24. Jahrgang | Nummer 15 | 19. Juli 2021

Die „eingerissene Hoffart in der Kleidung“ 

von Dieter Naumann

Die ständige Gesellschaftsverordnung des Mittelalters schrieb den Angehörigen der einzelnen Stände aufs Genaueste vor, wie sie sich zu kleiden hatten. Feine Felle aus Hermelin, Zobel oder Feh, feine Dammaststoffe oder Seide und bestickte Kleider waren die auffallend hervorstechenden Kennzeichen der Edlen. Der Unterschied zwischen vornehmen Leuten einerseits und gemeinen andererseits sollte unbedingt gewahrt werden. Diese Kleiderordnungen waren ein ständiger Stein des Anstoßes, vor allem für die holde Weiblichkeit. Immer wieder versuchten sich lebenslustige Bäuerinnen wie Bürgerfrauen zu kleiden, während diese mit der Kleidung der Edelfrauen liebäugelten. Chroniken berichten von tausenden Ermahnungen, Verwarnungen und Strafandrohungen wegen Verstößen gegen die Kleidervorschriften, mit denen sich die Obrigkeit auch auf Rügen befassen musste.

Herzog Philipp I. von Pommern-Wolgast, der 1532 auch die Herrschaft über Rügen übernommen hatte, musste 1545 seine Vögte anweisen, die bestehende Kleiderordnung wieder einmal zu bekräftigen. Insbesondere sollten die Bauern nur ein grau-weißes Kleid und keinen langen Bart tragen, silberne Schnüre der Frauen durften nur ein bestimmtes Gewicht haben. Darüber hinausgehende Gewichte durften die Vögte einbehalten. In einer Chronik wurde in diesem Zusammenhang von einer wahren Revolte der rügenschen Bäuerinnen berichtet, bei der es beinahe zu „schir groth dotschlach“ gekommen wäre. Wenn sie schon ihre Geschmeide nicht tragen durften, dann sollten wenigstens die Vögte keinen Nutzen davon haben, beschlossen die Rüganerinnen, zogen nach Stralsund und boten den Stralsunder Bürgerinnen ihre Ketten und Schnüre zu Spottpreisen an. Vergebens versuchte der Rat, Ordnung in das entstehende Gedränge zu bringen, richtete Schlagbäume an den zum Markt führenden Brücken ein, um den Ansturm in irgendeiner Weise zu regulieren. Es half nichts. Der Chronist, ein Stralsunder Geistlicher, resignierte, die Frauen seien noch ärger als die Männer, „denn Gier ist da die rechte Wurzel“; ältere Stralsunder konnten sich nicht an ein derartig großes Markttreiben erinnern.

Ende des 17. Jahrhunderts hatte sich nichts geändert. Auch gegen die in Bergen auf Rügen bestehenden Kleidungsvorschriften, von denen nur auf Antrag und nach positiver Entscheidung durch die städtischen Behörden abgewichen werden durfte, gab es immer wieder Verstöße. Johann Jacob Hartmann, Stadtrichter von Bergen, erstattete 1697 gegen die „eingerissene Hoffart in der Kleidung“ gegen einige gemeine Bauers- und Barbiersfrauen und deren Töchter Klage bei der Regierung. Die Beklagten hätten sich unterstanden, die ihnen zustehende bürgerliche Tracht mit den so genannten Stralsunder Schiffmützen und Bügeln abzulegen und sich stattdessen wie die Frauen von königlichen Bediensteten, Hofgerichtsadvokaten und anderen Persönlichkeiten zu kleiden. Als Beispiel nannte Hartmann die Frau eines verstorbenen Bäckermeisters und Ratsmitgliedes, die, obwohl sie nun „nur“ einen Bäckersknecht geheiratet hatte, weiterhin die bisherige standesmäßige Kleidung als Frau eines Ratsmannes tragen und sogar noch veredeln wollte. Dumm nur, dass drei Jahre später Hartmanns Frau wegen Verletzung der Kleiderordnung angeklagt wurde, weil sie die Kirche wie eine adlige Frau gekleidet betreten hatte. Auch die Frau eines Färbers und zwei weitere Frauen waren nicht ihrem Stande gemäß gekleidet. Hartmann legte offenbar Widerspruch ein, denn er bat um eine „Copie“ der Vorwürfe gegen seine Frau und die Sache kam ewig nicht zum Abschluss. Die beteiligten Frauen ließen durch den Ratsdiener mitteilen, sie würden die fragliche Kleidung nur dann ablegen, wenn dies auch die anderen Frauen tun würden. Die letzte bekannte Nachricht bestand in der Androhung von Strafen bis zu 15 Talern für die Hartmann und die drei anderen Frauen, sollten sie weiterhin „mit gebrehmten Mützen von Rauchwerk, irgend mit Zobel oder Marhten besetzt“ in der Öffentlichkeit auftreten. Wie das Verfahren letztlich ausging, ist nicht bekannt, in der Literatur wird eine einvernehmliche Regelung angenommen.

Eine ganz spezielle Bedeutung besaß die traditionelle Kleidung der Mönchguter für zu Hause (Haustracht) mit ihren Abarten für den Ausgang, den sonntäglichen Kirchgang, das Abendmahl, die Hochzeit und die Trauer. Sie war von den niedersächsischen Einwanderern nach Rügen gebracht worden und orientierte sich stark an spanischer und französischer Hofmode, dem Biedermeier und der Bekleidung von Marineangehörigen. „Die Gewalt der Mode hat über dieses Völkchen noch nichts vermocht“ – schrieb Rügenkenner Johann Jacob Grümbke 1805. Schnitt und Farbe der Kleider verrieten noch wie vor Jahrhunderten Spuren des Mönchtums, worunter sie einst lebten. Auf die Beibehaltung dieser Tracht wurde so streng und gewissenhaft geachtet, dass eine Mönchguterin, die es wagen sollte, sich wie andere rügianische Bauernmädchen ein wenig nach der Mode zu kleiden, Gefahr liefe, allgemein verspottet und nie verheiratet zu werden. Auch Fritz Worm, Mönchguter Lehrer, bemerkte, dass diejenigen Mönchguter, die sich der alten Tracht schämten und sich „koll“ (wie Nicht-Mönchguter) kleideten, geradezu verfemt waren.

In der zeitgenössischen Literatur wurde gern auf einige Besonderheiten Mönchguter Kleidung hingewiesen. So beschrieb Karl Nernst 1800 in seinen „Wanderungen durch Rügen“ die beispiellose Dicke und Menge der Kleidungsstücke: „… ein Mann, der nicht mit seinen 4-5 Beinkleidern einherschreiten könnte, würde besorgen müssen, von den übrigen gering geschätzt zu werden.“

Darüber hinaus war es Sitte, dass man sich abends und bei schwerer Krankheit mit voller Kleidung zu Bett legte. „Wat gaud is för de Kühl, is ok gaud für de Hitz“, hieß es, selbst „wenn de Kreih up den Tunpahl jappt“ (die Krähe bei Sommerhitze auf dem Zaunpfahl japst).

Es sollte die Entwicklung der ehemaligen Fischerbauerndörfer zu Badeorten sein, die nicht ohne Einfluss auf die Mönchguter Eigenheiten, Sitten, Gebräuche und letztlich auch die Tracht blieb. Trugen 1909 noch 80 Männer, 156 Frauen und ein Kind Mönchguter Tracht, waren es 1930 nur noch 55 Männer und Frauen, die zudem mindestens das 60. Lebensjahr überschritten hatten.

Heute wird die Mönchguter Tracht lediglich von Heimatvereinen zu Festlichkeiten getragen und kann ansonsten noch im Heimatmuseum Göhren betrachtet werden.