Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 5. Januar 2009, Heft 1

Wovon reden wir eigentlich?

von Werner Richter

Im täglichen Medienleben begegnen mir beachtlich viele ökonomische Begriffe, die mir die wirtschaftlichen Vorgänge plausibel machen sollen – jedoch ohne jegliche Definitionshinweise und damit letztlich als ein chaotisches Manipulationsorchester daherkommen. Oft bin ich nicht in der Lage, theoretische Hintergründe zu erkennen.

Leider muß ich oft feststellen, daß auch in »linken« Argumentationen – quer durch alle Fraktionen – niemand die Frage stellt: Moment, wovon reden wir eigentlich?! Oft werden die »realpolitisch«, das heißt wirtschaftspolitisch vorgegebenen Ausgangspunkte des Mainstreams unkritisch  übernommen – ohne eigene Ausgangspunkte zu suchen, von denen aus die Unhaltbarkeit der gängigen Argumente schnell ins Auge springen würde. Unterdessen stoßen wir auch in der Li nken auf Begriffe wie Wertschöpfung – bei Finanzoperationen!, shareholder value, Investitionen – statt Finanzanlagen – beziehungsweise Investmentgesellschaften oder wertschöpfende Geldeigenschaften.

Klarheit tut not. Zumal die Situation dafür augenblicklich nicht ungünstig ist. Die alten Marxtöter haben momentan den Schwanz ziemlich heftig eingezogen, und allenthalben hört man Hinz und Kunz raunen, daß Marx doch nicht ganz so tot sei, wie bisher behauptet. Allerdings belassen sie es meist dabei und schenken sich eine nähere Erklärung, sie warten auf den Abzug des Gewitters. Viel lieber bedienen sie sich der Schumpeter, Max Weber, manchmal der Smith und Ricardo – und konstruieren dann de facto gegensätzliche theoretische Gedanken zu Marx’ Auffassungen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Max Weber mit einer solcher Schindluderei einverstanden wäre, der kann sich aber nicht wehren.

Es mutet gelegentlich grotesk an, welche Theorien da geboren werden. Jüngst geriet ich im »Philosophischen Radio« auf WDR 5 (eigentlich ein Sender mit noch ernsthaftem Profil) in eine Diskussion zu Norbert Bolz’ Das konsumistische Manifest (Verlag Fink, 160 Seiten). Bolz unterstellt dem Geld eine mir bisher unbekannte Funktion: Es sei »kultivierend«. Es könne aber auch wuchern und für die Gesellschaft gefährlich werden, und zwar da, wo es sich selbst vermehre. Dann aber erscheine der Kapitalismus, der dieser Geldfunktion Grenzen setze. Hier konnte ich aufatmen, denn das böse Geld ist gezähmt. Wozu Kapitalismus doch gut sein kann.

Ich konnte nicht an mich halten und wollte eigentlich den Moderator Jürgen Wiebicke bitten, künftig vor solchen, sich direkt an Marx reibenden Sendungen die Marxsche Theorie doch etwas näher zu beleuchten und die Theoreme zumindest gegeneinanderzustellen. Was jedoch fast unmöglich sein dürfte, denn welcher durchschnittliche Wessi-Uni-Absolvent (wenn er nicht gerade bei Georg Fülberth in Marburg studierte) hat außer einem – oft auch nur heimlichen – Blick ins Manifest mehr Marx gewagt? So blieb mir nur, den Rundfunkmann zu bitten, Sendungen zu solchen Büchern künftig nicht als Philosophie, sondern bestenfalls als Publizistik zu deklarieren. Denn sonst entstünde womöglich eine neue Disziplin: die »Prekäre Philosophie«.