22. Jahrgang | Sonderausgabe | 25. Februar 2019

Kunstvoll gestaltet, pointiert geschrieben und … voller Vorurteile

von Klaus-Dieter Felsmann

Es ist immer wieder eine Freude, ein schön gestaltetes Buch in den Händen halten zu können. Der von Jörg Johnen herausgegebene Band „Zur Kunst im öffentlichen Raum in Berlin“ ist eine solche Publikation. Der Herausgeber war auf verschiedenen Routen zu Kunstwerken unterwegs, die nach 1945 im Berliner Stadtraum Platz gefunden haben. Die Auswahl, so bekennt er im Vorwort des Buches, war dabei explizit persönlich. Die herausgehobenen Objekte werden mit Unterstützung von Clara Blasius und Jeanette Kunsmann vom Herausgeber kurz und meist angenehm pointiert beschrieben und in den jeweiligen historischen Kontext eingeordnet. Hinzu kommen neben den genauen logistischen und technischen Angaben jeweils ein Foto von Mathias Rümmler, notwendig erscheinende Querverweise und eine konzentrierte Biografie des entsprechenden Künstlers. Abgeschlossen wird der Band durch ein hilfreiches Glossar. Interessenten sollen über das als „Führer und Lesebuch“ gedachte Werk angeregt werden, die vorgestellten künstlerischen Arbeiten zu besuchen und diese dabei idealerweise „als Teil einer permanenten Diskussion“ wahrzunehmen.
Soweit, so gut. Wenn Johnen als spezieller Stadtführer bei seinem langjährigen Metier der Kunstvermittlung als Galerist geblieben wäre, man hätte ihm zustimmen können oder auch nicht, wäre aber auf alle Fälle ob seiner Sicht auf die Kunst in interessanter Weise angeregt worden. Doch er fühlte sich bei seinem Projekt irgendwie auch seiner ursprünglichen Profession als Kunsthistoriker verpflichtet. Als solcher begibt er sich auf das Feld gesellschaftspolitischer Interpretation. Denn, so fügt er an: „Nach 1945 diente die Berliner Kunst im öffentlichen Raum vor allem zur Positionierung im Kampf ,West gegen Ost‘.“ Das ist natürlich ein interessanter Ausgangspunkt, angesichts dessen man mit entsprechendem historischen Abstand Linien, Wechselspiele, Widersprüche, Antagonismen und Übereinstimmung – vielleicht auch seitenverkehrte – entdecken könnte. Ich war folglich in doppelter Hinsicht gespannt.
Weil ich gerade im Schloss Trebnitz war – vierzig Minuten mit der Ostbahn vom Berliner Bahnhof Lichtenberg entfernt –, wo seit 2017 der künstlerische Nachlass des 1969 in Hamburg verstorbenen Bildhauers Gustav Seitz gesammelt und teilweise in einer Dauerausstellung gezeigt wird, wollte ich auf den ersten Blick wissen, wie Jörg Johnen dessen stadtraumprägende Käthe-Kollwitz-Plastik vom gleichnamigen Platz im Prenzlauer Berg einordnet. Ich konnte vor- und zurückblättern, ein Foto des zentralen Seitzwerkes gibt es nicht. Das Denkmal wird nicht erwähnt. Auch kein anderes Werk von den mehr als 400 Plastiken im östlichen Bezirk Pankow wird in den Diskurs einbezogen. Wieland Försters „Große Badende“ von 1971, die der Künstler seinerzeit unter dem selbstgewählten Motto „Freiheit“ geschaffen hatte, fehlt genauso wie dessen Heinrich-Böll-Stele von 1988. Erwähnt wird weder der „Vinetamann“ (1987) von Rolf Biebl noch Achim Kühns Plastik „Glockenstuhl“ von 1975 im Park der Stephanus-Stiftung. Schon gar nicht regt die Selbstironie Werner Stötzers bei dessen „Der zum Sputnik guckende Junge“ zu einer näheren Betrachtung an.
An letzter Stelle im Band taucht dann doch noch etwas aus dem Stadtbezirk auf. Ein Werk, das laut Jörg Johnen noch heute durch „seine Härte, Eindeutigkeit und Monumentalität“ beeindrucke. Gemeint ist das „Thälmann-Denkmal“ des sowjetischen Bildhauers Lew Kerbel von 1986. Die Kulturbürokraten der SED werden im Höllenfeuer tanzen, wenn sie hören, welche Herausstellung ihre Propagandakunst rückblickend erfährt. Johnen ist vom Zentrum aus gesehen quasi durch die Hintertür auf einer „Im Norden“ genannten Route zum Über-Thälmann gelangt. Zuvor hat er dabei auf dem ehemaligen Güterbahnhof Moabit Halt gemacht, wo seit 2017 ein Gedenkhain nach Entwürfen der Künstlergruppe „raumlaborberlin“ an die Deportation von 55.000 Berliner Juden in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert. In einem Querverweis wird an dieser Stelle auch auf den Bahnhof Grunewald aufmerksam gemacht, wo sich seit 1991 der zentrale Berliner Gedenkort befinde. Wie geht aber der Interpret des west-östlichen-Kulturkampfes mit der schon 1984 in der Großen Hamburger Straße zum Gedenken an den Holocaust aufgestellten Figurengruppe von Will Lammert um? Er übersieht die Arbeit des als „Kulturbolschewist“ und Jude ins Exil getrieben Künstlers schlichtweg.
So wie er das doppelte Heine-Denkmal von Waldemar Grzimek nicht wahrnimmt. 1956 erschien das Bronzedenkmal engstirnigen Kulturfunktionären nicht heroisch genug. So wurde es, statt in zentraler Lage neben der Humboldt-Universität, in einem Park am eher abseits gelegenen Weinbergsweg aufgestellt. Hier identifizierten sich die Anwohner derart deutlich mit dem lässig modellierten Poeten, der zum offenen Dialog einzuladen scheint, dass sie „ihren Heine“ nicht hergeben wollten, als er vierzig Jahre später an den ursprünglich vorgesehenen Standort Unter den Linden gebracht werden sollte. Mit dem Unternehmer Peter Dussmann fand sich schließlich ein Sponsor für einen zweiten Guss. Doch mit Blick auf unseren Autor hat es nichts geholfen, er ist dem doppelten Diskursangebot ausgewichen.
Fast wundert es jetzt schon nicht mehr, dass auch Fritz Cremer weder mit seinen Plastiken „Trümmerfrau“ und „Aufbauhelfer“ vor dem Roten Rathaus von 1958 noch mit seinem Brecht-Denkmal vor dem „Berliner Ensemble“ aus dem Jahr 1988 in diesem Buch vorkommt. Selbstredend wird auch Cremers Figur des Denkmals für die deutschen Interbrigadisten (1968) im Friedrichshain ausgeblendet. Damit leider auch die von Siegfried Krepp für die Anlage geschaffene Reliefstele mit Motiven stark verdichteter exemplarischer Ereignisse aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs zwischen 1936 und 1939.
Als Repräsentanten für die Kunst im öffentlichen Raum Ostberlins müssen neben dem Kerbel-Monument und dem sowjetischen Ehrenmal (1946–1949) in Treptow auch Gerhard Thiemes „Bauarbeiter“ (1968) und das „Marx-Engels-Forum“ (1985/1986) zwischen Spandauer Straße und Spree herhalten. Mit Thiemes Bauarbeiter wurde genau jene Plastik ausgewählt, die das gängige Schema vom sozialistischen Realismus so richtig schön bedient. Auch das „Marx-Engels-Forum“ wird allein unter dem politischen Blickwinkel gesehen, wie er von den Auftraggebern im SED-Politbüro gern wahrgenommen worden wäre. Johnen erkennt hier nur „mittelmäßige Kunstwerke“, wobei er nicht einmal Stötzers in Marmor gearbeitetes Relief einer näheren Betrachtung würdigt. Stattdessen kolportiert er eine Anekdote aus der Sammlung der zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Auftraggebern und Künstlern – und die auch noch falsch. Nämlich: „[…] die Frage, weshalb Marx sitzt und Lenin steht …“. Mit welcher ideologischen Borniertheit muss man an Kunstbetrachtung herangehen, um Engels mit Lenin in einen gedanklichen Topf zu werfen? Dabei gäbe es gerade hinsichtlich dieses Ensembles mit Jürgen Böttchers (als Maler bekannt unter dem Namen Strawalde) filmischer Collage „Konzert im Freien“ (2000/2001) eine interessante Anregung, wie man mit Kunst im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen umgehen kann.
Die Spitze an mangelnder Souveränität im Umgang mit künstlerischen Angeboten auf der östlichen Seite der einstigen Mauer erreicht allerdings der kanadische Fotokünstler Jeff Wall in einem herausgehobenen Gastbeitrag angesichts seiner Ausführungen zu Walter Womackas Fries am Haus des Lehrers am Alexanderplatz. Man muss, wie der Schreiber dieser Rezension, Womacka nicht unbedingt mögen, doch wenn über diesen Künstler von einer „unausweichlichen künstlerischen Nichtigkeit“ gesprochen wird, so ist das einfach lächerlich.
Man nehme also das Buch von Jörg Johnen und spaziere mit Gewinn zu Kunstwerken im Regierungsviertel, am Kulturforum oder um den Ernst-Reuter-Platz. Den Blick in den Osten Berlins kann man auf der Grundlage dieser Lektüre vergessen. Es sei denn, man will wissen, warum es auch dreißig Jahre nach dem Mauerfall noch so schwer ist, Gemeinsamkeit zu leben. Wieland Förster hat einmal sinngemäß gesagt, dass gern die freie Arbeit des Künstlers mit den Intentionen der Auftraggeber verwechselt wird. Vielleicht sollte man darüber genauer nachdenken. Am Ende stünde eventuell sogar die Erkenntnis, dass das Angebot an Kunst im öffentlichen Raum in Berlin deshalb so reich ist, weil es hier eine besondere Dichte unterschiedlicher Schulen gibt.

Jörg Johnen (Hg.): Marmor für alle. Zur Kunst im öffentlichen Raum in Berlin, Mitte/Rand Verlag, Berlin 2018, 280 Seiten, 28,90 Euro.