Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 16. Februar 2009 , Heft 4

Honest Abe

von Erhard Crome

Nichts ist geregelt, was nicht gerecht geregelt ist. Das ist einer der Sätze, die von Abraham Lincoln überliefert sind. Und die gerechte Regelung der Probleme war stets sein Ziel, als Anwalt der »kleinen Leute« in Illinois und im »Weißen Haus«. Er ist der wohl bedeutendste Präsident, den die USA hatten. Er hat die Union gerettet, die Sklaven befreit und dem Land politisch seinen Weg in die Moderne eröffnet. Gott hat die einfachen Menschen offenbar geliebt, denn er hat so viele von ihnen gemacht. Lincoln hatte eigentlich sie im Blick, wenn er politische Entscheidungen zu treffen hatte.

»Honest Abe«, »der ehrliche Abraham« war der Spitzname, den er bereits hatte, als er 1860 zum Präsidenten gewählt wurde. Die meist schlichten und arbeitsamen Menschen, die an der Wiege der USA gestanden hatten, waren gottesfürchtige Leute und gaben ihren Kindern biblische Namen, so also Abraham. Vor zweihundert Jahren, am 12. Februar 1809 wurde Lincoln geboren. Aufgewachsen in dem damals noch überwiegend bewaldeten Illinios hatte er es als Autodidakt zur Zulassung als Anwalt gebracht, später wurde er Politiker, galt als einer der besten Redner seiner Zeit. Hochgewachsen, etwas schlaksig machte er immer den Eindruck, daß man so einen gern als Nachbarn hätte. Er konnte gut mit Leuten reden, wirkte oft etwas melancholisch, war zu einem Schwatz bereit, machte Scherze, die stets eine gewisse Ironie enthielten und zugleich von tiefer Beobachtungsgabe zeugten. Die meisten Menschen sind so glücklich, wie sie es sich selbst vorgenommen haben.

In einem gesellschaftlichen und politischen System, in dem vielfach Korruption zum Alltag gehörte – »Government by corruption«, nennen das die Politikwissenschaftler –, blieb er unbestechlich, ließ sich die von ihm bewirkten politischen Entscheidungen nicht zum persönlichen Vorteil gereichen. So wurde er gewählt und 1864 wiedergewählt. Man kann das ganze Volk eine Zeitlang betrügen und einen Teil des Volkes die ganze Zeit, aber niemals das ganze Volk die ganze Zeit.

In der Unabhängigkeitserklärung von 1776 gibt es den berühmten Satz: »Wir halten es für selbstverständliche Wahrheiten, daß alle Menschen gleich geschaffen sind, daß sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, zu denen das Leben, die Freiheit und das Streben nach Glück gehören.« Vielleicht waren die Einheit von Union, die darauf gründete, und Sklaverei der größte Betrug, der nicht von Dauer sein konnte. Waren Schwarze aus Afrika auch Menschen? Warum hatten sie dann nicht gleiche Rechte, sondern waren Sklaven? Die USA hatten sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasch entwickelt. Die Bevölkerungszahl stieg zwischen 1815 bis 1860 von 8,4 auf 31,5 Mill. Menschen. Fünf Millionen Einwanderer waren ins Land gekommen. Die Industrie im Norden blühte auf. Doch im Süden schufteten vier Millionen schwarze Sklaven für eine Pflanzeroligarchie von ein paar Hunderttausend Leuten. 1822 und 1831 hatte es Sklavenaufstände gegeben. Die früheren Kompromisse zwischen den Bundesstaaten im Norden, in denen die Sklaverei verboten war, und den Sklavenhalterstaaten im Süden hielten nicht mehr, nicht zuletzt angesichts der Landnahme der USA in Richtung Westen. Sollte da im aufgeklärten, fortgeschrittenen 19. Jahrhundert die Sklaverei neu eingeführt werden, und das durch Menschen, die um der Freiheit willen aus den feudalen Bedrückungen Europas in das Land der Verheißung der Freiheit geflüchtet waren?

Die Organisationen im Norden zur Befreiung der Sklaven, die »Abolitionisten«, wurden stärker. Nur im Nachgang der sozialhistorischen Betrachtung ging es um die besseren Bedingungen für die kapitalistische Entwicklung, die den freien Lohnarbeiter braucht. Für die Zeitgenossen waren die Gegner der Sklaverei zumeist fromme Männer und Frauen, die aus Gewissensgründen gegen die Schande der Versklavung von Menschen handelten. Einer von ihnen war John Brown aus Connecticut, der mit zwanzig Mann in einer Oktobernacht des Jahres 1859 ein Arsenal bei Harper’s Ferry in Virginia überfiel, um sich in den Besitz von Waffen zu setzen, mit denen er einen Stützpunkt für flüchtige und aufständische Sklaven einrichten wollte. Er scheiterte, wurde ergriffen und gehenkt. Doch für die Südstaatler war es Anlaß zu handeln. Nach der Wahl Lincolns erklärten die Südstaaten ihren Austritt aus der Union, um die Sklaverei zu erhalten. Lincoln sagte daher in seiner Antrittsrede: In euren Händen, meine unzufriedenen Landsleute, und nicht in den meinen, liegt die folgenschwere Entscheidung über einen Bürgerkrieg. Und alle verstanden, daß er die Union und ihre Verfassung um jeden Preis verteidigen werde, und er tat es. Per Proklamation des Präsidenten war gesetzt, daß alle Personen, die als Sklaven gehalten wurden, ab 1. Januar 1863 »von da ab und für immer frei sein sollen«.

Der Umschwung in der militärischen Entwicklung, in der zunächst die Truppen des Südens recht erfolgreich waren und der Norden Schwierigkeiten hatte, sein materielles Übergewicht zu entfalten, kam mit der Schlacht von Gettysburg Anfang Juli 1863. Jede Seite hatte Verluste von etwa 25000 Mann an Toten und Verwundeten. Am 19. November 1863 wurde dort ein Ehrenfriedhof eingeweiht. Ein berühmter Redner hielt eine zweistündige Gedächtnisrede. Die Rede wurde vergessen.

Danach sprach Lincoln seine berühmte Rede von Gettysburg. Er sagte, die Gründerväter hatten auf diesem Erdteil eine neue Nation geschaffen, in Freiheit gezeugt und dem Glauben gewidmet, daß alle Menschen in Gleichheit geschaffen sind. Und endete mit den berühmten Worten, daß diese Toten nicht umsonst gestorben sein sollen, damit diese Nation mit Gottes Fügung eine Wiedergeburt der Freiheit erlebe und damit die Herrschaft des Volkes durch das Volk für das Volk nicht vom Erdboden verschwinde.

Den letzten Teil des Satzes haben wir in der DDR als Zitat von Lenin gelernt. Lincoln hatte ihn sechzig Jahre früher gesagt und hatte das ernstgemeint. Am 14. April 1865 wurde Lincoln ermordet. Jürgen Kuczynski, einer der produktivsten Historiker der DDR, hatte auch eine kleine Lincoln-Biographie geschrieben, die 1985 erschien. Darin bezeichnet er Lincoln als den größten Staatsmann des 19. Jahrhunderts »und zugleich so liebenswert«. Und er betont »die bewußt gewollte Einfachheit eines bedeutenden Mannes, dem sowohl jeder Personenkult als auch seine Rolle als herausragende Einzelgestalt, als Akteur der Geschichte zuwider waren«.

Vielleicht unterscheidet ihn das von all den anderen »großen Gestalten der Weltgeschichte«. Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht.