Stralsund gegenüber, am rügenschen Ufer des Strelasunds, liegt Altefähr. Wie der Name sagt, legte hier seit alters her – mindestens seit dem Jahr 1200 – die Fähre zwischen Insel und Festland an. In ersten schriftlichen Quellen wird der Hafen lateinisch „Antiquum passagium“ bezeichnet. Im Ort residierte über Jahrhunderte ein Fährvogt, der aber war nicht etwa schlicht der Fährmann, sondern er hatte das Recht auf den stralsundischen Besitzungen auf Rügen durchzusetzen.
Einst galten in den ersten beiden Städten Rügens zwei verschiedene Rechtsnormen: In Garz galt Schwerinisches Recht, in Bergen dagegen galt laut Bewidmungsurkunde, mit der Pommernherzog Philipp Julius 1613 das Stadtrecht verlieh, Lübisches Recht. In Stralsund wiederum galten Schwerinisches und Lübisches Recht. Der Stadtrat bestimmte, dass alles, was innerhalb der Stadttore geschah, nach Lübischem Recht zu ahnden sei, alles Geschehen in der zu Stralsund gehörenden Umgebung aber nach Schwerinischem Recht. Die Verwaltung des stralsundischen Grundbesitzes oblag den Kämmerern. Deren Organe für die Durchsetzung des Schwerinischen Rechts außerhalb des Stadtfelds waren zwei Vögte: der eine für das festländische äußere Stadtgebiet, der andere für Stralsunds Besitzungen auf Rügen. Kurzerhand wurde er „Fährvogt“, später „Landrichter“ oder „Richtvogt“ genannt.
In den Sonntagsbeilagen der Stralsundischen Zeitung vom Dezember 1902 befasste sich A. Kasten mit dem Fährvogt. Als „Beisorger“ der Kirche und des Armenhauses hatte er zwar auch eine gehobene kirchliche Stellung inne, die sei aber letztlich nur „eine Art Ehrenamt“ gewesen, „das zu bekleiden er durch seine sonstige Stellung berechtigt erschien“. In dieser „sonstigen Stellung“ war der „Vaget upper olden sundischen Vhere“ im 15. bis 17. Jahrhundert eben der Verwalter des stralsundischen Landbesitzes auf der Insel. Er wohnte im Altefährer Ortsteil Schlavitz. Ihm standen Haus, Garten und Acker (für die allerdings der Zehnt, zuletzt vier Scheffel Roggen, und der sogenannte Schmalzzehnt an den Pastor als Eigentümer zu zahlen waren), ein reitender Diener und ein Schreiber zur Verfügung. Dazu kamen nicht unbedeutende Geld- und Naturaleinnahmen, zum Beispiel Abgaben von den der Stadt gehörenden Katen, die jährliche Besoldung von 56 Mark und in jedem Jahr je eine „engelsche Kleidung“ („ein jedes von sechstehalber Ellen“) für sich und den Schreiber. Mit besonderer Erlaubnis durfte im Vogteihaus Bier ausgeschenkt werden. Angesichts dieser Einnahmen war es dem Fährvogt verboten, von den Bauern oder anderen Personen Geschenke anzunehmen, ihnen Dienste für seine Privatangelegenheiten aufzubürden oder Gefälligkeitsfährleistungen anzubieten.
Per Eid war der Fährvogt verpflichtet, den Bürgermeistern, dem Rat und den Kammerherren von Stralsund „gewertig und gehorsam“ zu sein. Rechte und Gerechtigkeit der Stadt, der Klöster, Kirchen, Hospitäler und Privatpersonen hatte er „männiglich mit allen Treuen zu vertheidigen“ und vor dem fürstlichen Land- und Gardgericht „mit gebürender Bescheidenheit“ zu vertreten. Dazu gehörte es, die erbuntertänigen Bauern anzuhalten, der Grundherrschaft „das Gebührende“ zu leisten. Das „Gebührende“ bestand in Erbfällen, Erbschlichtungen und anderen Besitzübergängen darin, das Recht der Grundherrschaft etwa auf ein „Erbpferd“ oder ein „Landemium“ (Pachtgebühren nach dem rügenschen Landrecht) durchzusetzen und die Pachthöhe festzulegen. Zu den weiteren Aufgaben gehörte die Beachtung der Strandgerechtigkeit sowohl in juristischer Hinsicht als auch in Bezug auf die Bergung, Inventarisierung und gegebenenfalls Rückgabe „strandtriftiger Güter“, die Leichenschau Ertrunkener und die Einleitung der entsprechenden gerichtlichen Beurteilung. Außerdem oblag ihm die Beaufsichtigung der Fährleute, damit diese rechtzeitig von und zur Stadt abfahren, die „Böte“ nicht überladen und die Reisenden nicht „übernehmen“ (übervorteilen). Zusammen mit dem Landreiter hatte er fremde Schiffe zu hindern, auf der alten Fähre etwas ein- oder auszuschiffen. Vielmehr mussten sie vor der Stadt laden und löschen; davon ausgenommen waren nur Holztransporte.
Der Fährvogt war folglich Polizei- und Gerichtsobrigkeit in seinem Bereich und konnte gegebenenfalls auch über ein Gefängnis verfügen. Vermutlich war es ein Provisorium in Form eines abschließbaren Raumes im Vogteihaus.
Mit dem Dreißigjährigen Krieg traten entscheidende Veränderungen ein: Nicht nur, dass Altefähr samt Umgebung verwüstet wurde und das Vogteihaus zerstört war. Jetzt übten städtische Beamte von Stralsund aus das „Landrichter-Amt“ aus. Sie unterschieden sich gravierend von den alten Vögten, die neben ihrer obrigkeitlichen Tätigkeit noch Ackerwirtschaft betrieben, Bier ausschenkten oder sogar in den Krieg zogen. Kasten nennt als Beispiele Peter Ridder, Fährvogt von 1526 bis 1547, der vermutlich „bäuerlichen Herkommens“ war, und Henning von Bohlen, der, als er 1552 Fährvogt wurde, Kriegshauptmann war und 1563 ein stralsundisches Hilfskorps von 230 Fußknechten und einer kleinen Reiterabteilung anführte.
Junge Rechtsgelehrte praktizierten nun neben ihrer Fährvogt-Tätigkeit als Rechtsanwälte oder betrachteten die Position des Fährvogts lediglich als Sprungbrett für eine Tätigkeit im Stadtrat. Als bezeichnend für diesen Wandel sah Kasten die Klagen von Jacobus Olemann an, der 1640 zum Fährvogt bestellt wurde und nebenher als Rechtsanwalt tätig war. Trotz einer Quartalsbesoldung von 500 Mark beschwerte er sich unter anderem, weil es kein Fährhaus mehr gab (allerdings verzichtete er auf dessen Wiederaufbau), die Besoldung reiche nur für Fuhren, „Zehrung“, Brücken- und Fährgeld und andere Unkosten aus. Weitgehend grundlos behauptete er, seine Vorgänger hätten nur die Hälfte Mühe wie er gehabt, hätten sich besser „gestanden“, und zum Beispiel Neujahr etwas Wein und im Sommer Heu erhalten und seien frei von allen Lasten gewesen. Letztlich forderte er, sein „salarium“ auf 200 Taler zu erhöhen und ihn von allen Lasten zu befreien, damit er seine Arbeit und Mühe nicht mit „Verdrieß, sondern mit Lust“ tun könne. Der Rat verhandelte mit Olemann und gewährte ihm 1647 schließlich trotz zweifelhafter Vorwürfe und überzogener Forderungen 800 Mark Gehalt, zu Neujahr ein „Stübchen Rheinwein“ (circa 3,60 Liter), im Sommer ein Fuder Heu; er wurde außerdem von Wachtgeld und Einquartierung freigestellt, musste sich aber der „ordinären Procuratur“ künftig enthalten.
Der letzte namentlich bekannte Fährvogt oder Landrichter könnte ab 1684 Justus Ludwig Olthof gewesen sein, der 1692 Ratsmitglied wurde und das Amt höchstens sechs Jahre verwaltet haben dürfte.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts war Schluss mit der Funktion des Fährvogts auf Rügen. Grund dafür war wohl die Bildung der Güter und Vorwerke aus den inzwischen gelegten Bauernhöfen und deren Verpachtung. Daraus resultierten neue Rechtsverhältnisse. So entfiel mit der Herausbildung des Standes der Gutspächter eine der einst wichtigsten Funktionen des Fährvogtes, nämlich die Rechte Stralsunds gegenüber den erbuntertänigen Bauern etwa in Erbschafts- und anderen Besitzangelegenheiten wahrzunehmen. Was an einstigen Pflichten des Fährvogtes übrig blieb, übernahmen nun die stralsundischen „camerarii“, die sich dazu weiterhin der Landreiter (die unter anderem für die Vollstreckung gerichtlicher, fiskalischer und anderer administrativer Maßnahmen zuständig waren) bedienen konnten.