19. Jahrgang | Nummer 19 | 12. September 2016

Horst Drescher – „eine tüftelnde existenz aus dem hörsaal 40“

von Ulrich Kaufmann

Der Autor Horst Drescher, Jahrgang 1929 (wie die europaweit bekannten Schriftsteller Christa Wolf und Heiner Müller), ist selbst im östlichen Teil des eigenen Landes eher Insidern ein Begriff. Durch Vermittlung Günther Rückers gelang es, dass der wenig Gedruckte seit 1980 in der renommierten Akademiezeitschrift „Sinn und Form“ veröffentlichen konnte: Notizen (meist Aphorismen), Porträts bildender Künstler, Prosa und nach der „Wende“ gar Erinnerungen an seinen Kommilitonen Uwe Johnson.
Aus dem Text „Hörsaal 40“ (1994) wissen wir, dass der ehemalige Schlosser und Absolvent der Arbeiter- und Bauern-Fakultät bis 1957 in Leipzig Germanistik studierte, bei den Professoren Frings und Mayer. „Was mag dieser hochsensible hochintellektuelle Mann (Hans Mayer – U.K.) manchmal gedacht haben angesichts der entlaufen gemachten Autoschlosser, dieser ABF-Studenten in seinem Oberseminar; […] Mir hat er einmal gesagt. Mit dieser Sprache können Sie keine differenzierten Gedanken entwickeln. Das hat er natürlich viel differenzierter gesagt und wohlwollend. Der Oberlausitzer Dialekt war es vermutlich, der ihn irritierte.“ Mit einer Diplomarbeit über Kurt Tucholsky konnte sich Drescher von seinem Betreuer Professor Hans Mayer und seiner Universität verabschieden.
Die Zahl von Dreschers freilich gewichtigen Büchern ist mit drei überschaubar.
Vor dem Umbruch erschien 1987 in der Edition Neue Texte ein Band mit Aphorismen „Aus dem Zirkus Leben – Notizen 1969 -1986“, dem Rücker ein Nachwort beisteuerte. Nach Stunden war der schmale Band vergriffen.
Im Jahr der Wende kamen, ebenfalls im Aufbau-Verlag, Dreschers „MalerBilder“ („Werkstattbesuche und Erinnerungen“) heraus, die größtenteils bereits in „Sinn und Form“ zu lesen waren. Für den Schutzumschlag wurde seltenes Marmorpapier von Gerhard Hesse verwendet, den Drescher in diesem Band als Künstler und Handwerker gleichermaßen porträtiert hatte.
Unter dem Titel „Regenbogenpapermacher“ erschien 1995 im Leipziger Reclam Verlag ein Querschnittsband mit „Kurzer Prosa“, dessen Umschlag durch ein altes Familienfoto und erneut durch Hesses Marmorpapier geziert wird. Der erste Teil bringt zauberhafte, fragmentarische Kindheitserinnerungen, die den Schilderungen Strittmatters in ihrer sozialen Genauigkeit dörflichen Lebens nicht nachstehen. Gedacht waren sie für den unvollendet gebliebenen Roman „Im Viebig“. Ein Nachdenken über die volkstümliche Form der Kalendergeschichte kommt künftig an dem „Kalenderkenner“ Horst Drescher und dessen Prosaminiaturen nicht vorbei!
Zudem war der Autor im Hintergrund, als fast namenloser Herausgeber tätig, meist im Leipziger Reclam Verlag. Dies begann 1973 mit einer Auswahl Friederike Kempners „Das Leben ist ein Gedichte“, setzte sich im Folgejahr mit 99 Gedichten von Joachim Ringelnatz fort („Hafenkneipe“) und gipfelte 1975, gleichfalls humoristisch, in der Veröffentlichung von Karl Valentins „Lach-Musäum“. Die drei Bände enthalten keine der sonst üblichen, mehr oder minder trockenen Nachworte, sondern der Herausgeber verwickelt die längst Verblichenen stets in ein geistreiches Gespräch. Hinzu gesellte sich 1979 ein Bändchen mit Lyrik des Naturalisten Arno Holz.
Einen anderen Stellenwert hat der 1983 bei Reclam in der Reihe Kunstwissenschaften erschienene Band „Dresden 1945“, der sämtliche Holzschnitte und Zeichnungen Wilhelm Rudolphs enthält, in denen der Künstler die fast völlige Zerstörung seiner Heimatstadt festhielt. Das Bändchen wird eröffnet durch Dreschers Essay „Der alte Wilhelm Rudolph“, den Wulf Kirsten für das beste Malerporträt seines Leipziger Schriftstellerkollegen hält. Beider Zusammenarbeit war so eng, dass der „alte Rudolph“ seinen Porträtisten porträtierte.
Wie Kirsten war auch Drescher als Verlagslektor tätig, allerdings, in seiner kompromisslosen Art, nur für wenige Jahre, bis 1960. An seinen Lektor im Mitteldeutschen Verlag Halle hat sich der drei Jahre ältere Günter de Bruyn erinnert – seinerzeit Bibliothekar und als Autor noch in seinen Lehrlingsjahren steckend. In seinem Lebensbericht heißt es: „Ich brauchte also einige Zeit, um mit Horst Drescher, so hieß er, vertraut zu werden; aber als ich es war und wir unsere Schreibpläne und -erfahrungen austauschen konnten, war es mit dieser idealen Zusammenarbeit zwischen Lektor und Autor schon bald wieder vorbei. Ein solches Bündnis zur Bewahrung des Eigenen konnte in diesen Jahren von der Partei nicht geduldet werden. Nachdem die Zensurbehörde mehrere Werke, darunter zwei meiner Geschichten, die er betreut und für druckreif gehalten hatte, nicht drucken wollte und der Verlag von ihm eine devote Haltung dazu verlangte, musste er gehen. Obwohl er als Autor ehrgeizige Pläne hatte, machte er auch später kaum Kompromisse, verzichtete lieber auf Publikationsmöglichkeiten und arbeitete, um existieren zu können, im Blumengeschäft seiner Frau. […] Die Konsequenz, die er zeigte, hing auch damit zusammen, dass er sicher war, als Schriftsteller etwas leisten zu können. Diese Sicherheit aber fehlte mir. Ich musste mich willig und wendig zeigen, denn ich brauchte Bestätigung durch Publikation.“
Während der vormals „willige“ und „wendige“ de Bruyn sich, nicht zuletzt durch den kritischen Zuspruch seines früheren Lektors, zu einem Erzähler von Rang entwickelte, verlief der Weg Dreschers konträr dazu. Die Staatsmacht verhinderte einen Erzählungsband und verbot 1964 seinen Film „Studenten“, der auch im Hörsaal 40 angesiedelt war. Anschließend ließen die Mächtigen ein Theaterstück scheitern, dem der gleiche Stoff zugrunde lag. Auch waren dem Staatsicherheitsdienst die nachbarlichen und solidarischen Kontakte, die Horst Drescher etwa zu Erich Loest pflegte, der seit 1957 im Zuchthaus Bautzen saß, nicht entgangen. Beide Autoren wohnten in der Leipziger Oststraße.
Horst Drescher machte ebenso kein Hehl daraus, dass er den Philosophen Ernst Bloch als großen Anreger erlebte. Er sah ihn vornehmlich als Literaten, dem er auch seine Hinwendung zu Johann Peter Hebel verdankt. Das Skizzierte macht verständlich, warum ein Querdenker wie Drescher in der DDR nicht genehm war. So wurde er erst nach der Wende mit Preisen geehrt und als Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste berufen.
Zum Werk des zu Unrecht auch nach 1989 so wenig gedruckten Autors gehören zweifellos seine Briefe an Schriftstellerkollegen. Nur sind diese in der Summe vorerst nicht lesbar, auch wenn sie etwa bei Sigrid Damm und Reiner Kunze in Prosatexten hier und da aufscheinen. Damm und Volker Braun haben ihren Leipziger Freund als Erfinder der Kochberger „Klinkenpost“ längst gewürdigt. Diese besondere Form der Drescher-Briefe beschreibt Günther Rücker. Diese Beschreibung umfasst mehr als ein Drittel seines Nachworts zu Dreschers spätem Debütband von 1987. So lautet der erste Satz: „Er schreibt keine Briefe, sondern zieht überlange Schreibmaschinenzeilen über weiße leere Rückseiten von An- und Probedrucken, Kleinplakaten und Abfallbogen Leipziger Verlage, Gedanken über Leute, Fragen zu einst geführten Gesprächen, Beobachtungen, Jahre zurückliegend, die durch neue Zusammenhänge neue Bedeutung bekamen, mit gereimten Vier- und Achtzeilern aus Sterbeanzeigen der Bezirkspresse, absurden Sätzen aus Nachrichten, Vorträgen, Diskussionen, Hinweisen auf schlechtes Deutsch bei diesem und jenem.“
Geben wir einem Poeten, zehn Jahre jünger als Drescher, der nach ihm ausgiebig die Bänke des Leipziger Hörsaal 40 drückte, das letzte Wort – zumal er die Überschrift zu diesem Kurzporträt stiftete. Eigentlich zitiert Volker Braun hier, im ersten Teil seiner „Werktage“, ja Horst Drescher selbst, der dem Jüngeren im September 1988 einen Satz mit Leukoplast an die Tür seines Zimmers im Kochberger Schriftstellerdomizil klebte. „mein lieber. wir schreiben an einem buche, du in dur, ich in moll.“