18. Jahrgang | Nummer 11 | 25. Mai 2015

Die „Burg“ wird 100

von Manfred Orlick

In diesem Jahr feiert die Kunsthochschule „Burg Giebichenstein“ ihr 100-jähriges Bestehen. Das Jubiläum geht auf die Berufung des Architekten Paul Thiersch (1879-1928) zum ersten Direktor der Hochschule im Jahre 1915 zurück.
Mit der zunehmenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert entstanden in Deutschland zahlreiche Gewerbliche Zeichenschulen zur künstlerischen Ausbildung der Handwerkerschaft. Ziel war die Verbesserung der ästhetischen Qualität von Industrieprodukten. In Halle wurde 1870 solch eine Einrichtung eröffnet, um „das Verständnis für schöne und geschmackvolle Arbeit in den Gewerben zu wecken“.
1915 übernahm Paul Thiersch die Leitung der Kunstgewerbeschule Halle, die er in den ersten Jahren seiner Amtsführung im Sinne des Deutschen Werkbundes zu einer modernen Bildungsstätte reformierte. Thiersch strebte „ein reges Verhältnis zwischen Gewerbe- und Kunstgewerbetreibenden sowie Firmen auf kunstgewerblichem Gebiete“ an. Daher wurden in der Schule verschiedene Fachklassen, unter anderem für Raumausstattung, für Malerei und Graphik, Buchbinderei, Weberei oder Keramik eingerichtet. Außerdem konnten namhafte Künstler als Lehrkräfte gewonnen werden, so Gustav Weidanz (Bildhauerei), Erwin Hahs (Malerei) oder Erich Lenné (Metallkunst).
Die Gründung des Bauhauses 1919 in Weimar verstand Thiersch zwar als Konkurrenz, aber auch als Bestätigung für die Richtigkeit seines Weges in Halle. Die Rivalität führte zum Ausbau der Werkstätten und ab 1922 zum Umzug in die Unterburg der Burg Giebichenstein, wo man jetzt als „Werkstätten der Stadt Halle / Staatlich-städtische Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein“ – zumeist schlicht als „Burg“ bezeichnet – agierte.
Als das Bauhaus Weimar 1925 geschlossen wurde und nach Dessau umzog, kamen zahlreiche „Bauhäusler“ an die Burg – darunter der bekannte Bildhauer und Grafiker Gerhard Marcks. Mit ihren hervorragenden Werkstätten und ihrem fortschrittlichen Lehrprogramm erwarb sich die Burg den Ruf der einflussreichsten deutschen Kunstschule neben dem Bauhaus.
Die Zusammenarbeit der Fachklassen und Werkstätten wurde durch gemeinsame Projekte gefördert, darunter das Restaurant am 1927 eröffneten Flughafen Halle/Leipzig in Schkeuditz. Die Beteiligung an zahlreichen Ausstellungen trug zur internationalen Anerkennung bei. Mit der Gründung einer Werbewerkstatt und einer Klasse für Sachfotografie war die Schule auch auf dem Gebiet der Werbung tätig. In dieser Zeit entstand das bis heute gültige Signet mit dem Burgturm über der Saalebrücke.
Nachdem Paul Thiersch 1928 einer Berufung an die Technische Hochschule Hannover (er starb kurz darauf) gefolgt war, wurde Gerhard Marcks (1889-1981) zu seinem Nachfolger berufen. 1933, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten, wurde er jedoch seines Direktorenpostens enthoben und aus dem Hochschuldienst entlassen. Darüber hinaus entledigte man sich unbequemer Lehrkräfte und Werkstattmeister und schloss einige Klassen. Die „Burg“ wurde zu einer Handwerkerschule degradiert, die dem „bodenständigen Handwerk“ zu dienen hatte.
Noch gravierender wurden die Einschränkungen, als die nationalsozialistische Kulturpolitik 1937 im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ immer mehr Einfluss auf die inhaltliche Orientierung nahm. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurden zahlreiche männliche Mitarbeiter zum Kriegsdient eingezogen. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler sank stetig und bald stellte man in den Werkstätten Gebrauchsgegenstände für Bombengeschädigte her.
Im Oktober 1945 wurde der praktisch nie unterbrochene Schulbetrieb offiziell wieder aufgenommen. Ein Jahr später erfolgte die Umbenennung in „Burg Giebichenstein – Kunstschule und Werkstätten der Stadt Halle-Saale“. Mit der Wiedereinrichtung der Klassen für Malerei, Architektur und Bildhauerei sowie der Neugründung einer Klasse für Gebrauchsgrafik fand die Schule zur künstlerischen Ausrichtung der 20er und 30er Jahre zurück.
1948 wurde die Schule jedoch administrativ dem Ministerium für Volksbildung unterstellt, was zu weitreichenden Eingriffen in das Ausbildungsprogramm und die Auswahl der Studenten führte. So musste man sich auf Ausbildungsschwerpunkte wie Werkkunst und Industrieformgestaltung konzentrieren. Durch die Anbindung an die Universität Halle 1950 war es aber möglich, das Studium an der Burg mit einem Hochschuldiplom zu beenden.
Da die bildende Kunst im Sozialismus eine ideologische Erziehungsfunktion zu übernehmen hatte, sah man auch in den Kunstschulen Orte der Umerziehung und des Vorbildes. In einer jahrelangen propagandistischen Formalismuskampagne sollte der sozialistische Realismus als künstlerische Ideologie durchgesetzt werden – unter dem Motto „Kunst als Spiegel der Gesellschaft“. Um den „ernsten Einbrüchen des Klassenfeindes“ entgegenzuwirken, wurden „Vertreter der Dekadenz“ entfernt oder in die Industrie „strafversetzt“. Andere (wie Erwin Hahs) gingen in die „innere Isolation“ oder nach Westdeutschland. Ein Aderlass, von dem sich die Burg lange nicht erholte. Sie verlor immer mehr ihre Selbstständigkeit in der Verwaltung und bei der Erstellung der Lehr- und Stundenpläne. Ausdruck dessen war 1956 auch die administrative Angliederung an die Kunsthochschule Berlin-Weißensee als Institut für künstlerische Werkgestaltung.
Schließlich gelang es aber 1958, für die Burg den Status einer Hochschule für industrielle Formgestaltung zu erhalten. Damit war eine Schließung der Kunstschule wie in Leipzig, Magdeburg oder Erfurt abgewendet worden. Mit dieser offiziellen Anerkennung konnte ein breitgefächertes Spektrum von Designabteilungen errichtet werden und die Ausbildung erhielt neue inhaltliche Orientierungen. Es war gewissermaßen die Geburtsstunde eines neuen Berufs, des Industriedesigners.
In den folgenden Jahren wurde die Burg neben Berlin-Weißensee zur wichtigsten Ausbildungsstätte für Designerinnen und Designer. Allerdings wurden die bildkünstlerischen und werkkünstlerischen Fachrichtungen eingeschränkt. Aus ihnen wurden spezielle Designerrichtungen wie Textildesign, Spielzeug- oder Möbelgestaltung. Mit der Eröffnung des Fachgebietes Mode und mit ersten rechnergestützten Designentwürfen versuchte die Burg in den letzten DDR-Jahren dem Trend der Zeit zu folgen.
Die politische Wende 1989/90 war auch für die „Burg“ einschneidend, doch nach einer schwierigen Phase erlebte sie einen hoffnungsvollen Neubeginn. Fachbereiche und Ausbildungsprogramme wurden den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechend verändert, wobei auch neue Hochschullehrer berufen wurden. Vor allem der Maler und Grafiker Ludwig Ehrler – Rektor von 1998 bis 2003 – navigierte die Hochschule auf dem schwierigen Kurs des Umbruchs und der Neufindung. Heute pflegt die Kunsthochschule Kontakte zu 72 Kunst- und Designhochschulen weltweit und ist in verschiedene internationale Netzwerke eingebunden.
Nun feiert die „Burg“ also ihr 100-jähriges Bestehen, und das mit einem breitgefächerten Programm unter dem Thema „BURG findet Stadt“. Veranstaltungen und Ausstellungen sind bis zum Dezember geplant. Jubiläumshöhepunkt wird sicher die Festwoche vom 26. bis 29. Mai sein.