herauskommt. Nur soviel ist klar: Sie wird multipler sein. Sie wird auf neue Weise konfrontativ werden. Neue Akteure werden sie mitbestimmen; konkurrierende Zentren werden sich nicht unbedingt einbinden lassen. Ob Rußland und China den Schulterschluß Putins und Xi Jinpings durchhalten, ist eine Frage. Ob der Westen – eine Milliarde von zehn Milliarden Menschen(!) – einen neuen Anfall von Trumpismus überleben würde, eine andere.”
    Das sind wesentlich Umstände und Bedingungen für jegliche nationale Politik Deutschlands – im Inneren wie außen herum. Dabei ist Deutschland, häufig auch “europäisch” agierend, einerseits eingehegt, andererseits auch gesichert in internationalen Sicherheitsstrukturen. Offenbar steigen parallel Einsicht und Bedarf hinsichtlich einer eigenständigen deutschen nationalen Sicherheitsstrategie, die nicht nur die militärische Komponente erfaßt, einschließlich etwa der Idee, die Wehrpflicht wieder “einzusetzen”. Oder auch die erneute Befeuerung dieser seinerzeitigen Adenauer-Analyse zu mangelnder militärischen Kampfkraft: “Die taktischen Atomwaffen sind im Grunde nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie, und es ist ganz selbstverständlich. daß wir nicht darauf verzichten können.”(5. April 1957) Heute ist von Teilhabe die Rede.
    Dem Vernehmen nach soll die neue Sicherheitsstrategie alle gesellschaftlichen Bereiche, alle Ministerien umfassen – und bis Anfang nächsten Jahres entwickelt sein. Soll darin etwa festgeschrieben werden,, was und wie von Winkler vor-geschrieben? Ist das die Einstimmung?
    Ob die Adelung der Saudi-Arabischen Machthaber vom Ausschluß-Status in den Rang “unserer Schurken” durch den Handschlag von Dschidda dann schon dazu gehört? Präsident Biden hat es zuvor auch so gehalten – damit alles gut. Und kein Alleingang!

  133. Erhard Crome sagt:

    Gorbatschow und Andropow
    Michail Gorbatschow wurde 1931 in dem Dorf Priwolnoje in der Region Stawropol geboren. Parteikarriere machte er zunächst in seiner Heimatregion Stawropol: 1958 -1962 war er Komsomol-Sekretär (das war die Jugendorganisation im Vorfeld der KPdSU) der Region Stawropol, 1968 wurde er Zweiter, 1970 Erster Sekretär der dortigen KPdSU-Regionalleitung, im selben Jahr zugleich Mitglied des Obersten Sowjets der UdSSR, 1971 Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU.
    Juri Andropow (1914-1984) stammte ebenfalls aus der Region Stawropol. Dieses Gebiet hat seine Bedeutung unter anderem wegen einer Reihe von Kureinrichtungen, die in der Nähe von Mineralquellen errichtet wurden, darunter der bekannte Kurort Kislowodsk, seit dem 19. Jahrhundert bei den russischen Oberschichten beliebt. Andropow fuhr regelmäßig zur Erholung in seine Heimatregion. Der mächtige Partei-Ideologe Michail Suslow, Jahrgang 1902, war während des zweiten Weltkrieges KPdSU-Sekretär der Region Stawropol und seit 1947 bis zu seinem Tode 1982 Sekretär des ZK der KPdSU. Noch von Stalin eingesetzt, unterstützte er später Chruschtschow und dann Breshnew; Politbüro-Mitglied war Suslow seit Anfang der 1950er Jahre. Er kurte ebenfalls regelmäßig in der Region Stawropol. Ebenso Ministerpräsident Alexei Kossygin (1904-1980, Ministerpräsident seit dem Sturz Chruschtschows 1964), hier kam laut verschiedener Biographen noch ein gutes Verhältnis zwischen der Gattin und Gorbatschows Ehefrau Raissa hinzu. Wenn die hohen Genossen zur Erholung in der Region weilten, machte der örtliche Parteisekretär ihnen natürlich seine Aufwartung. Sie kannten ihn und hatten von dem jungen Mann den besten Eindruck.
    Andropow war während des ungarischen Volksaufstandes 1956 sowjetischer Botschafter in Budapest und spielte eine wichtige Rolle bei dessen Niederschlagung. Er wusste um die Reformbedürftigkeit des Realsozialismus, erinnerte aber stets an die Kommunisten, die in Budapest an Laternenmasten aufgehängt worden waren. Deshalb wollte er eine Reform von unten unbedingt verhindern und ließ als KGB-Chef (1967-1982) sowjetische Dissidenten gnadenlos verfolgen. In internem Kreise hatte er gesagt, zuerst müsse es den Menschen durch entsprechende Reformen wirtschaftlich besser gehen, und zwanzig Jahre später könne man dann in Kunst, Kultur und Presse die Zügel lockerer lassen. Die Partei und die Parteiführung müssten diesen Prozess jedoch stets kontrollieren und in der Hand behalten. Sein Reformkonzept war im Grundsatz etwa das, was Deng Xiaoping dann in China gemacht hat. Dass Gorbatschow das später umkehren würde, konnte Andropow seinerzeit nicht wissen.
    Da Andropow in Gorbatschow einen reformbereiten und fähigen Funktionär sah, förderte er bereits seine Aufnahme in das ZK. Der für Landwirtschaft zuständige ZK-Sekretär Fjodor Kulakow förderte Gorbatschow ebenfalls, weil er als Landwirtschaftsexperte galt. Da mächtige Männer, wie Kossygin und Suslow, ihn ebenfalls positiv sahen, konnte Breshnew den Aufstieg Gorbatschows nicht verhindern, obwohl der offenbar nicht auf Breshnews Kaderliste gestanden hatte. Nachdem Kulakow 1978 plötzlich verstorben war, wurde Gorbatschow dessen Nachfolger, 1979 Kandidat und bereits 1980 Mitglied des Politbüros. 1985 dann Generalsekretär der KPdSU.

    • Ralf Nachtmann sagt:

      Tja, und was hat es genützt?

  134. Der anregende Beitrag von Erhard Crome im “Blättchen” 19/2022 ist in einer Detailfrage etwas ungenau. Michail Gorbatschow musste nicht darauf warten, dass ihn “Juri Andropow […] in Moskau deponierte” – er stieg bereits unter Breschnew auf. Und zwar 1978 zum ZK-Sekretär für Landwirtschaft, im folgenden Jahr zum Kandidaten und 1980 zum Vollmitglied des Politbüros.

    Die politischen Reformen Gorbatschows halte ich für den Versuch, sich die Machtbasis, die er im Parteiapparat nicht hatte, nunmehr auf staatlicher Ebene zu verschaffen. Ausführlich begründet habe ich dies bereits in einem Beitrag im redaktionellen Teil:
    https://das-blaettchen.de/2021/05/ein-politischer-zauberlehrling-57027.html

  135. Eine Ergänzung zu meinem Artikel über Margherita von Brentano, Nr. 19 vom 12. September 2022: Margherita von Brentano und Jacob Taubes blieben auch nach ihrer offiziellen Scheidung einander überaus eng verbunden. Sie lebten nicht nur in zwei nebeneinander liegenden Wohnungen, sondern Margherita von Brentano erzog auch seine Kinder stets mit, kümmerte sich mehr als er um sie (Taubes starb 1987). Zudem setzte Margherita von Brentano Taubes’ Kinder als ihre Erben ein. Auch das gehört zum Bild dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit und sollte nicht unerwähnt bleiben. Diese Information erhielt ich von ihrer früheren Studentin und Mitherausgeberin ihrer Werke, Susan Neiman. Diese zeichnet ein warmherziges und konturenreiches Bild ihrer Lehrerin in ihrem Buch “Slow Fire” (S. 83ff.), das Susan Neimans Zeit als Doktorandin an der FU Berlin zum Inhalt hat (siehe auch meinen Artikel ‘Die Hoffnung bewahren’ in: ‘Das Blättchen’, Nr. 24 vom 22. November 2021). Mario Keßler

  136. Dr. Markus Hildebraa sagt:

    In Ergänzung zum Beitrag „Ukraine-Krieg – zum Stand der Dinge“ in der aktuelle Blättchen-Ausgabe: Wer sich über Art und Umfang westlicher Militärhilfe für die Ukraine im Detail informieren will, wird beim REDAQKTIONSNETZWERK DFEUTSCHLAND fündig: https://www.rnd.de/politik/waffenlieferungen-an-die-ukraine-was-und-wie-viel-deutschland-usa-spanien-italien-und-co-bisher-KW4FB4UEAJHCZEGNEXZNFRXTEM.html

  137. Detlev Reichel sagt:

    Erhard Crome, In Memoriam Gorbatschow (#19)
    Die Artikel von Erhard Crome lese ich stets mit großen Interesse und meist mit Übereinstimmung. Der Schlussfolgerung im Nachruf auf Gorbatschow möchte ich jedoch etwas hinzufügen. Der allgemeinen Feststellung, Gorbatschow habe den “Kalten Krieg” beendet, schließe ich mich nicht an. Ich denke, der “Kalte Krieg” wurde zu keinem Zeitpunkt beendet, auch wenn das Gorbatschows Wunsch und Wirken war. Der Westen in Gestalt dessen Hauptmacht USA hatte, meiner Meinung nach, niemals die Absicht dazu. Ich denke, die imperialen Strategen in Washington/London/Berlin schlugen in Wahrheit die Chance, die sie sahen, keineswegs aus: Die Schwäche des Rivalen oder meinetwegen Konkurrenten. Den meinten sie nun endgültig von der Bühne globaler Politik stoßen zu können. Nun ist dieser “Kalte Krieg” in einen heißen übergegangen, und die Menschen in der Ukraine bezahlen einen hohen Blutzoll.
    Und noch eins: Die metaphorische Figur des “intelligenten Aufsteigers” mit der “Maske der heiteren Idiotie” lässt doch auch die These vom Verrat zu. Denn, wer eine Maske trägt und diese zum opportunen Zeitpunkt fallen lässt, hat ja diese Täuschung (Maske) durchaus geplant, könnte man meinen. Ich war damals, Mitte bis Ende der 1980er auch begeistert von Gorbatschows Glasnost. Und hier war endlich mal einer, der frei Reden kann (oder darf?), auch provokative Fragen von Journalisten frei von der Leber weg pariert. Leider war das nur die eine Seite. Die andere führte zum Zerfall “real-sozialistischen” Machtblocks und schließlich zum Tod der Sowjetunion selbst. Eine Alternative zum Kapitalismus und Imperialismus schien damit auf lange Sicht nicht mehr möglich. Aber, der Schein trügt, so möchte ich hoffen…

  138. Krysztof Daletski sagt:

    Zum Artikel “Klingbeils Imperativ, Ischingers Handreichung” von Sarcasticus im Blättchen 25/18 ist es ergänzend vielleicht hilfreich zu wissen, dass Lars Klingbeil laut Abgeordnetenwatch langjähriges Prsidiumsmitglied sowohl in der “Gesellschaft für Wehrtechnik” als auch im “Förderkreis deutsches Heer” war, beides Interessenverbände der Rüstungsindustrie.

    Die Forderung, dass Deutschland als “Führungsmacht” Militär als “legitimes Mittel der Politik” einsetzen solle (von anderen Politikern euphemistisch als “Verantwortung übernehmen” umschrieben), dürfte also kaum einem Umdenken aufgrund aktueller Ereignisse entstammen. Es ist eine aus diesen Kreisen schon über Jahr(zehnt)e formulierte Forderung, für die jetzt die Gelegenheit beim Schopf gegriffen wird, sie ohne nennenswrten gesellschaftlichen Widerstand durchzusetzen. Wie Svenja Sinjen, “Expertin der DGAP”, es bereits 2017 dem Focus gesagt hat [1]: “Der Bevölkerung die Notwendigkeit einer Aufrüstung zu erklären, halte ich für eine der wichtigsten Aufgaben der politischen Führung der nächsten Zeit.” und “Das bedeutet aber nicht nur, aufzurüsten: Wir müssen in der Lage sein, einen entsprechenden Krieg führen zu können.”.

    [1] “Experte fordert Aufrüstung: ‘Müssen deutsche Rüstungsmaschine anwerfen'” Focus Online, 07.02.2017