Das sang einst Marlene Dietrich und kannte die Antwort: „Über Gräbern weht der Wind …“ Sie fragte weiter: „Wann wird man je verstehen“ und wusste es unausgesprochen: Niemals. Das ist kein Pazifismus, sondern reale Wirklichkeit.
Heute fordert der Minister Boris Pistorius mindestens 60.000 neue Soldaten. Wo sollen sie herkommen und wohin werden sie gehen?
Carl von Clausewitz hat in dem Grundsatzwerk „Vom Kriege“ definiert, dass die Tatsache eines Krieges gegeben ist, wenn sich ein angegriffenes Land mit militärischen Mitteln gegen den Angreifer wehrt. Demnach ist die russische Aggression gegen die Ukraine ein russisch-ukrainischer Krieg geworden. So dachte selbst der amerikanische Präsident Donald Trump am 7. Juni 2025: Putin und Selensky sollen sich noch eine Weile prügeln! EU und NATO unterstützen nur die Ukraine und betonen, sie sehen sich durch Russland selbst bedroht. Deutschland müsste darum die stärkste konventionell ausgerüstete Armee in Europa aufbauen – nur zur Sicherheit vor einem russischen Angriff. Kanzler Merz hat es so verkündet. Auch als innenpolitische Aufgabe! Was, bitte, soll den Bürgersoldaten angesichts der Geschichte seines Volkes im 20. Jahrhundert motivieren, für Europas Gloria ins Feld zu ziehen, und welche politischen Kräfte stützen den Kanzler im Innern außer seiner Koalition sowie den Profiteuren der Aufrüstung?
Da kommt die gerade in Aachen zu einer für Europa glühenden neuen Jeanne d‘Arc gekürte Ursula von der Leyen ins Spiel. Sie hatte der Bundeswehr 2018 als zuständige Ministerin ein patriotisches Traditionsbild anempfohlen. Sie wünschte den dürftig armierten Brigaden einen Kodex von edler moralischer Bürgernähe. Tapferkeit, Ritterlichkeit, vaterländische Treue etc. etc. zieren jeden Grenadier! Militärische Exzellenz? Dafür sorgt das rüstende Unternehmertum bei robusten Kampfeinsätzen da draußen in der Welt. Die Bundeswehr – ein exzellenter und resilienter Arbeitgeber, der krisensichere Jobs generiert. Wie war das eigentlich im Kaiserreich: „Bis zum 20. Jahrhundert waren deutsche Streitkräfte stabilisierender Bestandteil einer vornehmlich kleinstaatlichen und überwiegend dynastischen Ordnung.“ Woraus man bis heute so manches militärpolitisch Gutes ableiten könne.
Die gute, alte Zeit! Wer erinnert sich schon daran, wie blutig und eisenhaltig allein die deutschen Kriege vor der Gründung des Kaiserreichs 1871 geführt wurden. Von der deutschen Angriffsarmee im ersten Weltkrieg gar nicht zu reden!
Vier Jahre nach Verkündung der Lex-Leyen erfolgte per sozialdemokratischem Kanzlerwort die Idee einer Zeitenwende, ausgelöst durch Russlands Feldzug gegen die slawischen Geschwister in der Ukraine; zwecks neuerlicher „Sammlung der russischen Erde“ sowie als Reaktion auf den permanenten Drang westlicher Großmächte, den russischen Bären in ein kleineres Gehege zu sperren. Wie vor 500 Jahren bleibt der ostmitteleuropäische Gürtel von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer eine explosive west-östliche Konfliktzone gegenseitiger Schuldzuweisungen, Drohungen und Kriege.
Dem missionarische Vorprellen deutscher Politiker, mit dem Konflikt erneut eine eigene Vormacht in Europa zu verbinden, fehlt es jedoch an den inneren politischen Voraussetzungen und dem Willen, tatsächlich auf einen stabilen Frieden mit Russland hinwirken zu wollen – und an Soldaten. Die Gründe?
Die fatale und anhaltende Ausdehnung des Bonner Staatsverständnisses von 1949 auf ganz Deutschland hat einen wachsenden politischen und sozialen Widerstand vor allem in den „neuen“ Bundesländern ausgelöst. Die politische und physische Gewalttätigkeit nimmt inzwischen in der gesamten Gesellschaft erschreckende Ausmaße an. Das ist zugleich die spezifische deutsche Variante der internationalen Tendenz, sich nach dem Ende des Kalten Krieges von den innenpolitischen Maximen der staatlichen Ordnung mit den Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg zu verabschieden und zu Herrschaftsordnungen aus der Zwischenkriegszeit zurückzukehren. Wer in der Ukraine am Krieg gegen Russland seine eigene Kriegstüchtigkeit und europäische Vorreiterrolle erproben will, kann sich kein politisch gespaltenes eigenes Volk leisten. Die Bundeswehr sucht da ganz traditionell gegenzusteuern.
Im Juli 2024 verkündete das Verteidigungsministerium ergänzende Hinweise zur Traditionspflege, die das Konzept von 2018 bestätigen und erneut sanktionieren: „Der Traditionserlass lässt ausdrücklich die Übernahme von vorbildlichen soldatischen Haltungen und Handlungen aus anderen Epochen – einschließlich des Zweiten Weltkrieges – zu.“ Damit der Soldat versteht, was damit konkret gemeint ist, bekommt er eine Liste von Militärangehörigen an die Hand, die sowohl in der Großdeutschen Wehrmacht als auch in der Bundeswehr ehrenhaft dem Vaterland gedient haben. Doch das ist nicht des Pudels Kern. Gleichsam stellvertretend für alle Streitkräfte hat das Marinemagazin Schiff Classic im Heft 4/2025 die praktische und verallgemeinerungsfähige Losung ausgegeben: „Die Marine Deutschlands zeichnet Beständigkeit aus. Sie überlebte Versteigerung (1852), Katastrophe (1918), Kapitulation (1945) und sang- und klanglosen Untergang (1990), um dennoch weiterzuleben. Sie scheint ein ewiges Phänomen zu sein.“ Das wirkt! Der deutsche Soldat als „ewiges Phänomen“, vom Kaiserreich bis zum neuen großen Deutschland. In Wirklichkeit hat es in der Bonner Politik ja nie eine andere Überzeugung gegeben.
Heute wird der listige Ruf laut, die Geschichte der deutschen Wehrmacht neu zu schreiben. So der Historiker Roman Töpel bei n-tv am 9. Juni 2025 über den General Erich von Manstein; „Die Geschichte des Westfeldzugs muss neu geschrieben werden“. Die Reinheit der deutschen Wehrmacht darf durch Judenhasser wie den legendären Feldmarschall nicht länger befleckt werden! Die Militärische Tradition und Wehrbereitschaft des Staates ist natürlich ein Kampffeld der Innenpolitik zwischen den im Bundestag vertretenen Parteien, bei dem es um die Macht im Staate geht. Das bedeutet, die Haltung zum russisch-ukrainischen Krieg kann in der aktuellen Politik durchaus entscheidend werden, wenn es um die Lösung der Frage geht, nach welchen Prinzipien Deutschland künftig regiert wird: autoritär oder demokratisch auf der Grundlage einer vom ganzen deutschen Volk akzeptierten gesamtdeutschen Verfassung.
Die Feiern zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs waren in Ost und West eine einzige Demonstration der west-östlichen Feindschaft. Es wurde viel über das „Nie wieder“ gesprochen, über das Leid der Menschen und den Kampf um die Erhaltung des Friedens. Beide Seiten haben jedoch die Chance vergeben, dieses Jubiläum mit einem entschlossenen und Einhalt gebietenden verbindlichen Vertrag des Friedens in der Ukraine zu verbinden.
Die Obrigkeit beklagt das mangelhafte Wissen der Jugend über die jüngste deutsche Geschichte. Doch dem Landser von morgen wird als Wehrmotiv die nahtlose Kontinuität vom Kaiserreich bis zur Bonner Republik offeriert.
Als ob sich die Deutschen auch in der Bonner Republik nie verabredet hätten, hinfort keine Führungsrolle in Kriegen mehr zu übernehmen. Ja aber, so tönt es: Aber der Russe steht doch vor den Toren!
Da fällt einem nur Donald Trump ein. Wenn sich dessen Politik durchsetzt und die großen weißen Männer den Globus nach finanzpolitischen Egoismen neu parzellieren, besitzen die Europäer mit ihren aus den mittelalterlichen Schubladen quellenden Kriegen ganz schlechte Karten.
Trump hält sich eher an die Weissagung des amerikanischen Investors Warren Buffett, der 2006 auf die Frage nach dem Grundkonflikt unserer Zeit dem Sinne nach geantwortet hat, das ist der Krieg der Reichen gegen die Armen. Die Reichen haben den Krieg begonnen und sie werden ihn auch gewinnen. Da ist der uralte geopolitische Grenzkrieg in der Ukraine zwischen den divergierenden Kulturen der autokratischen Orthodoxie und dem sogenannten christlichen Abendland nur ein störendes Ärgernis unterhalb der eigenen Machtinteressen. Auch der Traditionserlass für die Bundeswehr ist dann ein gefährliches Relikt der Vergangenheit. Heuer steht ja sogar das Gedenken an den Bauernkrieg unter dem sinnenfrohen Motte „freiheyt 1525“. Sozusagen zwischen Mittelalter und KI-Generation. Darüber wird man bei den Deutschen jetzt erst einmal in den geschwätzigen Podcasts zahlloser Audiotheken von Herzenslust allerlei Marginalien zerreden können, denn der freiheitliche Begriff des „theuren Vaterlands“(Schiller) ist längst dem Konsumrausch in den Discountern erlegen. Den gilt es jetzt zu verteidigen!
Wann wird man je verstehen?