Franz Freiherr von Gaudy zählt nicht zu den epochalen Gestalten der deutschen Literatur … Heute ist sein Name fast völlig vergessen.“ – So hat vor knapp sechs Jahrzehnten der Berliner Literaturwissenschaftler Manfred Häckel seine kleine Insel-Auswahl von Humoresken und Satiren Gaudys eingeleitet. Das ist leider immer noch so – es zu ändern, bestehen derzeit drei gute Gelegenheiten: eine Ausstellung in Frankfurt an der Oder, ein „Literarischer Strauß“ zu Gaudys 225. Geburtstag und eine just vollendete Werkausgabe in drei Bänden.
Gaudy hat eine Wiederentdeckung wahrlich verdient. Er steht als Lyriker und Novellist, als Humorist und Satiriker zwar nicht in der ersten Reihe der Literaturgeschichte, hat aber, beeinflusst von Heinrich Heine und E. T. A. Hoffmann wie von Jean Paul und Joseph von Eichendorff, in den wenigen Jahren seiner literarischen Produktivität auf der Grenze zwischen Spätromantik und Vormärz ein Werk geschaffen, dessen Lektüre immer Freude bereitet.
Geboren am 19. April 1800 in Frankfurt (Oder), Schüler am Französischen Gymnasium in Berlin und in Schulpforta, muss der Spross aus preußischem Militäradel mit 18 Jahren in die Armee eintreten und dort fünfzehn Jahre lang bleiben, bis ihm eine kleine Pension den Abschied gestattet. Er lässt sich in Berlin nieder, wird Mitglied der literarischen Mittwochsgesellschaft, freundet sich mit Adelbert von Chamisso an, verkehrt mit Joseph von Eichendorff und Friedrich de la Motte Fouqué, mit Franz Kugler und Julius Eduard Hitzig. Den Durchbruch bringen 1835 die „Kaiser-Lieder“, Hymnen auf Napoleon als dem Heros des Jahrhunderts. Im selben Jahr reist Gaudy – über Strecken gemeinsam mit Kugler – zum ersten Mal nach Italien; es entstehen der Reisebericht „Mein Römerzug“, die Erzählung „Aus dem Tagebuche eines wandernden Schneidergesellen“, „Venetianische Novellen“, daneben Übersetzungen aus dem Polnischen und dem Französischen, ein „Berlinisches Bilderbuch“, Noveletten, Lieder und Romanzen.
Bereits 1837 hat Gaudy den Schwäbischen Dichterkreis um Gustav Schwab und Justinus Kerner kennengelernt – aber es zieht ihn wieder nach Italien: Eine zweite Reise führt ihn von 1838 bis 1839 über Bern, Turin, Neapel und Sizilien noch einmal nach Rom. Nach der Rückkehr bringt er noch eine Sammlung von Novellen und Skizzen heraus, seine letzte Veröffentlichung – am 5. Februar 1840 setzt ein Schlaganfall seinem Leben ein Ende. Sein Grab auf dem Kirchhof I der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde vor dem Halleschen Tor war lange verwahrlost und vergessen; erst 2018 konnte hier auf Initiative von Doris Fouquet-Plümacher ein Restitutionsstein gesetzt werden.
War dem Autor im 19. Jahrhundert noch eine breite Leserschaft beschert – Werkausgaben und immer wieder neue Reclam-Ausgaben mit einer insgesamt sechsstelligen Auflage beweisen das –, so fällt er nach dem Ersten Weltkrieg bald der Vergessenheit anheim.
Die Wiederentdeckung Gaudys ist zum überwiegenden Teil Fouquet-Plümacher zu danken: Sie verantwortet die schöne Auswahlausgabe, deren erster Band 2020 und deren dritter und letzter gerade eben erschienen ist. Sie kuratierte die Ausstellung, die bis September im Museum Viadrina zu sehen ist, sie hat den „Literarischen Strauß“ herausgegeben.
Dieser Sammelband vereinigt in seinem ersten Teil insgesamt 14 Beiträge, die sich – nach einer längeren biographischen Skizze aus der Feder der Herausgeberin – überwiegend mit Einzelaspekten zu Gaudys Biographie beschäftigen: so mit den Beziehungen des Dichters zu Heinrich von Kleist, Adelbert von Chamisso und Franz Kugler. Der Beitrag von Rainer Hillenbrand zu Kugler und Gaudy mit einem besonderen Fokus auf der Italienreise von 1835 hat mich besonders interessiert, wird doch Kugler später Schwiegervater Paul Heyses – über ihn läuft also eine persönliche Kontinuitätslinie von Gaudys „Venetianischen Novellen“ und italienischen Erzählungen zu Heyses italienischen Novellen wie „L’Arrabiata“, „Andrea Delfin“ oder „Die Strickerin von Treviso“, die ihm in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immensen Ruhm und 1910 den Nobelpreis eingebracht haben und die heute beinahe genauso vergessen sind wie die Gaudys.
Eine spannungsreiche und zugleich fruchtbare Beziehung verband den Dichter mit Kugler, dem Kunsthistoriker und späteren Lehrer von Jacob Burckhardt, der sich doch immer auch als Künstler, als Dichter betrachtete (und es auch war: Das Lied „An der Saale hellem Strande“ stammt von ihm). Gerade in seinen künstlerischen Ambitionen aber fühlte sich Kugler von Gaudy nicht verstanden, sah sich als trockenen Wissenschaftler abgestempelt – die beiden waren trotz erheblicher Berührungspunkte und gemeinsamer Interessen eben doch ganz unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Naturellen.
Die Beziehung der beiden fügt sich ein in die Berliner Geselligkeit der 1830er Jahre, die Hannah Lotte Lund in einem kleinen Beitrag schildert – von der nationalkonservativen Deutschen Tischgesellschaft, die sich bewusst von der gemischten Geselligkeit der Salons abwendet und der Gaudy nicht angehört, bis zur Literarischen Gesellschaft, die 1824 auf Initiative Hitzigs gegründet worden war und die für Gaudy einen wichtigen Ort des Gesprächs und des literarischen Austauschs darstellt. Man verehrt Goethe und Jean Paul, man trifft sich im „Café National“ Unter den Linden; auch in den beiden bedeutenden Literatencafés der Zeit, bei „Josty“ An der Stechbahn und bei „Stehely“ in der Charlottenstraße, ging Gaudy ein und aus. Wie es schließlich bei ihm zu Hause aussah, kann man nachlesen in der kleinen Humoreske „Ein Besuch bei einem Dichter“, den er bei sich selbst unternimmt. Leider finde ich diesen Text nicht in der Gaudy-Anthologie, die die zweite Hälfte des „Literarischen Straußes“ ausmacht und deren immerhin 90 Seiten von der Herausgeberin gut zusammengestellter Gedichte und Prosastücke vor allem eines machen: Lust auf mehr!
Diese Lust lässt sich mit Hilfe der dreibändigen Werkausgabe auf jeden Fall befriedigen, die an anderem Ort detaillierter zu würdigen sein wird. Das aber sei verraten: Sie entspricht in allen Teilen den Voraussetzungen, die Paul Heinemann, Lektor des Olms-Verlages, in seinem Beitrag zum „Literarischen Strauß“ fordert: Sie ist handwerklich hervorragend gemacht (Fadenheftung, hochwertiges Papier, Lesebändchen), wird auch elektronisch zugänglich sein, bleibt dank Drittmittelfinanzierung bezahlbar und präsentiert einen wieder zu entdeckenden, hochinteressanten, flüssig und oft mit Schmunzeln zu lesenden Autor. Bravo!
Ausstellung Franz von Gaudy, 19. April bis 14. September 2025 im Museum Viadrina, Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Straße 11, Frankfurt (Oder); geöffnet Dienstag bis Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr.
Museum Viadrina Frankfurt (Oder): Franz von Gaudy aus/in Frankfurt an der Oder. Literarischer Strauß zu seinem 225. Geburtstag am 19. April 2025, herausgegeben von Doris Fouquet-Plümacher, Verlag Hendrik Bäßler, Berlin 2025, 205 Seiten, 14,80 Euro.
Franz von Gaudy: Ausgewählte Werke. Hg. v. Doris Fouquet-Plümacher. Band 1: Venetianische Novellen und Erzählungen; Band 2: Gedichte; Band 3: Satire, Versdichtung, Novelle. Olms Verlag Hildesheim/Zürich/New York 2020–2025.