25. Jahrgang | Nummer 8 | 11. April 2022

Ein „diplomatischer Trampel“?

von Sarcasticus

Es war aber auch höchste Zeit, dass endlich einer Klartext redet! Und von wem eher als von Andrij Melnyk, dem Botschafter der Ukraine an der Spree, hätte man dies erwarten können dürfen? Schließlich hat der Mann aufrechte Gesinnung gezeigt und klare Kante bewiesen – spätestens mit seiner Wallfahrt zum Grab von Stephan Bandera (1909–1959) in München im Jahre 2015.

Bandera gilt dem Vernehmen nach nicht wenigen Ukrainern als Nationalheld, wenn nicht -heiliger – ob seiner antirussischen Einstellung. Dass der Mann wegen Beteiligung an der Ermordung eines polnischen Außenministers rechtskräftig verurteilt war und nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion nicht nur mit den Besatzern kollaboriert hat, sondern dass seine nach ihm benannte, stramm antisemitische Miliz an Pogromen gegen die jüdische Zivilbevölkerung in Lemberg beteiligt war und der Einsatzgruppe C 3000 Juden zu einer Massenerschießung am 5. Juli 1941 zugetrieben hat und überdies sowjetische Kriegsgefangene ermordete – so what? Wo gehobelt wird, da fallen halt Späne. Bandera sei „unser Held“, so Botschafter Melnyk.

Zu richtig großer Form aufgelaufen ist der Vertreter Kiews in Deutschland, den Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung nicht anstand, böszungig als diplomatischen Trampel zu schmähen, jedoch seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Da hat Andrij Melnyk – gefühlt – nicht nur Karl Lauterbach den Rang des ubiquitären Accessoires öffentlich-rechtlicher deutscher Fernsehtalkshows abgelaufen, sondern zugleich mit der Zuchtrute nicht hinter dem Berge gehalten:

  • Dass die Bundesregierung bisher einen Lieferstopp von Energieträgern aus Russland ablehnt, sei ein „Messer in den Rücken der Ukraine“.
  • Nach einem Gespräch mit Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP): „Für mich […] war es ein Knock-out. Ich habe das Gespräch dann abgebrochen. Ich weine nicht oft, aber nach dem Gespräch mit Christian Lindner sind mir die Tränen nur so übers Gesicht gelaufen.“
  • Über Norbert Röttgen (CDU): Der sei „einer von denen, die immer das Richtige sagen, aber nie was tun“.
  • An die – laut SPIEGEL – Adresse von Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, nach einer Talkrunde bei Welt-TV, die offenbar nicht so ganz nach dem Geschmack des Ukrainers verlaufen war: „Arschloch“.

Und nun, es war überfällig, hat sich Andrij Melnyk – in einem Interview mit dem Tagesspiegel – den Bundespräsidenten zur Brust genommen. Im Stile einer Generalabrechnung: „Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht, auch der Angriffskrieg spielt da keine große Rolle.“ Und: „Steinmeier hat seit Jahrzehnten ein Spinnennetz der Kontakte mit Russland geknüpft. Darin sind viele Leute verwickelt, die jetzt in der Ampel das Sagen haben.“ Darüber hinaus: „Aus Putins Sicht gibt es kein ukrainisches Volk, keine Sprache, keine Kultur, und daher […] keinen Staat. Steinmeier scheint den Gedanken zu teilen, dass die Ukrainer eigentlich kein Subjekt sind.“ Deswegen jetzt dieses Konzert mit russischen Künstlern im Schloss Bellevue: „Das Konzert war aus meiner Sicht ein klares Signal Richtung Moskau, vielleicht sogar, um Putin zu zeigen: Ich halte hier die Stellung. […] Feingefühl ist für Steinmeier ein Fremdwort, zumindest in Bezug auf die Ukraine.“

Warum der Botschafter die eigentlich auf der Hand liegenden Konsequenz – nämlich die strikte Forderung, diesen Moskau-Knecht an der Spitze der Bundesrepublik gefälligst aus dem Amte zu kegeln, und zwar pronto! – scheute, darüber rätseln seither ansonsten gut informierte Kreise immer noch …

Darüber hinaus jedoch wäre zu wünschen, dass Andrij Melnyk seinen Blick künftig auch über den gerade aktuellen Tellerrand hinaus erhebt. Denn natürlich ist es nach der russischen Aggression im Hinblick auf den künftigen Umgang mit Moskau unabweisbar, das Kind mit dem Bade auszukippen! Und zwar ein für alle Mal – das heißt so, dass der Zögling hernach, um im Bilde zu bleiben, nie wieder zurück in die Wanne findet. Dafür allerdings muss man schon ein paar Generationen früher ansetzen, denn die Weichen in die falsche Richtung gestellt wurden doch nicht 2014, sondern im Oktober 1917! Und schon damals nahmen die fundamentalen Missgriffe des Westens ihren Anfang und nicht erst mit der Entscheidung, Nord Stream 2 zu bauen:

  • Das begann mit den hasenfüßigen Pseudo– oder besser Miniinterventionen in den russischen Bürgerkrieg ab 1918 – mit anglo-amerikanischen und französischen Truppen in Murmansk und Archangelsk, einem französisch-griechischen Kontingent in Odessa und japanischen sowie anglo-amerikanischen Verbänden in Wladiwostok. Es wurde gekleckert statt zu klotzen.
    Ergebnis: Sieg der Roten.
  • Das setzte sich fort, als die Westalliierten im Zweiten Weltkrieg leichtfertig die Chance verspielten, Stalins Sowjetunion krachend Wasser saufen zu lassen: Statt die Eröffnung der Zweiten Front wenigstens bis August 1945 hinauszuzögern, fand die Operation Overlord bereits im Juni 1944 statt.
    Ergebnis: Die UdSSR wurde Vetomacht im UN- Sicherheitsrat.
  • Was dann folgte, war fast schon folgerichtig: Statt bei den Volksaufständen in der Ostzone (1953), in Ungarn (1956) und in der ČSSR (1968) sofort Exilregierungen aus den reichlich vorhandenen Flüchtlingen zu rekrutieren, diese in die NATO aufzunehmen und unverzüglich den Bündnisfall nach Artikel 5 des Nordatlantikpaktes auszurufen – duckmäusergleiche Schockstarre.
    Ergebnis: Statt ordentlicher Dritter Weltkrieg, Konsolidierung des Reiches des Bösen.
  • Und zwischendurch: Immer wieder westliche Weicheier am fatalen Wirken – wie dieser Kennedy, der schon beim Mauerbau 1961 nicht die Eier hatte, der Wurst am Stengel im Kreml zu zeigen, wo der Bartel den Most holt (Kennedy: „Aber sie [die Mauer – S.] ist immerhin besser als Krieg.“), und dem in der Kuba-Krise 1962 nichts Besseres einfiel, als seine Atomraketen aus der Türkei abzuziehen und die Blockade von Castros Gulag aufzuheben.
    Ergebnis: Weiterer Vormarsch statt Roll back des Kommunismus.
  • Und um allem die Krone aufzusetzen, folgten auf diese Perlenschnur westlichen Scheiterns dann schlussendlich noch solche kranken Ausgeburten einer kapitulantenhaften Degeneration wie „Wandel durch Annäherung“, Neue Ostpolitik, Entspannung, KSZE, Gemeinsame Sicherheit et cetera.
    Ergebnis: Russland überfällt die Ukraine!

Ob es, um der Fortsetzung dieser makabren Selbstkastrationen des Westens endlich ein Ende zu setzen, genügt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz samt seiner Mitkoalitionäre nunmehr an die Spitze der einheimischen Bellizisten getreten ist?

Zweifel bleiben – oder anders gesagt: der sozi-gelblich-grünen Mischpoke ist nicht zu trauen.
Besser wäre – Melnyk for Chancellor.
Oder zumindest for Federal President!

P.S. – angesichts einschlägiger Exzesse und Erfahrungen sieht sich der Autor genötigt, zu versichern – und zwar expressis verbis: Dieser Beitrag fällt – abgesehen vom Besuch des ukrainischen Botschafters am Bandera-Grab, den Untaten der Bandera-Leute sowie den wörtlichen Melnyk-Zitaten – zur Gänze ins Genre Satire.

Bisher unbestätigten Gerüchten zufolge soll es im Übrigen früher durchaus üblich gewesen sein, Diplomaten, die über die Stränge schlugen, sich dem Gastlande gegenüber gar wie die Axt im Walde benahmen, zur Persona non grata zu erklären und ihnen damit eine rasche Heimkehr zu ermöglichen. Doch das muss wohl mindestens vor der gerade aktuellen Zeitenwende gewesen sein.