Vor fünfzig Jahren wurde die Weltbühne in Berlin verboten. Aus diesem Anlaß bringen wir mit freundlicher Genehmigung des Buchverlags der Morgen einen Vorabdruck aus dem Bild-Textband „Die Weltbühne – Porträt einer Zeitschrift“ unserer langjährigen Stellvertretenden Chefredakteurin. Das Buch wird im Laufe des Jahres erscheinen.
Der Anfang: Am Abend des 27. Februar 1933 brannte das Reichstagsgebäude. Im Verlauf dieser Nacht wurde Ossietzky verhaftet, dem man später unterstellte, er habe seine Finger dabei im Spiele gehabt. Ein meineidiger Polizeispitzel trug im Leipziger Reichstagsbrandprozeß folgende Legende vor: Ossietzky habe zum Zeitpunkt des Brandes in einer Kneipe am Alexanderplatz mit Kommunisten Karten gespielt und konspirative Gespräche geführt. Als Hellmut von Gerlach im Herbst 1933 von diesem absurden Verdacht Kenntnis erhielt, alarmierte er von Paris aus die Weltöffentlichkeit. Auch Edith Jacobsohn war bereit, vor einem internationalen Gremium zu bezeugen, wo sich Ossietzky zum Zeitpunkt des Reichstagsbrandes aufgehalten hat: nämlich in ihrer Wohnung in Grunewald. Dort hatte sie an diesem Abend mit ihm und Gerlach über die Weiterführung der Weltbühne in Berlin gesprochen; denn sie wollte am nächsten Tag, am 28. Februar, mit ihrem Sohn nach Wien reisen. Gerlach und Ossietzky verließen gegen halb zehn Uhr abends die Verlegerin. Gerlach ging nicht nach Hause. Seit man ihm seinen Paß abgenommen hatte, weil der „in seinen Händen erhebliche Belange des Deutschen Reiches gefährdet“, wechselte er ständig das Quartier. Ossietzky besuchte noch gute Freunde, die ihn beschworen, die Nacht über dazubleiben. Er aber glaubte, sicher zu sein in seiner neuen Wohnung, an deren Tür noch kein Namensschild war. Die Ossietzkys hatten sie erst kurz zuvor bezogen: die erste Wohnung wieder mit eigenen Möbeln seit vielen Jahren … Um vier Uhr morgens klingelte es: Zwei Kriminalbeamte mit einem Haftbefehl holten Ossietzky ab. Die Bewohner des Hauses in der Bayrischen Straße 12 in Wilmersdorf haben es nicht bemerkt.
Der 28. Februar 1933 war ein Dienstag. Während Ossietzky im Polizeipräsidium am Alexanderplatz verhört wird, hängt man an den Kiosken in Berlin das neue Heft der Weltbühne aus, die Nummer 9, mit seinem letzten Artikel: Herr Walter Bloem. Ein mittelmäßiger Romanschriftsteller, der sich als Theaterpapst aufgespielt hat und dem in andern Zeiten gewiß nicht die Ehre einer Auseinandersetzung zuteil geworden wäre. Ossietzky verteidigt S. J.[1], den der antisemitische Herr Walter Bloem neben anderen „nichtarischen“ Theaterkritikern für den Niedergang der „teutschen“ Dramatik in diesem Jahrhundert verantwortlich machen wollte. Ein Theaterthema? Eine Gelegenheit, ein hochpolitisches Thema zu maskieren.
Acht Tage später, am 7. März, erscheint die Nummer 10. Auf der letzten Seite steht folgende Mitteilung:
„An unsre Leser. Nach den Ereignissen des 27. Februar wurde eine Reihe von Persönlichkeiten verhaftet, unter denen sich auch der Herausgeber unsres Blattes, Carl v. Ossietzky, befindet. Redaktion und Verlag der Weltbühne versichern, den Lesern, daß sie und ihr Rechtsbeistand Kurt Rosenfeld alles tun werden, was im Rahmen des heute noch Möglichen liegt, um Carl v. Ossietzky die Freiheit wiederzubeschaffen …“
Kurt Rosenfeld 1938: „Als sein Verteidiger suchte ich ihm zu helfen, aber die Nazis gestatteten keine Rechtshilfe mehr.“
Und noch eine „Antwort“ aus dieser Nummer 10. Sie markiert Anfang und Ende der Weimarer Republik:
„SPD. – Nach einer Meldung der ‚Berliner Volks-Zeitung‘ soll der Herr Reichskanzler (Hitler) in einer Rede geäußert haben, ein hoher, dem Abbau anheimfallender preußischer Beamter habe den Reichskommissar für das preußische Innenministerium gebeten, er möge ihn doch im Amt belassen. Der Reichskommissar habe aber dem Bittsteller bedeutet, das neue System trenne eine Welt von jenen Anschauungen, die der Petent bisher vertreten habe. Der Herr ließ sich aber nicht abweisen, sondern bat, ihn wenigstens bis zum Oktober zu beurlauben, da er dann ja sowieso die Altersgrenze erreicht haben werde. Der Reichskommissar habe diese Bitte dann erfüllt. Die ‚Volks-Zeitung‘ setzt dem hinzu, es habe sich dabei um Herrn Noske gehandelt. Wenn das stimmt, fragen wir Dich: Wie lange willst Du eigentlich noch diesen Mann, der den ersten Spatenstich zum Grabe der Republik getan hat, in Deinen Reihen dulden?“
Mary Tucholsky erinnert sich an diese Tage: Anfang März fand eine Haussuchung statt, auf dem Tisch lag die Nummer 10 der Weltbühne. Bemerkung des Polizisten: „Na, die werden Sie auch nicht mehr lange haben …“
Das Datum, an dem das Verbot der Weltbühne ausgesprochen wurde, ist nirgends notiert, auch Polizeiakten darüber sind nicht gefunden worden. Dort vermutete ich die Begründung für das Verbot. Denn zu diesem Zeitpunkt trug vieles noch den Anstrich der Legalität. Man konnte sogar gegen Verbote Einspruch erheben. Nur die Gründe des Verbots durften den Lesern nicht mehr mitgeteilt werden … Die übriggebliebenen Polizeiakten über Zeitungsverbote aus dieser Zeit, die im Zentralen Staatsarchiv in Merseburg eingesehen wurden, belegen das. Aber nach der Notverordnung vom 28. Februar sind „Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit … Anordnung von Haussuchungen und von Beschlagnahmen, sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig“. Es ging alles so entsetzlich legal zu.
Man kann das Datum des Verbots aber aus Sätzen, die später geschrieben oder gesprochen wurden, rekonstruieren. Beginnen wir mit den konfusesten Bemerkungen – von Kurt Hiller. In seinen Memoiren, 1969 erschienen, gibt es einen Abschnitt über die „letzte Stunde der Weltbühne“; das ist doch schon was. Darin heißt es: „… Am 2. März traten gemäß einer präzisen Verabredung der jetzt zum Chefredakteur avancierte Verantwortliche Walther Karsch, die Verlagsleiterin Hedwig Hünicke und ich in den Redaktionsräumen zu einer Lagebesprechung zusammen.“
Hier muß gleich etwas klargestellt werden: Niemand hatte Kurt Hiller dazu beauftragt, niemand Walther Karsch zum Chefredakteur ernannt. Er war 1930 als Redaktionsassistent auf Empfehlung Hillers zur Weltbühne gekommen; nach eigener Darstellung war Karsch für die Herstellung der Inhaltsverzeichnisse verantwortlich. Ab Mai 1932, als Ossietzky seine Strafe in Tegel antreten mußte und Hellmut von Gerlach die Leitung der Weltbühne übernahm, steht allerdings im Impressum: verantwortlich Walther Karsch. Damals hatte man dafür die Bezeichnung „Sitzredakteur“. Das war nicht unehrenhaft: Der Betreffende riskierte ja seine Freiheit. Man könne doch nicht „laufend alle fähigen Leute an die Justiz abgeben“ – so Ossietzky 1932 in einem Brief aus Tegel an Tucholsky.
Zu der geheimnisvollen Lagebesprechung am 2. März 1933 war der Redakteur Rudolf Arnheim nicht geladen worden. Es nahm eine „vierte Person ungebeten“ teil, die Hiller nicht namentlich nennt, dafür aber in der ihm eigenen vulgären Art umschreibt. Doch das Schlimmste: Sie gehörte zu den „Foersteranern“, einer Gruppe in der bürgerlichen Friedensbewegung, mit der Hiller verfeindet war. Die „ungebetene Person“ war Milly Zirker, eine Vertraute von Gerlach und Ossietzky. Und so sollte das Programm aussehen, mit dem am 2. März 1933, zwei Tage nach der Verhaftung Ossietzkys und der Flucht Edith Jacobsohns, Kurt Hiller sich anmaßte, die Weltbühne weiterzuführen: „Solange man unser Blatt in Ruhe lasse“, heißt es in Hillers Memoiren, „haben wir eindeutig, wenn auch unprovokativ, auf der alten Linie zu bleiben; lediglich mit der Toleranz des Blattes gegenüber umgekippten Chauvinisten, den Foersteranern, muß Schluß sein. Das Wort gebührt erstens den liberaldemokratischen, rein völkerbündischen Altpazifisten, zweitens den Sozialdemokraten und drittens den Vertretern jenes Revolutionärpazifismus … wie er von mir gelehrt wird … Jedenfalls verstärke sich die Chance, wenn wir endlich eine Richtung aussperren, die nicht bloß die Nationalisten auf die Palme bringt …“
Es ist unvorstellbar: Zu diesem Zeitpunkt sah Hiller nichts andres, als seine persönlichen Fehden weiterzuführen gegen Menschen, die schon verhaftet oder vor den Häschern auf der Flucht waren.
Weiter auf der Suche nach dem Datum des Verbots. Auch Walther Karsch nannte es nicht in seinem Text über die Kantstraße 152, den er 1946 schrieb. Bei ihm erschien „die Gestapo“ – im Frühjahr 1933 gab es sie noch nicht –, die ihn „höflich, aber bestimmt von seinem Arbeitsplatz vertrieb“.
Rudolf Arnheim kann sich an den Vorgang nicht mehr erinnern, er weiß nur, daß Karsch und er, die beiden jungen Leute, nicht allein waren, sondern daß ein älterer Mitarbeiter zugegen war, eine Persönlichkeit wie Rudolf Olden. Der aber befand sich, nach abenteuerlicher Flucht, bereits in Prag. Auch Hellmut von Gerlach war schon fort, er konnte am 5. März mit dem Nachtzug Richtung München entkommen.
Eine knappe Mitteilung von Hedwig Hünicke an Raimund Koplin für eine Dissertation über das Thema „Der politische Publizist Ossietzky“, Frankfurt/M., 1964: „Die Nummer 10 vom 7. März 1933 war die letzte Ausgabe, die noch in den Handel gelangte, die darauffolgende Nummer 11 war ausgedruckt, durfte aber nicht mehr ausgeliefert werden.“
Das bestätigten 1981 auch die beiden Drucker, die damals bei Stein in Potsdam gearbeitet haben. Auch dort keine aufsehenerregende Aktion, die hätte sich eingeprägt. Erste Erinnerungsbrücke an diese Zeit: „Die schönen ,Dr. Dolittle‘-Bücher und ,Emil und die Detektive‘ von Kästner mußten zerschnitten werden, die hatten doch auch was mit der Weltbühne zu tun?“ – Ja, sie hatten dieselbe Verlegerin: Edith Jacobsohn. – Und dann tauchten aus dem Gedächtnis doch noch Bilder auf: Eine riesige Menge der roten Hefte wurde ja auch makuliert und die Druckformen und der Stehsatz mußten eingeschmolzen werden. – Ob sie vielleicht noch ein Heft hätten? – Nein.
Und doch muß mindestens ein Heft der Nummer 11 der Vernichtung entgangen sein: Pauline Nardi sprach 1946 davon; Walther Karsch habe es gegen ein Autogramm an Albert Bassermann weitergegeben … Im Nachlaß des Schauspielers liegen Rollenbücher, ungezählte Rollenfotos, gerahmte Familienbilder, säuberlich gesammelte Kritiken aus seinem langen Schauspielerleben, aber kein Heft der Weltbühne, auch nicht die Nummer 11, die am Tage des Verbots, am Montag, dem 13. März 1933, in Potsdam ausgeliefert werden sollte … In den unruhigen Jahren der Emigration ist so vieles verlorengegangen.
Keinem ist der Vorgang des Verbots im Gedächtnis haftengeblieben: es war eine der vielen, von der Öffentlichkeit unbemerkt gebliebenen Polizeiaktionen. Die Weltbühne, ihres Herausgebers, ihrer Verlegerin und vieler Mitarbeiter beraubt, erschien nicht mehr. Das Verlagseigentum – auch das Privateigentum von Edith Jacobsohn – wurde konfisziert, die Redaktion in der Kantstraße 152 geschlossen. Fräulein Hünicke vernichtete noch einige Manuskripte, um die Autoren vor dem Zugriff der Polizei zu schützen … Rudolf Arnheim hatte zwar die Briefe Tucholskys gerettet; aber als er im August 1933 Deutschland verließ, wagte er nicht, sie mitzunehmen: Er hat sie verbrannt. Walther Karsch brachte noch ein paar Bücher Ossietzkys in Sicherheit, die nach dem Krieg an Maud von Ossietzky zurückgegeben wurden. In meinem Bücherregal steht eines davon: Landauers Ausgabe von Peter Kropotkin „Die Französische Revolution“. Ein Geschenk von M. v. O., etwas aus der Kantstraße 152. Alles andere ist verschollen – nirgends mehr eine Spur …
[1] – Initialen von Siegfried Jacobsohn, dem Begründer der Weltbühne.