23. Jahrgang | Nummer 7 | 30. März 2020

Ilse-Maria Dorfstecher – eine Verneigung

von Wolfgang Brauer

Ich habe sie erst spät kennenlernen dürfen, da ging sie schon auf die 70 zu. Anlass waren „Sparrunden“ zum Berliner Landeshaushalt. Schon bevor die Herren Wowereit und Sarrazin die Stadt zum Quietschen bringen wollten („Berlin muss sparen, bis es quietscht“), wurde das regelmäßig an der Kultur exekutiert. Vorzugsweise an den Schwächsten, um das Jahr 2000 herum sollte die Künstlerinnenförderung über die Klinge springen. Qualität setze sich immer durch, da brauche es keine gesonderte Frauenförderung in der Kunst, meinte der seinerzeitige Kultursenator Christoph Stölzl. Der Mann gilt als Schöngeist. Ihm stand Rebecca Horn vor Augen. Eine Frau widersprach, heftig, sehr heftig, und sie ließ sich nicht den Mund verbieten: Ilse-Maria Dorfstecher. Und sie setzte sich durch. Stölzl und seine Sparkommissare scheiterten damals mit ihrem unsittlichen Anliegen.

Da hatte Ilse Dorfstecher schon einige Kämpfe hinter sich. Im Ringen gegen das Nach-Wende-Verdrängen hatten sich auf ihre Initiative hin Ende 1992 in Berlin-Grünau Künstlerinnen zusammengefunden, weil sie erkannten, dass gegen die Dominanz der (West-)Männer nur das Beieinanderstehen hilft: Marguerita Blume-Cárdenas und Emerita Pansowová waren dabei, Nuria Quevedo, Ursula Strozynski, Elli Graetz und Gisela Kurkhaus-Müller sowie die Schriftstellerin Annett Gröschner. Unmittelbarer Ausfluss dieses Treffens war die Ausstellungsreihe „Begegnungen“. Eine „Begegnung“ fand im November 1993 im Bundesfrauenministerium in Bonn statt. Eröffnet wurde sie von der Ministerin selbst, das war damals Angela Merkel.

Da war bereits die Berliner Fraueninitiative Xanthippe e. V. unter dem Vorsitz von Ilse-Maria Dorfstecher gegründet. Xanthippe übernahm 1995 die Trägerschaft über eine von Frauen für Frauen geführte Galerie in der Berliner Inselstraße 13, die „Inselgalerie“. Die Leitung der Galerie hatte – „natürlich“ möchte man sagen und hinzufügen „glücklicherweise“ – Ilse-Maria Dorfstecher inne. Erst 2017 gab sie die aus der Hand, das Alter forderte endgültig seinen Tribut. Von Anfang an kultivierte die Galerie ein ambitioniertes Programm. Sie war und ist bis heute ein Ort, an dem die verschiedenen Kunstsparten zusammengeführt werden. Sie war und ist ein Ort, an dem sich „gestandene“ Künstlerinnen mit ihren jüngeren Kolleginnen begegnen. Sie war und ist ein Ort, an dem traditionelle Handschriften mit neuen, auch sehr ungewöhnlichen, in einen glücklichen Dialog treten. Das ist ein Profil, das Ilse-Maria Dorfstecher sehr nachdrücklich prägte.

2002 musste die Inselgalerie aus der Inselstraße in die damals noch am Rande der großen Immobilienbegehrlichkeiten liegende Torstraße 207 ausweichen. Aber auch hier galt es schon bald, sich Verdrängungsabsichten zu erwehren. Dass die Inselgalerie an diesem Ort bestehen konnte, war dem Einsatz Ilse-Maria Dorfstechers zu danken, die es verstand, über Parteigrenzen hinweg politische Verbündete im Kampf um Fördermittel des Landes für Xanthippe e. V. zu gewinnen. 2017 musste die Galerie allerdings wieder weichen. Sie befindet sich jetzt in der Petersburger Straße in Friedrichshain. Das Schicksal dieser Einrichtung kann als geradezu prototypisch für die Rolle von Kunst im Gentrifizierungsprozess gelten: Kunst ist immer willkommen, wenn es gilt, weniger attraktive Quartiere aufzuhübschen. Sind die dann zur „Adresse“ aufgestiegen, kann die Kunst wieder weg. Die blumigen Sonntagsreden der Kulturpolitik helfen wenig. Der Markt richtet es, die Schwachen richtet er hin. 

Die Situation für Künstlerinnen ist auch in Berlin nicht besser geworden. Der verbalen Anerkennung entspricht mitnichten eine den männlichen Kollegen adäquate materielle Situation. Die spiegelt sich in der Galerie-Präsenz – die Inselgalerie ist ein nichtkommerzielles Projekt – und den damit verbundenen Verkaufszahlen deutlich wider. Das ist übrigens auch am oftmals schäbigen Umgang mit den künstlerischen Nachlässen von Frauen sichtbar, die noch schneller als die der Männer verschleudert, verscherbelt oder in vielen Fällen einfach im Müll landen. In ihren letzten Lebensjahren führte Ilse-Maria Dorfstecher einen Kampf fast am Rande der Verzweiflung gegen diese Barbarei. 

An der Qualität der von Frauen vorgelegten Arbeiten liegt es nicht. Das hat Ilse-Maria Dorfstecher nachdrücklich über all die Jahre hinweg beweisen können.

Sie starb am 14. März 2020. Viele werden sie vermissen. Ich auch.