von Sabine Pamperrien
Die Umkehr hat in Deutschland Konjunktur. Kaum hat eine Tagesschau-Sprecherin die Notwendigkeit der Hausfrauenehe für den Fortbestand der deutschen Nation festgestellt, fordert ein ehemaliger Schuldirektor absoluten Gehorsam und strengste Unterordnung zum selben Zweck. »Die Zukunft Deutschlands wird davon abhängen, daß wir die bewußte Erziehung unserer Kinder, orientiert an gemeinsamen Maßstäben und Überzeugungen, programmatisch zum ersten Thema der Nation machen«, schreibt Bernhard Bueb.
Bueb war 31 Jahre lang Direktor des Elite-Internats Salem. In seiner Streitschrift Lob der Disziplin stellt er der deutschen Elite ein miserables Zeugnis aus: geistiges und charakterliches Mittelmaß. Geld verderbe den Charakter, wohingegen beschränkte materielle Ressourcen eine begrüßenswert ordnende Funktion im Leben von Jugendlichen hätten. Der Widerspruch seiner persönlichen Wahrnehmung zu sämtlichen wissenschaftlichen Untersuchungen des Zusammenhangs von Armut und Bildungsferne ficht ihn dabei nicht an. Seine Arbeit als Pädagoge sieht er folgerichtig nicht als Erfolgs-, sondern als Leidensgeschichte.
Aber nicht nur das Konsumverhalten der verkommenen Jugend sei Schuld am Niedergang verbindlicher Werte und Orientierungen. Von viel größerer Tragweite sei die antiautoritäre Erziehung: Mit ihrer »Pudding-Pädagogik« hätten die 68er ganz bewußt den jetzigen Erziehungsnotstand herbeigeführt, glaubt Bueb. Dem erzieherischen Gestaltungswillen den Rest gäbe die Psychologie, die jeden Eingriff als Hemmnis freier Persönlichkeitsentfaltung denunziere und jede notwendige Repression verhindere.
Das Fundament von Erziehung ist laut Bueb die vorbehaltlose Anerkennung von Autorität und Disziplin. Kinder müßten konsequent dem Willen der Eltern untergeordnet werden. Wie in der Hundeerziehung solle mit erzwungenen Wiederholungen normgerechtes Verhalten erreicht werden. Im Unterschied zum Hund solle der junge Mensch allerdings durch unbeirrte Konsequenz darauf vorbereitet werden, einer Norm eines Tages aus Einsicht folgen zu können.
Buebs Buch hat, befeuert durch eine Kampagne der Bild-Zeitung ein millionenfaches Publikum und breite Zustimmung gefunden. Seit Monaten hält sich das Traktat von »Deutschlands strengstem Lehrer« – so Bild – in den Bestsellerlisten. Dabei ist Buebs Buch konfus, voller Vorurteile und Widersprüche und ohne jedes Konzept. Eigentlich gelingt es ihm nicht einmal, herauszuarbeiten, ob er nun eine Elite erziehen oder das Volk bilden wolle – oder wie beides zusammenpasse.
Jetzt ist unter der Herausgeberschaft des Erziehungswissenschaftlers Micha Brumlik der Sammelband Vom Mißbrauch der Disziplin erschienen, in dem zahlreiche Wissenschaftler Buebs Befunde diskutieren. Zuviel Ehre für die selbstherrlichen Einlassungen eines nicht sehr schreibbegabten Pensionärs?
Schon bei den Reaktionen auf die Eva-Herman-Thesen mußte man sich wundern, daß seriöse Medien sich damit befaßten. Brumlik und seine Kollegen haben aber recht mit ihrer Anstrengung, die Thesen Buebs sachlich zu diskutieren. Zu schwer wiegt das Ansehen eines Schuldirektors, der jahrzehntelang einer Schule vorstand, deren reformpädagogisches Konzept 1934 Vorbild des britischen Eliteinternats Gordonstoun gewesen war, das unter anderem britische Prinzen besuchten.
Buebs Menschenbild ist deckungsgleich mit den Ausführungen der Nazi-Pädagogin Johanna Haarer, deren millionenfach verkaufter Erziehungsratgeber Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind bis in die sechziger Jahre bewirkte, daß Millionen von deutschen Kindern mit gewollter Lieblosigkeit großgezogen wurden. Neben »Schreien lassen!« und »Nicht beachten!« lobt Bueb als besonders gelungenes Beispiel für frühkindliche Disziplinierung die verpönte DDR-Praxis, alle Kinder gleichzeitig auf das Töpfchen zu setzen.
Die nachgewiesenen negativen Folgen der Haarerschen Pädagogik für die Persönlichkeitsentwicklung interessieren ihn genausowenig wie der Umstand, daß seine Diagnosen zumindest für die DDR gar nicht zutreffen können, weil dort ein klassisch autoritäres, allerdings antielitäres Erziehungssystem existierte.
Auch die von Bueb angeprangerte antiautoritäre Erziehung in der Bundesrepublik gibt bei näherer Betrachtung nichts her für seine eigenen Thesen. Claus Koch beschreibt, wie es in der berüchtigten Kommune 2 tatsächlich zuging: Klare Verbote wurden dort als weitaus sinnvolleres Erziehungsmittel erachtet als manipulative Überzeugungsversuche. Die verschrieene freie Entfaltung der Persönlichkeit hatte ihre Grenzen vor den Türen der Arbeitszimmer oder den Knöpfen des Plattenspielers. Antiautoritär hieß zumindest für die Kommunarden nicht, Kinder sich selbst zu überlassen, sondern vielmehr zu verhindern, daß Autoritätshörigkeit in der Charakterstruktur verankert wird.
Bueb hat ein ganz anderes Menschenbild. Menschen werden als egoistische Barbaren geboren, glaubt der Pädagoge. Erst durch strenge Formung würden sie zu Menschen. Zuviel Liebe und Nachsicht führten demnach zu schweren Schäden. Die Nationalsozialisten hätten diese pädagogischen Prinzipien nur mißbraucht und zu unrecht in Mißkredit gebracht. Es sei höchste Zeit, sie wiederzubeleben, meint Bueb.
Der populäre Neurologe und Psychiater Manfred Spitzer ist zwar mit Buebs grundsätzlicher Zustandsbeschreibung eines Mangels an Disziplin durchaus einverstanden. Daß allerdings der Mensch als asoziales Wesen auf die Welt komme, sei auch aus neurologischer Sicht falsch, sagt Spitzer. Vielmehr sei längst erwiesen, daß das Gehirn des Menschen von Geburt auf die Entwicklung sozialer Tugenden wie Mitleid, Hilfsbereitschaft und Gerechtigkeitssinn programmiert ist.
In Buebs Konstrukt wissen Lehrer und Erziehende mit absoluter Sicherheit, was für Schüler gut ist. Was alles nicht gewünscht ist, erschließt sich nur aus einigen Nebensätzen. »Demokratie wird absurd und zur Belastung, wenn alles immer wieder neu verhandelt wird.« Die Demokratisierung, die seit den siebziger Jahren auch in Salem zur Einführung einer Schülermitverwaltung führte, »produzier(e) eine Gewerkschaftsmentalität … förder(e) Egoismus und Spaßhaltung.«
Hans Thiersch bringt das generelle Problem des Bueb-Buchs auf den Punkt: »Das Unbehagen, das ein Anlaß der Bueb’schen Thesen ist, muß gesellschaftlich anders gelesen und anders pädagogisch aufgenommen werden.« Tatsächlich bleibt bei der Diskussion der fachpädagogischen Mängel von Buebs Thesen der vielleicht sogar schwerwiegendste Aspekt seiner Einlassungen fast unbeachtet. Denn sein Traktat ist voller allgemein-politischer Statements. So insinuiert Bueb etwa, daß ein großer Teil der Bevölkerung gar nicht die Fähigkeit zur Wahrnehmung der demokratischen Grundrechte besitze. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, wann ein weiterer Retter der Nation im Schlepptau eines Massenmediums in einem Traktat mutig die Abschaffung der Demokratie fordert.
Mit freundlicher Genehmigung der Netzeitung. Bernhard Bueb: Lob der Disziplin – Eine Streitschrift, List-Verlag Berlin 2006, 160 Seiten, 18 Euro; Micha Brumlik (Hrsg.): Vom Missbrauch der Disziplin. Antworten der Wissenschaft auf Bernhard Bueb, Beltz Verlag Weinheim 2007 12,90 Euro
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