Das erste seiner Bücher, das ich in die Hand bekam, war „Die Rheingräfin“, eine Biographie der Bankiersgattin, Archäologin und Numismatikerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen, deren Salon im Bonn des Vormärz eine wichtige Rolle spielte und die zeitweise Lebensgefährtin von Adele Schopenhauer war. Dann kamen die von Houben veranstaltete schöne Ausgabe von Schopenhauers Gedichten und Scherenschnitten hinzu, die ihrer Tagebücher und schließlich der entzückende Sammelband „Kleine Blumen, kleine Blätter aus Biedermeier und Vormärz“, 1925 erschienen.
Und nun begann mich, unabhängig von meinem Thema Adele Schopenhauer, der Herausgeber selbst zu interessieren, ein Liebhaber offenbar des beschaulichen Biedermeier. Ich entdeckte mehr, viel mehr: einen Literaturwissenschaftler und Publizisten mit kritischem Kopf, einen Spötter und Kämpfer wider jede Form von Zensur, einen intimen Kenner der Literatur des Vormärz, kurz: einen wahren Homme de lettres.
Geboren wurde Houben, der seine Vornamen auf Buchtiteln gerne durch ihre Initialen abkürzte, vor hundertfünfzig Jahren, am 30. März 1875, in Aachen. Durch den frühen Verlust seiner Eltern wuchs er bei Tanten in Düsseldorf auf und bestand dort achtzehnjährig als Primus das Abitur. Nach einem kurzen Versuch im Bankfach studierte er Germanistik, Philosophie und Geschichte in Bonn, Berlin und Greifswald, wurde 1898 mit „Studien über die Dramen Karl Gutzkows“ promoviert und war, seiner schriftstellerischen Begabung entsprechend, kurzzeitig Redakteur bei den Düsseldorfer Neuesten Nachrichten. Noch im Jahr seiner Promotion ging Houben aus dem provinziellen Düsseldorf nach Berlin, wo er sich bald mit Aufsätzen über das Junge Deutschland, über Gutzkow, den Dramatiker und Theaterdirektor Heinrich Laube und über Heinrich Heine einen Namen machte.
Seinen Lebensunterhalt verdiente er zunächst durch Lehrtätigkeit an der Humboldt-Akademie, einem privaten Institut für Erwachsenenbildung, an der Lessing-Hochschule und an der Schule des Deutschen Theaters. Bald arbeitete er an den größten Zeitschriften und Tageszeitungen der Zeit mit, gründete einen literarischen Club und die Deutsche Bibliographische Gesellschaft. Vor allem hierdurch lenkte Houben die gesamte bibliographische Forschung in neue Bahnen, indem er den Weg zur Auswertung alter Zeitschriften durch namhafte Literaturwissenschaftler wies.
Es war für den jungen Houben eine literarisch ertragreiche und wissenschaftlich ungemein fruchtbare Zeit. Im Jahre 1901 erregte er mit den Gutzkow-Funden Aufsehen, weil sie Licht auf eine bisher unerforschte Literaturepoche warfen. Zwei Jahre später folgte eine große Arbeit über den Schauspieler Emil Devrient (nicht zu verwechseln mit seinem berühmteren Onkel Ludwig Devrient), die auf über dreihundert Seiten zum ersten Mal dessen Nachlass erschloss. Von 1904 bis 1912 bearbeitete er das Bibliographische Repertorium der von ihm gegründeten Gesellschaft, insgesamt sechs Bände; von 1905 bis 1909 erschienen in zwei Bänden die Zeitschriften des Jungen Deutschlands. Daneben stehen Ausgaben von Gutzkows ausgewählten Werken in zwölf und Heinrich Laubes gesammelten Werken in – man mag es kaum glauben! – fünfzig Bänden.
Im Jahre 1902 hatte Houben Martha Müller geheiratet, die sich als Kinder- und Jugendbuchautorin einen Namen gemacht hat; drei Kinder sollten aus dieser Ehe hervorgehen. Die junge Familie wollte versorgt sein: Von 1907 bis 1919 war Houben literarischer Leiter des Verlages F.A. Brockhaus in Leipzig, zuständig für den gesamten Autorenverkehr, die technische Herstellung und die Werbung, insbesondere auch für die beiden Lexika. Als Gestalter des Verlagsprogramms gab Houben nun große Autoren des vergangenen Jahrhundert neu heraus: Arthur Schopenhauer, Ferdinand Gregorovius und natürlich Gutzkow; er veranstaltete eine Neuausgabe der Gespräche Eckermanns mit Goethe, die er umfangreich kommentierte, und kam so auf den Goethe-Kreis: Johanna und Adele Schopenhauer, Goethes Schwiegertochter Ottilie und den Naturwissenschaftler und Numismatiker Frédéric Soret, dessen Tagebücher und Briefwechsel er später edierte. Im Zusammenhang mit Goethe trat auch die Zensur zum ersten Mal in Houbens Gesichtsfeld, die später eines seiner wichtigen Themen werden sollte.
Ende 1919 endete Houbens Zeit bei Brockhaus; die große Leipziger Mustermesse berief ihn zu ihrem Pressechef. Diese Arbeit aber konnte den Mann des Buches, des Buchhandels und der Wissenschaft nicht befriedigen; so war er glücklich, dass ihn 1921 der neugegründete Deutsche Verlag als literarischen Direktor nach Berlin holte. Hier sollte neben einer großen Zeitung auch ein großes Buchunternehmen entstehen – die Inflation machte freilich diesen Plänen ein Ende und Houben verlor seine Stellung. Auch der eigenen Ersparnisse beraubt, musste er sich nun dem täglichen Kampf ums Dasein stellen und lebte bis zu seinem Tode wieder als freier Publizist – seit 1916 mit dem Professorentitel geschmückt, den ihm das Sächsische Kultusministerium verliehen hatte; eine Verpflichtung zur akademischen Lehre war damit nicht verbunden.
Das Thema der Zensur, das Houben bei seiner Beschäftigung mit Goethe begegnet war, ließ ihn nun nicht mehr los und machte ihn zu einem Vorkämpfer gegen jede Unterdrückung geistiger Arbeit. Unermüdlich arbeitete er in Archiven, sammelte Material und goss seine Funde in eine gut lesbare Form. Schon 1918 ließ er ein Büchlein „Hier Zensur – wer dort? Antworten von gestern auf Fragen von heute“ erscheinen (1990 bei Reclam in Leipzig mit einem Nachwort von Günter de Bruyn nachgedruckt); 1924 zeigte er in „Der gefesselte Biedermeier. Literatur, Kultur, Zensur in der guten, alten Zeit“ (1973 als Reprint in Hildesheim neu aufgelegt), wie sich eine Epoche tragisch und satirisch selbst zerstörte. 1924 und 1928 schließlich kamen die beiden großen Bände „Verbotene Literatur von der klassischen Zeit bis zur Gegenwart. Ein kritisch-historisches Lexikon über verbotene Bücher, Zeitschriften und Theaterstücke, Schriftsteller und Verleger“ heraus (1992 bei Olms nachgedruckt). Zwischen den beiden großen Bänden erschien als eine Art Zusammenfassung für die Berliner Polizei-Ausstellung 1926 „Polizei und Zensur. Längs- und Querschnitte durch die Geschichte der Buch- und Theaterzensur“; das schöne Bändchen „Der polizeiwidrige Goethe“ bildete 1932 einen würdigen Schlusspunkt dieser Reihe.
Daneben widmete sich Houben einer umfangreichen wissenschaftlichen und literarischen Vortragstätigkeit und organisierte 1928 die Ausstellung Presse und Zensur auf der großen Pressa in Köln. In der Erforschung der Geschichte der Zensur liegt sein bleibendes Verdienst, wie die genannten Neuausgaben beweisen. Dagegen sind seine beiden zu Lebzeiten populärsten Bücher über die Nordpol- und die Südpolfahrer („Ruf des Nordens“, 1927; „Sturm auf den Südpol“, 1934) heute unbeachtet – sie verdankten ihren Erfolg dem damaligen Interesse an den so lange noch nicht zurückliegenden dramatischen Erkundungsfahrten.
H. H. Houben starb, erst sechzigjährig, nach schwerer Krankheit am 27. Juli 1935 in Berlin. Sein Grab auf dem katholischen St. Michael-Friedhof an der Hermannstraße in Neukölln existiert nicht mehr. Bis auf die Neuausgaben der Werke zur Zensur ist er heute vergessen. Einige Lexikonartikel, einige wenige Aufsätze beschäftigen sich mit ihm, eine große Biographie kenne ich nicht.
Der als Nationalsozialist später schwer belastete Schriftsteller Hanns Martin Elster hat der „Rheingräfin“ kurz nach Houbens Tod einen kurzen Nachruf vorangestellt, der ideologisch noch unbedenklich klingt und dem ich manches Detail zu Houbens Leben verdanke. Seinem Urteil, „daß Houben niemals nur im Stoff, nur in der Gelehrsamkeit steckenblieb, sondern daß es immer seine Leidenschaft und seine Kunst war, Leben zu wecken, Leben zu gestalten, gelebtes Leben zum Erlebnis für die Lebenden zu machen“, kann ich mich nur anschließen.
Solide Gelehrsamkeit, breites Wissen, weit gespannte Interessen und ein souveräner, schöner literarischer Stil – das eben macht den homme de lettres aus. Und so haben neben den Werken zu Adele Schopenhauer und zur Rheingräfin – deren Manen ich Dank sage, dass sie mich zu diesem Autor geführt haben – nun auch eine Reihe anderer Bücher Houbens in meinem Regal eine neue Heimat gefunden.