Wem die Stunde schlägt
Werbung, man weiß es, wirkt keineswegs nur durch die treffliche Präsentation von Vorzügen irgendwelcher Produkte. Sie kann ebenso, und sogar mehr noch zur Einprägung des Beworbenen beitragen, wenn sie scheinbar gegenteilig daherkommt. Anders gesagt: je bescheuerter Reklame ist, umso mehr gerät sie in die Wahrnehmung und umso mehr bleibt sie dort haften. Dafür, daß daraus in nicht wenigen Fällen Interesse und Zuwendung wird, sorgt die menschliche Psyche – je schlichter es um diese bestellt ist, umso mehr.
Dies alles hat die Marketingabteilung der Uhrenmanufaktur Windgassen® aufs Schönste in Rechnung gestellt, wobei – dies gibt besonders zu denken – ihre Offerten einer solchen Preisklasse angehören, zu der schlichte Geister in der Regel eine geringe Affinität besitzen. Wobei: Über viel Geld zu verfügen, sagt ja keineswegs etwas über die geistige Verfaßtheit der jeweiligen Eigner aus.
Wie auch immer – von nun an „hör´n Sie die Aufnahme“:
„In Anerkennung und zur Unterstützung dieser wichtigen Botschaft auf Frieden (die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees, d. Red.) hat die Windgassen® Uhrenmanufaktur die Obama Friedensnobelpreisuhr geschaffen. Die Uhr vereint ein bestechendes Design mit den wichtigen Eigenschaften eines großen Präsidenten: Macht, Bescheidenheit und Eleganz. (…)
Die Obama Friedensnobelpreisuhr von Windgassen® stellt einen wichtigen, historischen Meilenstein in dem Streben nach Weltfrieden dar und ist deshalb von Interesse für jeden anspruchsvollen Uhrensammler. (…)
Der normale Ausgabepreis für diesen Diamantenbesetzten, goldplattierten Echt-Silber Klassiker ist nur € 395,-. Für eine sehr begrenzte Zeit können Sie die Präsidentenuhr noch für € 295,- erwerben.“
Welch eine Geschäftsidee: Wann ist der friedenserhaltende Obama-Keks von Bahlsen auf dem Markt? Wann der Obama-Wodka aus Moskau zur Herbeiführung des inneren Friedens? Wann das Macht- und Eleganz präsentierende Kondom „Barack Boy“ etwa von der Amor Gummiwaren GmbH [1]? Wann die gemeinnützige Obama-Pershing zur finalen Friedensstiftung und so vieles andere mehr? Fragen über Fragen …
HWK
Bionik – was ist das?
Der Lotus verfügt über eine erstaunliche Eigenschaft, die schon frühregistriert worden ist. Womit seine riesigen schildförmigen Blätter auch inBerührung kommen, sie sehen immer wie frisch gewaschen aus. Heute weiß man, wie dieser „Lotus-Effekt“ zu Stande kommt: Die Lotusblätter sind mit winzigen Noppen übersät, die aus Wasser abstoßenden Wachskristalloiden aufgebaut sind. An diesen Noppen bleibt kaum etwas haften, und wenn etwas haften bleibt, wird es vom Regenwasser schnell weggespült. Diese Erkenntnis hat den Anstoß zu bedeutenden technischen Innovationen gegeben. Mittlerweile ist es gelungen, Lacke, Dachziegel und Folien zu entwickeln, die sich selbst so reinigen, wie es der Lotus tut.
Die Natur ist eine Fabrik, die bei allem, was sie produziert, mit verschwindend wenig Rohstoffen auskommt. Energie verbraucht sie kaum – was
sie auch herstellt, die Temperaturen in ihren Öfen sind immer lächerlich niedrig. Ihre Pr dukte sind vollständig biologisch abbaubar und vollständig wiederverwertbar. Der Gedanke liegt nahe, sich biologische Systeme zum Vorbild zu nehmen und ihre Prinzipien, ihre Mechanismen und ihre Verfahren und Materialien für technische Innovationen nutzbar zu machen. Genau das versucht die Bionik.
Der Zoologe und Bionik-Pionier Werner Nachtigall befaßt sich hier exemplarisch mit ihren wesentlichen Errungenschaften und erläutert ihre vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten: vom Schiffs- und Roboterbau angefangen bis hin zum Verkehrswesen, zur Medizin und zur Nanotec nik. Nachtigall skizziert desweiteren die Geschichte und Vorgeschichte der Bionik und arbeitet heraus, was Mutter Natur zur Erfindung des Stacheldrahts, des Salzstreuers und des Stahlbetons beigetragen hat. Er beschäftigt sich mit den ungeheuren Potentialen, die noch in der Bionik stecken. So könnte die Bionik den Bau von solargetriebenen Wasserstoff-Farmen ermöglichen, die nach dem Prinzip der künstlichen Photosynthese arbeiten werden. Nachtigall macht darüber hinaus deutlich, warum die Bionik zum Fundament eines neuen, systemischen Weltbildes und einer neuen, ökologisch ausgerichteten Ethik werden könnte.
Frank Ufen
Werner Nachtigall, Bionik. Was ist das? Was kann das? Was soll das?, Audio-CD, 67 Minuten, Supposé Verlag Köln, 18,00 Euro
Medien-Mosaik
„Schmitt ist eines der noch ganz selten vorkommenden Originale. Er ist eine massive, in sich ruhende Begabung“, sagte Loriot bei einem seiner ersten Besuche in der DDR 1977. Der Zeichner, der sich als „Onkel Erich“ gern selbstironisch auf die Schippe nahm, war damals schon seit langem eine satirische Institution. Über 30 Jahre lang war Erich Schmitt in der „Berliner Zeitung“ für die aktuelle Tageskarikatur zuständig, aber sein Herz schlug – wie auch das des Publikums – für die Bildgeschichten, wie Comic strips damals hießen. „Nixi“, „Kuno Wimmerzahn“, „Kollege Blech“, und vor allem „Schwester Monika“ und „Tierpark-Ede“, die in immer wieder neuen Varianten auftauchten, wurden legendär. Am „Dicken Schmitt-Buch“ verdiente sich der Eulenspiegel-Verlag dumm und so dämlich, daß er inzwischen die Schmitt-Rechte verwirkt hat. So sind im Jahr seines 25. Todestages nur zwei schmale Erich-Schmitt-Bändchen im Handel, die doch eine lebendige Ahnung vom Mutterwitz des DDR-Klassikers der Bildgeschichte geben und nach mehr verlangen. Auch das Märkische Museum hat Schmitt eine kleine Ausstellung gewidmet. Hier wird unter dem Motto „Karikaturen des Kalten Krieges“ dem Zeit-Chronisten Raum gegeben, und seine Zeichnungen sind denen von „Oskar“ (wie sich der auch aus dem Fernsehen bekannte Zeichner Hans Bierbrauer nannte) gegenübergestellt. Während Oskar in der „Berliner Morgenpost“ die Berliner eher als Opfer von Ulbricht und Breshnew darstellte, demonstrierte Erich Schmitt ein (manchmal etwas zu forciertes) Selbstbewußtsein derer, die mit ihrer neuen Gesellschaft gern in Konfrontation mit der alten gehen. Schade bleibt jedoch, daß es den Kuratoren nicht gelang, Zeichnungen von Schmitt und Oskar zum selben konkreten Sachverhalt zu vergleichen.
In den siebziger Jahren hat Erich Schmitt auch als gelegentlicher Texter einer Musikgruppe gearbeitet. Sein Sohn Thomas ist bis heute der Frontmann von MTS, einer an Schobert & Black und Ulrich Roski geschulten Blödeltruppe. In diesem Jahr haben Thomas Schmitt, Herbert Treichel und Mike Schafmeier mit „Echte Männer“ endlich eine neue Live-CD herausgebracht, auf der sie ihre Herkunft aus der DDR nicht verleugnen und zugleich ihre Ankunft im geeinten Deutschland thematisieren. Selbstironisch spielt die seit dreieinhalb Jahrzehnten aktive Truppe auf die Gebrechen des Älterwerdens an, und aus ihrem Hit von den „Zehn kleinen Autofahrern“ sind nun die „Zehn Patienten“ geworden. Thomas Schmitt zeichnet für die meisten der witzigen Texte verantwortlich, wie für diesen aus „Wünsche“: „Davon hab´ ich mein Leben lang geträumt, daß Lagerfeld mir meine Hosen säumt. Ich fühlte mich auch ganz elektrisiert, falls Reich-Ranicki meine Texte kritisiert!“ Doch weit gefehlt, wieder ist es nur
bebe
Erich Schmitt, „Nixi“, Nora Verlag, 11 €; „Schmitts Tierleben“, Nora Verlag, 9,90 €; „Karikaturen des Kalten Krieges – Oskar vs. Erich Schmitt“, Märkisches Museum (Stiftung Stadtmuseum Berlin), bis 7.2.2010; MTS: Echte Männer, Buschfunk, 14,95 €
Das Zitat
Die Wenigen, die das System verstehen, werden so sehr an seinen Profiten interessiert oder so abhängig sein von der Gunst des Systems, daß aus deren Reihen nie eine Opposition hervorgehen wird. Die große Masse der Leute aber, mental unfähig zu begreifen, wird seine Last ohne Murren tragen, vielleicht sogar ohne zu mutmassen, daß das System ihren Interessen feindlich ist.
Gebrüder Rothschild, London, am 28. 6. 1863 an US-Geschäftspartner
Der Reiz
Ein grauer Tag, Leinen vor dem Fenster, ausbrechen, ins Leinen treten, kein Loch verursachen, darin gefangen sein.
Eine andere Zeit strahlt ab, auf Stand gebracht durch leuchtende Reklame, eine alte Stadt im neuen Glanz, alter Schick, alte Namen vor sich her, aufmerksam machen, Tradition – restauriert, ausgestellt.
Ein Zugezogener vor seinem Hochfinanzwagen, gegen einen alten Zaun pinkelnd: „Er hat’s geschafft”. Ältere Menschen laufen auf den Straßen, ihre Stadt suchen sie vergebens, längst sind sie hier, haben gekauft, haben angebaut, sind Rotarianer: geschafft!
Mit der Kultur hatte der Zuzug wenig zu tun, war alles so billig: Die Häuser strahlen, ihre Bewohner wundern sich, staunen und fragen sich, warum nicht auch wir?
Bei jedem Viertel-nach ein abfälliger Blick, ein Viertel kann Mauern einreißen oder zumindest Türen öffnen.
Geschichte lebt, Geschichte schaut uns an, Geschichte sind wir, und wir werden sie auch weitergeben, ohne Folklore, Nostalgie stirbt, kann es in unserem Alter nicht mehr geben, wir stecken trotzdem mit drin: Mit gehangen, mit gefangen. Und immer dieser kleine Reiz im Schädel – woher?
Paul