17. Jahrgang | Nummer 24 | 24. November 2014

Wie sozial ist „social freezing“?

von Viola Schubert-Lehnhardt

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Seit die deutschen Medien über das Angebot der Unternehmen Apple und Facebook berichtet haben, für ihre Mitarbeiterinnen die Kosten für diese Technik zu übernehmen, wird diese so umfangreich diskutiert, als könne man damit zentrale Probleme unserer Gesellschaft lösen. Gravierendere Probleme im deutschen Gesundheitswesen – so zum Beispiel der Mangel von Ärztinnen und Ärzten auf dem Land, der chronische Investitionsstau deutscher Krankenhäuser oder die immer wieder beschworene (und noch von keinem Gesundheitsminister realisierte) Aufhebung der Trennung des ambulanten und stationären Bereichs – scheinen demgegenüber zweit- oder gar drittrangig.
Selbst wenn man der Medienlogik folgt und sich auf diese Thematik einlässt, mutet es zuweilen seltsam an, unter welchem Duktus sie diskutiert wird (meist als „Freiheitsgewinn“ für die Frauen). Wie so häufig sind es zuweilen Fragen, die gerade nicht gestellt werden, die schlaglichtartig erhellen, wo die Reise hingehen soll. Bezahlen oben genannte Unternehmen zum Beispiel die Kosten für alle Mitarbeiterinnen, also auch für die Putzfrauen (Verzeihung – korrekt natürlich „Gebäudereinigerinnen“)? Wer entscheidet später über den richtigen Zeitpunkt des Auftauens und Einsetzens der Eizellen – die Frauen alleine oder dürfen die Unternehmen (da sie die Kosten übernommen haben) dann „ein Wörtchen mitreden“? Was, wenn die Frauen das Unternehmen inzwischen verlassen haben? Wem gehören die Eizellen, wenn die Frau sie vielleicht nicht mehr nutzen möchte? Dies lässt sich durchaus alles vorab vertraglich regeln – verweist damit aber nur umso deutlicher auf die Verquickung von wirtschaftlichen Aspekten mit zutiefst individuellen Entscheidungen über die Lebensplanung von Frauen und Männern (letztere als nach wie vor auch bei dieser Technik notwendige Kindsväter spielen in der Diskussion kaum keine Rolle).
Dass Frauen – ich möchte hier eigentlich lieber von Paaren sprechen – diese Art der Lebensplanung „nahe gelegt wird“, zeigt meines Erachtens die mangelnde soziale Fürsorge sowohl des Staates als auch einzelner Unternehmen für Familien mit Kindern. Mit der Technik des „social freezing“ soll ein soziales Problem mit medizinischen Mitteln gelöst werden. Damit wären künftig sowohl Staat als auch Unternehmen zunehmend aus ihrer gesellschaftlichen Pflicht entlassen, für bessere Bedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen. Und es wird einmal mehr den Frauen die Entscheidungslast und Verantwortung (bemäntelt mit dem schönen Wort „Freiheitsgewinn“) aufgebürdet. Hier mag man einwenden, dass Frau ja ablehnen könne – aber was passiert mit den Frauen im Unternehmen, die es ablehnen? Wie stehen deren Karrierechancen?
Und wenn die Technik nicht funktioniert – derzeit wird von einer Erfolgsrate von 7 bis 12 Prozent gesprochen, so F. Nawroth in Heft 9/2013 der Zeitschrift Der Gynäkologe – oder die Frau durch die Methode selbst bleibende Schäden davonträgt (sowohl die notwendige Hormonstimulation zur Eizellgewinnung als auch die Entnahme der Eizellen selbst sind keineswegs risikofrei)? Wer ist dann schuld – und zahlt? Würden die Unternehmen einer Frau auch lebenslang Rente zahlen, wenn sie auf Grund von Komplikationen bei der Eizellentnahme nicht mehr arbeitsfähig wäre?
Doch gehen wir ruhig einmal davon aus, ein Paar wünscht es, das Unternehmen bezahlt es und die Prozedur der Stimulation, Entnahme, des Einfrierens, Auftauens, Befruchtens und der In-vitro-fertilisation war erfolgreich und komplikationslos: Ist es für das Kind (und die Gesellschaft) erstrebenswert, dass die Mütter immer älter werden? Diese Frage hat mehrere Aspekte. Zum einen können nur die Eizellen eingefroren werden, nicht aber der Körper der Frau beziehungsweise ihre Gebärmutter. Die zahlreichen möglichen Komplikationen für Mutter und Kind von sogenannten „späten Schwangerschaften“ (da meinte man bisher Mütter über 30, jetzt geht es um ganz andere Altersgruppen) sind bekannt. Obwohl es lange bestritten wurde, ist inzwischen allgemein anerkannt, dass schon die mit dieser Technik notwendig einhergehende In-Vitro-Fertilisation bei „jungen Müttern“ zu erhöhten Fehlbildungsraten wie Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Herzfehlern oder Verengung der Harnwege führt und zu möglichen weiteren Komplikationen im späteren Leben (zum Beispiel erhöhter Blutdruck, gestörter Zuckerstoffwechsel, Übergewicht) führt. Auch ist inzwischen bekannt, dass ein Teil der Kinder durchaus erhebliche psychische Probleme mit dem Gedanken hat, einmal „tiefgefroren“ gewesen zu sein.
Doch selbst wenn das Kind gesund zur Welt kommt bleibt zu fragen: Ist es für die Kinder wünschenswert so alte Mütter/Eltern zu haben? In diesem zeitlichen Abstand zu Geschwistern beziehungsweise Angehörigen der eigenen Population zu leben? Für die Eltern verkürzt sich dadurch sowohl die Lebenszeit, die sie mit ihren Kindern verbringen können, als auch die Möglichkeit für bestimmte gemeinsame Unternehmungen. Noch extremer gilt dies für die potenziellen Großeltern – diese werden dann wahrscheinlich in einem Alter sein, wo sie kaum noch einspringen können, um ein Kind mal ein zwei Tage zu betreuen – oder gar die Enkel mit in den Urlaub zu nehmen. Und was, wenn die Großeltern (die dann ja in der Regel 70 bis 80 Jahre alt sein werden) vielleicht selbst auf eine Betreuung durch die Tochter hoffen? Das heißt, unsere gesamten traditionellen Familienvorstellungen, Werte und Lebensweisen verschöben sich enorm – ohne dass bisher diese Aspekte bisher auch nur ansatzweise mit von den Unternehmen in den Blick genommen werden.
Nebenbei sei hier darauf verwiesen, dass eine späte Vaterschaft schon jetzt keinesfalls positiv gesehen wird, meist wird sie als egozentrische Entscheidung wahrgenommen. Deshalb sei hier nochmals deutlich unterstrichen: Das Angebot dieser Unternehmen ist ein unmoralisches. Nicht nur weil es die Frauen/Paare unter zeitlichen Druck setzt, sich für Familie oder Karriere zu entscheiden, sondern auch weil sie meinen, sich in zutiefst private Belange einmischen zu können.
Die gewonnene Freiheit für Frauen/Paare ist sehr subtil – die bisherige Entwicklung gerade in der Reproduktionsmedizin hat deutlich gezeigt, dass scheinbar als freiwillige Option angebotene Techniken sehr schnell zu einem „Diktat des Machbaren“ werden (analog: „Wer die modernen Methoden der vorgeburtlichen Diagnostik nicht nutzt und dann ein behindertes Kind bekommt, ist selbst schuld“). Und nicht unerwähnt soll bleiben, dass die mögliche Anwendung dieser Technik selbst wenn weitere Unternehmen oder die gar teilweise die Krankenkassen die Kosten (derzeit rund 2.000 Euro bis zur Entnahme und dann 300 Euro jährlich für das Einfrieren) übernähmen, die Gesellschaft weiter gespalten würde – es ist und bleibt eine Technik für Privilegierte – oder ein Supergeschäftsmodell für die anbietenden Unternehmen. „Goldgrube Gynäkologie. Das große Geschäft mit der Angst der Frauen“ titelte schon Sylvia Schneider 2004.
Dem bleibt nur hinzuzufügen: Es ist (sozial) kalt geworden in Deutschland – möge das bürgerschaftliche Engagement stark genug sein, eine weitere Zunahme der sozialen Kälte zu verhindern!