26. Jahrgang | Nummer 2 | 16. Januar 2023

Über Kultur als „globales öffentliches Gut“

von Cornelia Dümcke

In Mexiko-Stadt fand im September 2022 die UNESCO-Weltkonferenz über Kulturpolitik und nachhaltige Entwicklung Mondiacult statt – fast exakt 40 Jahre nach dem bedeutsamen Weltkongress Mondiacult 2018 ebenfalls in Mexiko. Mit dieser Genese ist Mondiacult als kulturpolitisches Ereignis außerordentlich bedeutsam.

Grundlagen für diesen Beitrag sind die Abschlusserklärung von Mondiacult 2022 sowie die Ergebnisse von Diskussionsrunden, die vor der Konferenz in Berlin, Brüssel und Antwerpen tagten. Die Autorin war daran konzeptionell sowie als Moderatorin in einer Aktivistengruppe von nationalen und internationalen Akteuren der Kultur- und Entwicklungspolitik – unter anderem aus Australien, Afrika, Europa, China – beteiligt.

Vor Mondiacult hatten sowohl staatliche als auch zivilgesellschaftliche Akteure eine Kampagne ausgerufen, den seit 2015 existierenden 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals – SDG) der UNO ein „kulturelles Ziel” als „ SDG Nummer 18” hinzuzufügen. Wir – als informelle und unabhängige Aktivistengruppe – schlugen vor, dass jedes neue Denken, das für die Festlegung eines kulturellen Ziels als SDG erforderlich ist, auch die neue Generation kulturpolitischer Überlegungen in der EU, in Asien, Afrika oder Nord- und Südamerika berücksichtigen und beeinflussen sollte. Dazu gab es nach Mondiacult im Diskurs pro und contra.

In der Abschlusserklärung wurde zum einen der Versuch unternommen, den Zeitraum von vierzig Jahren der Umsetzung von Konzeptionen im Bereich der Kultur- und Entwicklungspolitik seit Mondiacult 1982 zusammenzufassen. Zum anderen wurde angekündigt, ein neues globales kulturpolitisches Forum durch die UNESCO nun alle vier Jahre durchzuführen. Außerdem wurde dazu aufgerufen, die Kultur in den UN Zukunftsgipfel 2024 einzubeziehen.

Die Grundsatzerklärung stellt fest, dass die gegenwärtige globale Situation „gekennzeichnet (ist) durch vielfältige, langwierige und multidimensionale Krisen – insbesondere im Zusammenhang mit den dramatischen Folgen des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt, bewaffneten Konflikten, Naturgefahren, unkontrollierter Verstädterung, nicht nachhaltigen Entwicklungsmustern sowie der Erosion demokratischer Gesellschaften –, die insbesondere zu einer Zunahme der Armut, Ungleichheiten bei der Ausübung von Rechten und einer wachsenden Kluft beim Zugang zu digitalen Technologien führen.”

Die Erklärung enthält zwei wichtige, hier hervorgehobene Aussagen: Zum einen wurde bekräftigt, dass Kultur künftig als „globales öffentliches Gut” betrachtet werden soll. Zum anderen wurden die Vereinten Nationen aufgefordert, sich für die Kultur als spezifisches Nachhaltigkeitsziel einzusetzen, wenn die SDG im Jahr 2030 wieder neu diskutiert werden.

Wie ist die Erklärung der UNESCO-Weltkonferenz Mondiacult 2022, die von zirka 170 Kulturministern unterzeichnet wurde, bezogen auf ein „ kulturelles Ziel” sowie die Aussage über „Kultur als globales öffentliches Gut” zu bewerten?

Die kulturpolitische Weltgemeinschaft hat auf die Ergebnisse von Mondiacult 2022 überwiegend positiv reagiert, was zu erwarten war. Mondiacult 2022 hat die UNESCO nach Phasen der „Unbedeutsamkeit” und „Wirkungslosigkeit” oder der starken kulturpolitischen Fokussierung in den 2000er Jahren, etwa auf die Kultur- und Kreativwirtschaft, nun auch in andere Wahrnehmungs- und Handlungsfelder gebracht. Es bleibt abzuwarten, was sich ändern wird.

Gleichwohl sind aus unabhängiger wissenschaftlicher und akteursbezogener Perspektive kritische Argumente sowie vor allem Fragen zu formulieren, die hier nur sehr verkürzt angedeutet werden können:

Erstens. In Publikationen hat die Autorin argumentiert, dass die durch Mondiacult 1982 auf den Weg gebrachte Kultur- und Entwicklungsagenda in den Jahrzehnten danach von der Agenda der Kreativwirtschaft „gekapert” wurde und dass dies noch heute das radikale Denken blockiert, das für eine neue Epoche der Kulturpolitik erforderlich ist. Die Bedeutung wirtschaftlicher Rechtfertigungen für kulturelle Zwecke muss innerhalb der UNESCO und anderer führender Kulturagenturen weiterhin kritisch untersucht und beobachtet werden, auch im Zusammenhang mit dem neuen Mondiacult-Argument von Kultur als „globalem öffentlichen Gut”.

Zweitens: Die Frage, wie die seit Langem existierende Marginalisierung der Kultur durch die vorherrschenden wirtschafts- und sozialpolitischen Diskurse selbstbewusster angegangen werden kann, wie jüngst in „Our Common Agenda” der Vereinten Nationen dargelegt, ist entscheidend. Akteure der Kultur und der Kulturpolitik sind in den Debatten über die drängenden Herausforderungen unserer Zeit häufig nicht präsent – sie sitzen einfach nicht mit am Tisch der Politik. Ein tieferes Problem in diesem Zusammenhang ist, dass das Konzept der „globalen öffentlichen Güter” („nicht ausschließbar” und „nicht rivalisierend”) ausdrücklich aus der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft abgeleitet wurde. Ein neoklassischer ökonomischer Rahmen für „globale öffentliche Güter” ist aber problematisch, besonders für die Kultur. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass – auch als Folge von COVID-19 – quasi fast durch alle politischen Spektren der Rechtfertigungsdruck für die Bereitstellung von Gütern durch den Staat für öffentliche Zwecke gesunken ist. Als Beispiel können in Deutschland die staatlichen Ausgaben für Kultur im Rahmen des „Neustart Kultur”-Programms der Bundesregierung gelten.

Drittens: Wie realistisch ist es, neue Konzeptionen, politische Diskurse und praktische politische Vorschläge rund um ein „kulturelles Ziel”, ausgehend von der Definition „Kultur als globales öffentliches Gut” zu formulieren? Wie könnte dies mit den neuen Stimmen der globalen Zivilgesellschaft verbunden werden, die von den nächsten Generationen kommen und die sich diesen neuen Herausforderungen ohne Zweifel stellen müssen.

Viertens: Kultur ist keine unerschöpfliche Ressource, die es auszubeuten gilt, sondern ein „gemeinschaftliches Gut”, das wir pflegen müssen. Kultur ist das, was wir brauchen, um uns die Zukunft neu vorzustellen und bessere Wege für unser Zusammenleben zu finden. Es ist von entscheidender Bedeutung, die spezifische Art des Seins in der Welt, die die Kultur verkörpert, wiederzufinden und ihre Schlüsselrolle bei der Bewältigung unserer gegenwärtigen Herausforderungen zu behaupten. Eine dahinter stehende grundlegende Frage ist letztlich, ob eine neue Kulturpolitik auch ein Beitrag zur Neugestaltung der Welt sein kann. Das alles bedeutet ohne Zweifel, einen kritischen Diskurs um die globale Kultur weiter voranzutreiben, für den Mondiacult 2022 ein wichtiger Haltepunkt war.

Dr. Cornelia Dümcke, Kulturökonomin, Moderatorin und Publizistin, lebt in Berlin.