22. Jahrgang | Nummer 4 | 18. Februar 2019

Die „Walküre“ in Abu Dhabi

von Joachim Lange

Zu dem, was jeder über die Bayreuther Festspiele zu wissen glaubt, gehören die einst jahrelangen Wartezeiten auf Eintrittskarten. In Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, waren es tatsächlich die elf Jahre aus der Legende. Aber nicht, um ins Allerheiligste der Wagner-Pflege nach Bayreuth zu kommen, sondern umgekehrt. In diesem Falle kommen die Bayreuther Festspiele nämlich zu den Emiratis. Angeführt von der Festspielchefin Katharina Wagner persönlich. Als Gastspiel des einzigartigen Orchesters und einer handverlesenen Auswahl von zum Teil recht hügelerfahrenen Sängern. Catherine Foster (Brünnhilde), Egils Silins (Wotan), Stephen Gould (Siegmund), Daniela Köhler (Sieglinde), Albert Dohmen (Hunding), Christa Mayer (Fricka), dazu handverlesene Walküren – das ist durchweg erste Wagner-Garnitur. Und Markus Poschner, der sich fast stehenden Fußes von seiner Elektra-Premiere in Linz nach Abu Dhabi aufmachte, um für Marek Janowski zu übernehmen, gehört sicher nicht erst seit jetzt zu den heißen Kandidaten für den Bayreuther Graben.
Ein Hauch Bayreuth im großen Saal des Emirates Palastes. Hier wohnen die Chefs der Emirate, wenn sie sich regelmäßig treffen. Zugleich ist er eines der größten und luxuriösesten Hotels der Welt. Hier hat das Festspielorchester vor elf Jahren schon einmal mit einem „Ring Best of“ gastiert. Mit zwei konzertanten Aufführungen der „Walküre“, gab es jetzt die erste komplette Oper in Abu Dhabi überhaupt! Kurz vor dem (ersten) Papstbesuch am Golf, ein so hochkarätiger Gruß aus Bayreuth – effektvoller lässt sich das vom Herrscher verkündete „Jahr der Toleranz“ kaum umrahmen!
Westliche Opernkultur ausgerechnet mit Richard Wagner und dann auch noch mit einem zwar in Europa populären, aber hier gänzlich unbekannten Stück einzuführen – da braucht es schon leidenschaftliche Wagnerianer an den entscheidenden Stellen. Sowohl der künstlerische Leiter der Reihe „Abu Dhabi Classics“ Ronald Perlwitz, vor allem aber der zuständige Regierungsminister Zaki Nusseibeh, sind Wagner-Fans. Der Minister kann hierzulande obendrein auch dafür sorgen, dass, wenn Wagner (oder wer auch immer) gespielt wird, dieser Komponist in allen Schulen des Landes auf dem Lehrplan steht. Begegnungen mit den Musikern bis hin zu (wenn auch kurzen) Meisterklassen gibt’s dann noch obendrauf. Catherine Foster etwa bekam am Ende des langen Probentages am Vorabend der ersten der beiden Vorstellungen Blumen von begeistertem Nachwuchs …
Da auch am Golf die Ölreserven endlich sind, setzten die regierenden Scheichs (auch) auf Bildung und Hochkultur für die kleine Schicht der Einheimischen. Die Skyline (und ihr Wachstum) sind imponierend, auch wenn die sinkenden Ölpreise den kühn geplanten Kulturdistrikt auf der Saadiyat-Insel ausgebremst haben. Gerhys Guggenheim hat es bislang ebensowenig vom Modell auf die Insel geschafft wie die Vision eines amorphen Theater-Baus von Zaha Hadid. Aber aufgeschoben, ist nicht aufgehoben. Seinen Louvre hat Jean Nouvel allerdings fertigbekommen. Und der stellt wirklich jede Erwartung, die man bei dem Modell haben konnte, in den Schatten. Eine flirrend transparente Atmosphäre wurde geschaffen und der Spaziergang durch die Kulturgeschichte der Welt erhielt einen heiter spielerischen Rahmen. Immer mit einem bewusst vergleichenden Blick auf verschiedene Kulturkreise. Mit erlesenen Beispielexponaten, gut durchdacht und mit dezentem pädagogischen Furor kuratiert. Die weniger als zwanzig Prozent „echten“ und in jeder Hinsicht privilegierten Einwohner der Emirates und die anvisierten Touristen haben damit ein echtes Schmuckstück.
Neben der gigantischen neuen Moschee, die den Namen des verstorbenen, gleichsam allgegenwärtigen visionären Staatsgründers Scheich Zayed trägt, ein imponierendes, sichtbares Zeichen des Selbstverständnisses und -bewusstseins. Vom Opernhaus redet man im Moment zwar nicht mehr, aber die entsprechenden Häuser nebenan in Dubai und im benachbarten Oman dürften den eigenen Ehrgeiz wach halten. Schon deswegen ist klar, dass es in Abu Dhabi bislang nur eine konzertante Version eines Operngastspiels geben kann. Um das Unternehmen – wie in einem deutschen Radiosender – als Mogelpackung abzutun, muss man es schon missverstehen wollen …
Bei den aus Deutschland vom Department of Culture and Tourism Abu Dhabi eingeladenen Journalisten (auch der Autor) gab es dieses Missverständnis natürlich nicht. Da entfaltete nicht nur die Architekturmoderne ungehindert ihr Charisma. Wagner wollte zwar das Gesamtkunstwerk für Alle – aber ob ausgerechnet der luxusliebende Sachse dem Prunk im Emirates Palast mit seinem gigantischen Kuppelsaalfoyer, den echten XL-Palmen, all dem Blattgold, Plüsch und den Teppichen hätte widerstehen können, das ist doch sehr die Frage. Allerdings waren die weißen Gewänder der „echten“ Einheimischen genauso in der Minderheit wie sie es generell in ihrem eigenen Land sind. Da die Ölbohrtürme des Baku-Teiles des Castorf- Rings schon einen Teil des mit Wagner bestens vertrauten Publikums in Bayreuth auf die (dort nur metaphorische) Palme gebracht hatte, wäre das in Abu Dhabi obendrein wohl die totale Überforderung gewesen.
Man hatte sich anstelle einer Übertitelung bewusst für einen handlungsbebildernden Film entschieden. Der lief hinter dem Orchester ab, stellte aber in seiner Schlichtheit eher eine Unterforderung dar und brachte nicht den Effekt, den er haben sollte. So jedenfalls das Votum der einheimischen Gäste, mit denen man am Folgetag in der Instrumenten-Manufaktur für die Arabische Oud ins Gespräch kam. Die Sorge, dass der auf der Bühne verhandelte Inzest Anstoß erregen könnte, war wohl eher eine Projektion der nichtmoslemischen Gäste.
Die einhundertzehn angereisten Musiker des Festspielorchesters genossen es offensichtlich, diesmal nicht im verdeckten Graben, sonder für alle sichtbar auf offener Bühne zu musizieren.
Catherine Foster hat die Brünnhilde des abgelaufenen Castorf-Rings inklusive der noch einmal separat im letzten Jahr mit Placido Domingo ins Programm genommenen Walküre, gleichsam verinnerlicht. Sie ist im Vollbesitz ihrer Möglichkeiten, klar artikulierend, mit Strahlkraft ohne Schärfe und souveräner Leichtigkeit, wenn es mal ans Piano geht. Genauso hochkarätig der Siegmund von Stephen Gould. Der faszinierte nicht nur mit imponierend gehaltenen Wälserufen, sondern auch mit den lyrischen Momenten seiner Partie. Der aktuelle Tristan in Katharinas Bayreuther Inszenierung wird im Sommer auch als Tannhäuser an den Start gehen. Sein Siegmund macht jetzt schon Lust darauf. Albert Dohmen ist zwar ein Bayreuth-Veteran aber als Hunding ein Neuling. Er ist mit seinem profunden dunklen Bassbariton ein überzeugender Finsterling. Der markante, ausdrucksstarke Egils Silins betonte die kämpferische Seite des machtbewussten Wotan überzeugend. Die in Bayreuth bewährte und in vielen Rollen im Stammhaus in Dresden mit ihrem Mezzosopran einnehmende Christa Mayer hatte ohne forcierte Schärfen genau das rechte Fricka-Format, um ihren Göttergatten in die Enge zu treiben. Sie komplettierte als Schwertleite dann auch noch die Walkürenschar. Als Sieglinde ist Daniela Köhler gewöhnungsbedürftig – sie klingt besonders in der Höhe oft geradezu grell. Aber das ist Nörgeln auf hohem Niveau. Der als Linzer GMD sozusagen von Amts wegen wagneraffine Markus Poschner genoss es offensichtlich, dass die Zusammenarbeit mit diesen Wagnervollprofis eine Freiheit erlaubt, wie sie sonst kaum möglich ist. Auch wenn man sich das im ersten Aufzug etwas zügiger hätte vorstellen können, zog er dann an steigerte sich im dritten Aufzug zu intensiver Dichte. Musikalisch war das unter den Bedingungen eines nicht als Oper oder auch klassischer Konzertsaal gebauten Raumes eine runde Leistung.
Die Fortsetzung? Von einem „Lohengrin“ war die Rede und der Suche nach einem geeigneten Platz im Freien … Man darf gespannt sein.